16. März 2001 • Regionale Polarisierung in Ost-Mitteleuropa • Gerhard Palme

In den ostmitteleuropäischen Transformationsländern vollzieht sich ein rascher Wandel der sektoralen und regionalen Wirtschaftsstruktur. In vielen Regionen verlor die Industrie, die in der sozialistischen Planwirtschaft eine dominante Stellung innegehabt hatte, zugunsten der Dienstleistungen an Bedeutung. Zudem wurde die Landwirtschaft zurückgedrängt. In der Transformation tendiert die Industrie zur räumlichen Dekonzentration, während sich der Dienstleistungssektor auf immer weniger Standorte konzentriert. Trotz eines raschen Strukturwandels ist die Bedeutung der Industrie in den MOEL nach wie vor größer als in den EU-Staaten. Die MOEL haben auch in Bezug auf die Tertiärisierung noch nicht zur EU aufgeschlossen.

Der Strukturwandel betraf nicht alle Regionen in gleicher Weise. Der Systemübergang war mit einer Zunahme der regionalen Disparitäten verbunden – die sozialen Ungleichheiten schlagen sich auch räumlich nieder. Die regionalen Unterschiede sind auch im internationalen Vergleich sehr groß, das Entwicklungsniveau divergiert in den ostmitteleuropäischen Ländern viel stärker als etwa in EU-Ländern. Die Unterschiede zwischen relativ reichen und armen Regionen sind vor allem in der Slowakei und in Ungarn ausgeprägt, schwächer liefen die Divergenzprozesse in Polen und insbesondere in Slowenien ab.

Manche Regionen beschreiten einen neuen Wachstumspfad, andere sind in hartnäckige Strukturkrisen geraten. Die größte Dynamik entfalteten in den neunziger Jahren die Haupt- und Großstädte, die von den Standortvorteilen für Dienstleistungen profitierten.

Neben der Konzentration auf Ballungsräume folgte die regionale Entwicklung einem West-Ost-Gefälle. Gut entwickelten sich auch Regionen, in denen viel in die Sachgüterproduktion investiert wurde. Regionen an der EU-Grenze und erneuerungsfähige Industriegebiete erwiesen sich als besonders attraktiv für Investoren. Umgekehrt erschwerten in "alten" Industriegebieten, die vom Bergbau oder der Schwerindustrie geprägt sind, Überkapazitäten und nachteilige Betriebsstrukturen den Übergang zu einer Marktwirtschaft. Die Folge ist eine seit Jahren hohe Arbeitslosigkeit. Ungleichgewichtige Arbeitsmärkte weisen auch periphere ländliche Gebiete auf. Überkapazitäten in der Landwirtschaft und unzureichende Standortfaktoren in der Infrastruktur riefen hartnäckige Strukturprobleme hervor.

Durch die Konzentration der Krisenregionen auf bestimmte Landesteile verschärft sich die Gefahr einer regionalen Desintegration. Stark polarisiert ist die regionale Struktur in Polen, Ungarn und der Slowakei, wo jeweils zwischen 50% und 60% der Landesbevölkerung auf industrielle oder ländliche Problemregionen entfallen. In der Bewältigung der regionalen Krisen liegt eine große Herausforderung für Experten und Verantwortliche der Regionalpolitik. Die Entwicklungsbedingungen sind zu unterschiedlich, um fast sämtliche Regionen der MOEL in eine Ziel-1-Förderung der EU einzubeziehen, wie dies nach den derzeitigen Kriterien der EU-Strukturpolitik der Fall wäre. Zweckmäßig erscheint, die Regionen mit massiven Strukturproblemen in der EU-Regionalpolitik zu bevorzugen. Für Regionen ohne größere Strukturprobleme, aber im Vergleich zum EU-Durchschnitt relativ niedrigen Einkommen wäre eine überwiegend nationale Förderung im Rahmen einer regionalen Wachstumspolitik überlegenswert.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 3/2001!