29. Februar 2000 • Die Abwertung des Euro, sein Gleichgewichtskurs und die Entwicklung des Exportmarktanteils der EU • Stephan Schulmeister

Unterlage zur Pressekonferenz des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Österreichischen Bundesarbeitskammer am 29. Februar 2000 um 10.30 Uhr im Frankfurter Presseklub

In welchem Ausmaß der Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar über- bzw. unterbewertet ist, kann nur dann beurteilt werden, wenn sein Gleichgewichtskurs bekannt ist, also jenes Kursniveau, bei dem ein standardisiertes Bündel von international gehandelten Gütern und Dienstleistungen aus den USA und aus der Euro-Zone in einheitlicher Währung gleich viel kostet (Kaufkraftparität von Tradables). Dieser Gleichgewichtskurs des Euro wurde in einer Studie des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO) erstmals ermittelt.

Derzeit beträgt die Kaufkraftparität des Euro gegenüber dem Dollar auf Basis von Tradables 0,865: Ein Warenkorb von international gehandelten Sachgütern (also ohne Bauinvestitionen) und (touristischen) Dienstleistungen, der im Durchschnitt der 11 Länder der Euro-Zone 1 Euro kostet, kostet in den USA 0,865 $. Bei einem Wechselkurs von 0,981 $ (31. Jänner 2000) ist der Euro gegenüber dem Dollar um 13,4% überbewertet (zu diesem Wechselkurs kostet eine Einheit Tradables aus der Euro-Zone 0,981 $ und damit um 13,4% mehr als in den USA; Übersicht 1).

Wesentlich höher ist die Kaufkraftparität des Euro auf Basis eines Warenkorbs aller Güter und Dienstleistungen (BIP), sie beträgt gegenüber dem Dollar 1,078. Eine Einheit BIP war daher Ende Jänner in der Euro-Zone um 9,0% billiger als in den USA und der Euro auf Basis eines gesamtwirtschaftlichen Warenkorbs gegenüber dem Dollar in diesem Ausmaß unterbewertet (Abbildung 1).

Der wichtigste Grund, warum eine Einheit BIP in der Euro-Zone billiger ist als in den USA, eine Einheit Tradables aber teurer, besteht darin, dass international nicht gehandelte Dienstleistungen wie insbesondere jene des Gesundheits- und Bildungswesens in den USA besonders teuer sind, Sachgüter sowie die über den Tourismus auch international gehandelten Dienstleistungen des Hotel- und Gastgewerbes aber relativ billig.

Generell ist die Kaufkraftparität des BIP deshalb ein ungeeigneter Maßstab für das "faire" (gleichgewichtige) Niveau eines Wechselkurses, weil der Grossteil des BIP, insbesondere die meisten Dienstleistungen sowie die Bauinvestitionen, international nicht oder kaum gehandelt wird (in den USA sind dies 70%, in der EU 15 62% des BIP). Gleichzeitig beziehen sich aber die von der OECD oder Eurostat ermittelten und üblicherweise verwendeten Kaufkraftparitäten auf einen Warenkorb des BIP, für einen Warenkorb von Tradables werden sie hingegen nicht berechnet (überdies werden die Kaufkraftparitäten nur für einzelne Länder bzw. Währungen ermittelt, nicht aber für den Euro als die europäische Einheitswährung).

Abbildung 1: Der Wechselkurs des Euro (bzw. ECU) gegenüber dem Dollar und Kaufkraftparitäten

1)  Wechselkurse für 2000: 31. Jänner 2000.

Ein Vergleich der Über- bzw. Unterbewertung des Euro (bzw. ECU) gegenüber dem Dollar auf Basis von Tradables mit der Entwicklung der Exportmarktanteile von EU und USA verdeutlicht, dass die Kaufkraftparität der Tradables die relevante Richtgröße für das Niveau eines "fairen" Wechselkurses ist (Abbildung 2):

  • Zwischen 1972 und 1980 verlor der Dollar stark an Wert (1980 war der ECU gegenüber dem Dollar um 37,0% überbewertet), gleichzeitig stieg der Marktanteil der USA von 19,7% auf 21,7%, jener der EU sank von 71,3% auf 66,8%.
  • In der ersten Hälfte der achtziger Jahre wertete der Dollar so stark auf, dass der ECU 1985 um 16,8% unterbewertet war; gleichzeitig erhöhte sich der Marktanteil der EU zwischen 1980 und 1985 von 66,8% auf 68,9%, jener der USA verringerte sich von 21,7% auf 17,2%.
  • Als Folge der enormen Abwertung des Dollars nach 1985/86 lag der Wechselkurs des ECU bzw. Euro zwischen 1987 und 1999 um durchschnittlich 32,6% über der Kaufkraftparität der Tradables (war also in diesem Ausmaß überbewertet). Im gleichen Zeitraum sank der Anteil der EU an den Gesamtexporten der Triade (EU, USA, Japan) von 68,4% auf 63,2%, während jener der USA von 19,1 auf 26,0% stieg.

In Europa wurden die ausgeprägten Marktanteilsverluste an die Wirtschaft der USA (und damit auch die Überbewertung des Euro bzw. ECU) deshalb wenig beachtet, weil sich die Exporte der EU-Länder insbesondere in den neunziger Jahren viel günstiger entwickelten als die Gesamtproduktion (nicht zuletzt infolge der Sparpolitik wuchs die Binnennachfrage in der EU so schwach, dass die Exporte trotz der Marktanteilsverluste ein Wachstumsmotor blieben).

Abbildung 2: Realer Wechselkurs des Euro (bzw. ECU) und die Dynamik der Gesamtexporte der EU im Vergleich zu den USA

Q: OECD, WIFO.

Abbildung 3: Dollarkurs und Wirtschaftsdynamik in den USA

Q: OECD, WIFO.

In einem wesentlichen Punkt scheinen die Ergebnisse dieser Studie paradox (Abbildung 3): Einerseits war der Dollar in den letzten 15 Jahren markant überbewertet, sodass der Exportmarktanteil der USA deutlich stieg; andererseits wies die Leistungsbilanz der USA ein hohes und steigendes Defizit auf (es erreichte 1999 den Rekordwert von etwa 300 Mrd. $), sodass die USA zum größten Schuldnerland wurden (ihre Nettoverbindlichkeiten betrugen 1999 etwa 2.000 Mrd. $). Dieser Widerspruch erklärt sich daraus, dass die Importe der USA trotz der Unterbewertung des Dollars noch stärker wuchsen als die Exporte. Dafür waren drei Faktoren bestimmend:

  • Eine überwiegend expansive Geldpolitik stimulierte die Binnennachfrage. Gleichzeitig wurde diese nicht wie in der EU durch Sparpakete gedämpft; vielmehr gelang es den USA, das Budget primär durch die Wirkung der automatischen Stabilisatoren sowie durch Steuererhöhungen für die Besserverdienenden zu konsolidieren.
  • Ein wachsender Teil der Importe der USA entfällt auf teure (Luxus-)Konsumgüter, die von den Beziehern höherer Einkommen nachgefragt werden, weitgehend unabhängig von ihrem Preis (eine indirekte Folge der immer ungleicheren Einkommensverteilung in den USA).
  • Die USA können als Leitwährungsland ihr Leistungsbilanzdefizit durch Schuldtitel in eigener Währung finanzieren (und damit nahezu schrankenlos, zumindest solange die Gläubiger keinen Zweifel an der realen Einlösbarkeit ihrer Forderungen haben).

Hinsichtlich der Über- bzw. Unterbewertung des Euro gegenüber den einzelnen europäischen Währungen zum 31. Jänner 2000 ergibt sich folgendes Bild (Übersicht 1): Auf Basis von Tradables ist der Euro gegenüber dem französischen Franc um 5,0%, gegenüber der Finnmark um 16,5% und gegenüber dem irischen Pfund um 10,4% unterbewertet; überbewertet ist der Euro hingegen gegenüber der Peseta (um 7,1%), dem Gulden (um 5,8%) und dem Escudo (um 11,5%). In einheitlicher Währung sind somit Tradables in Frankreich, Finnland und Irland teurer, in Spanien, Holland und Portugal billiger als im Durchschnitt der Euro-Zone. Die Wechsel- bzw. Konversionskurse der anderen fünf Mitgliedsländer der Währungsunion entsprachen annähernd der Kaufkraftparität von Tradables.

Gegenüber den übrigen europäischen Währungen ist der Euro deutlich unterbewertet, insbesondere gegenüber dem britischen Pfund und den skandinavischen Währungen.

Übersicht 1: Wechselkurse des Euro am 31. Jänner 2000 und Kaufkraftparitäten

   

Fremdwährung je Euro

Abweichungen des Wechselkurses von der Kaufkraftparität 2000 in %

   

Wechselkurs

Kaufkraftparitäten

BIP

Sachgüter

Tradables

     

BIP

Sachgüter

Tradables

     
                 

Deutschland

(DEM)

1,956

2,149

1,962

1,934

- 9,0

- 0,3

+ 1,1

Frankreich

(FRF)

6,56

6,97

6,81

6,91

- 5,9

- 3,6

- 5,0

Italien

(ITL)

1.936

1.772

1.949

1.965

+ 9,2

- 0,7

- 1,4

Spanien

(ESP)

166,4

138,4

150,7

155,4

+ 20,2

+ 10,4

+ 7,1

Niederlande

(NLG)

2,204

2,258

2,099

2,083

- 2,4

+ 5,0

+ 5,8

Belgien

(BEF)

40,34

40,04

39,60

39,42

+ 0,8

+ 1,9

+ 2,3

Luxemburg

(BEF)

40,34

43,90

40,95

40,75

- 8,1

- 1,5

- 1,0

Österreich

(ATS)

13,76

14,56

13,64

13,99

- 5,5

+ 0,9

- 1,7

Portugal

(PTE)

200,5

139,1

194,8

179,8

+ 44,2

+ 2,9

+ 11,5

Finnland

(FIM)

5,95

6,49

7,10

7,12

- 8,4

- 16,3

- 16,5

Irland

(IEP)

0,788

0,787

0,894

0,879

+ 0,1

- 11,9

- 10,4

Großbritannien

(GBP)

0,604

0,727

0,766

0,773

- 16,9

- 21,1

- 21,8

Schweden

(SEK)

8,60

10,27

9,77

9,82

- 16,3

- 12,0

- 12,5

Dänemark

(DKK)

7,44

9,27

9,64

9,82

- 19,7

- 22,8

- 24,2

Griechenland

(GRD)

332,3

259,1

323,6

320,7

+ 28,2

+ 2,7

+ 3,6

Norwegen

(NOK)

8,09

10,20

11,20

11,19

- 20,7

- 27,7

- 27,7

Schweiz

(CHF)

1,610

2,163

1,765

1,840

- 25,6

- 8,8

- 12,5

Australien

(AUD)

1,546

1,420

1,525

1,465

+ 8,8

+ 1,4

+ 5,5

Neuseeland

(NZD)

1,988

1,590

1,798

1,651

+ 25,1

+ 10,6

+ 20,4

Japan

(JPY)

106,7

168,5

175,3

171,3

- 36,7

- 39,2

- 37,7

Kanada

(CAD)

1,420

1,246

1,331

1,223

+ 13,9

+ 6,6

+ 16,1

USA

(USD)

0,981

1,078

0,927

0,865

- 9,0

+ 5,9

+ 13,4

Q: OECD, WIFO.

Nähere Informationen: Stephan Schulmeister, Die Kaufkraft des Euro innerhalb und außerhalb der Währungsunion, Studie des WIFO im Auftrag der Bundesarbeitskammer, Wien, 2000 (80 Seiten, ATS 400,00 bzw. EUR 29,07; Bestellungen bitte an Christine Kautz, Tel. +43 1 798 26 01/282, Fax +43 1 798 93 86, E-Mail Christine.Kautz@wifo.ac.at)