26. März 2002 • Wettbewerb im öffentlichen Personennah- und -regionalverkehr • Robert Wieser

Im österreichischen öffentlichen Personennah- und -regionalverkehr (ÖPNRV) werden jährlich mehr als 1,5 Mrd. Personen befördert, rund die Hälfte davon im Verkehrsverbund Ost-Region (VOR). Der Anteil der Wiener Linien liegt mit über 700 Mio. Beförderungsfällen bei 47%. Die Verkehrsleistungen des ÖPNRV werden aus öffentlichen Mitteln und aus Fahrpreisentgelten finanziert. Die Gesamtkosten betrugen 1999 etwa 1,9 Mrd. €; mit 1,3 Mrd. € wurden zwei Drittel davon aus Mitteln der öffentlichen Hand getragen. Der Kostendeckungsgrad über die Erlöse aus Fahrpreisen ist regional unterschiedlich und hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Die ÖBB weisen im Nahverkehr einen Kostendeckungsgrad zwischen 30% und 40% auf. Die Wiener Linien erreichen – allerdings auch aufgrund der geringen Benützungsgebühren für die U-Bahn-Infrastruktur – eine Kostendeckung von beinahe 50%.

Der ÖPNRV erfüllt zugleich wichtige volkswirtschaftliche, soziale und umweltpolitische Funktionen. Er generiert eine Reihe von positiven externen Effekten (für Autofahrer, Arbeitgeber, Grundstückbesitzer usw.), und er hilft, negative externe Effekte des motorisierten Individualverkehrs (Luftverunreinigung, Lärm, Stau) zu verringern. In allen Konzepten und Programmen für die Entwicklung einer zukunftsfähigen Verkehrspolitik spielt daher der ÖPNRV eine zentrale Rolle. Aus verschiedenen angebots- und nachfrageseitigen sowie institutionellen Gründen wurde er diesem Anspruch in den letzten Jahren aber trotz erheblicher finanzieller Anstrengungen nicht überzeugend gerecht.

Die offenkundige Krise des ÖPNRV äußerst sich dadurch, dass er gegenüber dem motorisierten Individualverkehr in den letzten Jahren beständig Marktanteile verlor. Die Nachfrage nach öffentlichen Verkehrsleistungen reagiert sehr stark auf Veränderungen von Qualität und Angebot des ÖPNRV relativ zum motorisierten Individualverkehr. Trotz aller Verbesserungen in den letzten Jahren ist das Ansehen des ÖPNRV jedoch weiterhin schlecht. Eine qualitative Untersuchung unter europäischen Verbrauchern zeigt, dass der ÖPNRV das niedrigste allgemeine Niveau der Kundenzufriedenheit aller untersuchten Infrastruktursektoren aufweist. Die Zufriedenheit ist auf bereits liberalisierten Märkten wie der Telekommunikation, der Elektrizitätsversorgung und dem Flugverkehr deutlich höher.

Für die Attraktivität des ÖPNRV relativ zum motorisierten Individualverkehr ist daher nicht allein die Höhe der Finanzmittel von Bedeutung, es müssen auch die Anreizwirkungen im Zusammenhang mit Organisation und Finanzierung in Betracht gezogen werden. Die im Jahre 1999 eingeleitete Neuordnung und Regionalisierung wird zu einer Stärkung des Kostenbewusstseins beitragen, sie bildet aber noch keine hinreichende Grundlage für einen effizienten Mitteleinsatz. Internationale Beispiele belegen, dass auch im ÖPNRV die Einführung eines Wettbewerbselements eine entscheidende Voraussetzung für die Erreichung dieses Ziels ist.

Wie die Erfahrungen aus Großbritannien, Schweden, Dänemark und Frankreich zeigen, liefert der Ausschreibungswettbewerb ("kontrollierter Wettbewerb") im Vergleich mit der vollständigen Marktliberalisierung und der staatlichen Bereitstellung im ÖPNRV die besten Ergebnisse. So schafft der Ausschreibungswettbewerb insgesamt wesentlich höhere Nachfrage nach öffentlichem Verkehr, als dies auf geschlossenen Märkten der Fall ist. Städtische Busunternehmen, die unter kontrolliertem Wettbewerb agieren, bieten im Durchschnitt erheblich kostengünstiger an als Unternehmen auf stärker kontrollierten Märkten. Über einen längeren Beobachtungszeitraum ergeben sich Kosteneinsparungen zwischen 14% und 50%. Gegenüber der Situation vor der Marktöffnung erzielten alle untersuchten Städte mit kontrolliertem Wettbewerb deutliche Produktivitätsgewinne. In der Folge der Ausschreibungen sinkt zudem das Volumen der erforderlichen Subventionen erheblich.

Die Wettbewerbspotentiale im österreichischen ÖPNRV sind gegenwärtig gering. Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen wirksamen Ausschreibungswettbewerb sind noch nicht gegeben: Die weitgefasste Definition der Eigenwirtschaftlichkeit im ÖPNRV-G schließt einen Großteil der Verkehrsleistungen vom Ausschreibungswettbewerb aus, und innerhalb der Grenzen der Eigenwirtschaftlichkeit bestehen kaum Anreize zur Steigerung der Kosteneffizienz. Zudem stehen die im ÖPNRV-G festgelegten organisatorischen Rahmenbedingungen einem fairen und diskriminierungsfreien Ausschreibungswettbewerb entgegen. Angesichts der positiven Erfahrungen mit dem Ausschreibungswettbewerb in anderen Ländern sollten weitere Reformen verstärkt Wettbewerbspotentiale auch im österreichischen ÖPNRV freisetzen. Die über Ausschreibungen eingesparten Mittel könnten für zusätzliche Angebote und damit für eine Verbesserung der Attraktivität des ÖPNRV gegenüber dem motorisierten Individualverkehr eingesetzt werden.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 3/2002!