26. Mai 2000 • Wirtschaft Ost-Mitteleuropas auf Wachstumskurs • Josef Pöschl

Die Wirtschaftslage verbessert sich in den ostmitteleuropäischen Transformationsländern, allerdings von sehr unterschiedlichem Niveau aus. 2000 könnte das erste Jahr seit Beginn der Transformation sein, in dem keines der Länder einen Rückgang des BIP ausweist. 2001 dürfte sich, sofern heute nicht vorhersehbare Störungen ausbleiben, das Wachstum weiter beleben. Dies geht aus einem Beitrag von Josef Pöschl, Mitarbeiter des WIIW, für die WIFO-Monatsberichte hervor. Das günstige Wirtschaftsklima könnte sich für jene Länder, die bereits über einen EU-Beitritt verhandeln, als hilfreich erweisen.

Das BIP wuchs 1999 in Bulgarien, Jugoslawien, Mazedonien, Polen, der Slowakei und Ungarn schwächer als 1998, in Rumänien, Russland, Slowenien, Tschechien und der Ukraine jedoch stärker. Hinter diesem sehr uneinheitlichen Bild verbirgt sich ein paralleler Umschwung fast aller Volkswirtschaften. Die realen Veränderungsraten der Industrieproduktion gegenüber dem Vorjahr erreichten in den ersten Monaten des Jahres 1999 ihre Talsohle und waren stark negativ. Ein Jahr später waren sie durchwegs positiv und in manchen Ländern sogar zweistellig (Februar 2000 Ungarn +24%, Polen +17%, Russland +14%, Slowenien +12%).

Ein ähnliches Bild ergibt der Vorjahresvergleich für das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP): Die Talsohle wurde im VI. Quartal 1998 bzw. im I. Quartal 1999 erreicht. In manchen Ländern schrumpfte die Wirtschaft (Rumänien –11,3%, Russland –7,7%, Kroatien –4,2%, Tschechien –4,1%), hat sich aber inzwischen erholt (Rumänien IV. Quartal 1999 –1,7%, Russland +8,8%, I. Quartal 2000 +7,8%). In Polen, der Slowakei, Slowenien und Ungarn blieb das Wirtschaftswachstum auch in der Talsohle positiv. Ungarn nimmt in diesem allgemeinen Szenario eine Sonderstellung ein: Als einziges Land verzeichnete es keinen markanten Abschwung – weder in der Industrie noch in der Gesamtwirtschaft.

Der Gleichklang in allen Transformationsländern – der gemeinsame Abschwung, der im Winter 1998/99 seinen Tiefpunkt erreichte, und der Aufschwung seither – ist bemerkenswert. In den Jahren zuvor hatten die Entwicklungstendenzen immer stark divergiert. Bemerkenswert ist auch, dass sich Russland und die Ukraine (andere GUS-Länder wurden nicht untersucht) in diese Gruppe eingereiht haben. In diesen beiden Ländern hat nun erstmals eine leichte Erholung von den großen Einbußen vergangener Jahre begonnen.

Die Gründe für den parallelen Konjunkturumschwung der Transformationsländer sind unterschiedlich. Russlands Wirtschaft wurde im August 1998 von einer Währungskrise erschüttert. Die folgende starke reale Abwertung des Rubels machte russische Produkte gegenüber Importprodukten konkurrenzfähig und stimulierte so die heimische Produktion. Jene Länder, die einen beträchtlichen Teil ihrer Exporte nach Russland liefern – z. B. die baltischen Länder, die Ukraine und in geringerem Maße auch Bulgarien und Polen –, erlitten einen Rückschlag, von dem sie sich allmählich erholen. Die westlicheren Transformationsländer, deren Außenhandel auf die EU hin orientiert ist – Polen, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn –, profitierten 1999 von der Verbesserung der Konjunktur in der EU und vor allem in Deutschland.

Die Konjunktureinflüsse der einzelnen Länder waren nicht ausschließlich "importiert", auch interne Faktoren spielten eine Rolle. Die Realzinssätze sanken 1999 in fast allen Ländern, die Politik hoher Zinssätze scheint an Attraktivität verloren zu haben. Seit grenzüberschreitende Kapitalströme weitgehend liberalisiert wurden – und das ist in vielen Ländern der Fall –, haben die Nominalzinssätze auch Einfluss auf den Wechselkurs: Sind sie hoch, stärken sie die Währung und beeinflussen die Leistungsbilanz negativ; Polen ist dafür ein Beispiel.

Selbst wenn die Wirtschaft im Jahr 2000 in keinem der Transformationsländer schrumpfen sollte und sich das Wachstum 2001 noch etwas beleben wird, ist doch in den meisten Ländern der Mangel an wirtschaftlicher Dynamik offensichtlich. Er erklärt sich aus Industriestrukturen, die durch einen hohen Verschuldungsgrad gekennzeichnet sind. Die Unternehmen haben weder genügend Eigen- noch Fremdmittel, um ihre Modernisierung zu finanzieren; weder der Kapitalmarkt noch das Zusammenspiel zwischen Banken und Unternehmen bietet hier die erforderliche Unterstützung. Die Unternehmen in ausländischem Besitz leiden unter diesem Problem am wenigsten; ausländische Direktinvestitionen konzentrieren sich jedoch auf eine Auswahl von Unternehmen in bestimmten Branchen und Ländern. Ungarn ist in dieser Hinsicht Spitzenreiter und verdankt diesem Vorsprung eine beachtliche Dynamik seiner Wirtschaft. Bremsend wirken in den Transformationsländern auch veraltete Normen und verkrustete Strukturen in der öffentlichen Verwaltung und im Justizwesen sowie Probleme der Durchsetzbarkeit bestehender Rechtsnormen.

Nähere Informationen entnehmen Sie bitte dem WIFO-Monatsbericht 5/2000!