20. Dezember 2001 • Rezessionsängste überschatten die Weltwirtschaft • Marcus Scheiblecker

Während sich USA und Japan bereits in einer Rezession befinden, verstärken sich auch für die stagnierende Wirtschaft der EU die Anzeichen einer weiteren Abkühlung der Konjunktur. Die von den großen Wirtschaftsblöcken ausgehenden realwirtschaftlichen Dämpfungseffekte zeigen sich auch deutlich im südostasiatischen Raum. In Südamerika belasten zudem Finanzengpässe die Wirtschaftsentwicklung. Während die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger in den USA durch eine außerordentlich expansive Geld- und Fiskalpolitik aktiv gegensteuern, bleiben ähnlich entschlossene Aktionen im Euro-Raum weitgehend aus.

Der Terroranschlag vom 11. September 2001 traf die USA in einer labilen Konjunktursituation. Im II. Quartal stagnierte die Wirtschaft, und im III. Quartal wurde erstmals seit 1993 ein Rückgang des BIP verzeichnet. Nach wie vor bildet die Konsumnachfrage der privaten Haushalte die Stütze der Konjunktur. Die mehrfachen Zinssenkungen durch die Notenbank verbilligten die Kredite für Konsumgüter erheblich und ermöglichten gemeinsam mit Lockpreisangeboten ein anhaltendes Wachstum der Nachfrage der privaten Haushalte. Die Regierung stellte zudem weitere Steuersenkungen in Aussicht oder setzte sie bereits im Jahr 2001 in Kraft, um einem weiteren Einbruch des Konsumentenvertrauens entgegen zu wirken. Die Investitionsnachfrage war im II. und III. Quartal anhaltend rückläufig, sieht man vom privaten Wohnbau ab, der durch die umfangreiche Zinssenkung stimuliert wurde. Die Arbeitslosenquote stieg beträchtlich und erreichte im Oktober mit 5,4% einen neuen Höchststand. Die Aktienmärkte spiegelten bereits vor den Attentaten die schlechte Wirtschaftsverfassung wider; nur wenige Indikatoren wie der Einkaufmanagerindex deuteten auf ein mögliches Ende der Konjunkturschwäche hin.

Die ökonomischen Auswirkungen der Terroranschläge dürften in den USA die Hoffnung auf einen Aufschwung in naher Zukunft zunichte machen. Die Umfragen unter Unternehmen und Konsumenten gaben einen dramatischen Einbruch der Vertrauenswerte wieder. Überdies ist mit direkten und indirekten Folgekosten zu rechnen (z. B. Rückgang der Nachfrage, Kostensteigerungen durch Sicherheitsmaßnahmen und Versicherungen), welche nicht nur die Wirtschaft der USA belasten. In diesem Klima der Unsicherheit, welches durch die Anschläge mit Milzbrandsporen zusätzlich belastet wurde, werden Investitions- und Konsumentscheidungen aufgeschoben. Dadurch wächst die Gefahr einer Abwärtsspirale der Wirtschaftsentwicklung. Um diese zu verhindern, verstärkten sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik ihren expansiven Kurs. Die Notenbank der USA senkte kurz nach dem 11. September ihren Leitzins um ½ Prozentpunkt; die Regierung kündigte zusätzliche Steuersenkungen und eine Ausweitung der Staatsausgaben vor allem im Sicherheitsbereich an. Die Prognosen von OECD und EU erwarten für das kommende Jahr ein geringeres Wachstum als für das laufende; ein Aufschwung ist erst im Laufe des Jahres 2002 zu erwarten.

Seit Mitte 2000 – und wesentlich verschärft seit Anfang 2001 – kühlt sich die Konjunktur in Japan ab. Im II. Quartal schrumpfte das BIP real gegenüber dem Vorquartal bereits; zusammen mit dem Einbruch der Unternehmensumfragen deutet dies auf den Beginn einer Rezession hin. Beträchtlich verschlechtert hat sich die Exportnachfrage und jene nach Investitionsgütern. Der seit Jahren schwache private Konsum kann die Konjunktur nicht stützen. Der gesamtwirtschaftliche Nachfragerückgang betraf vor allem Industrieprodukte, die Arbeitslosenquote stieg auf einen Rekordwert von über 5%.

Die südostasiatischen Länder leiden besonders unter der internationalen Verringerung der Nachfrage nach Informations- und Telekommunikationsausrüstungen, ihr außenwirtschaftlicher Überschuss schrumpft. Bezüglich der Finanzindikatoren ist die Situation jedoch deutlich günstiger als in der Asienkrise 1998/99: Die meisten Volkswirtschaften dieser Region weisen nach wie vor Leistungsbilanzüberschüsse auf, die Auslandsverschuldung erscheint nicht besorgniserregend. Dennoch kann auch für diesen Raum eine Rezession nicht ausgeschlossen werden.

Im Gegensatz zu Südostasien ist die finanzielle Anspannung in Südamerika erheblich. Argentinien behält seine Wechselkurspolitik in Form der Dollarbindung und die restriktive Fiskalpolitik unverändert bei und kann keine Impulse zur Überwindung der Rezession setzen. Auch in Brasilien haben sich die Aussichten verschlechtert: Nach seiner Frühjahrsprognose für 2001 von +4,5% revidierte der Währungsfonds im Oktober die Wachstumsrate (noch ohne Berücksichtigung der Ereignisse vom 11. September) auf nur noch 2,2%. Aufgrund der engen Handelsbeziehungen mit den USA erscheint in Mexiko eine Rezession ebenfalls wahrscheinlich.

In Europa beschleunigte sich der Abschwung mit Verzögerung gegenüber den USA. Im Gegensatz zu den USA entwickelt sich die Nachfrage der privaten Haushalte schon seit Jahren ungünstig, seit Jahresanfang schwächte sich der Export (bzw. der Außenbeitrag) deutlich ab, die Bruttoanlageinvestitionen waren ebenfalls rückläufig. Somit pflanzte sich die Konjunkturabschwächung nicht nur über die außenwirtschaftliche Verflechtung fort, sondern nahezu zeitgleich auch über Investitionsentscheidungen. Offenbar schlagen sich die zunehmende Präsenz multinationaler Unternehmen und die vermehrte Interdependenz in der Erwartungsbildung der Wirtschaftsakteure in einer beschleunigten Transmission der Konjunkturschwankungen nieder. Das Vertrauen sowohl der Unternehmen als auch der Konsumenten trübte sich in der EU rasch ein und verschlechterte sich nach den Terroranschlägen in den USA weiter. Das BIP stagnierte im Euro-Raum im II. und III. Quartal saisonbereinigt (jeweils +0,1% gegenüber dem Vorquartal). Die Arbeitslosenquote reagiert im Euro-Raum bislang nicht auf den Abschwung.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 12/2001!