21. September 2000 • Folgen der EU-Osterweiterung für die österreichische Landwirtschaft • Matthias Schneider

Die Osterweiterung bringt der österreichischen Landwirtschaft Chancen und Risken. In der Mehrzahl der analysierten Produktionssparten überwiegen die Probleme. Per Saldo ist mit Marktanteilsverlusten zu rechnen, die den Anpassungsdruck auf die Bauern erhöhen.

Landwirtschaft als kritischer Bereich

Die meisten ostmitteleuropäischen EU-Beitrittskandidaten sind wirtschaftlich schwach und zugleich viel stärker agrarisch geprägt als Westeuropa. Arbeitskräfte und fruchtbarer Boden sind in Ost-Mitteleuropa reichlich verfügbar und billig. Dies ergibt ein hohes agrarisches Potential, das zur Zeit nicht voll ausgeschöpft werden kann. Die Agrarstrukturen sind in den früher kommunistischen Ländern von jenen im Westen sehr verschieden. Im Veterinärwesen in Bezug auf Hygiene, Pflanzenschutz und Tierschutz besteht im Osten zum Teil erheblicher Nachholbedarf.

Folgen der EU-Osterweiterung

Ein EU-Beitritt aller 10 Kandidaten aus Ost-Mitteleuropa würde die Einwohnerzahl der erweiterten Union und damit die Zahl der Verbraucher um rund 28% erhöhen. Das landwirtschaftliche Potential steigt hingegen um mindestens 40%. Zugleich würde die Wirtschaftskraft der Gemeinschaft und damit die Finanzierungsbasis für die EU-Agrarpolitik um bloß 4½% wachsen.

Die Übernahme der GAP bringt der ostmitteleuropäischen Agrarwirtschaft erhebliche Vorteile in Form höherer Preise und Förderungen. Dies und das große, derzeit nur unzureichend genutzte Agrarpotential sind der Hintergrund für die Befürchtungen der westeuropäischen Bauern, durch die Osterweiterung der Union Marktanteile zu verlieren und unter zusätzlichen Anpassungsdruck zu geraten.

Folgen für die österreichische Landwirtschaft

Die Nachbarschaft zu Osteuropa legt es nahe, dass die heimische Landwirtschaft von der Osterweiterung besonders berührt sein wird. Zum Teil schwierige natürliche Verhältnisse, kleinbetriebliche Strukturen, hohe Produktionskosten, Strukturprobleme in der Be- und Verarbeitung, unzureichende horizontale Zusammenarbeit sowie eklatanter Mangel an vertikaler Kooperation zwischen Landwirtschaft sowie den Be- und Verarbeitern und Vermarktern von Agrarwaren erschweren die Position der heimischen Bauern und machen sie im internationalen Wettbewerb verwundbar.

Nach Produktionssparten ist die Lage unterschiedlich. Im Getreidebau muss Österreichs Landwirtschaft mit vermehrtem Angebots- und Preisdruck rechnen. Den Obst- und Weinbauern dürfte die Osterweiterung mehr Vorteile als Nachteile bringen, im Gemüse- und Gartenbau überwiegen hingegen deutlich die Nachteile. Gleiches gilt für die Vieh- und Fleischmärkte sowie für den Milchmarkt. In der Schweine-, Rinder- und Milchproduktion haben die Transformationsländer Ost-Mitteleuropas ein hohes Potential und niedrige Kosten. Sobald sie ihren aus Privatisierung und Neustrukturierung resultierenden schweren Rückschlag überwunden haben, werden sie zu ernsthaften Konkurrenten für die westeuropäischen Anbieter. In der Mehrzahl der analysierten Branchen überwiegen damit für die österreichischen Bauern die erwarteten Probleme die voraussichtlichen Vorteile. Diese Einschätzung gilt insbesondere auf mittlere und längere Sicht. Die heimische Nahrungsmittelindustrie kann hingegen mit weiteren Vorteilen aus der Osterweiterung rechnen.

Marktanteilsverluste und Preisdruck schmälern das landwirtschaftliche Einkommen. Dies beschleunigt die Abwanderung aus der Landarbeit und stimuliert den Agrarstrukturwandel generell. Eine nähere Quantifizierung dieser Tendenzen wäre zur Zeit u. a. wegen der vielen offenen Fragen zu riskant. Kurz- und mittelfristig dürfte die Ostintegration zwar weniger einschneidende Folgen haben als der EU-Beitritt Österreichs 1995; längerfristig wird sie die Entwicklung der heimischen Landwirtschaft allerdings nachhaltiger prägen als die Mitgliedschaft in der EU 15.

Die wirtschaftlichen Folgen der Ostintegration für die österreichische Landwirtschaft sind jedoch nicht vorgegeben, sondern (in gewissen Grenzen) gestaltbar. Ein gutes Ergebnis der Beitrittsverhandlungen und die Förderung der Wettbewerbskraft und Anpassungsfähigkeit der Agrar- und Ernährungswirtschaft stärken die Position der heimischen Bauern. Wirtschaftlich und sozial aktive ländliche Regionen erleichtern die notwendigen Anpassungen in der Landwirtschaft.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 9/2000!