WIFO

 

Krise der Europäischen Währungsunion dämpft weltweite Wachstumsdynamik

 

Mittelfristige Prognose der Weltwirtschaft bis 2016

 

Die Unsicherheit über die Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise im Euro-Raum dürfte noch einige Zeit bestehen bleiben. Daher sollte sich der Wechselkurs des Euro weiter leicht abschwächen, und zwar bis 2016 auf 1,23 $. Der Erdölpreis dürfte nach einem konjunkturbedingten Rückgang auf 95 $ je Barrel (Brent) im Jahr 2012 bis 2016 wieder auf etwa 110 $ steigen. Sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Zinssätze werden im Durchschnitt des Prognosezeitraumes auf dem niedrigsten Niveau seit 1945 liegen. Als Folge der außerordentlich lockeren Geldpolitik in den USA sowie wegen der Euro-Krise dürfte das Zinsniveau in den USA um 1 Prozentpunkt niedriger sein als im Euro-Raum. Unter diesen Bedingungen sollte sich die Weltwirtschaft nach einer Konjunkturabschwächung 2012 weiter erholen. Der Welthandel dürfte bis 2016 um 5,8% pro Jahr wachsen, fast doppelt so rasch wie in der von der Finanzmarktkrise geprägten Periode 2006/2011. Wie in den vergangenen 20 Jahren wird die Gesamtproduktion in den USA (+2,1% pro Jahr) etwas stärker expandieren als im Durchschnitt aller Industrieländer (+2,0%), im Euro-Raum sowie in Japan aber etwas langsamer (+1,4% bzw. +1,6% pro Jahr). Die Unsicherheit der Prognose ist erheblich, insbesondere wegen der Euro-Krise und ihrer Bekämpfung durch eine synchrone Sparpolitik in einer Phase der Konjunkturschwäche.

 

Begutachtung: Stefan Ederer • Wissenschaftliche Assistenz: Eva Sokoll • E-Mail-Adressen: Stephan.Schulmeister@wifo.ac.at, Eva.Sokoll@wifo.ac.at

 

INHALT

Dramatische Vertiefung der Krise im Euro-Raum

Diskrepanzen in der Lohnentwicklung

Markante Unterschiede im Investitions- und Sparverhalten

Steigende Zinsdifferenzen

Die Rolle des Zins-Wachstums-Differentials

Widersprüchliche Reaktion der Politik auf die Euro-Krise

Euro-Abwertung setzt sich fort

Anhaltende Verteuerung der Rohstoffe

Die wichtigsten Ergebnisse der Prognose

Zinsniveau bleibt niedrig

Kräftige Welthandelsexpansion

Belebung des Wirtschaftswachstums

Unsicherheitsfaktoren der Prognose

Literaturhinweise

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND ABBILDUNGEN

Übersicht 1: Entwicklung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. 13

Übersicht 2: Entwicklung des Welthandels. 15

Übersicht 3: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen. 17

Abbildung 1: Finanzierungssalden in Deutschland und im Euro-Raum.. 5

Abbildung 2: Prämien von "Credit Default Swaps" und Zinssätze für Staatsanleihen. 6

Abbildung 3: Zinssätze für Staatsanleihen. 8

Abbildung 4: Entwicklungstendenzen in Westeuropa. 10

Abbildung 5: Dollarkurs und Rohölpreis. 11

Abbildung 6: Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft 15

 

 

Die Wachstumsprognose für Welthandel und Weltproduktion hängt wesentlich von den Annahmen über die weitere Entwicklung der derzeit gravierendsten Probleme ab. Das weitaus größte davon besteht in der Krise der Europäischen Währungsunion und damit im hohen Niveau von Anleihezinssätzen und Staatsverschuldung in vielen Euro-Ländern. Weitere für die künftige Entwicklung der Weltwirtschaft relevante Probleme sind die weltweiten Leistungsbilanzungleichgewichte, insbesondere das Defizit der USA und der Überschuss von China, sowie die Instabilität der Rohstoffpreise.

Dramatische Vertiefung der Krise im Euro-Raum

Im Laufe des Jahres 2011 verschlechterte sich die Konjunkturlage im Euro-Raum markant. Nachdem die Zinssätze für griechische, irische und portugiesische Staatsanleihen schon 2010 sprunghaft gestiegen waren, wurden im Sommer auch die großen Euro-Staaten Spanien und Italien von dieser Entwicklung erfasst. Der Politik gelang es weder durch Ausweitung des Euro-Rettungsschirmes (European Financial Stability Facility EFSF) noch durch Anleihekäufe der EZB, diesen Prozess dauerhaft zu stoppen. Dementsprechend verschlechterten sich die Wirtschaftserwartungen von Unternehmen und Haushalten. Um einem weiteren Anstieg der Zinssätze vorzubeugen, beschlossen im Dezember 2010 anlässlich der EU-Ratstagung 26 der 27 EU-Länder, in den nationalen Verfassungen eine Schuldenbremse zu verankern. In Portugal, Spanien und Italien wurden überdies zusätzliche Sparpakete fixiert. Ihre Umsetzung wird den Konjunkturabschwung 2012 beschleunigen, er wird sich in den Euro-Ländern Südeuropas zu einer Rezession vertiefen.

Sowohl längerfristige als auch kurzfristige Faktoren trugen zur Verschlechterung der Lage der Staatsfinanzen sowie zum Anstieg der Anleihezinssätze im Euro-Raum bei:

Diskrepanzen in der Lohnentwicklung

Die Konversionskurse, mit denen die einzelnen Euro-Länder 1999 in die Währungsunion eintraten, wichen erheblich von jenem Gleichgewichtsniveau ab, bei dem kein Land einen preislichen Wettbewerbsvorteil bzw. -nachteil im Außenhandel hat (Kaufkraftparität von Tradables). So waren international gehandelte Güter und Dienstleistungen 2002 in Griechenland, Portugal und Spanien billiger als im Durchschnitt der 12 Euro-Länder, in Deutschland und Frankreich aber teurer (Schulmeister, 2005, Table 10). In den folgenden Jahren ging dieser "Startvorteil" der südeuropäischen Länder rasch verloren, ihre Lohnstückkosten und damit das Preisniveau ihrer Güter und Dienstleistungen stiegen viel stärker als in den "Kernländern" des Euro-Raumes. Am stärksten fielen die Verluste an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland aus, das eine Politik strenger Lohnzurückhaltung praktizierte.

Die unterschiedliche Lohnpolitik vertiefte die Unterschiede in der Nachfragedynamik innerhalb des Euro-Raumes: In Deutschland stagnierte die Binnennachfrage (insbesondere privater Konsum und Wohnbau), während die Exporte kräftig expandierten. In den anderen Euro-Ländern nahmen umgekehrt die Binnennachfrage viel stärker und die Exporte viel schwächer zu als in Deutschland. Diese Diskrepanz wurde in Spanien und Irland durch den Immobilienboom verschärft.

Ein weiterer Effekt verstärkte die Unterschiede in der Nachfragedynamik: Als Folge der Lohnzurückhaltung blieb die Inflation in Deutschland dauerhaft niedriger als in den anderen Euro-Ländern. Da nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die langfristigen Euro-Zinssätze in allen Ländern der Währungsunion annähernd gleich hoch waren, lag das Realzinsniveau in Deutschland höher als in den meisten anderen Euro-Ländern, insbesondere in Irland, Portugal, Spanien und Griechenland. Dieses Zinsdifferential trug wesentlich dazu bei, dass sich die realen Investitionen in Deutschland viel ungünstiger entwickelten als in Irland, Portugal, Spanien und Griechenland.

Markante Unterschiede im Investitions- und Sparverhalten

Insgesamt war das Wirtschaftswachstum in Deutschland zwischen der Einführung des Euro (1999) und dem Ausbruch der Finanzmarktkrise (2007) um ein Drittel niedriger als in den anderen Euro-Ländern. Die hohen Exportzuwächse glichen die Stagnation der Binnennachfrage nicht aus. Die Investitionsschwäche der deutschen Wirtschaft zeigt sich auch in der Geldvermögensrechnung: Seit 2002 sind die Ausgaben der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften (Unternehmenssektor ohne Einzelunternehmen) für die Realkapitalbildung zumeist merklich niedriger als ihre einbehaltenen Gewinne, also ihr Sparen (Abbildung 1). Noch nie seit 1945 hatte der deutsche Unternehmenssektor so viele Jahre in Folge Finanzierungsüberschüsse erzielt. Einerseits dämpften das Zinsniveau, das deutlich über der Wachstumsrate lag, und die Stagnation der Binnennachfrage die Realkapitalbildung, andererseits erhöhte die Instabilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen die Gewinnchancen von Finanzinvestitionen aller Art, einschließlich kurzfristiger Derivatspekulation.

Gleichzeitig nahmen die Finanzierungsüberschüsse der deutschen Haushalte seit 2000 zu (ihre Sparquote stieg trotz stagnierender Einkommen), ebenso jene des Finanzsektors (Banken und Versicherungen verwendeten ihre Gewinne in steigendem Maß zur Bildung von Finanzvermögen).

Im Zuge der Rezession 2001/02 drosselten die deutschen Unternehmen ihre Realinvestitionen und damit ihr Finanzierungsdefizit; in nahezu demselben Ausmaß verzeichnete der Staat eine Zunahme des Defizits (Abbildung 1; die Werte für 2000 sind durch die Kosten bzw. Erträge der UMTS-Lizenzversteigerung verzerrt). Bei steigenden Finanzierungsüberschüssen der privaten Haushalte sowie der Unternehmen und des Finanzsektors verharrte das Staatsdefizit bis 2005 bei 3% bis 4% des BIP, und zwar trotz eines wachsenden Finanzierungsdefizits des Auslandes (im Wesentlichen entspricht dies dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss; Abbildung 1). Die Summe aller Finanzierungssalden ist ja Null, und die Kausalität lief von der Veränderung des Investitions- bzw. Sparverhaltens der Unternehmen und Haushalte zum hingenommenen Defizit des Staates (in dieser "Reformphase" waren die Konsolidierungsbemühungen besonders ausgeprägt). Erst der weitere Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses von Deutschland ermöglichte in den Jahren 2007 und 2008 saldenmechanisch einen ausgeglichenen Staatshaushalt (Abbildung 1). Unmittelbar vor Ausbruch der Finanzmarktkrise konnte Deutschland sein Budgetdefizit somit dank hoher Zuwächse der Auslandsnachfrage verbessern.

 

Abbildung 1: Finanzierungssalden in Deutschland und im Euro-Raum

Q: Eurostat.

 

In den anderen Euro-Ländern entwickelte sich der Staatshaushalt zwischen der Einführung des Euro und dem Beginn der Finanzmarktkrise ähnlich wie in Deutschland, allerdings aufgrund einer sehr unterschiedlichen Saldendynamik. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden in Abbildung 1 die Euro-Länder ohne Deutschland zu einer Gruppe aggregiert. Besonders stark wich das Investitions- bzw. Sparverhalten in den südeuropäischen Euro-Ländern von jenem in Deutschland ab.

Nicht zuletzt als Folge höherer Lohnzuwächse expandierte der private Konsum in den anderen Euro-Ländern stärker als in Deutschland, der Überschuss der privaten Haushalte war dementsprechend in den anderen Euro-Ländern niedriger als in Deutschland und ging ab 2002 relativ zum BIP zurück (Abbildung 1). Die Unternehmen investierten anhaltend mehr als ihre einbehaltenen Gewinne, ihr Defizit weitete sich ab 2004 stark aus. Obwohl sich der Überschuss des Auslandes erhöhte (die Leistungsbilanz dieser Ländergruppe wurde zunehmend defizitär), konnten daher die öffentlichen Haushalte ihr Defizit zwischen 2004 und 2007 auf 1,0% des BIP reduzieren.

Die Finanzmarktkrise verursachte eine markante Entwertung des Aktien- und Immobilienvermögens der privaten Haushalte und Unternehmen; sie reagierten darauf mit einer Verringerung der Konsum- und Investitionsnachfrage. Diese fiel in jenen Ländern, in denen die Binnennachfrage bis zur Krise kräftig expandiert hatte, besonders stark aus. Im Euro-Raum ohne Deutschland ging das Defizit der Unternehmen 2009 sprunghaft zurück, der Überschuss der privaten Haushalte stieg, der Staat verzeichnete so eine drastische Budgetverschlechterung (Abbildung 1).

 

Abbildung 2: Prämien von "Credit Default Swaps" und Zinssätze für Staatsanleihen

Q: Thomson Reuters.

 

In Deutschland sank die Binnennachfrage, die schon vor 2009 stagniert hatte, schwächer als in den anderen Euro-Ländern, gleichzeitig erzielte Deutschland weiterhin einen hohen Leistungsbilanzüberschuss (die für die deutschen Exporte besonders wichtigen Absatzmärkte China, Indien oder Brasilien waren von der Finanzmarktkrise weniger beeinträchtigt als die Industrieländer).

Insgesamt bewirkten diese Reaktionen von privaten Haushalten, Unternehmen und dem (jeweiligen) Ausland auf die Finanzmarktkrise, dass sich das Staatsdefizit in Deutschland zwischen 2007 und 2009 weniger stark verschlechterte als in den anderen Euro-Ländern[a]).

Am stärksten stieg das Budgetdefizit in den vom Zusammenbruch des Immobilienbooms am meisten betroffenen Ländern (Irland und Spanien). Das höchste Haushaltsdefizit aller Euro-Länder wies 2009 allerdings Griechenland aus, da in diesem Land das Defizit schon vor der Krise weitaus am größten gewesen war.

Steigende Zinsdifferenzen

Mit der Finanzmarktkrise endete die fast 10-jährige Phase weitgehend einheitlicher Zinssätze für Staatsanleihen im Euro-Raum, die Unterschiede nach Ländern nahmen immer mehr zu. Dieser Prozess wurde durch die Wechselwirkung zwischen den Transaktionen mit Staatsanleihen und mit "Credit Default Swaps" (CDS) verstärkt. Mit diesem Derivat lassen sich Finanzinvestoren die Bedienung von Staatsanleihen von einem Dritten versichern (gegen Zahlung einer Prämie), sie können damit aber auch auf die Zahlungsunfähigkeit eines Staates spekulieren, indem sie eine solche Versicherung abschließen, ohne entsprechende Staatsanleihen zu besitzen ("naked CDS").

Verschlechtert sich die Bonität eines Staates und steigen daher Risikoprämien, Anleihezinssätze und CDS-Prämien, so erhöht sich der Wert bestehender, zu niedrigeren Prämien abgeschlossener CDS-Kontrakte sprunghaft. Wer frühzeitig auf eine Verschlechterung der Bonität eines Staates spekuliert, kann so hohe Gewinne erzielen. Gleichzeitig verstärkt die zusätzliche Nachfrage nach CDS-Kontrakten den Anstieg der Prämien und Zinssätze und damit das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des Staates. Die Herabstufungen der Bonität eines Staates durch Ratingagenturen ist Teil dieses Prozesses (siehe dazu Tichy, 2011, Url, 2011).

Der Markt für CDS bezogen auf Staatsanleihen begann erst nach der Finanzmarktkrise zu boomen (bis dahin waren die Anleihezinssätze aller Euro-Staaten annähernd gleich hoch gewesen). Auslöser war das Eingeständnis der griechischen Regierung im Herbst 2009, das wahre Ausmaß der Staatsverschuldung verschleiert zu haben. Bis Anfang Mai 2010 stiegen die CDS-Prämien von 154 auf 875 Basispunkte, die Zinssätze für 10-jährige Staatsanleihen von 4,5% auf 12,2% (Abbildung 2). Zu so hohen Zinssätzen kann der Staatshaushalt nicht nachhaltig finanziert werden; deshalb richtete die EU im Mai 2010 den Rettungsschirm EFSF ein.

In der Folge erfasste der Prozess steigender CDS-Prämien und Anleihezinssätze Irland und Portugal, auch diese beiden Länder mussten den EU-Rettungsschirm in Anspruch nehmen. Im Sommer verschärfte sich die Lage dramatisch, weil nunmehr auch die Zinssätze spanischer und italienischer Staatsanleihen ein langfristig unfinanzierbares Niveau erreichten (Abbildung 2). Der Staatshaushalt dieser Länder ist nämlich viel zu groß, um über die EFSF finanziert zu werden.

Alle vom Zinsanstieg erfassten Staaten reagierten darauf mit verstärkten Sparbemühungen, um "die Märkte" zu beruhigen und so einen Rückgang der Zinssätze zu erreichen. Am radikalsten fiel das Sparpaket Griechenlands aus. Dadurch wurde der Schrumpfungsprozess des BIP beschleunigt, die Budgetkonsolidierung blieb daher weit hinter den Zielen zurück, und die Zinssätze stiegen dramatisch. Auch in Portugal, Spanien und Italien brachte die restriktive Fiskalpolitik samt Ankündigung weiterer Sparpakete noch keine Trendwende in der Zinsentwicklung (Abbildung 2).

 

Abbildung 3: Zinssätze für Staatsanleihen

Q: Thomson Reuters.

 

Je stärker die Zinssätze in den "Problemländern" des Euro-Raumes stiegen, desto mehr sanken sie in den von "den Märkten" als (relativ) stabil eingeschätzten Ländern wie den Niederlanden, Finnland, Frankreich und insbesondere Deutschland. Seit Herbst 2011 gilt dies strenggenommen nur mehr für Deutschland. Auch für die davor als stabil geltenden Länder erhöhte sich das Zinsdifferential zu Deutschland, insbesondere für Frankreich (Abbildung 3).

Bis zum Herbst 2009 hatte es fast elf Jahre lang keine nennenswerten Differenzen zwischen den Anleihezinssätzen der Euro-Länder gegeben. Die dramatische Spreizung der Zinsniveaus vertiefte seither die Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung innerhalb der Währungsunion: Jene Länder, deren Wirtschaft sich nach dem Konjunktureinbruch 2009 rasch erholte, werden zusätzlich durch niedrige Zinssätze begünstigt. In den südeuropäischen Ländern erstickten der Zinsanstieg und die dadurch mitverursachte Sparpolitik eine Konjunkturerholung im Keim.

Die Rolle des Zins-Wachstums-Differentials

Kurzfristig ergibt sich die Veränderung des Staatsdefizits aus der Interaktion der Finanzierungssalden aller Sektoren, also ihren Spar- und Investitionsentscheidungen. Die langfristige Sustainability des Budgetdefizits hängt von der Dynamik der Staatsschuldenquote ab. Dafür ist das Zins-Wachstums-Differential wegen der "dynamischen Budgetbeschränkung" von fundamentaler Bedeutung (Schulmeister, 1995):

·          Liegt der Zinssatz unter der Wachstumsrate, so kann ein Schuldnersektor (Unternehmen, Staat) mehr Kredite aufnehmen, als er an Zinsendienst für die "Altschuld" zu zahlen hat. Er kann somit ein Primärdefizit aufrechterhalten, ohne dass seine Schuldenquote notwendig steigt.

·          Liegt der Zinssatz aber über der Wachstumsrate, so muss ein Schuldnersektor einen Primärüberschuss erwirtschaften, er darf also nur weniger Kredite aufnehmen, als er an Zinsendienst für bestehende Schulden leisten muss. Liquidität muss somit vom Schuldnersektor abfließen.

Als Folge der Hochzinspolitik Anfang der 1980er-Jahre und des nachfolgenden Rückgangs der Inflationsrate liegt das Nominalzinsniveau seither in Westeuropa nahezu ständig über der nominellen Wachstumsrate (Abbildung 4). Dieser Bedingung hat sich der Unternehmenssektor angepasst: Er "drehte" seine Primärbilanz in einen Überschuss, indem er seine Realinvestitionen drosselte und stattdessen verstärkt Finanzaktiva akkumulierte.

Die privaten Haushalte erwirtschaften im Regelfall Primärüberschüsse (sie sparen mehr als ihre Zinserträge). Da die Summe aller Primärbilanzen Null beträgt, kann der Staat nur dann einen Primärüberschuss erzielen, wenn der vierte Sektor, das Ausland, hohe Primärdefizite aufrechterhält. Dies ist der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren zwar gelungen (der Leistungsbilanzüberschuss überstieg die Nettozinserträge aus dem Ausland), doch wurde damit das Problem auf andere Länder verlagert.

Die wichtigsten Kanäle, über die das Zins-Wachstums-Differential die Schuldendynamik beeinflusst, sind nicht die direkten Effekte (Senkung der Zinszahlungen des Staates), sondern die indirekten Effekte infolge der Zunahme oder Abnahme der Verschuldungs- und Investitionsbereitschaft der Unternehmen (Rückkoppelungseffekte auf das BIP; Schulmeister, 1996). Diese werden bei der Ermittlung von Verschuldungsszenarien zumeist vernachlässigt, nicht aber die zinssteigernden Effekte unzureichender Konsolidierungsbemühungen (European Commission, 2011).

Widersprüchliche Reaktion der Politik auf die Euro-Krise

Die Politik der EU und ihrer wichtigsten Mitgliedsländer reagierte widersprüchlich auf die Verschärfung der Euro-Krise. Einerseits wird die Gefahr der "Zinsepidemie" für den Zusammenhalt der Währungsunion erkannt, andererseits gelingt kein Konsens über die Gewährleistung eines gemeinsamen Zinsniveaus durch Ausgabe von Eurobonds (siehe dazu auch Ederer, 2011, Horn et al., 2011). Die Politik versucht, das effektive Zinsniveau für die "Problemländer" indirekt zu senken. Dem dient die Schaffung des Rettungsschirmes EFSF, dessen Interventionspotential durch "Hebelung" vergrößert werden soll (die EFSF garantiert wie eine Teilkaskoversicherung nur einen bestimmten Prozentsatz der Staatsanleihen eines Euro-Landes).

Auch die Anleihekäufe der EZB bezwecken, den Zinsanstieg zu bremsen, doch setzt die EZB dieses Instrument nur in Notfällen ein etwa im Sommer 2011, als die Zinssätze spanischer und italienischer Anleihen sprunghaft stiegen (Abbildung 2). Diese Interventionen können im Gegensatz zum extensiven "quantitative easing" der Notenbanken von Großbritannien und den USA die Erwartungen eines weiteren Zinsanstieges nicht nachhaltig brechen. Die daraus resultierende Gefahr einer Verschärfung der Bankenkrise durch Entwertung ihrer Anleihebestände versucht die EZB durch massive Liquiditätszufuhr zu bannen[b]). Damit sollen die Banken auch zum Kauf von Staatsanleihen animiert werden, was den Zinsanstieg indirekt bremsen würde.

 

Abbildung 4: Entwicklungstendenzen in Westeuropa

Q: WIFO-Datenbank, OECD, Eurostat. Bis 1990: OECD-Europa, an 1991: EU 15. 1) Bis 1969: Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien. 2) Gleitender Dreijahresdurchschnitt.

 

Die Widersprüchlichkeit der europäischen Politik zeigt sich auch an zwei weiteren Maßnahmen: Erstens müssen die Banken zwecks Vorbeugung gegen eine Krise ihre Eigenkapitalquote erhöhen, brauchen dafür aber in vielen Fällen staatliche Zuschüsse, was wiederum die öffentliche Verschuldung erhöht und damit die Gefahr einer weiteren Abwertung der Anleihebestände der Banken in sich birgt. Zweitens sollen die Zentralbanken der Euro-Länder dem Internationalen Währungsfonds 200 Mrd. € zur Verfügung stellen, damit dieser bei einer künftigen Verschärfung der Euro-Krise einzelnen Euro-Ländern beistehen kann (statt dass die Institutionen der Währungsunion erklären, diese Aufgabe selbst zu übernehmen).

Der Mangel an Kohärenz in den Maßnahmen der europäischen Politik zur Bekämpfung der Euro-Krise ist das Ergebnis langfristig unterschiedlicher Entwicklungspfade. Auf der einen Seite steht die Tradition deutscher Stabilitätspolitik, welcher in den letzten 25 Jahren die Länder des früheren "Hartwährungsblocks" folgten (Frankreich allerdings mit einigen Vorbehalten). Diese Tradition setzt auf Lohnzurückhaltung und eine "passive" Fiskal- und Geldpolitik, welche sich am Hauptziel der Geldwertstabilität orientiert. Auf der anderen Seite stehen zwei unterschiedliche Traditionen der Wirtschaftspolitik jene der südeuropäischen Länder, in denen die Lohnpolitik weniger restriktiv ausfällt als in Deutschland, und jene Großbritanniens, in der nicht zuletzt unter dem Einfluss der USA eine "aktivistische" Fiskal- und Geldpolitik betrieben wird, die sich auch am Beschäftigungsziel orientiert.

Auf der EU-Ratstagung im Dezember 2011 setzte sich die deutsche Tradition durch: Die Sparpolitik wird verstärkt werden, in 26 der 27 EU-Länder soll eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert werden (Großbritannien zieht hier nicht mit); Eurobonds werden nicht ausgegeben, zuerst gilt es, die Staatshaushalte zu konsolidieren.

 

Abbildung 5: Dollarkurs und Rohölpreis

Q: IMF, Oxford Economic Forecasting, WIFO. 1) Gegenüber DM, französischem Franc, Pfund, Yen.

 

Eine seriöse Prognose, ob diese Strategie erfolgreich sein wird, ist aufgrund des bisherigen Verlaufs der Euro-Krise nicht möglich. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob es dadurch gelingen wird, das Niveau der langfristigen Zinssätze in den "Problemländern" des Euro-Raumes wieder dem Niveau der mittelfristigen Wachstumsrate anzunähern. Kurzfristig werden die zusätzlichen Sparpakete das Wachstum dämpfen, insbesondere in den südeuropäischen Ländern. Für die vorliegende Prognose wurde daher die Basisversion des Oxford-Modells vom November 2011 (noch ohne die EU-Ratsbeschlüsse vom Dezember) nur insofern modifiziert, als eine etwas stärkere Zunahme der Sparquote der privaten Haushalte infolge der restriktiven Fiskalpolitik 2012 und 2013 angenommen wird.

Euro-Abwertung setzt sich fort

Trotz des enormen Leistungsbilanzdefizits der USA und ihrer deshalb weiterhin steigenden Auslandsverschuldung erhöhte sich der Wechselkurs des Dollars seit drei Jahren leicht. Zwischen 2001 und 2008 hatte er hingegen stark an Wert verloren (gegenüber einem mit den Sonderziehungsrechten gewichteten Durchschnitt von Euro, Yen und Pfund um 30,9%; Abbildung 5). Diese Entwicklung war in erster Linie eine Folge der ausgeprägten Niedrigzinspolitik der USA und der in dieser Phase besonders großen Zunahme ihres Leistungsbilanzdefizits. Da der Dollar die Leitwährung ist, können die USA ihr Außenhandelsdefizit in nationaler Währung finanzieren, sie sind also als einziges Land keiner Leistungsbilanzschranke unterworfen (der wichtigste Grund für die langfristige Entwertung der Leitwährung; Abbildung 5). Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Leitwährungsland gegenüber Abwertungen indifferent ist.

Tatsächlich strebt die Politik der USA in Phasen schwacher Konjunktur eine Dollarabwertung an. Ein solches "talking the dollar down" wird sowohl durch eine Niedrigzinspolitik als auch durch das Ausmaß von Leistungsbilanzdefizit und Auslandsverschuldung der USA gefördert. In den Rezessionen 1990/91 und 2000/01 war diese Strategie erfolgreich, die Dollarabwertung stützte jeweils den nachfolgenden Konjunkturaufschwung. Nach Ausbruch der Immobilienkrise in den USA im Sommer 2007 schien sich dieses Muster zu wiederholen: Innerhalb eines Jahres verlor der Dollar gegenüber dem Euro um 18,5% an Wert (der Euro-Kurs stieg von 1,35 $ auf seinen bisherigen Höchststand von 1,60 $).

Seither hat sich der Dollarkurs merklich erholt, der Euro-Kurs sank auf zuletzt 1,30 $. Hauptgrund dafür ist die Vertiefung der Finanzmarktkrise in der Europäischen Währungsunion. Sie wirkt dem Abwertungsdruck auf den Dollar aus der hohen Auslandsverschuldung der USA entgegen und konterkariert die nach früheren Rezessionen erfolgreich praktizierte Strategie des "talking the dollar down". Aus den oben diskutierten Gründen geht die vorliegende Prognose davon aus, dass die Euro-Krise nur langsam überwunden wird. Dem entspricht das Ergebnis des OEF-Modells, wonach der Euro-Kurs bis 2016 noch leicht sinken wird, nämlich von 1,30 $ auf 1,23 $ (Abbildung 5, Übersicht 1).

Anhaltende Verteuerung der Rohstoffe

Seit etwa zehn Jahren nehmen die längerfristigen Schwankungen der Rohstoffpreise drastisch zu. So stiegen die Preise insgesamt zwischen Anfang 2002 und Mitte 2008 um rund 360%, im Zuge der akuten Phase der Finanzmarktkrise verfielen sie innerhalb von 8 Monaten um 67,9%. Danach zogen sie bis April 2011 um 61,7% an und sanken bis Ende 2011 wieder um 15,3%. Noch ausgeprägter war die Abfolge von "bull markets" und "bear markets" für den wichtigsten Rohstoffpreis, nämlich Erdöl: Die Marke Brent verteuerte sich zwischen Anfang 2002 und Mitte 2008 von 19 $ auf 147 $, bis Ende 2009 verfiel der Erdölpreis auf 35 $. Im Zuge der Erholung der Weltwirtschaft stieg er bis Mai 2011 auf 113 $ und sank seither geringfügig.

Dieses Auf und Ab der Rohstoffpreise entspricht zwar einigermaßen der Entwicklung der "market fundamentals", insbesondere den Schwankungen der Weltkonjunktur (die langfristige Verteuerung von Erdöl spiegelt seine Erschöpfbarkeit wider), das Ausmaß der Preistrends dürfte jedoch zusätzlich durch spekulative Transaktionen von Finanzinvestoren verstärkt werden. So berichten Agenturen wie Bloomberg in den letzten Jahren immer öfter über das Engagement von Banken und Hedge Funds im Handel mit Rohstoffderivaten.

Traditionelle Prognoseverfahren können das Ausmaß des Overshooting spekulativer Preise nicht abschätzen. Die vorliegende Modellprognose gibt daher nur die Verschiebungen von Angebot und Nachfrage auf den einzelnen Rohstoffmärkten wieder ("Fundamentalfaktoren"). Demnach würden diese 2012 sinken; Erdöl sollte sich infolge der Konjunkturabschwächung stärker verbilligen als die anderen Rohstoffe. Danach sollte der Erdölpreis (Brent) von 95,0 $ auf 109,5 $ je Barrel steigen. Wie zumeist in Phasen einer Dollaraufwertung werden die Preise der sonstigen Rohstoffe mittelfristig sinken, allerdings nur geringfügig (Übersicht 2).

Die wichtigsten Ergebnisse der Prognose

Die vorliegende Prognose wurde mit Hilfe des Weltmodells von Oxford Economic Forecasting (OEF) erstellt. Dieses umfasst Teilmodelle für 46 Länder bzw. Regionen (darunter nahezu alle Industrieländer), deren Interaktionen durch Export- und Importfunktionen für Waren und Dienstleistungen abgebildet werden. Ausgangsbasis ist die OEF-Modellversion vom November 2011. Sie wurde angesichts der verstärkten Konsolidierungsbemühungen modifiziert. Da die Maßnahmen im Detail noch nicht bekannt sind, wurde lediglich eine leichte Zunahme der Sparquote der privaten Haushalte in den Euro-Ländern unterstellt. Mit diesen Vorgaben wurde eine neue Modelllösung berechnet, ihre Ergebnisse bilden die Grundlage der vorliegenden Prognose.

 

Übersicht 1: Entwicklung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen

 

Ø 1992/
1996

Ø 1997/
2001

Ø 2002/
2006

Ø 2007/
2011

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Ø 2012/
2016

 

Wechselkurse, absolut        $ je Euro

1,28

1,03

1,16

1,39

1,40

1,30

1,30

1,26

1,24

1,23

1,26

                Yen je Euro

139,6

123,0

133,3

134,3

110,9

104,8

122,6

120,0

115,2

111,0

114,7

Zinssätze, kurzfristig, Dollar               in %

4,7

5,4

2,7

1,9

0,3

0,2

0,2

0,2

0,9

1,0

0,5

Euro   in %

7,4

3,9

2,6

2,5

1,4

1,1

1,1

1,8

1,9

1,8

1,5

Zinssätze, langfristig, Dollar               in %

6,6

5,7

4,4

3,5

2,8

2,4

3,3

2,9

2,1

1,6

2,4

Euro   in %

8,4

5,2

4,1

4,1

4,3

3,9

3,9

3,6

2,9

2,5

3,4

Erdölpreis, absolut (Brent)  in $

18,0

20,5

42,3

84,1

110,0

95,0

100,0

100,9

105,7

109,5

102,2

Dollarzinssätze real1)           in %

3,1

9,3

4,9

4,2

12,4

5,5

1,5

0,1

0,8

0,2

1,3

Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. 1) Dollarzinssatz kurzfristig, deflationiert mit den Welthandelspreisen insgesamt.

 

Zinsniveau bleibt niedrig

Übersicht 1 fasst die wichtigsten Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft zusammen. Das Zinsniveau (nominell) wird bis 2016 merklich niedriger sein als in jeder Fünfjahresperiode seit 1945. Dies gilt insbesondere für die kurzfristigen Zinssätze. Sie werden, nicht zuletzt weil die Geldpolitik der Fed noch expansiver ist als die der EZB, in den USA um 1 Prozentpunkt niedriger sein als im Euro-Raum (Durchschnitt 2012/2016: 0,5% gegenüber 1,5% im Euro-Raum).

Auch die langfristigen Zinssätze werden im Euro-Raum höher bleiben als in den USA, in erster Linie infolge der Euro-Krise und des damit verbundenen hohen Niveaus der Anleihezinssätze in "Problemländern" wie Spanien und Italien. Die Modellergebnisse implizieren, dass die Schulden- und Zinsproblematik im Euro-Raum bis 2013 zumindest gemildert werden sollte: Während der Zinsabstand zu den USA 2012 noch 1,5 Prozentpunkte beträgt, geht er nach den Berechnungen des Oxford-Modells 2013 auf 0,6 Prozentpunkte zurück (Übersicht 1).

Kräftige Welthandelsexpansion

Das Modell prognostiziert für die Periode bis 2016 ein Welthandelswachstum von 5,8%; es ist damit fast doppelt so hoch wie in der von der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise geprägten Periode 2006/2011 (Übersicht 2). 2012 dürfte der Welthandel wegen der internationalen Konjunkturabschwächung allerdings um nur 4,2% expandieren. Nicht zuletzt deshalb wird das mittelfristige Welthandelswachstum bis 2016 etwas niedriger ausfallen als in den 1990er-Jahren.

Im Gegensatz zu den vergangenen zehn Jahren dürften die Industrieländer bis 2016 keine Marktanteile verlieren, ihre Exporte werden gleich stark expandieren wie der gesamte Welthandel.

Trotz der leichten Aufwertung des Dollars (er bleibt dennoch gemessen an der Kaufkraftparität international gehandelter Güter und Dienstleistungen unterbewertet) werden die Exporte der USA mittelfristig stärker wachsen als ihre Importe (Exporte +8,6% pro Jahr, Importe +6,8% pro Jahr). Umgekehrt prognostiziert das Modell für die Überschussländer wie Deutschland, China, Russland und die OPEC-Länder ein höheres Wachstum der Importe als der Exporte (Übersicht 2). Dementsprechend sollten sich in den kommenden fünf Jahren die Leistungsbilanzungleichgewichte deutlich verringern.

Belebung des Wirtschaftswachstums

Im Vergleich zu der von der Finanzmarktkrise geprägten Periode 2006/2011 wird sich das Wirtschaftswachstum in den Industrieländern im Prognosezeitraum deutlich beschleunigen. Die Konjunkturabschwächung 2012 würde demnach rasch überwunden. Unter dieser Bedingung würde das BIP der Industrieländer bis 2016 um durchschnittlich 2,0% pro Jahr expandieren. Die Wachstumsbeschleunigung sollte in jenen Ländern besonders hoch ausfallen, die in der vorangegangenen Fünfjahresperiode die größten Wachstumseinbußen verzeichneten (Japan, Italien, Großbritannien).

 

Abbildung 6: Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft

Q: IMF, Oxford Economic Forecasting, WIFO.

 

 

 

Übersicht 2: Entwicklung des Welthandels

 

Ø 1991/
1996

Ø 1996/
2001

Ø 2001/
2006

Ø 2006/
2011

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Ø 2011/
2016

Jährliche Veränderung in %

 

Wechselkurs 4 Reservewährungen je $

+0,8

+5,3

5,6

1,0

4,5

+4,6

+1,3

+1,7

+0,8

+0,9

+1,8

 

Welthandelspreise

+1,5

4,0

+7,6

+5,5

+12,7

5,3

1,3

+0,2

+1,8

+0,8

0,8

Erdöl

+0,6

+3,5

+21,7

+11,0

+38,4

13,6

+5,3

+0,9

+4,8

+3,6

0,1

Sonstige Rohstoffe

+2,9

5,3

+10,2

+9,3

+19,7

5,9

3,7

0,4

+1,4

0,9

1,9

Industriewaren

+1,4

4,2

+5,8

+4,0

+7,5

3,3

1,4

+0,2

+1,3

+0,6

0,5

 

Welt        Exporte

+6,1

+6,2

+7,5

+3,2

+6,2

+4,2

+6,5

+7,1

+7,0

+6,2

+5,8

                Importe

+6,5

+6,9

+5,5

+2,5

+6,5

+3,4

+6,4

+6,8

+6,7

+5,9

+5,8

Industrieländer     Exporte

+6,5

+7,8

+6,3

+1,6

+6,1

+2,8

+5,8

+6,7

+6,4

+5,6

+5,5

                Importe

+8,1

+4,6

+4,6

+4,6

+7,6

+6,7

+8,1

+9,3

+10,1

+8,7

+8,6

USA        Exporte

+9,4

+8,9

+6,3

+0,4

+6,8

+4,4

+7,9

+8,5

+7,1

+6,2

+6,8

                Importe

+3,5

+3,2

+9,3

+1,5

+0,9

+7,0

+6,2

+5,5

+5,1

+4,8

+5,7

Japan     Exporte

+7,0

+2,0

+4,4

+0,1

+4,1

+9,8

+5,5

+5,9

+7,0

+6,7

+7,0

                Importe

+2,7

+9,1

+7,4

+3,1

+9,2

+2,9

+6,2

+7,0

+6,7

+5,5

+5,6

Deutschland          Exporte

+2,2

+7,9

+7,0

+4,0

+9,5

+3,3

+5,5

+7,0

+6,8

+5,7

+5,7

                Importe

0,5

+5,2

+9,4

+2,4

+3,0

+3,6

+4,2

+4,2

+4,3

+3,9

+4,0

Russland               Exporte

+0,2

+1,6

+18,5

+8,5

+18,8

+7,2

+6,9

+7,5

+7,8

+7,4

+7,4

                Importe

+15,0

+14,5

+23,6

+6,1

+6,0

+8,6

+8,5

+9,4

+8,7

+7,3

+8,5

China     Exporte

+18,7

+15,0

+19,5

+6,1

+5,2

+6,9

+8,5

+10,7

+10,3

+9,1

+9,1

                Importe

+3,1

1,8

+2,1

+2,0

+3,6

+3,4

+3,4

+4,4

+4,6

+4,3

+4,0

OPEC     Exporte

+2,4

+4,3

+11,6

+9,7

+7,9

+9,7

+8,9

+7,4

+6,8

+6,5

+7,9

Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO.

 

Wie in den vergangenen 20 Jahren wird die Gesamtproduktion in den USA (+2,1% pro Jahr) etwas rascher wachsen als im Durchschnitt aller Industrieländer, im Euro-Raum sowie in Japan aber etwas langsamer (+1,4% bzw. +1,6% pro Jahr). In den sechs großen neuen EU-Ländern (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei) wird die Dynamik mit einer Wachstumsrate von 3,2% pro Jahr deutlich höher sein als im Durchschnitt der EU 27 (+1,7% pro Jahr).

In China und Indien wird das BIP bis 2016 weiterhin deutlich stärker wachsen als im weltweiten Durchschnitt (Übersicht 3). Allerdings wird sich das Expansionstempo in China von +10,5% pro Jahr (2006/2011) auf +8,6% pro Jahr (2011/2016) abschwächen und in Indien nur geringfügig verstärken (von +8,0% auf +8,4% pro Jahr). Nicht zuletzt wegen des hohen Niveaus der Erdölpreise dürfte das BIP-Wachstum in den OPEC-Ländern mit +4,7% pro Jahr annähernd so hoch ausfallen wie in den vergangenen zehn Jahren. Auch für die Volkswirtschaften Lateinamerikas prognostiziert das OEF-Modell ein ähnlich hohes Wirtschaftswachstum wie seit 2001. In Afrika dürfte sich die Dynamik merklich beschleunigen: Mit +4,8% wird das höchste Wachstumstempo seit 20 Jahren prognostiziert (Übersicht 3).

 

Übersicht 3: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen

 

Ø 1991/
1996

Ø 1996/
2001

Ø 2001/
2006

Ø 2006/
2011

2011

2012

2013

2014

2015

2016

Ø 2011/
2016

Jährliche Veränderung in %

 

Weltproduktion (BIP)

+2,8

+3,3

+4,1

+3,0

+3,8

+3,2

+4,2

+4,5

+4,6

+4,2

+4,1

Industrieländer1)

+2,2

+2,7

+2,3

+0,5

+1,4

+1,1

+1,9

+2,3

+2,4

+2,2

+2,0

USA

+3,3

+3,8

+2,7

+0,5

+1,6

+1,3

+1,6

+2,6

+2,9

+2,3

+2,1

Japan

+1,3

+0,5

+1,7

0,4

1,0

+1,5

+2,3

+1,8

+1,3

+1,0

+1,6

EU 27

+2,1

+2,9

+2,1

+0,5

+1,7

+0,3

+1,7

+2,1

+2,3

+2,3

+1,7

Deutschland

+1,1

+2,0

+1,0

+1,1

+3,1

+0,5

+1,6

+2,0

+2,1

+2,0

+1,6

Frankreich

+1,2

+2,9

+1,7

+0,5

+1,6

0,1

+1,1

+1,7

+1,9

+1,8

+1,3

Italien

+1,2

+2,1

+1,0

0,7

+0,6

0,8

+0,3

+0,8

+1,4

+1,8

+0,7

Großbritannien

+2,5

+3,7

+2,8

+0,1

+0,9

+0,7

+2,1

+2,4

+2,5

+2,4

+2,0

Euro-Raum

+1,4

+2,8

+1,8

+0,5

+1,7

+0,0

+1,3

+1,7

+1,9

+2,0

+1,4

6 neue EU-Länder2)

+2,4

+2,7

+4,7

+2,5

+2,7

+1,4

+3,1

+3,9

+4,0

+3,6

+3,2

Polen

+4,9

+4,4

+4,1

+4,2

+4,0

+2,1

+3,3

+4,0

+3,7

+3,3

+3,3

Tschechien

+2,3

+1,2

+4,6

+1,6

+1,9

+0,5

+2,1

+2,9

+2,9

+2,3

+2,1

Slowakei

+1,8

+3,0

+5,9

+3,3

+2,9

+1,0

+3,3

+3,9

+4,3

+3,0

+3,1

Ungarn

+0,2

+4,3

+3,9

0,7

+0,9

0,6

+1,6

+3,3

+3,6

+3,3

+2,2

Russland

8,8

+3,4

+6,8

+2,6

+3,8

+4,2

+3,8

+3,9

+4,4

+4,2

+4,1

China

+12,4

+8,3

+10,6

+10,5

+9,5

+8,0

+9,2

+9,1

+8,8

+7,9

+8,6

Indien

+6,2

+5,6

+7,6

+8,0

+7,1

+7,2

+9,2

+9,3

+8,6

+7,7

+8,4

OPEC

+2,1

+2,0

+5,8

+4,2

+4,1

+5,3

+4,9

+4,6

+4,4

+4,5

+4,7

Afrika

+2,4

+3,5

+4,6

+3,9

+3,6

+4,0

+5,1

+5,2

+4,9

+4,7

+4,8

Lateinamerika

+4,0

+2,1

+3,8

+4,1

+5,0

+3,5

+4,3

+4,3

+4,3

+4,1

+4,1

 Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. 1) 29 OECD-Länder. 2) Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei.

 

Unsicherheitsfaktoren der Prognose

Jede Prognose mit einem ökonometrischen Modell impliziert, dass die in der Vergangenheit beobachteten Reaktionsmuster von Unternehmen, Haushalten und der Wirtschaftspolitik auf Änderungen ökonomischer Variabler auch in Zukunft wirksam bleiben. Diese Annahme ist derzeitig besonders problematisch, weil die aktuelle Situation durch Probleme geprägt wird, welche in der Stützperiode des Modells (seit 1980) nicht aufgetreten sind. Zu diesen Problemen gehören etwa die CDS-Spekulation, ihre Effekte auf das Zinsniveau von Staatsanleihen und die akuten Schuldenkrisen mehrerer Euro-Länder, aber auch die verstärkten Konsolidierungsbemühungen nahezu aller EU-Staaten ungeachtet einer bereits spürbaren Konjunkturabschwächung.

Da somit die unvermeidbaren Unzulänglichkeiten ökonometrischer Prognoseverfahren nach einer schweren Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise besonders stark ins Gewicht fallen und überdies neue Probleme aufgetreten sind, für deren Bewältigung sich die Wirtschaftspolitik auf keine Erfahrungen stützen kann, dürfte die vorliegende Modellprognose die Entwicklung der Weltwirtschaft in den kommenden Jahren eher zu optimistisch einschätzen als zu pessimistisch.

Literaturhinweise

Ederer, St., "Ungleichgewichte im Euro-Raum", WIFO-Monatsberichte, 2010, 83(7), S. 589-602, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/40116.

Ederer, St., "Europäische Währungsunion in der Krise, WIFO-Monatsberichte", 2011, 84(12), S. 783-796, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/43195.

European Commission, "Debt Dynamics and Sustainability in the Euro Area", Quarterly Report on the Euro Area, 2011, 10(3).

Horn, G., Herzog-Stein, A., Tober, S., Truger, A., "Den Bann durchbrechen Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2012", IMK Report, 2011, (70).

Horn, G., Joebges, H., Zwiener, R., "Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise (II) Globale Ungleichgewichte: Ursache der Krise und Auswegstrategien für Deutschland", IMK Report, 2009, (40).

Niechoj, T., Stein, U., Stephan, S., Zwiener, R., "Deutsche Arbeitskosten: Eine Quelle der Instabilität im Euroraum", IMK Report, 2011, (68).

Schulmeister, St., "Zinssatz, Wachstumsrate und Staatsverschuldung", WIFO-Monatsberichte, 1995, 69(3), S. 165-180, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/164.

Schulmeister, St., Zinssatz, Investitionsdynamik, Wachstumsrate und Staatsverschuldung, WIFO, Wien, 1996, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/2816.

Schulmeister, St., Purchasing Power Parities for Tradables, Exchange Rates and Price Competitiveness, WIFO, Wien, 2005, http://www.wifo.at/wwa/pubid/25656.

Tichy, G., "Did Rating Agencies Boost the Financial Crisis?", Intereconomics, 2011, (5).

Url, Th., "Ratingagenturen: Verursacher, Verstärker oder im Sog der Staatsschuldenkrise?", WIFO-Monatsberichte 2011, 84(12), S. 811-825, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/43197.

 

Euro Area Crisis Dampens Global Growth. Medium-term Forecast of the World Economy Until 2016 – Summary

The forecast of the world economy until 2016 is based on a global econometric model (Oxford Model). The forecast rests on the assumption that the uncertainty with respect to the solution of the interest rate and debt crisis in the euro area will persist for some time. Therefore, the euro's exchange rate vis-à-vis the dollar is expected to weaken slightly (to $ 1.23) until 2016. In 2012, the oil price (Brent) will fall (to $ 95 per barrel) owing to the international economic slowdown. However, it will return to about $ 110 by 2016. Over the forecast period the prices of other commodities are expected to decline slightly (1.9 percent per year), not least as a consequence of the appreciation of the dollar. Both in the USA and in Europe average interest rates during the forecast period will be at their lowest levels since more than 60 years.

As soon as the economic weakness of 2012 is overcome these conditions will facilitate a strong upturn of the world economy. It is assumed that the enhanced efforts to cut spending in the EU will not protract the economic slump, but rather contribute to calming the financial markets. World trade is expected to grow by almost 6 percent per year, only slightly more slowly than during the 15 years preceding the onset of the financial crisis. Over the medium term the USA's exports will expand more rapidly than its imports. The model forecasts the opposite trend, i.e., a higher growth rate of imports than of exports, for the surplus countries Germany, Japan, China, Russia and the OPEC. The current account imbalances are therefore likely to diminish over the medium run. After 2012 world output will recover noticeably increasing on average by 4.1 percent per year until 2016. As in the past 20 years, aggregate output will expand slightly more rapidly in the USA (+2.1 percent per year) than on average of all advanced economies, but somewhat more slowly in the euro area and in Japan (1.4 percent and 1.6 percent per year, respectively). At a growth rate of 3.2 percent the economic momentum is expected to be noticeably stronger in the six largest new EU member countries than in the EU as a whole (1.7 percent per year). China and India will continue to show the highest economic growth (8.6 percent and 8.4 percent per year, respectively). For the other developing and emerging economies the model forecasts growth rates of 4.7 percent (OPEC), 4.1 percent (Latin America) and 4.8 percent (Africa).

 

 

 



[a])  Im Detail analysieren Ederer (2010), Horn - Joebges - Zwiener (2009) und Niechoj et al. (2011) das Anwachsen der Ungleichgewichte im Euro-Raum.

[b])  Im Dezember 2011 stellte sie den Banken fast 500 Mrd. € für drei Jahre zum Referenzzins von 1% zu Verfügung.