22. November 2001 • Rezession oder Wirtschaftswachstum? • Markus Marterbauer

Seit Mitte des Jahres 2000 schwächt sich in Österreich ähnlich wie in den meisten EU-Ländern das Wirtschaftswachstum merklich ab. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Monaten – unter anderem unter dem Einfluss der Terroranschläge in den USA – weiter verschärft. Dieser deutliche Wachstumseinbruch und seine Auswirkungen auf Kapazitätsauslastung und Arbeitsmarkt lösten nun eine Diskussion darüber aus, ob die gegenwärtige Konjunkturlage als "Rezession" beschrieben werden kann.

Divergierende Aussagen beruhen dabei auf unterschiedlichen Definitionen des Begriffs Rezession:

  • Gemäß der Verwendung in den USA bezeichnet der Begriff einen saisonbereinigten Rückgang der Wirtschaftsleistung gegenüber dem Vorquartal in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen. Diese Definition wurde in den letzten Jahren auch in Europa üblich und wird vom WIFO angewandt. Sie rechtfertigt die – derzeit allgemein akzeptierte – Aussage, dass Produktion und Nachfrage in den USA schrumpfen und die Wirtschaft in eine Rezession geraten ist. So wird nach dem Rückgang des BIP im III. Quartal gegenüber dem Vorquartal (–0,1%) auch für das IV. Quartal ein Rückgang erwartet.
  • In der EU hingegen war lange Zeit eine Verwendung des Begriffes "Rezession" üblich, die auf einen Rückgang der Wirtschaftsleistung im Jahresdurchschnitt gegenüber dem Vorjahr abstellte. Nach dieser Definition wird von allen derzeit vorliegenden Konjunkturprognosen weder für die USA noch für Europa heuer oder im nächsten Jahr eine Rezession vorausgesagt. Die Prognosen des IMF, der OECD und der EU-Kommission erwarten für die USA für 2001 und 2002 jeweils ein Wachstum in der Größenordnung von etwa 1% gegenüber dem Vorjahr und für Europa von etwa 1½% (wobei die Unsicherheiten für das kommende Jahr als erheblich gelten müssen).
  • Eine dritte Variante, den Begriff "Rezession" abzugrenzen, war in den fünfziger und sechziger Jahren gebräuchlich: In der Phase starken Wirtschaftswachstums wurde damals von einer "Wachstumsrezession" gesprochen, wenn das BIP zwar zunahm, aber merklich schwächer als im langjährigen Durchschnitt.

Verwendet man den Begriff, wie er in der europäischen Konjunkturdiskussion gebräuchlich war (Variante 2), dann durchlief Österreich seit der Nachkriegszeit drei Rezessionen: 1975 (–0,4%; Zusammenbruch des internationalen Währungssystems, erster Erodölpreisschock), 1978 (–0,4%; "Leistungsbilanzkrise"), 1981 (–0,1%; Hochzinspolitik, zweiter Erdölpreisschock). In der bislang letzten europäischen Rezession 1993 (EU –0,5%) wuchs die Wirtschaft in Österreich sogar leicht (+0,4%).

In der modernen Definition des Begriffes, der in den USA und zunehmend auch in Europa Verwendung findet (Variante 1), sind in Österreich die Perioden 1974/75, 1980/81 und 1992/93 als Rezession zu bezeichnen. Das BIP ging in diesen Phasen über zwei bis vier aufeinanderfolgende Quartalen zurück.

Eine Diagnose ausschließlich aufgrund von Jahreswerten (Variante 2) könnte sich in der gegenwärtigen Konjunktursituation als wenig angemessen erweisen. Die Verschärfung des Konjunktureinbruchs setzte Mitte 2001 ein und wird nach der derzeitigen Einschätzung bis Mitte 2002 andauern. Während das reale BIP in beiden Jahren im Jahresdurchschnitt zunehmen wird, hält die Konjunkturkrise jedoch mehrere Quartale an. Diese Situation ähnelt jener im letzten starken Konjunktureinbruch zu Beginn der neunziger Jahre: Zwar wuchs die Wirtschaftswachstum auch 1992 und 1993 im Jahresdurchschnitt leicht, die Rezession kam aber in einem Rückgang des BIP über mehrere Quartale Ende 1992 und Anfang 1993 zum Ausdruck. Die Folgen dieser Rezession waren u. a. ein markanter Rückgang der Kapazitätsauslastung und ein erheblicher Anstieg der Arbeitslosigkeit (+29.000 im Jahresdurchschnitt 1993).

Die Frage der Definition einer Rezession dürfte die Wohlfahrt eines Landes und seiner Bevölkerung (d. h. die generellen Ziele der Wirtschaftspolitik) allerdings nur indirekt berühren. Viel entscheidender ist, welche direkten wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Wachstumseinbruch mit sich bringt. Selbst wenn die Wirtschaftsleistung noch nicht schrumpft, sondern nur stagniert, sind erhebliche Auswirkungen auf die Kapazitätsauslastung in den Betrieben, die Beschäftigung und die Arbeitslosigkeit zu erwarten.

Die gegenwärtige Wirtschaftsentwicklung ist von einer beträchtlichen Verschlechterung dieser Variablen geprägt: Die Produktion ist in der Sachgütererzeugung rückläufig, Ähnliches gilt für die Bauwirtschaft. Das Wachstum der Beschäftigung ist fast zum Stillstand gekommen, die Zahl der Arbeitslosen lag zuletzt um knapp 25.000 über dem Niveau des Vorjahres. Alle Frühindikatoren deuten auf eine weitere Verschärfung dieser ungünstigen Entwicklung hin. Für die Wintermonate muss wohl mit einem Anstieg der Arbeitslosigkeit um über 30.000 gegenüber dem Vorjahr gerechnet werden. Diese Konjunkturentwicklung verlangt nach der Aufmerksamkeit der Wirtschaftspolitik.