7. November 2001 • Effekte der EU-Erweiterung für Wirtschaftssektoren und Wirtschaftsräume. Hauptergebnisse des Forschungsprogramms "PREPARITY" • Peter Mayerhofer, Gerhard Palme

Makroökonomische Analysen erwarten in ungewöhnlicher Übereinstimmung positive gesamtwirtschaftliche Nettoeffekte der EU-Erweiterung für Österreich. Nicht alle Wirtschaftsbereiche und Regionen des Landes werden allerdings in gleicher Weise Vorteile aus diesem Integrationsschritt ziehen können. Die im Forschungsprogramm "PREPARITY – Strukturpolitik und Raumplanung in den Regionen an der mitteleuropäischen EU-Außengrenze zur Vorbereitung auf die EU-Osterweiterung" erzielten Ergebnisse lassen vielmehr vermuten, dass die Wirkungen der Erweiterung nach Branchen und Standorten deutlich differenziert sein werden.

Die Wirtschaftssektoren werden durch die Erweiterung unterschiedlich betroffen sein, weil die schon heute gültigen handelspolitischen Bedingungen sektoral stark differieren: Im Industriewarenhandel wird ein bereits weit fortgeschrittener Liberalisierungsprozess lediglich weitergeführt bzw. abgeschlossen. Im Dienstleistungshandel wird der bevorstehende Integrationsschritt dagegen erhebliche Veränderungen auslösen, Niederlassungsfreiheit und neue Möglichkeiten der grenzüberschreitenden Leistungserbringung werden in Teilbereichen ein gänzlich neues Wettbewerbsregime schaffen.

Wieweit aus der Betroffenheit einer Branche letztlich positive oder negative Entwicklungspotentiale erwachsen, wird durch ihre Konkurrenzfähigkeit bestimmt. Die Wettbewerbsposition der österreichischen Wirtschaftssektoren gegenüber Anbietern aus den ostmitteleuropäischen Beitrittsländern (MOEL) wurde daher im Forschungsprogramm PREPARITY detailliert analysiert. Zur Einschätzung der Auswirkungen wurden Branchentypologien herangezogen, die sich auf wichtige Eigenschaften des Wettbewerbs beziehen (Faktorintensität, Qualifikation, Qualitätswettbewerb, Betriebsgrößenerträge, Erträge räumlicher Ballung, Vorleistungsverflechtungen).

Große Teile von Sachgüterproduktion und Dienstleistungsbereich als Gewinner der Erweiterung

In der Sachgüterproduktion weisen 47 der 99 analysierten Industriebranchen Wettbewerbsvorteile auf, für weitere 17 Branchen kann eine neutrale Konkurrenzposition abgeleitet werden. Der Außenhandel entwickelt sich in den meisten Branchen sehr günstig, auch strukturbedingt benachteiligte Branchen verbuchen zunehmend Exporterfolge in Ost-Mitteleuropa.

Auch für den Tertiärsektor überwiegen positive Erwartungen. Weite Bereiche des Branchenspektrums, darunter die Datenverarbeitung, der Finanzbereich, das Realitätenwesen sowie große Teile des Großhandels und der Unternehmensdienste werden zu den Gewinnern der Erweiterung zählen. Für nur 18 der 70 untersuchten Dienstleistungsbranchen wird eine nachteilige Wettbewerbsposition identifiziert, darunter allerdings beschäftigungsreiche Branchen wie das Bauwesen sowie Teile des Einzelhandels und des Verkehrswesens.

Auch in diesen Bereichen ist eine breite Bedrohung des heimischen Unternehmensbestands nicht zu befürchten: Die Angebotsstruktur der MOEL ist mangelhaft, die Effizienz der heimischen Anbieter und die Nachfrageperspektiven der Branchen sind günstig. Zudem wurde durch die Aufnahme von (temporären) Schutzmechanismen für sensible Dienstleistungsbranchen in die Verhandlungsposition der EU dem Problem grenzüberschreitender Leistungserbringung unter ungleichen Wettbewerbsbedingungen die Spitze genommen.

Großstädte begünstigt – Ostregion weist Wettbewerbsnachteile auf

Überwiegend positiv werden die Effekte der EU-Erweiterung auch für Österreichs Regionen sein. Von der Ost-Integration wird kein Strukturwandel ausgelöst, der tiefgreifende Strukturprobleme für einzelne Regionen zur Folge haben könnte. Die Richtung des laufenden regionalen Strukturwandels bleibt weitgehend unverändert, eine gewisse Beschleunigung ist möglich.

Begünstigt sind Großstädte (insbesondere Wien) mit ihrem Umland und – mit einigem Abstand – die Mittelstädte. Sie weisen einen hohen Besatz an wettbewerbsfähigen Branchen mit guten Exportmöglichkeiten auf und einen eher unterdurchschnittlichen Bestand an Branchen, die durch die Konkurrenz aus Ost-Mitteleuropa unter Druck geraten können. Darüber hinaus sind sie – als humankapitalintensive Wirtschaftsräume – mit Standortfaktoren ausgestattet, die die Fortentwicklung zu einer wissensbasierten Wirtschaft unterstützen.

Die Industrieregionen mit konkurrenzfähiger Branchenstruktur und Ballungsvorteilen finden gute Chancen vor – auch weil sie von den Grenzen zu den ostmitteleuropäischen Nachbarländern relativ weit entfernt sind und nur eingeschränkt mit Dienstleistungsbranchen belastet sind, die nachteilige Entwicklungserwartungen rechtfertigen. Ähnliches gilt für die Tourismusregionen.

Lediglich in den ländlichen Gebieten in der Ost-Grenzregion spielen Branchen eine größere Rolle, die gegenüber den MOEL Wettbewerbsnachteile aufweisen. Diese Nachteile werden durch ungünstige Standortbedingungen tendenziell verstärkt. Schon im Zuge der Ostöffnung sind komparative Standortvorteile in der Sachgüterproduktion verloren gegangen, mit der EU-Erweiterung und dem Aufbrechen bisher durch die Grenze (national) segmentierter Märkte kommen Anpassungsprobleme der Anbieter regional handelbarer Dienstleistungen hinzu.

Allerdings stehen diese Erwartungen in scheinbarem Gegensatz zu den bisherigen Erfahrungen seit der Ostöffnung: Ländliche (Grenz-)Regionen verzeichneten in den neunziger Jahren ein etwa doppelt so hohes Beschäftigungswachstum wie die Agglomerationen. Dies war jedoch nicht Folge der Ostöffnung, sondern ging in erster Linie vom Inlandsmarkt aus. Es trug auch nicht zu einer Verbesserung der Wirtschaftsstruktur bei.

Die künftige Entwicklung der ländlichen Regionen wird in engem Zusammenhang mit jener der Großstadtregionen stehen: Positive Wirkungen dürften umso eher eintreten, je besser die Großstadtregionen die Chancen der EU-Erweiterung nutzen können. Diese Spill-over-Effekte werden allerdings den ländlichen Regionen in Randlage nur eingeschränkt zugute kommen.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte folgenden Teilprojekten der WIFO-Studie "PREPARITY – Strukturpolitik und Raumplanung in den Regionen an der mitteleuropäischen EU-Außengrenze zur Vorbereitung auf die EU-Osterweiterung" (Koordination: Peter Mayerhofer, Gerhard Palme, im Rahmen der Gemeinschaftsinitiative INTERREG IIC; jeweils ATS 400,00 bzw. EUR 29,07): • Peter Mayerhofer, Gerhard Palme, Teilprojekt 6/1: Sachgüterproduktion und Dienstleistungen: Sektorale Wettbewerbsfähigkeit und regionale Integrationsfolgen (300 Seiten) • Peter Mayerhofer, Gerhard Palme, Teilprojekt 8: Aspekte der regionalen Wettbewerbsfähigkeit (150 Seiten) Im Heft 11/2001 der WIFO-Monatsberichte werden die Ergebnisse dieser Studien zusammengefasst. Alle Bestellungen bitte an das WIFO, Christine Kautz, Tel. 01/798 26 01/282, Fax 01/798 93 86, E-Mail Christine.Kautz@wifo.ac.at