23. Oktober 2000 • Strukturwandel in der Textilindustrie • Norbert Knoll

Die internationale Liberalisierung des Marktzutritts hat den Strukturwandel in der Textilindustrie in den neunziger Jahren beschleunigt. Trotz einer vielfach kapitalintensiven Produktionsweise geraten die Produzenten in der EU unter zunehmenden Wettbewerbsdruck durch Importe aus Niedriglohnländern (Türkei, China, Indien, MOEL usw.). In der EU stagniert das Produktionsvolumen des Sektors, und die Beschäftigung sinkt, sodass die Branche innerhalb der gesamten Sachgütererzeugung an Bedeutung verliert.

In Österreich hat die Textilindustrie – ähnlich wie in Belgien und Italien – nach wie vor großes Gewicht. Die Wettbewerbsfähigkeit der Textilerzeuger kann in diesen Ländern unter liberalisierten Handelsbedingungen – und somit verschärftem Wettbewerb – nur dann erhalten bzw. gesteigert werden, wenn es gelingt, neue Absatzmärkte zu erschließen und durch eine Steigerung der Wertschöpfung die Produktivität zu erhöhen. Wertschöpfungssteigerung bedeutet dabei nicht nur Abkehr von arbeitsintensiven Massenprodukten und Konzentration auf neue, qualitativ hochwertige und spezialisierte Produkte; in Vorwegnahme des sich abzeichnenden Regimes der internationalen Arbeitsteilung ist vielfach die Auslagerung arbeitsintensiver Prozesse in Niedriglohnländer (passiver Veredelungsverkehr) erforderlich.

Im EU-Vergleich treten zwei Besonderheiten der heimischen Textilproduktion hervor:

  • Die Produktivitätsgewinne waren zwischen 1989 und 1998 mit durchschnittlich 10% pro Jahr außerordentlich groß, sodass 1998 das zweithöchste Produktivitätsniveau innerhalb der EU erreicht wurde (+35% gegenüber dem EU-Durchschnitt, +17% gegenüber den USA).
  • Das Produktivitätswachstum der österreichischen Textilindustrie lässt sich vorwiegend auf eine Steigerung der Wertschöpfung zurückführen – pro Jahr nahm die Wertschöpfung der heimischen Erzeuger um durchschnittlich 5,3% zu, wesentlich rascher als in der EU 15 (+0,5%).

In der österreichischen Textilbranche vollzog sich in den neunziger Jahren eine Strukturbereinigung. Die Anpassung der verbliebenen heimischen Produzenten (insbesondere durch Spezialisierung, Forcierung höherwertiger Produkte und Verlagerung arbeitsintensiver Produktionsschritte ins Ausland) schlägt sich nun in einem außerordentlich hohen Produktivitätsniveau nieder, das für die internationale Wettbewerbsfähigkeit eine insgesamt gute Ausgangsposition bildet. Die Ausweitung des Absatzes hochwertiger Textilprodukte auf neuen Märkte ist nur mit Einschränkungen gelungen und wird künftig nicht nur zur Kompensation von Marktanteilsverlusten auf traditionellen Exportmärkten (insbesondere dem europäischen Binnenmarkt), sondern auch im Sinne verstärkter Partizipation auf neuen Wachstumsmärkten erforderlich.

Übersicht 1: Entwicklung des Produktionswerts der Textilindustrie (NACE 17) und der Sachgüterproduktion
 

Textilindustrie

Sachgütererzeugung

Textilindustrie

 

1989

1998

1989

1998

 

1989

1998

 

Mio. ECU

Durchschnittliche jährliche Veränderung 1989/1998 in %

Mio. ECU

Durchschnittliche jährliche Veränderung 1989/1998 in %

Anteil an der Sachgütererzeugung in %

                 

Belgien

4.453

6.641

+ 4,5

86.855

153.819

+ 6,6

5,1

4,3

Dänemark

883

850

- 0,4

37.009

54.823

+ 4,5

2,4

1,6

Deutschland

17.940

14.730

- 2,2

776.182

1.045.530

+ 3,4

2,3

1,4

Griechenland

1.557

1.221

- 2,7

17.078

20.651

+ 2,1

9,1

5,9

Spanien

7.648

7.724

+ 0,1

213.719

284.745

+ 3,2

3,6

2,7

Frankreich

12.024

12.735

+ 0,6

444.078

615.687

+ 3,7

2,7

2,1

Irland

502

564

+ 1,3

25.405

57.547

+ 9,5

2,0

1,0

Italien

25.949

28.573

+ 1,1

413.945

534.340

+ 2,9

6,3

5,3

Niederlande

1.956

2.137

+ 1,0

110.913

145.701

+ 3,1

1,8

1,5

Österreich

2.479

2.693

+ 0,9

61.291

79.897

+ 3,0

4,0

3,4

Portugal1)

4.030

4.323

+ 0,8

37.326

61.478

+ 5,7

10,8

7,0

Finnland

678

619

- 1,0

59.885

70.773

+ 1,9

1,1

0,9

Schweden

923

724

- 2,7

92.034

118.918

+ 2,9

1,0

0,6

Großbritannien

12.023

12.694

+ 0,6

414.100

558.003

+ 3,4

2,9

2,3

                 

EU 15

93.045

96.228

+ 0,4

2,789.820

3,801.911

+ 3,5

3,3

2,5

Q: Eurostat (SBS), WIFO-Berechnungen. –  1)  1990.

Übersicht 2: Nominelle Wertschöpfung, Beschäftigung und Produktivität in der Textilindustrie (NACE 17)
 

Wertschöpfung

Beschäftigung

Produktivität

 

1989

1998

1989/
1998

1989

1998

1989/
1998

1989

1998

1989/
1998

 

Mio. ECU

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %

   

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %

Wertschöpfung je Beschäftigten in ECU

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %

                   

Belgien

1.544

1.923

+ 2,5

50.004

40.049

- 2,4

30.877

48.010

+ 5,0

Dänemark

288

307

+ 0,7

9.459

6.150

- 4,7

30.431

49.945

+ 5,7

Deutschland

6.114

5.049

- 2,1

232.579

127.151

- 6,5

26.286

39.710

+ 4,7

Griechenland

360

394

+ 1,0

40.083

20.098

- 7,4

8.970

19.610

+ 9,1

Spanien

2.781

2.401

- 1,6

145.412

110.241

- 3,0

19.127

21.784

+ 1,5

Frankreich

3.919

3.988

+ 0,2

151.549

119.737

- 2,6

25.856

33.306

+ 2,9

Irland

190

224

+ 1,8

9.628

9.918

+ 0,3

19.722

22.564

+ 1,5

Italien

7.665

8.909

+ 1,7

238.637

204.670

- 1,7

32.120

43.528

+ 3,4

Niederlande

663

737

+ 1,2

19.858

13.971

- 3,8

33.381

52.738

+ 5,2

Österreich

741

1.178

+ 5,3

33.678

22.672

- 4,3

22.005

51.962

+ 10,0

Portugal

1.141

1.476

+ 2,9

164.666

120.679

- 3,4

6.930

12.234

+ 6,5

Finnland

315

283

- 1,2

9.850

6.469

- 4,6

31.968

43.739

+ 3,5

Schweden

463

283

- 5,3

12.211

6.877

- 6,2

37.909

41.134

+ 0,9

Großbritannien

4.562

4.983

+ 1,0

219.275

149.442

- 4,2

20.804

33.342

+ 5,4

EU 15

30.744

32.135

+ 0,5

1,336.889

958.124

- 3,6

22.997

33.539

+ 4,3

Japan1)

28.341

33.711

+ 1,9

736.175

713.785

- 0,3

38.498

47.228

+ 2,3

USA1)

23.609

19.490

- 2,1

646.168

451.683

- 3,9

36.537

43.150

+ 1,9

Q: Eurostat (SBS), WIFO-Berechnungen. –  1)  1989/1997.

Zur weiteren Bewältigung des Strukturwandels in der österreichischen Textilindustrie könnten Initiativen zur Netzwerkbildung und Kooperation einen Beitrag leisten. Zumindest im Bundesland Vorarlberg sind wesentliche Voraussetzungen für eine Kooperationsstrategie erfüllt, zumal eine hohe räumliche Dichte verwandter ökonomischer Aktivitäten vorliegt und die bestehenden Unternehmensstrategien eine Intensivierung von Kooperationen zulassen. So verfügen bereits drei Viertel der Vorarlberger Textilproduzenten über Kooperationserfahrungen, und rund zwei Drittel der an der WIFO-Befragung "Textil 2000+" teilnehmenden Produzenten sprechen sich für eine Vertiefung der Kooperationen im Sektor aus. Bei der Implementierung einer entsprechenden wirtschaftspolitischen Strategie könnte auf internationale Beispiele regionaler Kooperationen in der Textilindustrie zurückgegriffen werden.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 10/2000!