Krise der Europäischen
Währungsunion dämpft weltweite Wachstumsdynamik
Mittelfristige Prognose
der Weltwirtschaft bis 2016
Die Unsicherheit über
die Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise im Euro-Raum dürfte noch einige Zeit
bestehen bleiben. Daher sollte sich der Wechselkurs des Euro weiter leicht abschwächen,
und zwar bis 2016 auf 1,23 $. Der Erdölpreis dürfte nach einem konjunkturbedingten
Rückgang auf 95 $ je Barrel (Brent) im Jahr 2012 bis 2016 wieder auf etwa 110 $
steigen. Sowohl die kurzfristigen als auch die langfristigen Zinssätze werden im
Durchschnitt des Prognosezeitraumes auf dem niedrigsten Niveau seit 1945 liegen.
Als Folge der außerordentlich lockeren Geldpolitik in den USA sowie wegen der Euro-Krise
dürfte das Zinsniveau in den USA um 1 Prozentpunkt niedriger sein als im Euro-Raum.
Unter diesen Bedingungen sollte sich die Weltwirtschaft nach einer Konjunkturabschwächung
2012 weiter erholen. Der Welthandel dürfte bis 2016 um 5,8% pro Jahr wachsen, fast
doppelt so rasch wie in der von der Finanzmarktkrise geprägten Periode 2006/2011.
Wie in den vergangenen 20 Jahren wird die Gesamtproduktion in den USA (+2,1% pro
Jahr) etwas stärker expandieren als im Durchschnitt aller Industrieländer (+2,0%),
im Euro-Raum sowie in Japan aber etwas langsamer (+1,4% bzw. +1,6% pro Jahr). Die Unsicherheit
der Prognose ist erheblich, insbesondere wegen der Euro-Krise und ihrer Bekämpfung
durch eine synchrone Sparpolitik in einer Phase der Konjunkturschwäche.
Begutachtung: Stefan Ederer
• Wissenschaftliche Assistenz: Eva Sokoll • E-Mail-Adressen: Stephan.Schulmeister@wifo.ac.at, Eva.Sokoll@wifo.ac.at
INHALT
Dramatische Vertiefung der Krise im Euro-Raum
Diskrepanzen in der Lohnentwicklung
Markante Unterschiede im Investitions- und
Sparverhalten
Die Rolle des Zins-Wachstums-Differentials
Widersprüchliche Reaktion der Politik auf die
Euro-Krise
Euro-Abwertung setzt sich fort
Anhaltende Verteuerung der Rohstoffe
Die wichtigsten Ergebnisse der Prognose
Belebung des Wirtschaftswachstums
Unsicherheitsfaktoren
der Prognose
VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND
ABBILDUNGEN
Übersicht 1: Entwicklung der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen
Übersicht 2: Entwicklung des Welthandels
Übersicht 3: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen
Abbildung 1: Finanzierungssalden in Deutschland und im Euro-Raum
Abbildung 2: Prämien von "Credit Default Swaps" und Zinssätze für
Staatsanleihen
Abbildung 3: Zinssätze für Staatsanleihen
Abbildung 4: Entwicklungstendenzen in Westeuropa
Abbildung 5: Dollarkurs und Rohölpreis
Abbildung 6: Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft
Die Wachstumsprognose für
Welthandel und Weltproduktion hängt wesentlich von den Annahmen über die weitere
Entwicklung der derzeit gravierendsten Probleme ab. Das weitaus größte davon besteht
in der Krise der Europäischen Währungsunion und damit im hohen Niveau von Anleihezinssätzen
und Staatsverschuldung in vielen Euro-Ländern. Weitere für die künftige Entwicklung
der Weltwirtschaft relevante Probleme sind die weltweiten Leistungsbilanzungleichgewichte,
insbesondere das Defizit der USA und der Überschuss von China, sowie die Instabilität
der Rohstoffpreise.
Im Laufe des Jahres 2011
verschlechterte sich die Konjunkturlage im Euro-Raum markant. Nachdem die Zinssätze
für griechische, irische und portugiesische Staatsanleihen schon 2010 sprunghaft
gestiegen waren, wurden im Sommer auch die großen Euro-Staaten Spanien und Italien
von dieser Entwicklung erfasst. Der Politik gelang es weder durch Ausweitung des
Euro-Rettungsschirmes (European Financial Stability Facility – EFSF) noch durch Anleihekäufe der EZB, diesen Prozess
dauerhaft zu stoppen. Dementsprechend verschlechterten sich die Wirtschaftserwartungen
von Unternehmen und Haushalten. Um einem weiteren Anstieg der Zinssätze vorzubeugen,
beschlossen im Dezember 2010 anlässlich der EU-Ratstagung 26 der 27 EU-Länder, in
den nationalen Verfassungen eine Schuldenbremse zu verankern. In Portugal, Spanien
und Italien wurden überdies zusätzliche Sparpakete fixiert. Ihre Umsetzung wird
den Konjunkturabschwung 2012 beschleunigen, er wird sich in den Euro-Ländern Südeuropas
zu einer Rezession vertiefen.
Sowohl längerfristige als
auch kurzfristige Faktoren trugen zur Verschlechterung der Lage der Staatsfinanzen
sowie zum Anstieg der Anleihezinssätze im Euro-Raum bei:
Die Konversionskurse, mit
denen die einzelnen Euro-Länder 1999 in die Währungsunion eintraten, wichen erheblich
von jenem Gleichgewichtsniveau ab, bei dem kein Land einen preislichen Wettbewerbsvorteil
bzw. -nachteil im Außenhandel hat (Kaufkraftparität von Tradables). So waren international
gehandelte Güter und Dienstleistungen 2002 in Griechenland, Portugal und Spanien
billiger als im Durchschnitt der 12 Euro-Länder, in Deutschland und Frankreich aber
teurer (Schulmeister, 2005, Table 10).
In den folgenden Jahren ging dieser "Startvorteil" der südeuropäischen
Länder rasch verloren, ihre Lohnstückkosten und damit das Preisniveau ihrer Güter
und Dienstleistungen stiegen viel stärker als in den "Kernländern" des
Euro-Raumes. Am stärksten fielen die Verluste an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber
Deutschland aus, das eine Politik strenger Lohnzurückhaltung praktizierte.
Die unterschiedliche Lohnpolitik
vertiefte die Unterschiede in der Nachfragedynamik innerhalb des Euro-Raumes: In
Deutschland stagnierte die Binnennachfrage (insbesondere privater Konsum und Wohnbau),
während die Exporte kräftig expandierten. In den anderen Euro-Ländern nahmen umgekehrt
die Binnennachfrage viel stärker und die Exporte viel schwächer zu als in Deutschland.
Diese Diskrepanz wurde in Spanien und Irland durch den Immobilienboom verschärft.
Ein weiterer Effekt verstärkte
die Unterschiede in der Nachfragedynamik: Als Folge der Lohnzurückhaltung blieb
die Inflation in Deutschland dauerhaft niedriger als in den anderen Euro-Ländern.
Da nicht nur die kurzfristigen, sondern auch die langfristigen Euro-Zinssätze in
allen Ländern der Währungsunion annähernd gleich hoch waren, lag das Realzinsniveau
in Deutschland höher als in den meisten anderen Euro-Ländern, insbesondere in Irland,
Portugal, Spanien und Griechenland. Dieses Zinsdifferential trug wesentlich dazu
bei, dass sich die realen Investitionen in Deutschland viel ungünstiger entwickelten
als in Irland, Portugal, Spanien und Griechenland.
Insgesamt war das Wirtschaftswachstum
in Deutschland zwischen der Einführung des Euro (1999) und dem Ausbruch der Finanzmarktkrise
(2007) um ein Drittel niedriger als in den anderen Euro-Ländern. Die hohen Exportzuwächse
glichen die Stagnation der Binnennachfrage nicht aus. Die Investitionsschwäche der
deutschen Wirtschaft zeigt sich auch in der Geldvermögensrechnung: Seit 2002 sind
die Ausgaben der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften (Unternehmenssektor ohne
Einzelunternehmen) für die Realkapitalbildung zumeist merklich niedriger als ihre
einbehaltenen Gewinne, also ihr Sparen (Abbildung 1). Noch nie seit 1945 hatte der
deutsche Unternehmenssektor so viele Jahre in Folge Finanzierungsüberschüsse erzielt.
Einerseits dämpften das Zinsniveau, das deutlich über der Wachstumsrate lag, und
die Stagnation der Binnennachfrage die Realkapitalbildung, andererseits erhöhte
die Instabilität von Wechselkursen, Rohstoffpreisen und Aktienkursen die Gewinnchancen
von Finanzinvestitionen aller Art, einschließlich kurzfristiger Derivatspekulation.
Gleichzeitig nahmen die
Finanzierungsüberschüsse der deutschen Haushalte seit 2000 zu (ihre Sparquote stieg
trotz stagnierender Einkommen), ebenso jene des Finanzsektors (Banken und Versicherungen
verwendeten ihre Gewinne in steigendem Maß zur Bildung von Finanzvermögen).
Im Zuge der Rezession 2001/02
drosselten die deutschen Unternehmen ihre Realinvestitionen und damit ihr Finanzierungsdefizit;
in nahezu demselben Ausmaß verzeichnete der Staat eine Zunahme des Defizits (Abbildung
1; die Werte für 2000 sind durch die Kosten bzw. Erträge der UMTS-Lizenzversteigerung
verzerrt). Bei steigenden Finanzierungsüberschüssen der privaten Haushalte sowie
der Unternehmen und des Finanzsektors verharrte das Staatsdefizit bis 2005 bei 3%
bis 4% des BIP, und zwar trotz eines wachsenden Finanzierungsdefizits des Auslandes
(im Wesentlichen entspricht dies dem deutschen Leistungsbilanzüberschuss; Abbildung
1). Die Summe aller Finanzierungssalden ist ja Null, und die Kausalität lief von
der Veränderung des Investitions- bzw. Sparverhaltens der Unternehmen und Haushalte
zum hingenommenen Defizit des Staates (in dieser "Reformphase" waren die
Konsolidierungsbemühungen besonders ausgeprägt). Erst der weitere Anstieg des Leistungsbilanzüberschusses
von Deutschland ermöglichte in den Jahren 2007 und 2008 saldenmechanisch einen ausgeglichenen
Staatshaushalt (Abbildung 1). Unmittelbar vor Ausbruch der Finanzmarktkrise konnte
Deutschland sein Budgetdefizit somit dank hoher Zuwächse der Auslandsnachfrage verbessern.
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Abbildung 1: Finanzierungssalden
in Deutschland und im Euro-Raum |
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Q: Eurostat. |
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In den anderen Euro-Ländern
entwickelte sich der Staatshaushalt zwischen der Einführung des Euro und dem Beginn
der Finanzmarktkrise ähnlich wie in Deutschland, allerdings aufgrund einer sehr
unterschiedlichen Saldendynamik. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden in Abbildung
1 die Euro-Länder ohne Deutschland zu einer Gruppe aggregiert. Besonders stark wich
das Investitions- bzw. Sparverhalten in den südeuropäischen Euro-Ländern von jenem
in Deutschland ab.
Nicht zuletzt als Folge
höherer Lohnzuwächse expandierte der private Konsum in den anderen Euro-Ländern
stärker als in Deutschland, der Überschuss der privaten Haushalte war dementsprechend
in den anderen Euro-Ländern niedriger als in Deutschland und ging ab 2002 relativ
zum BIP zurück (Abbildung 1). Die Unternehmen investierten anhaltend mehr als ihre
einbehaltenen Gewinne, ihr Defizit weitete sich ab 2004 stark aus. Obwohl sich der
Überschuss des Auslandes erhöhte (die Leistungsbilanz dieser Ländergruppe wurde
zunehmend defizitär), konnten daher die öffentlichen Haushalte ihr Defizit zwischen
2004 und 2007 auf 1,0% des BIP reduzieren.
Die Finanzmarktkrise verursachte
eine markante Entwertung des Aktien- und Immobilienvermögens der privaten Haushalte
und Unternehmen; sie reagierten darauf mit einer Verringerung der Konsum- und Investitionsnachfrage.
Diese fiel in jenen Ländern, in denen die Binnennachfrage bis zur Krise kräftig
expandiert hatte, besonders stark aus. Im Euro-Raum ohne Deutschland ging das Defizit
der Unternehmen 2009 sprunghaft zurück, der Überschuss der privaten Haushalte stieg,
der Staat verzeichnete so eine drastische Budgetverschlechterung (Abbildung 1).
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Abbildung 2: Prämien
von "Credit Default Swaps" und Zinssätze für Staatsanleihen |
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Q: Thomson Reuters. |
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In Deutschland sank die
Binnennachfrage, die schon vor 2009 stagniert hatte, schwächer als in den anderen
Euro-Ländern, gleichzeitig erzielte Deutschland weiterhin einen hohen Leistungsbilanzüberschuss
(die für die deutschen Exporte besonders wichtigen Absatzmärkte China, Indien oder
Brasilien waren von der Finanzmarktkrise weniger beeinträchtigt als die Industrieländer).
Insgesamt bewirkten diese
Reaktionen von privaten Haushalten, Unternehmen und dem (jeweiligen) Ausland auf
die Finanzmarktkrise, dass sich das Staatsdefizit in Deutschland zwischen 2007 und
2009 weniger stark verschlechterte als in den anderen Euro-Ländern[a]).
Am stärksten stieg das
Budgetdefizit in den vom Zusammenbruch des Immobilienbooms am meisten betroffenen
Ländern (Irland und Spanien). Das höchste Haushaltsdefizit aller Euro-Länder wies
2009 allerdings Griechenland aus, da in diesem Land das Defizit schon vor der Krise
weitaus am größten gewesen war.
Mit der Finanzmarktkrise
endete die fast 10-jährige Phase weitgehend einheitlicher Zinssätze für Staatsanleihen
im Euro-Raum, die Unterschiede nach Ländern nahmen immer mehr zu. Dieser Prozess
wurde durch die Wechselwirkung zwischen den Transaktionen mit Staatsanleihen und
mit "Credit Default Swaps" (CDS) verstärkt. Mit diesem Derivat lassen
sich Finanzinvestoren die Bedienung von Staatsanleihen von einem Dritten versichern
(gegen Zahlung einer Prämie), sie können damit aber auch auf die Zahlungsunfähigkeit
eines Staates spekulieren, indem sie eine solche Versicherung abschließen, ohne
entsprechende Staatsanleihen zu besitzen ("naked CDS").
Verschlechtert sich die
Bonität eines Staates und steigen daher Risikoprämien, Anleihezinssätze und CDS-Prämien,
so erhöht sich der Wert bestehender, zu niedrigeren Prämien abgeschlossener CDS-Kontrakte
sprunghaft. Wer frühzeitig auf eine Verschlechterung der Bonität eines Staates spekuliert,
kann so hohe Gewinne erzielen. Gleichzeitig verstärkt die zusätzliche Nachfrage
nach CDS-Kontrakten den Anstieg der Prämien und Zinssätze und damit das Risiko einer
Zahlungsunfähigkeit des Staates. Die Herabstufungen der Bonität eines Staates durch
Ratingagenturen ist Teil dieses Prozesses (siehe dazu Tichy, 2011, Url, 2011).
Der Markt für CDS bezogen
auf Staatsanleihen begann erst nach der Finanzmarktkrise zu boomen (bis dahin waren
die Anleihezinssätze aller Euro-Staaten annähernd gleich hoch gewesen). Auslöser
war das Eingeständnis der griechischen Regierung im Herbst 2009, das wahre Ausmaß
der Staatsverschuldung verschleiert zu haben. Bis Anfang Mai 2010 stiegen die CDS-Prämien
von 154 auf 875 Basispunkte, die Zinssätze für 10-jährige Staatsanleihen von 4,5%
auf 12,2% (Abbildung 2). Zu so hohen Zinssätzen kann der Staatshaushalt nicht nachhaltig
finanziert werden; deshalb richtete die EU im Mai 2010 den Rettungsschirm EFSF ein.
In der Folge erfasste der
Prozess steigender CDS-Prämien und Anleihezinssätze Irland und Portugal, auch diese
beiden Länder mussten den EU-Rettungsschirm in Anspruch nehmen. Im Sommer verschärfte
sich die Lage dramatisch, weil nunmehr auch die Zinssätze spanischer und italienischer
Staatsanleihen ein langfristig unfinanzierbares Niveau erreichten (Abbildung 2).
Der Staatshaushalt dieser Länder ist nämlich viel zu groß, um über die EFSF finanziert
zu werden.
Alle vom Zinsanstieg erfassten
Staaten reagierten darauf mit verstärkten Sparbemühungen, um "die Märkte"
zu beruhigen und so einen Rückgang der Zinssätze zu erreichen. Am radikalsten fiel
das Sparpaket Griechenlands aus. Dadurch wurde der Schrumpfungsprozess des BIP beschleunigt,
die Budgetkonsolidierung blieb daher weit hinter den Zielen zurück, und die Zinssätze
stiegen dramatisch. Auch in Portugal, Spanien und Italien brachte die restriktive
Fiskalpolitik samt Ankündigung weiterer Sparpakete noch keine Trendwende in der
Zinsentwicklung (Abbildung 2).
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Abbildung 3: Zinssätze für Staatsanleihen |
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Q: Thomson Reuters. |
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Je stärker die Zinssätze
in den "Problemländern" des Euro-Raumes stiegen, desto mehr sanken sie
in den von "den Märkten" als (relativ) stabil eingeschätzten Ländern wie
den Niederlanden, Finnland, Frankreich und insbesondere Deutschland. Seit Herbst
2011 gilt dies strenggenommen nur mehr für Deutschland. Auch für die davor als stabil
geltenden Länder erhöhte sich das Zinsdifferential zu Deutschland, insbesondere
für Frankreich (Abbildung 3).
Bis zum Herbst 2009 hatte
es fast elf Jahre lang keine nennenswerten Differenzen zwischen den Anleihezinssätzen
der Euro-Länder gegeben. Die dramatische Spreizung der Zinsniveaus vertiefte seither
die Unterschiede in der Wirtschaftsentwicklung innerhalb der Währungsunion: Jene
Länder, deren Wirtschaft sich nach dem Konjunktureinbruch 2009 rasch erholte, werden
zusätzlich durch niedrige Zinssätze begünstigt. In den südeuropäischen Ländern erstickten
der Zinsanstieg und die dadurch mitverursachte Sparpolitik eine Konjunkturerholung
im Keim.
Kurzfristig ergibt sich
die Veränderung des Staatsdefizits aus der Interaktion der Finanzierungssalden aller
Sektoren, also ihren Spar- und Investitionsentscheidungen. Die langfristige Sustainability
des Budgetdefizits hängt von der Dynamik der Staatsschuldenquote ab. Dafür ist das
Zins-Wachstums-Differential wegen der "dynamischen Budgetbeschränkung"
von fundamentaler Bedeutung (Schulmeister,
1995):
·
Liegt der Zinssatz
unter der Wachstumsrate, so kann ein Schuldnersektor (Unternehmen, Staat) mehr Kredite
aufnehmen, als er an Zinsendienst für die "Altschuld" zu zahlen hat. Er
kann somit ein Primärdefizit aufrechterhalten, ohne dass seine Schuldenquote notwendig
steigt.
·
Liegt der Zinssatz
aber über der Wachstumsrate, so muss ein Schuldnersektor einen Primärüberschuss
erwirtschaften, er darf also nur weniger Kredite aufnehmen, als er an Zinsendienst
für bestehende Schulden leisten muss. Liquidität muss somit vom Schuldnersektor
abfließen.
Als Folge der Hochzinspolitik
Anfang der 1980er-Jahre und des nachfolgenden Rückgangs der Inflationsrate liegt
das Nominalzinsniveau seither in Westeuropa nahezu ständig über der nominellen Wachstumsrate
(Abbildung 4). Dieser Bedingung hat sich der Unternehmenssektor angepasst: Er "drehte"
seine Primärbilanz in einen Überschuss, indem er seine Realinvestitionen drosselte
und stattdessen verstärkt Finanzaktiva akkumulierte.
Die privaten Haushalte
erwirtschaften im Regelfall Primärüberschüsse (sie sparen mehr als ihre Zinserträge).
Da die Summe aller Primärbilanzen Null beträgt, kann der Staat nur dann einen Primärüberschuss
erzielen, wenn der vierte Sektor, das Ausland, hohe Primärdefizite aufrechterhält.
Dies ist der deutschen Wirtschaft in den vergangenen Jahren zwar gelungen (der Leistungsbilanzüberschuss
überstieg die Nettozinserträge aus dem Ausland), doch wurde damit das Problem auf
andere Länder verlagert.
Die wichtigsten Kanäle,
über die das Zins-Wachstums-Differential die Schuldendynamik beeinflusst, sind nicht
die direkten Effekte (Senkung der Zinszahlungen des Staates), sondern die indirekten
Effekte infolge der Zunahme oder Abnahme der Verschuldungs- und Investitionsbereitschaft
der Unternehmen (Rückkoppelungseffekte auf das BIP; Schulmeister, 1996). Diese werden bei der Ermittlung von Verschuldungsszenarien
zumeist vernachlässigt, nicht aber die zinssteigernden Effekte unzureichender Konsolidierungsbemühungen
(European Commission, 2011).
Die Politik der EU und
ihrer wichtigsten Mitgliedsländer reagierte widersprüchlich auf die Verschärfung
der Euro-Krise. Einerseits wird die Gefahr der "Zinsepidemie" für den
Zusammenhalt der Währungsunion erkannt, andererseits gelingt kein Konsens über die
Gewährleistung eines gemeinsamen Zinsniveaus durch Ausgabe von Eurobonds (siehe
dazu auch Ederer, 2011, Horn et al., 2011). Die Politik versucht,
das effektive Zinsniveau für die "Problemländer" indirekt zu senken. Dem
dient die Schaffung des Rettungsschirmes EFSF, dessen Interventionspotential durch
"Hebelung" vergrößert werden soll (die EFSF garantiert wie eine Teilkaskoversicherung
nur einen bestimmten Prozentsatz der Staatsanleihen eines Euro-Landes).
Auch die Anleihekäufe der
EZB bezwecken, den Zinsanstieg zu bremsen, doch setzt die EZB dieses Instrument
nur in Notfällen ein – etwa im Sommer 2011, als die
Zinssätze spanischer und italienischer Anleihen sprunghaft stiegen (Abbildung 2).
Diese Interventionen können – im Gegensatz
zum extensiven "quantitative easing" der Notenbanken von Großbritannien
und den USA – die Erwartungen eines weiteren
Zinsanstieges nicht nachhaltig brechen. Die daraus resultierende Gefahr einer Verschärfung
der Bankenkrise durch Entwertung ihrer Anleihebestände versucht die EZB durch massive
Liquiditätszufuhr zu bannen[b]). Damit sollen die Banken auch zum Kauf von Staatsanleihen
animiert werden, was den Zinsanstieg indirekt bremsen würde.
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Abbildung 4: Entwicklungstendenzen in Westeuropa |
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Q: WIFO-Datenbank, OECD, Eurostat. Bis 1990: OECD-Europa,
an 1991: EU 15. – 1) Bis 1969: Deutschland, Großbritannien, Frankreich
und Italien. – 2) Gleitender Dreijahresdurchschnitt. |
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Die Widersprüchlichkeit
der europäischen Politik zeigt sich auch an zwei weiteren Maßnahmen: Erstens müssen
die Banken zwecks Vorbeugung gegen eine Krise ihre Eigenkapitalquote erhöhen, brauchen
dafür aber in vielen Fällen staatliche Zuschüsse, was wiederum die öffentliche Verschuldung
erhöht und damit die Gefahr einer weiteren Abwertung der Anleihebestände der Banken
in sich birgt. Zweitens sollen die Zentralbanken der Euro-Länder dem Internationalen
Währungsfonds 200 Mrd. € zur Verfügung stellen, damit dieser bei einer künftigen
Verschärfung der Euro-Krise einzelnen Euro-Ländern beistehen kann (statt dass die
Institutionen der Währungsunion erklären, diese Aufgabe selbst zu übernehmen).
Der Mangel an Kohärenz
in den Maßnahmen der europäischen Politik zur Bekämpfung der Euro-Krise ist das
Ergebnis langfristig unterschiedlicher Entwicklungspfade. Auf der einen Seite steht
die Tradition deutscher Stabilitätspolitik, welcher in den letzten 25 Jahren die
Länder des früheren "Hartwährungsblocks" folgten (Frankreich allerdings
mit einigen Vorbehalten). Diese Tradition setzt auf Lohnzurückhaltung und eine "passive"
Fiskal- und Geldpolitik, welche sich am Hauptziel der Geldwertstabilität orientiert.
Auf der anderen Seite stehen zwei unterschiedliche Traditionen der Wirtschaftspolitik
– jene der südeuropäischen Länder, in denen die Lohnpolitik
weniger restriktiv ausfällt als in Deutschland, und jene Großbritanniens, in der
– nicht zuletzt unter dem Einfluss der USA – eine "aktivistische" Fiskal- und Geldpolitik
betrieben wird, die sich auch am Beschäftigungsziel orientiert.
Auf der EU-Ratstagung im
Dezember 2011 setzte sich die deutsche Tradition durch: Die Sparpolitik wird verstärkt
werden, in 26 der 27 EU-Länder soll eine Schuldenbremse in der Verfassung verankert
werden (Großbritannien zieht hier nicht mit); Eurobonds werden nicht ausgegeben,
zuerst gilt es, die Staatshaushalte zu konsolidieren.
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Abbildung 5: Dollarkurs und Rohölpreis |
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Q: IMF, Oxford Economic Forecasting,
WIFO. – 1) Gegenüber DM, französischem Franc,
Pfund, Yen. |
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Eine seriöse Prognose,
ob diese Strategie erfolgreich sein wird, ist aufgrund des bisherigen Verlaufs der
Euro-Krise nicht möglich. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob es dadurch gelingen
wird, das Niveau der langfristigen Zinssätze in den "Problemländern" des
Euro-Raumes wieder dem Niveau der mittelfristigen Wachstumsrate anzunähern. Kurzfristig
werden die zusätzlichen Sparpakete das Wachstum dämpfen, insbesondere in den südeuropäischen
Ländern. Für die vorliegende Prognose wurde daher die Basisversion des Oxford-Modells
vom November 2011 (noch ohne die EU-Ratsbeschlüsse vom Dezember) nur insofern modifiziert,
als eine etwas stärkere Zunahme der Sparquote der privaten Haushalte infolge der
restriktiven Fiskalpolitik 2012 und 2013 angenommen wird.
Trotz des enormen Leistungsbilanzdefizits
der USA und ihrer deshalb weiterhin steigenden Auslandsverschuldung erhöhte sich
der Wechselkurs des Dollars seit drei Jahren leicht. Zwischen 2001 und 2008 hatte
er hingegen stark an Wert verloren (gegenüber einem mit den Sonderziehungsrechten
gewichteten Durchschnitt von Euro, Yen und Pfund um 30,9%; Abbildung 5). Diese Entwicklung
war in erster Linie eine Folge der ausgeprägten Niedrigzinspolitik der USA und der
in dieser Phase besonders großen Zunahme ihres Leistungsbilanzdefizits. Da der Dollar
die Leitwährung ist, können die USA ihr Außenhandelsdefizit in nationaler Währung
finanzieren, sie sind also als einziges Land keiner Leistungsbilanzschranke unterworfen
(der wichtigste Grund für die langfristige Entwertung der Leitwährung; Abbildung
5). Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Leitwährungsland gegenüber Abwertungen
indifferent ist.
Tatsächlich strebt die
Politik der USA in Phasen schwacher Konjunktur eine Dollarabwertung an. Ein solches
"talking the dollar down" wird sowohl durch eine Niedrigzinspolitik als
auch durch das Ausmaß von Leistungsbilanzdefizit und Auslandsverschuldung der USA
gefördert. In den Rezessionen 1990/91 und 2000/01 war diese Strategie erfolgreich,
die Dollarabwertung stützte jeweils den nachfolgenden Konjunkturaufschwung. Nach
Ausbruch der Immobilienkrise in den USA im Sommer 2007 schien sich dieses Muster
zu wiederholen: Innerhalb eines Jahres verlor der Dollar gegenüber dem Euro um 18,5%
an Wert (der Euro-Kurs stieg von 1,35 $ auf seinen bisherigen Höchststand von 1,60
$).
Seither hat sich der Dollarkurs
merklich erholt, der Euro-Kurs sank auf zuletzt 1,30 $. Hauptgrund dafür ist die
Vertiefung der Finanzmarktkrise in der Europäischen Währungsunion. Sie wirkt dem
Abwertungsdruck auf den Dollar aus der hohen Auslandsverschuldung der USA entgegen
und konterkariert die nach früheren Rezessionen erfolgreich praktizierte Strategie
des "talking the dollar down". Aus den oben diskutierten Gründen geht
die vorliegende Prognose davon aus, dass die Euro-Krise nur langsam überwunden wird.
Dem entspricht das Ergebnis des OEF-Modells, wonach der Euro-Kurs bis 2016 noch
leicht sinken wird, nämlich von 1,30 $ auf 1,23 $ (Abbildung 5, Übersicht 1).
Seit etwa zehn Jahren nehmen
die längerfristigen Schwankungen der Rohstoffpreise drastisch zu. So stiegen die
Preise insgesamt zwischen Anfang 2002 und Mitte 2008 um rund 360%, im Zuge der akuten
Phase der Finanzmarktkrise verfielen sie innerhalb von 8 Monaten um 67,9%. Danach
zogen sie bis April 2011 um 61,7% an und sanken bis Ende 2011 wieder um 15,3%. Noch
ausgeprägter war die Abfolge von "bull markets" und "bear markets"
für den wichtigsten Rohstoffpreis, nämlich Erdöl: Die Marke Brent verteuerte sich
zwischen Anfang 2002 und Mitte 2008 von 19 $ auf 147 $, bis Ende 2009 verfiel der
Erdölpreis auf 35 $. Im Zuge der Erholung der Weltwirtschaft stieg er bis Mai 2011
auf 113 $ und sank seither geringfügig.
Dieses Auf und Ab der Rohstoffpreise
entspricht zwar einigermaßen der Entwicklung der "market fundamentals",
insbesondere den Schwankungen der Weltkonjunktur (die langfristige Verteuerung von
Erdöl spiegelt seine Erschöpfbarkeit wider), das Ausmaß der Preistrends dürfte jedoch
zusätzlich durch spekulative Transaktionen von Finanzinvestoren verstärkt werden.
So berichten Agenturen wie Bloomberg in den letzten Jahren immer öfter über das
Engagement von Banken und Hedge Funds im Handel mit Rohstoffderivaten.
Traditionelle Prognoseverfahren
können das Ausmaß des Overshooting spekulativer Preise nicht abschätzen. Die vorliegende
Modellprognose gibt daher nur die Verschiebungen von Angebot und Nachfrage auf den
einzelnen Rohstoffmärkten wieder ("Fundamentalfaktoren"). Demnach würden
diese 2012 sinken; Erdöl sollte sich infolge der Konjunkturabschwächung stärker
verbilligen als die anderen Rohstoffe. Danach sollte der Erdölpreis (Brent) von
95,0 $ auf 109,5 $ je Barrel steigen. Wie zumeist in Phasen einer Dollaraufwertung
werden die Preise der sonstigen Rohstoffe mittelfristig sinken, allerdings nur geringfügig
(Übersicht 2).
Die vorliegende Prognose
wurde mit Hilfe des Weltmodells von Oxford Economic Forecasting (OEF) erstellt.
Dieses umfasst Teilmodelle für 46 Länder bzw. Regionen (darunter nahezu alle Industrieländer),
deren Interaktionen durch Export- und Importfunktionen für Waren und Dienstleistungen
abgebildet werden. Ausgangsbasis ist die OEF-Modellversion vom November 2011. Sie
wurde angesichts der verstärkten Konsolidierungsbemühungen modifiziert. Da die Maßnahmen
im Detail noch nicht bekannt sind, wurde lediglich eine leichte Zunahme der Sparquote
der privaten Haushalte in den Euro-Ländern unterstellt. Mit diesen Vorgaben wurde eine neue Modelllösung berechnet, ihre Ergebnisse
bilden die Grundlage der vorliegenden Prognose.
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Übersicht 1: Entwicklung
der weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen |
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Ø 1992/ |
Ø 1997/ |
Ø 2002/ |
Ø 2007/ |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
2016 |
Ø 2012/ |
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Wechselkurse, absolut $ je Euro |
1,28 |
1,03 |
1,16 |
1,39 |
1,40 |
1,30 |
1,30 |
1,26 |
1,24 |
1,23 |
1,26 |
Yen je Euro |
139,6 |
123,0 |
133,3 |
134,3 |
110,9 |
104,8 |
122,6 |
120,0 |
115,2 |
111,0 |
114,7 |
Zinssätze, kurzfristig, Dollar in % |
4,7 |
5,4 |
2,7 |
1,9 |
0,3 |
0,2 |
0,2 |
0,2 |
0,9 |
1,0 |
0,5 |
Euro in % |
7,4 |
3,9 |
2,6 |
2,5 |
1,4 |
1,1 |
1,1 |
1,8 |
1,9 |
1,8 |
1,5 |
Zinssätze, langfristig, Dollar in % |
6,6 |
5,7 |
4,4 |
3,5 |
2,8 |
2,4 |
3,3 |
2,9 |
2,1 |
1,6 |
2,4 |
Euro in % |
8,4 |
5,2 |
4,1 |
4,1 |
4,3 |
3,9 |
3,9 |
3,6 |
2,9 |
2,5 |
3,4 |
Erdölpreis, absolut (Brent) in $ |
18,0 |
20,5 |
42,3 |
84,1 |
110,0 |
95,0 |
100,0 |
100,9 |
105,7 |
109,5 |
102,2 |
Dollarzinssätze real1) in % |
3,1 |
9,3 |
–4,9 |
–4,2 |
–12,4 |
5,5 |
1,5 |
–0,1 |
–0,8 |
0,2 |
1,3 |
Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. – 1) Dollarzinssatz
kurzfristig, deflationiert mit den Welthandelspreisen insgesamt. |
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|
Übersicht 1 fasst die wichtigsten
Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft zusammen. Das Zinsniveau (nominell) wird
bis 2016 merklich niedriger sein als in jeder Fünfjahresperiode seit 1945. Dies
gilt insbesondere für die kurzfristigen Zinssätze. Sie werden, nicht zuletzt weil
die Geldpolitik der Fed noch expansiver ist als die der EZB, in den USA um 1 Prozentpunkt
niedriger sein als im Euro-Raum (Durchschnitt 2012/2016: 0,5% gegenüber 1,5% im
Euro-Raum).
Auch die langfristigen
Zinssätze werden im Euro-Raum höher bleiben als in den USA, in erster Linie infolge
der Euro-Krise und des damit verbundenen hohen Niveaus der Anleihezinssätze in "Problemländern"
wie Spanien und Italien. Die Modellergebnisse implizieren, dass die Schulden- und
Zinsproblematik im Euro-Raum bis 2013 zumindest gemildert werden sollte: Während
der Zinsabstand zu den USA 2012 noch 1,5 Prozentpunkte beträgt, geht er nach den
Berechnungen des Oxford-Modells 2013 auf 0,6 Prozentpunkte zurück (Übersicht 1).
Das Modell prognostiziert
für die Periode bis 2016 ein Welthandelswachstum von 5,8%; es ist damit fast doppelt
so hoch wie in der von der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise geprägten Periode 2006/2011
(Übersicht 2). 2012 dürfte der Welthandel wegen der internationalen Konjunkturabschwächung
allerdings um nur 4,2% expandieren. Nicht zuletzt deshalb wird das mittelfristige
Welthandelswachstum bis 2016 etwas niedriger ausfallen als in den 1990er-Jahren.
Im Gegensatz zu den vergangenen
zehn Jahren dürften die Industrieländer bis 2016 keine Marktanteile verlieren, ihre
Exporte werden gleich stark expandieren wie der gesamte Welthandel.
Trotz der leichten Aufwertung
des Dollars (er bleibt dennoch gemessen an der Kaufkraftparität international gehandelter
Güter und Dienstleistungen unterbewertet) werden die Exporte der USA mittelfristig
stärker wachsen als ihre Importe (Exporte +8,6% pro Jahr, Importe +6,8% pro Jahr).
Umgekehrt prognostiziert das Modell für die Überschussländer wie Deutschland, China,
Russland und die OPEC-Länder ein höheres Wachstum der Importe als der Exporte (Übersicht
2). Dementsprechend sollten sich in den kommenden fünf Jahren die Leistungsbilanzungleichgewichte
deutlich verringern.
Im Vergleich zu der von
der Finanzmarktkrise geprägten Periode 2006/2011 wird sich das Wirtschaftswachstum
in den Industrieländern im Prognosezeitraum deutlich beschleunigen. Die Konjunkturabschwächung
2012 würde demnach rasch überwunden. Unter dieser Bedingung würde das BIP der Industrieländer
bis 2016 um durchschnittlich 2,0% pro Jahr expandieren. Die Wachstumsbeschleunigung
sollte in jenen Ländern besonders hoch ausfallen, die in der vorangegangenen Fünfjahresperiode
die größten Wachstumseinbußen verzeichneten (Japan, Italien, Großbritannien).
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Abbildung 6: Entwicklungstendenzen der Weltwirtschaft |
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Q: IMF, Oxford Economic Forecasting,
WIFO. |
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Übersicht 2: Entwicklung des Welthandels |
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Ø 1991/ |
Ø 1996/ |
Ø 2001/ |
Ø 2006/ |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
2016 |
Ø 2011/ |
|
Jährliche Veränderung in % |
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|
|||||||||||
Wechselkurs 4 Reservewährungen je
$ |
+0,8 |
+5,3 |
–5,6 |
–1,0 |
–4,5 |
+4,6 |
+1,3 |
+1,7 |
+0,8 |
+0,9 |
+1,8 |
|
|||||||||||
Welthandelspreise |
+1,5 |
–4,0 |
+7,6 |
+5,5 |
+12,7 |
–5,3 |
–1,3 |
+0,2 |
+1,8 |
+0,8 |
–0,8 |
Erdöl |
+0,6 |
+3,5 |
+21,7 |
+11,0 |
+38,4 |
–13,6 |
+5,3 |
+0,9 |
+4,8 |
+3,6 |
–0,1 |
Sonstige Rohstoffe |
+2,9 |
–5,3 |
+10,2 |
+9,3 |
+19,7 |
–5,9 |
–3,7 |
–0,4 |
+1,4 |
–0,9 |
–1,9 |
Industriewaren |
+1,4 |
–4,2 |
+5,8 |
+4,0 |
+7,5 |
–3,3 |
–1,4 |
+0,2 |
+1,3 |
+0,6 |
–0,5 |
|
|||||||||||
Welt Exporte |
+6,1 |
+6,2 |
+7,5 |
+3,2 |
+6,2 |
+4,2 |
+6,5 |
+7,1 |
+7,0 |
+6,2 |
+5,8 |
Importe |
+6,5 |
+6,9 |
+5,5 |
+2,5 |
+6,5 |
+3,4 |
+6,4 |
+6,8 |
+6,7 |
+5,9 |
+5,8 |
Industrieländer Exporte |
+6,5 |
+7,8 |
+6,3 |
+1,6 |
+6,1 |
+2,8 |
+5,8 |
+6,7 |
+6,4 |
+5,6 |
+5,5 |
Importe |
+8,1 |
+4,6 |
+4,6 |
+4,6 |
+7,6 |
+6,7 |
+8,1 |
+9,3 |
+10,1 |
+8,7 |
+8,6 |
USA Exporte |
+9,4 |
+8,9 |
+6,3 |
+0,4 |
+6,8 |
+4,4 |
+7,9 |
+8,5 |
+7,1 |
+6,2 |
+6,8 |
Importe |
+3,5 |
+3,2 |
+9,3 |
+1,5 |
+0,9 |
+7,0 |
+6,2 |
+5,5 |
+5,1 |
+4,8 |
+5,7 |
Japan Exporte |
+7,0 |
+2,0 |
+4,4 |
+0,1 |
+4,1 |
+9,8 |
+5,5 |
+5,9 |
+7,0 |
+6,7 |
+7,0 |
Importe |
+2,7 |
+9,1 |
+7,4 |
+3,1 |
+9,2 |
+2,9 |
+6,2 |
+7,0 |
+6,7 |
+5,5 |
+5,6 |
Deutschland Exporte |
+2,2 |
+7,9 |
+7,0 |
+4,0 |
+9,5 |
+3,3 |
+5,5 |
+7,0 |
+6,8 |
+5,7 |
+5,7 |
Importe |
–0,5 |
+5,2 |
+9,4 |
+2,4 |
+3,0 |
+3,6 |
+4,2 |
+4,2 |
+4,3 |
+3,9 |
+4,0 |
Russland Exporte |
+0,2 |
+1,6 |
+18,5 |
+8,5 |
+18,8 |
+7,2 |
+6,9 |
+7,5 |
+7,8 |
+7,4 |
+7,4 |
Importe |
+15,0 |
+14,5 |
+23,6 |
+6,1 |
+6,0 |
+8,6 |
+8,5 |
+9,4 |
+8,7 |
+7,3 |
+8,5 |
China Exporte |
+18,7 |
+15,0 |
+19,5 |
+6,1 |
+5,2 |
+6,9 |
+8,5 |
+10,7 |
+10,3 |
+9,1 |
+9,1 |
Importe |
+3,1 |
–1,8 |
+2,1 |
+2,0 |
+3,6 |
+3,4 |
+3,4 |
+4,4 |
+4,6 |
+4,3 |
+4,0 |
OPEC Exporte |
+2,4 |
+4,3 |
+11,6 |
+9,7 |
+7,9 |
+9,7 |
+8,9 |
+7,4 |
+6,8 |
+6,5 |
+7,9 |
Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. |
|||||||||||
|
Wie in den vergangenen
20 Jahren wird die Gesamtproduktion in den USA (+2,1% pro Jahr) etwas rascher wachsen
als im Durchschnitt aller Industrieländer, im Euro-Raum sowie in Japan aber etwas
langsamer (+1,4% bzw. +1,6% pro Jahr). In den sechs großen neuen EU-Ländern (Bulgarien,
Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei) wird die Dynamik mit einer Wachstumsrate
von 3,2% pro Jahr deutlich höher sein als im Durchschnitt der EU 27 (+1,7% pro Jahr).
In China und Indien wird
das BIP bis 2016 weiterhin deutlich stärker wachsen als im weltweiten Durchschnitt
(Übersicht 3). Allerdings wird sich das Expansionstempo in China von +10,5% pro
Jahr (2006/2011) auf +8,6% pro Jahr (2011/2016) abschwächen und in Indien nur geringfügig
verstärken (von +8,0% auf +8,4% pro Jahr). Nicht zuletzt wegen des hohen Niveaus
der Erdölpreise dürfte das BIP-Wachstum in den OPEC-Ländern mit +4,7% pro Jahr annähernd
so hoch ausfallen wie in den vergangenen zehn Jahren. Auch für die Volkswirtschaften
Lateinamerikas prognostiziert das OEF-Modell ein ähnlich hohes Wirtschaftswachstum
wie seit 2001. In Afrika dürfte sich die Dynamik merklich beschleunigen: Mit +4,8%
wird das höchste Wachstumstempo seit 20 Jahren prognostiziert (Übersicht 3).
|
|||||||||||
Übersicht 3: Wirtschaftswachstum
nach Ländergruppen |
|||||||||||
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|||||||||||
Ø 1991/ |
Ø 1996/ |
Ø 2001/ |
Ø 2006/ |
2011 |
2012 |
2013 |
2014 |
2015 |
2016 |
Ø 2011/ |
|
Jährliche Veränderung
in % |
|||||||||||
|
|||||||||||
Weltproduktion (BIP) |
+2,8 |
+3,3 |
+4,1 |
+3,0 |
+3,8 |
+3,2 |
+4,2 |
+4,5 |
+4,6 |
+4,2 |
+4,1 |
Industrieländer1) |
+2,2 |
+2,7 |
+2,3 |
+0,5 |
+1,4 |
+1,1 |
+1,9 |
+2,3 |
+2,4 |
+2,2 |
+2,0 |
USA |
+3,3 |
+3,8 |
+2,7 |
+0,5 |
+1,6 |
+1,3 |
+1,6 |
+2,6 |
+2,9 |
+2,3 |
+2,1 |
Japan |
+1,3 |
+0,5 |
+1,7 |
–0,4 |
–1,0 |
+1,5 |
+2,3 |
+1,8 |
+1,3 |
+1,0 |
+1,6 |
EU 27 |
+2,1 |
+2,9 |
+2,1 |
+0,5 |
+1,7 |
+0,3 |
+1,7 |
+2,1 |
+2,3 |
+2,3 |
+1,7 |
Deutschland |
+1,1 |
+2,0 |
+1,0 |
+1,1 |
+3,1 |
+0,5 |
+1,6 |
+2,0 |
+2,1 |
+2,0 |
+1,6 |
Frankreich |
+1,2 |
+2,9 |
+1,7 |
+0,5 |
+1,6 |
–0,1 |
+1,1 |
+1,7 |
+1,9 |
+1,8 |
+1,3 |
Italien |
+1,2 |
+2,1 |
+1,0 |
–0,7 |
+0,6 |
–0,8 |
+0,3 |
+0,8 |
+1,4 |
+1,8 |
+0,7 |
Großbritannien |
+2,5 |
+3,7 |
+2,8 |
+0,1 |
+0,9 |
+0,7 |
+2,1 |
+2,4 |
+2,5 |
+2,4 |
+2,0 |
Euro-Raum |
+1,4 |
+2,8 |
+1,8 |
+0,5 |
+1,7 |
+0,0 |
+1,3 |
+1,7 |
+1,9 |
+2,0 |
+1,4 |
6 neue EU-Länder2) |
+2,4 |
+2,7 |
+4,7 |
+2,5 |
+2,7 |
+1,4 |
+3,1 |
+3,9 |
+4,0 |
+3,6 |
+3,2 |
Polen |
+4,9 |
+4,4 |
+4,1 |
+4,2 |
+4,0 |
+2,1 |
+3,3 |
+4,0 |
+3,7 |
+3,3 |
+3,3 |
Tschechien |
+2,3 |
+1,2 |
+4,6 |
+1,6 |
+1,9 |
+0,5 |
+2,1 |
+2,9 |
+2,9 |
+2,3 |
+2,1 |
Slowakei |
+1,8 |
+3,0 |
+5,9 |
+3,3 |
+2,9 |
+1,0 |
+3,3 |
+3,9 |
+4,3 |
+3,0 |
+3,1 |
Ungarn |
+0,2 |
+4,3 |
+3,9 |
–0,7 |
+0,9 |
–0,6 |
+1,6 |
+3,3 |
+3,6 |
+3,3 |
+2,2 |
Russland |
–8,8 |
+3,4 |
+6,8 |
+2,6 |
+3,8 |
+4,2 |
+3,8 |
+3,9 |
+4,4 |
+4,2 |
+4,1 |
China |
+12,4 |
+8,3 |
+10,6 |
+10,5 |
+9,5 |
+8,0 |
+9,2 |
+9,1 |
+8,8 |
+7,9 |
+8,6 |
Indien |
+6,2 |
+5,6 |
+7,6 |
+8,0 |
+7,1 |
+7,2 |
+9,2 |
+9,3 |
+8,6 |
+7,7 |
+8,4 |
OPEC |
+2,1 |
+2,0 |
+5,8 |
+4,2 |
+4,1 |
+5,3 |
+4,9 |
+4,6 |
+4,4 |
+4,5 |
+4,7 |
Afrika |
+2,4 |
+3,5 |
+4,6 |
+3,9 |
+3,6 |
+4,0 |
+5,1 |
+5,2 |
+4,9 |
+4,7 |
+4,8 |
Lateinamerika |
+4,0 |
+2,1 |
+3,8 |
+4,1 |
+5,0 |
+3,5 |
+4,3 |
+4,3 |
+4,3 |
+4,1 |
+4,1 |
Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. –
1) 29 OECD-Länder. – 2) Bulgarien, Tschechien,
Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei. |
|||||||||||
|
Jede Prognose mit einem
ökonometrischen Modell impliziert, dass die in der Vergangenheit beobachteten Reaktionsmuster
von Unternehmen, Haushalten und der Wirtschaftspolitik auf Änderungen ökonomischer
Variabler auch in Zukunft wirksam bleiben. Diese Annahme ist derzeitig besonders
problematisch, weil die aktuelle Situation durch Probleme geprägt wird, welche in
der Stützperiode des Modells (seit 1980) nicht aufgetreten sind. Zu diesen Problemen
gehören etwa die CDS-Spekulation, ihre Effekte auf das Zinsniveau von Staatsanleihen
und die akuten Schuldenkrisen mehrerer Euro-Länder, aber auch die verstärkten Konsolidierungsbemühungen
nahezu aller EU-Staaten ungeachtet einer bereits spürbaren Konjunkturabschwächung.
Da somit die unvermeidbaren
Unzulänglichkeiten ökonometrischer Prognoseverfahren nach einer schweren Finanzmarkt-
und Wirtschaftskrise besonders stark ins Gewicht fallen und überdies neue Probleme
aufgetreten sind, für deren Bewältigung sich die Wirtschaftspolitik auf keine Erfahrungen
stützen kann, dürfte die vorliegende Modellprognose die Entwicklung der Weltwirtschaft
in den kommenden Jahren eher zu optimistisch einschätzen als zu pessimistisch.
Ederer, St., "Ungleichgewichte
im Euro-Raum", WIFO-Monatsberichte, 2010, 83(7), S. 589-602, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/40116.
Ederer, St., "Europäische
Währungsunion in der Krise, WIFO-Monatsberichte", 2011, 84(12), S. 783-796,
http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/43195.
European
Commission, "Debt Dynamics and Sustainability in the Euro Area", Quarterly
Report on the Euro Area, 2011, 10(3).
Horn, G., Herzog-Stein,
A., Tober, S., Truger, A., "Den Bann durchbrechen – Wirtschaftspolitische Herausforderungen 2012",
IMK Report, 2011, (70).
Horn, G., Joebges,
H., Zwiener, R., "Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise (II) – Globale Ungleichgewichte: Ursache der Krise und
Auswegstrategien für Deutschland", IMK Report, 2009, (40).
Niechoj, T., Stein,
U., Stephan, S., Zwiener, R., "Deutsche Arbeitskosten: Eine Quelle der Instabilität
im Euroraum", IMK Report, 2011, (68).
Schulmeister, St.,
"Zinssatz, Wachstumsrate und Staatsverschuldung", WIFO-Monatsberichte,
1995, 69(3), S. 165-180, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/164.
Schulmeister, St.,
Zinssatz, Investitionsdynamik, Wachstumsrate und Staatsverschuldung, WIFO, Wien,
1996, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/2816.
Schulmeister,
St., Purchasing Power Parities for Tradables, Exchange Rates and Price Competitiveness,
WIFO, Wien, 2005, http://www.wifo.at/wwa/pubid/25656.
Tichy,
G., "Did Rating Agencies Boost the Financial Crisis?", Intereconomics,
2011, (5).
Url, Th., "Ratingagenturen:
Verursacher, Verstärker oder im Sog der Staatsschuldenkrise?", WIFO-Monatsberichte
2011, 84(12), S. 811-825, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/43197.