Ratingagenturen: Verursacher,
Verstärker oder im Sog der Staatsschuldenkrise?
Die Marktstimmung beeinflusst
internationale Kapitalströme rasch und nachhaltig. Die Veränderung der Risikobereitschaft
internationaler Anleger erklärt mehr als die Hälfte der Schwankungen des Zinsdifferentials
zwischen inländischen Staatsanleihen und den Anleihen aus einem sicheren Vergleichsland.
Herabstufungen des Länderratings können in diesem Umfeld destabilisierend wirken.
Die Auswertung der Ratingänderungen für vier europäische Peripherieländer zwischen
1994 und 2011 liefert jedoch keinen Nachweis für einen Teufelskreis aus Zinsanstieg,
Herabstufung und Zunahme der Staatsschuld.
Begutachtung: Gunther Tichy,
Franz R. Hahn • Wissenschaftliche Assistenz: Ursula Glauninger • E-Mail-Adressen:
Thomas.Url@wifo.ac.at, Ursula.Glauninger@wifo.ac.at
INHALT
Hypothesen zur Erklärung der Zunahme des
Zinsdifferentials
Ratingagenturen und der Prozess der
Ratingerstellung
Empirische Untersuchungen über die Ursachen von
Zinsabständen
Ratingänderungen und Zinsdifferentiale im
Euro-Raum
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND
ABBILDUNGEN
Übersicht 1: Auswirkungen von Änderungen des Zinsdifferentials zu Deutschland auf
Ratingänderungen
Abbildung 1: Konvergenz und Divergenz der Zinssätze
Abbildung 2: Ratings für Länder des Euro-Raumes mit hohem Zinsabstand zu deutschen
Bundesanleihen
Abbildung 3: Die Ratings aller Agenturen für Griechenland
Ratingagenturen stehen
derzeit unter heftiger Kritik. Ihre Einschätzung der geringeren Kreditwürdigkeit
von Staaten wird als Ursache für den Anstieg der Finanzierungskosten von Staatsschulden
betrachtet. Besonders intensiv wird die Herabstufung der Kreditwürdigkeit von Staaten
des Euro-Raumes im Zuge der Staatsschuldenkrise diskutiert. Die Herabstufungen erfolgten
seit März 2010 weitgehend im Gleichklang mit Änderungen des Zinsdifferentials der
jeweiligen Staatsanleihen zu deutschen Bundesanleihen (Tichy, 2011). Die Europäische Kommission droht den Agenturen in kritischen
Situationen sogar mit einem Verbot der Veröffentlichung von Ratings für Staaten.
Vielfach wird auch die Gründung einer europäischen Ratingagentur eingefordert, die
den angelsächsisch dominierten Agenturen eine eigenständige europäische Meinung
entgegensetzen soll. Vor diesem Hintergrund erscheint eine nüchterne Analyse des
Zusammenhangs zwischen Änderungen des Zinsdifferentials und der Ratings angebracht.
Ausgangspunkt der Analyse ist die Zunahme der Zinsabstände zwischen einigen Staaten
des Euro-Raumes und Deutschland. Sie kann im Gegensatz zur Periode vor der Währungsunion
nicht mehr mit unterschiedlichen Erwartungen über die Inflation begründet werden,
sondern hat andere Ursachen.
Vor dem Eintritt in die
Währungsunion konnten die EU-Länder zwei wirtschaftspolitische Instrumente nutzen,
die ihnen nunmehr nicht zur Verfügung stehen: Die unabhängige Geldpolitik mit einer
eigenen Währung ermöglicht eine vom Ausland abweichende Inflationsrate und eine
Anpassung des Wechselkurses an Veränderungen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit,
wie sie durch ein Inflationsdifferential zu den Handelspartnern unweigerlich entstehen.
Mit einem unerwarteten Inflationsschub kann der Realwert festverzinslicher Staatsanleihen
vermindert und damit ein sanfter Schuldenabbau erreicht werden. Das Überraschungsmoment
ist allerdings wichtig, weil eine für die Zukunft erwartete hohe Inflationsrate
bereits in der aktuellen Rendite auf Staatsanleihen berücksichtigt wird. Diesen
Zusammenhang zeigt die "Fisher-Gleichung" (Fisher, 1906), die den nominellen Zinssatz in Periode t, , in einen Realzinssatz,
, und die erwartete
Inflationsrate
zerlegt:
.
Inflationserwartungen sind
Bestandteil des nominellen Zinssatzes und gleichen für den Anleger den Kaufkraftverlust
aus.
Sobald die erwartete Inflationsrate
steigt, passt sich die nominelle Rendite auf Staatsanleihen im selben Ausmaß an.
Die Anleger erhalten durch den Zinsaufschlag eine Kompensation des Kaufkraftverlustes,
der über die Laufzeit der Anleihe durch die höhere erwartete Inflationsrate entstehen
würde. Wenn die tatsächliche Inflationsrate unter der erwarteten Inflationsrate
liegt, d. h. wenn die Inflationserwartungen falsch waren, ist die erzielte Rendite
ex post überhöht. Falls die erwartete Inflationsrate niedriger ist als die tatsächliche,
ergibt sich ex post ein Kaufkraftverlust bzw. eine reale Entwertung der Staatsschuld.
Mit dem Eintritt in den Euro-Raum
gingen die Inflationserwartungen zurück, und die Renditen auf Staatsanleihen konvergierten.
Abbildung 1 zeigt die Sekundärmarktrenditen
für Deutschland und einige Länder an der Peripherie des Euro-Raumes mit einer Restlaufzeit
von 10 Jahren für den Zeitraum 1995 bis Herbst 2011. Am Anfang der Beobachtungsperiode
lagen die Zinssätze der Peripherieländer deutlich über der Sekundärmarktrendite
für deutsche Bundesanleihen. Dieser Unterschied ist vor allem auf die hohen tatsächlichen
und erwarteten Inflationsraten der Peripherieländer um 1995 zurückzuführen: Im Jahr
1995 betrug die Inflationsrate in Griechenland 8,9%, in Portugal 4,2%, in Spanien
4,7% und in Irland 2,5%. Zwischen 1995 und dem Eintritt in die Währungsunion konvergierten
die Zinssätze in den Peripherieländern auf das deutsche Niveau. Zu erklären ist
diese Konvergenz mit dem Wegfall der geldpolitischen Unabhängigkeit in den Peripherieländern
und damit einer Angleichung der erwarteten Inflationsrate auf das von der Deutschen
Bundesbank bzw. der Europäischen Zentralbank angepeilte Niveau von etwa 2%.
|
Abbildung 1: Konvergenz
und Divergenz der Zinssätze |
Sekundärmarktrenditen für 10-jährige
Staatsanleihen |
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Q: OeNB. |
|
Der reale Zinssatz besteht
aus vier Komponenten: dem natürlichen Zinssatz, der Kreditrisikoprämie, der Liquiditätsprämie
und der Fristigkeitsprämie. Die Neueinschätzung der drei länderspezifischen Komponenten
durch die Anleger ist eine mögliche Erklärung für die Ausweitung der Zinsabstände
zu deutschen Bundesanleihen.
Selbst zwischen 2003 und
2006, als die geringsten Abweichungen zu verzeichnen waren, unterschieden sich die
Zinssätze geringfügig zwischen den Peripherieländern und Deutschland. Die Ursachen
können mit einer Zerlegung des realen Zinssatzes für jedes Land n in vier
Komponenten anschaulich gemacht werden (Koch,
2011):
.
Der natürliche Zinssatz
ist
für alle Länder gleich und entspricht z. B. dem risikolosen realen Eonia-Swapsatz.
Die Kreditrisikoprämie
kann
von Land zu Land unterschiedlich sein und gibt das Kreditrisiko des betreffenden
Staates an, d. h. in dieser Komponente spiegelt sich die Wahrscheinlichkeit eines
Zahlungsausfalls der Staatsanleihen dieses Landes. Die Komponente
ist
eine nach Ländern unterschiedliche Liquiditätsprämie, die durch die Größe und Tiefe
des betreffenden Anleihemarktes bestimmt wird. Die Liquiditätsprämie entschädigt
die Anleger für das unterschiedliche Ausmaß an Liquidität auf den länderspezifischen
Anleihemärkten, d. h. für das Risiko bei einem Verkaufswunsch keinen Käufer zu finden.
Der Markt für deutsche Staatsanleihen zeichnet sich z. B. durch eine hohe Liquidität
aus, weil das emittierte Volumen deutscher Staatsanleihen und die täglichen Umsätze
hoch sind. Je kleiner ein Land ist und je niedriger dessen Schuldenstand, desto
enger ist der Markt für Staatsanleihen; entsprechend höhere Liquiditätsprämien muss
dieses Land zahlen. Die Fristigkeitsprämie
berücksichtigt
die im Vergleich mit dem Taggeld längere Behaltezeit von Staatsanleihen. Von diesen
vier Komponenten ist nur der risikolose Eonia-Swapsatz aus Marktdaten zu beobachten
und für alle Länder des Euro-Raumes gleich hoch. Die anderen drei Komponenten können
nur als Ganzes
aus dem Unterschied zwischen realer Anleiherendite
und Swapsatz berechnet werden.
Eine mögliche Interpretation
des Wegdriftens der Zinssätze auf Staatsanleihen der Peripherieländer vom deutschen
Niveau ist eine Neueinschätzung dieser drei nicht beobachtbaren Komponenten durch
die Anleger. Die Anpassung der Erwartungen könnte alle drei Komponenten erfasst
haben, weil durch die Staatsschuldenkrise und die Rettungspakete für Griechenland
(Mai 2010), Irland (November 2010) und Portugal (April 2011) sowohl das Kreditrisiko
stieg als auch die Liquidität auf dem jeweiligen Anleihemarkt abnahm. Die Behalteprämie
sollte
zumindest auf die ursprüngliche Befristung der ersten Rettungspakete bis Ende 2012
reagiert haben (De Grauwe, 2011).
Eine solche Neueinschätzung
wird von der Hypothese der Marktdisziplinierung unterstellt. Übermäßige Defizite
innerhalb der Währungsunion hätten demnach eine Zunahme des Zinsdifferentials gegenüber
einem stabilen Ankerland zur Folge. Diese Beziehung wurde bereits frühzeitig von
Ökonomen der Investmentbanken (Bishop – Damrau – Miller, 1991), aber auch des Internationalen Währungsfonds
(Bayoumi – Goldstein
– Woglom, 1995) postuliert und für Bundesstaaten der USA empirisch nachgewiesen. Der
Zusammenhang zwischen dem Zinsdifferential und der Staatsverschuldung erweist sich
demnach als nicht-linear: Ausgehend von einer niedrigen Staatsverschuldung steigt
der Anleihezinssatz proportional. Falls die Fiskalpolitik weiterhin ein übermäßiges
Defizit verursacht, nimmt der Anleihezinssatz ab einem kritischen Wert der Staatsschuldenquote
überproportional zu (Reinhart – Rogoff, 2011). Im Extremfall kann ein Staat sein Haushaltsdefizit nicht mehr über
die Anleihemärkte finanzieren.
Empirische Untersuchungen
zeigen einen nicht-linearen Zusammenhang zwischen der Staatsschuldenquote und der
Rendite auf Staatsanleihen. In einem System fester Wechselkurse sind auch theoretisch
nicht-lineare Reaktionen möglich.
Die nicht-lineare Reaktion
des Zinssatzes auf das Kreditrisiko kann auch in theoretischen Modellen für Volkswirtschaften
in einem festen Wechselkurssystem nachgewiesen werden. Durch Fixierung des Wechselkurses
verzichtet ein Land auf das wirtschaftspolitische Instrument der Geldpolitik. Wie
Calvo (1988) in einem Modell mit multiplen
Gleichgewichten zeigt, kann selbst eine verantwortungsvolle Regierung die Staatsschulden
nicht mehr bedienen, wenn der Zinssatz zu weit über der Wachstumsrate der Wirtschaft
liegt. Durch hohe Unsicherheit oder eine spekulative Attacke kann in diesem Modell
der Zinssatz für Staatsanleihen die Wachstumsrate des BIP übersteigen. Investoren
reagieren auf diesen Schock mit der Forderung nach höheren Zinssätzen, weil das
zunehmende Differential zwischen Zinssatz und Wachstumsrate die Wahrscheinlichkeit
eines Zahlungsausfalls (d. h. die Kreditrisikoprämie ) erhöht. Der Anstieg
der Zinssätze verursacht wiederum höhere Finanzierungskosten; dieser Teufelskreis
kann schließlich in der Einstellung der Zins- und Tilgungszahlungen durch den Staat
münden.
In der Hypothese der Marktdisziplinierung
haben Zinsdifferentiale zum stabilen Ankerland die Rolle eines Warnsignals für eine
nicht-nachhaltige Budgetpolitik. Entsprechend dieser Hypothese erzeugen steigende
Zinsdifferentiale über die Zunahme der Finanzierungskosten und die drohende Kreditbeschränkung
einen Anreiz zur Korrektur eines übermäßigen Defizits.
Die Reaktion der Rendite auf
Staatsanleihen auf ein übermäßiges Defizit ist ein potentieller Korrekturmechanismus
für übermäßige Defizite. Allerdings forderte die Europäische Kommission schon früh
zusätzliche fiskalpolitische Koordinationsmechanismen.
Die Disziplinierung durch
den Markt bei einem übermäßigen Defizit kann nur wirken, wenn zwischen den Ländern
der Währungsunion freier Kapitalverkehr herrscht und keine impliziten oder expliziten
Haftungen zur Übernahme der Staatsschuld eines illiquiden oder insolventen Staates
durch die gesamte Währungsgemeinschaft bestehen. Die Vermeidung impliziter Garantien
war einer der Gründe für den gegenseitigen Haftungsausschluss im Pakt für Stabilität
und Wachstum (Nichtbeistandsklausel, Art. 125 AEUV). Die Europäische Kommission (1990) forderte schon früh externe Beschränkungen
der nationalen Fiskalpolitik in der Währungsunion. Mit dem Pakt für Stabilität und
Wachstum wurden neben dem Haftungsausschluss ein präventiver Kontrollmechanismus
und ein korrektiver Prozess eingeführt, die allerdings von Anfang an nur eine lockere
Koordination der Fiskalpolitik durch die Europäische Kommission bzw. den Europäischen
Rat erwarten ließen (Url, 2001). Der präventive
und der korrektive Arm sollten auf nationaler Ebene ein übermäßiges Defizit verhindern,
erwiesen sich jedoch im Nachhinein als zu schwach, vor allem weil sich auch die
großen Euro-Länder über die von der Kommission initiierten Defizitverfahren hinwegsetzten.
Ursprünglich sah der Delors-Report (Committee,
1989) bindende Fiskalregeln für die Teilnehmer an der Währungsunion vor. Dieser
Ansatz wurde letztlich aber nur für die Bedingungen für den Eintritt in die Währungsunion
in das EU-Regelwerk übernommen.
Ratings wurden in einigen
empirischen Untersuchungen als Ursache der Ausweitung des Zinsabstandes zu einem
sicheren Ankerland nachgewiesen.
Als weitere Ursache des
Anstiegs der Zinsabstände wird – vor allem
in der politischen Diskussion – die Herabstufung
von Ratings für Staatsanleihen gesehen. Ratings sind Einschätzungen der Kreditwürdigkeit
eines Staates durch unabhängige private Agenturen. Wie Ferri – Liu – Stiglitz (1999) nachweisen, können Ratingagenturen Krisen auf lokalen staatlichen
Anleihemärkten nicht regelmäßig vorhersagen (vgl. auch Tichy, 2011). Nach Ferri – Liu – Stiglitz (1999) reagieren die Agenturen nach dem Ausbruch
einer Staatsschuldenkrise mit überschießenden Anpassungen ihrer Ratings. Kaminsky – Schmukler (2002) zeigen die prozyklische Tendenz von Ratings:
Herabstufungen treten vermehrt während einer Abwärtsbewegung des Marktes ein, Aufwertungen
überwiegend in einer Phase steigender Wertpapierpreise. Kaminsky – Schmukler (2002) führen dieses Argument weiter und zeigen,
dass Ratingänderungen sowohl auf die Kurse der Anleihe- als auch auf die der Aktienmärkte
wirken, wobei sie eine nicht-lineare Reaktion beobachten. In einer Krise übertragen
sich Ratingänderungen deutlich stärker auf die Wertpapierpreise als in Phasen normaler
Konjunktur. Kaminsky – Schmukler
(2002) schließen aus ihrem Datensatz, dass negative Neuigkeiten durch Herabstufungen
signifikant zur Ausweitung des Zinsabstandes beitragen. Zusätzlich werden durch
Ratingänderungen die Kapitalmärkte anderer Länder von den Turbulenzen im Ausgangsland
angesteckt und reagieren ebenfalls mit Kursrückgängen, d. h. einer Zunahme des Zinsdifferentials
zu einem Ankerland mit sicheren Veranlagungsmöglichkeiten.
Derzeit dominieren drei
Ratingagenturen – Fitch, Moody's und Standard
& Poor's – die Erstellung von Ratings
für Staatsanleihen. Die Ratings für Staatsanleihen bzw. Staaten sollen die erwartete
Fähigkeit und den Willen des anleiheemittierenden Staates zur zeitgerechten und
vollständigen Rückzahlung des geschuldeten Betrages signalisieren. Sie beziehen
sich dabei immer auf den Zentralstaat, das ist im Fall Österreichs der Bund, und
auf die Schulden gegenüber Privatgläubigern. Die zeitgerechte Bedienung von Schulden
gegenüber anderen öffentlichen Institutionen wird von den Ratingagenturen nicht
beurteilt (Bhatia, 2002). Die Ratings
der drei Agenturen umfassen unterschiedliche Aspekte einer staatlichen Insolvenz.
Standard & Poor's beurteilt z. B. nur die Wahrscheinlichkeit einer Staatsinsolvenz,
gibt aber keine Auskunft über deren Intensität (Ausmaß des Schuldenschnitts), deren
Dauer und die Art der Abwicklung (geordnet oder ungeordnet). Die Ratings von Moody's
spiegeln hingegen zusätzlich zur Insolvenzwahrscheinlichkeit auch die Rückzahlungsquote
im Fall einer Insolvenz wider. Fitch wählt einen Mittelweg zwischen diesen beiden
Alternativen und bildet bis zum Zeitpunkt der Insolvenz nur die Wahrscheinlichkeit
des Eintritts einer Insolvenz ab, nach Eintritt der Insolvenz berücksichtigt das
Rating auch die erwartete Rückzahlungsquote.
Eine wichtige Trennlinie in
der Einschätzung der Kreditwürdigkeit von Staaten sind die Wertungen "investment
grade" und "speculative grade".
Fitch, Moody's und Standard
& Poor's veröffentlichen ihre Einschätzung der Rückzahlungswahrscheinlichkeit
von Staatsanleihen meist in Form einer Buchstabenkombination, wobei die höchste
Bonität mit "AAA" angegeben wird. Durch Weglassen eines A oder Ersetzen
eines A durch einen der nachfolgenden Buchstaben im Alphabet, durch Kleinbuchstaben,
Vorzeichen (+/–) oder Ziffern wird jeweils
eine niedrigere Kreditwürdigkeit angezeigt. Für Analysezwecke werden die Ratings
auch in eine Zahlenskala zwischen 1 (niedrige Bonität) und 20 (hohe Bonität) übersetzt
(Bhatia, 2002, Table 2). Grob teilen die
Ratings Wertpapiere in zwei Kategorien ein: Wertpapiere mit "investment grade"
und mit "speculative grade". Wenig risikobereite Investoren beschränken
ihre Veranlagungen auf Wertpapiere mit "investment grade", daher kommt
den Ratings besonders an der Grenze zwischen "investment" und "speculative
grade" besondere Bedeutung zu. Üblicherweise werden Ratings auch mit einer
Aussicht verbunden, die die erwartete Richtung einer künftigen Änderung des Ratings
anzeigt (positiv, negativ oder gleichbleibend).
Ratingagenturen verarbeiten
Informationen über die politische, wirtschaftliche und finanzielle Lage eines Staates
in ein einfaches Signal für Anleger. Sie erleichtern damit vor allem grenzüberschreitende
Investitionen.
Ratings werden entweder
vom Emittenten der Staatsanleihe beauftragt und bezahlt oder ohne Auftrag durchgeführt,
weil der betreffende Anleihemarkt von den Ratingagenturen ohnehin beobachtet werden
muss, z. B. in den USA. Ein Rating bietet für Investoren ein einfaches Signal über
die Kreditwürdigkeit staatlicher Schuldner. Sofern Ratingagenturen eine unabhängige
Risikoabschätzung treffen, ersparen sich Investoren dank des einfach zu interpretierenden
Ratingsignals hohe Kosten der Informationsbeschaffung. Falls die Investoren Finanzintermediäre
sind, fordern teilweise auch die Aufsichtsbehörden ein Rating der gehaltenen Wertpapiere.
Die Gebühr für ein Rating hängt entweder vom Emissionsvolumen ab oder wird für große
Länder als Pauschalbetrag ausgehandelt.
Die Emittenten erhoffen
sich aus dem Rating eine Ausweitung des potentiellen Investorenkreises auf internationale
Anleger, die anderenfalls zu hohe Kosten der Informationsbeschaffung hätten. Ratings
für Staaten haben auch den Vorteil, dass sie die Grundlage für die Risikoeinschätzung
von Unternehmensanleihen des entsprechenden Landes bilden. Durch ein Rating des
Staates wird also auch die Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt erleichtert.
Das moderne Ratingwesen für Staatsanleihen ist ein vergleichsweise junges Phänomen,
das flächendeckend erst nach der Aufhebung des US Interest Equalization Act im Jahr
1974 entstand. Davor gab es zwar internationale Ratings durch Moody's und Poor's
Publishing, sie wurden jedoch immer wieder ausgesetzt, sodass Anfang 1975 nur Ratings
für Australien, Kanada und die USA veröffentlicht wurden (Bhatia, 2002). Mit der schrittweisen Aufhebung internationaler Kapitalverkehrsbeschränkungen
nahm die grenzüberschreitende Veranlagung in Staatsanleihen zu, und dadurch stieg
der Bedarf an weiteren Ratings für Staatsschulden. Ein immer größerer Kreis von
Ländern wird seither bewertet.
Die Schlüsselgröße für
Ratingagenturen ist der Eintritt einer Insolvenz. Die Insolvenz eines Staates wird
von allen drei Agenturen gleich definiert (Bhatia,
2002):
·
Ausbleiben
der fristgerechten Zahlung von Zinsen oder Tilgungen für einen Schuldtitel – die Frist bezieht sich dabei entweder auf den Fälligkeitstermin
des Schuldtitels oder eine angemessene Nachfrist;
·
Umschuldung,
Tausch oder Umstrukturierung eines Schuldtitels – die
Ratingagentur liefert eine Einschätzung, ob diese Aktion zwangsweise oder freiwillig
stattfand.
Die Bewertung eines Zahlungsausfalls
für Staatsanleihen hängt nicht nur von objektiven juristischen Schritten, sondern
auch von der subjektiven Einschätzung der Ratingagentur ab.
Diese auf der individuellen
Einschätzung durch die Ratingagentur aufbauende Definition einer Insolvenz berücksichtigt
absichtlich keine rechtlichen Instrumente oder Verfahrensschritte eines Insolvenzverfahrens,
weil so auch versteckte Insolvenzen von den Ratingagenturen als solche eingeschätzt
werden können. Diese breite Definition einer Insolvenz ist gemeinsam mit ausstehenden
Anleiheabsicherungen (Credit Default Swaps) für die besondere Konstruktion des derzeit
vorgeschlagenen freiwilligen Schuldenschnitts griechischer Staatsanleihen verantwortlich.
Eine Insolvenz wird in den Ratings als abgeschlossen eingeschätzt, wenn ein neuer
Schuldtitel emittiert wird oder eine entsprechende Abänderung bestehender Schuldtitel
in Abstimmung mit den Gläubigern in Kraft tritt.
Ratingfehler entstehen nicht
nur durch eine ungenaue Messung der aktuellen Wirtschaftslage und durch Prognosefehler.
Sie beruhen auch auf einer subjektiven Einschätzung der politischen Zukunft eines
Staates.
Ratings beziehen sich immer
auf die Zukunft, d. h. auf einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren. Für diesen Zeitraum
soll das Rating den Willen und die Fähigkeit des Staates zur Rückzahlung von Schulden
prognostizieren. Wegen des Zukunftsbezuges ergeben sich zwangsläufig Fehleinschätzungen,
die über die Prognosefehler der Wirtschaftsforschungsinstitute für die künftige
Wirtschaftsentwicklung (Baumgartner, 2002)
hinausgehen, weil die Erwartungen der Ratingagenturen sowohl die künftige wirtschaftliche
als auch die politische Entwicklung eines Landes betreffen. Die Einschätzung von
Ratingagenturen beruht daher auf messbaren Zahlen, Prognosen und auf dem subjektiven
Eindruck über die politische Zukunft des Emissionslandes. Dieser hybride Ansatz
führte zur Entwicklung eines strukturierten Prozesses für die Erstellung eines Länderratings.
In einem Rating-Komitee wird ein breiter Bereich von Kriterien[a]) diskutiert und letztlich über das zu veröffentlichende
Rating abgestimmt. Ratings beruhen daher nicht auf der Einschätzung eines Länderanalysten,
sondern auf der Einschätzung mehrerer Personen. Sie werden auch immer in Bezug auf
Referenzländer getroffen. Bhatia (2002)
beschreibt die Rolle der Länderexperten, die Besetzung der Rating-Komitees und die
einzelnen Kriterien für Ratings im Detail.
Die Qualität der Ratings von
Staaten ist statistisch schwierig zu beurteilen, weil es unter den gerateten Ländern
bisher nur wenige Insolvenzen gab. Verzögerte Ratinganpassungen und Herdenverhalten
werden jedoch in einigen Untersuchungen erwähnt.
Die Qualität der Ratings
von Staaten ist derzeit statistisch noch schwierig zu beurteilen, weil im Gegensatz
zu Unternehmensratings nur wenige Insolvenzen international begebener Staatsanleihen
zu verzeichnen waren. Die nicht vorhergesehene Umschuldung Mexikos 1994/95 und die
Asienkrise 1997/98 boten Anlass für Kritik an späten Herabstufungen (Reisen – von Maltzan, 1998, Ferri
– Liu – Stiglitz, 1999). In der jüngeren Vergangenheit waren die
Ukraine (1998), Pakistan und Ecuador (1999), Argentinien (2001) sowie Moldawien
(2002) von einer Insolvenz betroffen. Bis auf die Ukraine lag für alle betroffenen
Länder für mindestens 12 Monate vor der Insolvenz ein Rating vor. Alle Länder wurden
mit "speculative grade" eingeschätzt. 1997/98 bot die Asienkrise eine
Möglichkeit zur Einschätzung der Qualität aktueller Ratings; Bhatia (2002) und Ferri – Liu – Stiglitz (1999) vermerken hier eine verspätete und überschießende Abstufung. Für
Argentinien bzw. Uruguay (2000/2002) wurden die Ratings ebenfalls zu spät und überschießend
gesenkt. Zum gleichen Schluss kommt Tichy
(2011) aufgrund von Ratings einiger Länder des Euro-Raumes zwischen 1994 und 2011.
Nach Bhatia (2002) folgen die Ratings
zudem dem Marktkonsens, sodass ein Herdenverhalten vorliegt, d. h. Bewertungen werden
in der Regel von allen Agenturen innerhalb eines kurzen Zeitraumes in dieselbe Richtung
angepasst.
Die mögliche selbstverstärkende
Wirkung von Ratinganpassungen ist aus volkswirtschaftlicher Sicht bedenklich, weil
damit ein Teufelskreis in Gang gesetzt werden kann.
Aus volkswirtschaftlicher
Sicht ist die selbstverstärkende Wirkung einer Herabstufung des Ratings während
einer Krise bedenklich. Wenn Ratingagenturen ihr Rating im Gefolge der Markteinschätzung
ändern und der Markt wiederum auf die Abstufung des Ratings mit höheren Zinsforderungen
reagiert, kann ein Teufelskreis in Bewegung gesetzt werden, der sogar in einer Staatsschuldenkrise
münden kann (Calvo, 1988). Umgekehrt kann
eine Verbesserung des Ratings bereits euphorische Erwartungen noch weiter steigern
und so Kapitalzuflüsse, einen Rückgang der Zinssätze und letztlich einen übermäßigen
Schuldenaufbau des Staates zur Folge haben.
Bhatia (2002) nennt folgende potentielle Ursachen für fehlerhafte Ratings:
·
die unter Umständen
schlechte Qualität der gelieferten volkswirtschaftlichen Daten und deren stark verzögerte
Veröffentlichung,
·
die aus Kostengründen
geringen Kapazitäten der Ratingagenturen zur Durchführung der Länderanalysen und
·
die aus mehreren
Gründen verzerrten Anreize für Ratingagenturen.
Tichy (2011) vermerkt zusätzlich die bekannten Probleme von Wirtschaftsprognosen:
Prognosefehler sind üblicherweise prozyklisch, und Wendepunkte werden selten gut
vorhergesehen.
Verzerrte Anreize entstehen
durch die Art der Bezahlung von Ratings (Stahl
– Strausz, 2010). Das Rating für Staatsanleihen wird vom bewerteten Staat in den meisten
Fällen selbst bezahlt, sodass ein Anreiz zur milden Bewertung in ruhigen Perioden
besteht, während in einer Phase mit negativen Neuigkeiten die Entwicklung umschlägt.
Da die Gläubigerinteressen dann durch Fehlprognosen zu stark gefährdet sind, werden
die Ratings herabgestuft. Zusätzlich besteht zwischen den Länderratings und den
ertragreicheren Unternehmensbewertungen ein positiver Zusammenhang, weil Unternehmensbewertungen
in der Regel durch das Rating des betreffenden Staates nach oben begrenzt sind.
Andere Anreizprobleme entstehen durch ein potentielles Naheverhältnis zwischen Vertretern
bewerteter Staaten und den Länderexperten der Ratingagenturen oder durch die Überschneidungen
der Beratungstätigkeit von Agenturen mit der Ratingerstellung.
Ob die Marktentwicklungen
oder Ratings ursächlich für Anpassungen des Zinsabstandes sind, ist empirisch schwierig
zu unterscheiden, weil in der Regel sowohl die makroökonomischen Fundamentaldaten
als auch fiskalpolitische Eingriffe gleichzeitig mit Änderungen des Zinsdifferentials
und der Ratings auftreten und einander beeinflussen.
Ein positiver Zusammenhang
zwischen dem Staatsdefizit bzw. den Staatsschulden und dem Zinsdifferential zu einer
sicheren Veranlagung ist in Untersuchungen für die USA belegt. Internationale Kapitaltransaktionen
können jedoch das Zinsdifferential von der heimischen Fiskalpolitik entkoppeln.
Goldstein – Woglom (1992) und Poterba
– Rueben (1999) weisen anhand von Daten der Bundesstaaten der USA einen positiven
Zusammenhang zwischen dem Schuldenstand einzelner Bundesstaaten und deren Zinsdifferential
zu Anleihen anderer Bundesstaaten nach und bestätigen so die Hypothese der Marktdisziplinierung.
Bayoumi – Goldstein – Woglom
(1995) finden – ebenfalls für Bundesstaaten
der USA – einen nicht-linearen Zusammenhang zwischen dem
Schuldenstand und dem Zinsdifferential. Untersuchungen für die Bundesstaaten der
USA haben den Vorteil, dass sie einen einheitlichen Währungsraum betreffen und daher
im Zinssatz keine Wechselkursrisiken enthalten sind. Untersuchungen über den Zusammenhang
zwischen fiskalpolitischen Faktoren und den Zinssätzen aus langfristigen Anleihetermingeschäften
für die USA (Laubach, 2009) bzw. über
Zinsdifferentiale europäischer Länder (Aizenman
– Hutchison – Jinjarak, 2011, Bernoth
– von Hagen – Schuknecht, 2004, Bernoth
– Wolff, 2008, Codogno – Favero – Missale, 2003, Faini,
2006, Hallerberg – Wolff, 2006, Heppke-Falk – Hüfner, 2004, Manganelli – Wolswijk, 2009), der OECD-Länder (Alesina et
al., 1992) oder der Schwellenländer (Baldacci
– Gupta – Mati, 2008) leiden unter dieser zusätzlichen Schwankungsquelle.
Das mittlerweile hohe Ausmaß internationaler Kapitaltransaktionen beeinflusst das
Kapitalangebot auf dem jeweiligen lokalen Anleihemarkt auch unabhängig von der Entwicklung
des nationalen Defizits.
Dementsprechend sind die
Ergebnisse dieser Studien weniger eindeutig; sie zeigen aber mehrheitlich einen
signifikanten Zusammenhang zwischen einem hohen realisierten oder prognostizierten
Defizit der öffentlichen Haushalte bzw. einer hohen Staatsverschuldung und dem Zinsabstand
gegenüber einer sicheren Veranlagung in einem Referenzland. Hohe Zinsaufschläge
erscheinen daher zumindest teilweise durch die zugrundeliegende Situation der öffentlichen
Haushalte bestimmt und sind ein Signal für übermäßige Defizite.
Gemeinsam mit den Fundamentaldaten
entwickeln sich in Krisenzeiten oft die Erwartungen der Marktteilnehmer über die
Risikoprämie sprunghaft
(vgl. Kasten). Durch den Herdeneffekt und die Übertragung einer negativen Stimmung
auf ähnliche Märkte kann sich die Einschätzung der Marktteilnehmer schließlich von
den Fundamentalwerten lösen; dies führt zu überschießenden Zinsabständen. Besonders
wichtig ist dieser Kanal für Schwellenländer mit großer Nachfrage nach Kapitalimporten,
weil im Gefolge einer Krise die Risikobereitschaft der Anleger stark sinkt und die
Investitionsströme in sichere Anlageformen zurückfließen (Eichengreen – Modhy, 1998).
Ähnlich wie Zinsdifferentiale
werden auch Ratings von makroökonomischen und fiskalpolitischen Faktoren bestimmt;
das geht schon aus dem Kriterienkatalog der Ratingagenturen hervor. Erstmals wurde
dieser Zusammenhang von Cantor – Packer (1996) untersucht. Anhand eines Länderquerschnitts erklären sie das durchschnittliche
Rating der zwei großen Ratingagenturen (Moody's, Standard & Poor's) zu 90% durch
acht makroökonomische Variable. Eine der wichtigsten erklärenden Variablen ist das
Pro-Kopf-Einkommen. Allerdings werden im untersuchten Querschnitt Industrie- mit
Schwellenländern gemischt, sodass ein Großteil des Erklärungswertes durch deren
unterschiedliches Rating entsteht. Nach Cantor
– Packer (1996) würden beide Agenturen dieselben Kriterien im gleichen Ausmaß berücksichtigen,
in den Ratings wären tatsächlich zusätzliche Informationen enthalten, die die makroökonomischen
Daten nicht enthalten. Das könnten weiche Faktoren wie die Einschätzung der politischen
Stabilität sein. Eine Änderung des Ratings zieht gemäß Cantor – Packer (1996) eine Anpassung der Markteinschätzung über
die Risikoprämie nach sich. Budget- oder Zahlungsbilanzdefizite haben hingegen keine
Wirkung auf das Zinsdifferential.
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Studien über den
Einfluss von Marktstimmung und Risikobereitschaft auf internationale Kapitaltransaktionen |
Mehrere Untersuchungen beschäftigten sich in den letzten Jahren mit dem
Zusammenhang zwischen Marktstimmung und internationalen Kapitaltransfers. Powell – Martinez (2008) finden z. B. neben einigen makroökonomischen
Faktoren zur Erklärung des Zinsdifferentials von Schwellenländern auch eine Reaktion
der Kapitalströme auf das Ausmaß der Risikoaversion internationaler Anleger. In
der Periode 2003 bis 2007 stieg die Risikobereitschaft der Anleger markant und
war für den Großteil des Rückgangs des Zinsabstandes der Schwellenländer bestimmend.
Wie Gonzales-Rozada – Yeyati (2008) zeigen, erklärt die Risikobereitschaft internationaler Anleger
in Verbindung mit der internationalen Liquiditätslage etwa die Hälfte der langfristigen
Schwankungen der Zinsdifferentiale; wenn man länderspezifische Elastizitäten berücksichtigt,
beträgt dieser Anteil sogar 80%. Zinsabstände werden demnach eher durch internationale
Kapitalflüsse als durch die lokale Fiskalpolitik beeinflusst. Attinasi – Checherita – Nickel (2009) schreiben im Durchschnitt 56% des Anstiegs
des Zinsdifferentials einer Verringerung der Risikobereitschaft der Investoren
zu, 21% beruhen auf einer erwarteten Zunahme des Defizits und der Staatsschulden,
14% gehen auf die Abnahme der Liquidität zurück, und 9% werden durch die Bankenhilfspakete
verursacht. |
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Die Ergebnisse von Ferri – Liu – Stiglitz (1999) und Kaminsky – Schmukler (2002) betonen die Rolle von Ratingänderungen noch stärker. Beide Arbeiten
sehen einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Herabstufungen der Ratings von
Staatsanleihen und einer Ausweitung des Zinsabstandes. Gärtner – Griesbach
– Jung (2011) finden mit Granger-Kausalitätstests eine kausale Wirkungskette von
Ratingänderungen zu Anpassungen des Zinsabstandes. Angesichts der diskreten Änderungen
von Ratings im Zeitverlauf sind die Ergebnisse von Gärtner – Griesbach
– Jung (2011) jedoch mit Vorsicht zu interpretieren. Die Modellierung beider Variablen
in einer Vektorautoregression führt durchwegs zu nicht normalverteilten Schätzfehlern
und beeinträchtigt daher die Qualität der Granger-Kausalitätstests.
Die Ratings sind im Zeitverlauf glatt, und Ratingänderungen erfolgen systematisch verzögert. Die Asienkrise 1997/98 und die aktuelle Staatsschuldenkrise im Euro-Raum bestätigen diesen Eindruck.
Neben technischen Bedenken
gegenüber einem kausalen Zusammenhang zwischen Ratings und Zinsabständen stehen
auch empirische Ergebnisse dieser Schlussfolgerung entgegen. Nach Reinhart (2002) versagen Ratings systematisch
in der Vorhersage von Währungskrisen, weil Herabstufungen und erfolgreiche Prognosen
über staatliche Insolvenzen in der Regel erst nach Eintritt der Währungskrise erfolgen.
Die Ergebnisse von Mora (2006) deuten
ebenfalls in die Richtung verzögerter Ratinganpassungen. Mora (2006) schätzt ein detailliert spezifiziertes Modell zur Vorhersage
von Ratingänderungen und vergleicht die vorhergesagten mit den tatsächlichen Ratings:
Ratinganpassungen erfolgten während der Asienkrise 1997/98 langsam, und die Ratings
sind im Zeitverlauf glatt (vgl. Abbildung 2 für Länder an der Peripherie des Euro-Raumes).
Diese beiden Phänomene sind mit einer prozyklischen Setzung von Ratings nicht vereinbar.
Darüber hinaus lagen die Ratings nach Mora
(2006) vor der Asienkrise über den vorhergesagten Werten, während sie in der Krise
etwa den vorhergesagten Werten entsprachen. Nach der Krise stiegen die Ratings weniger
stark, als die Fundamentalwerte bzw. die Finanzmarktdaten erwarten ließen. Tichy (2011) schließt aus einem Vergleich
der Ratings für Peripherieländer des Euro-Raumes ebenfalls, dass Ratings den veröffentlichten
Zinsdifferentialen und makroökonomischen Daten nachhinken. Reisen – von Maltzan (1998) finden eine gegenseitige Beeinflussung zwischen
dem jeweiligen Zinsabstand zu den USA und dem Länderrating; gemäß ihren Event-Studien
ändert sich der Zinsabstand zu den USA bereits im Vorfeld einer Ausblick- oder Ratingänderung.
Gonzales-Rozada – Yeyati (2008) fassen das Muster zwischen Zinsdifferentialen
und Ratings in folgende Hypothese zusammen: Ratings von Schwellenländern reagieren
endogen auf Änderungen des Zinsabstands zu einem risikolosen internationalen Zinssatz;
umgekehrt hat eine Ratingänderung im Durchschnitt keine deutliche Anpassung des
Zinsabstandes zur Folge. Gonzales-Rozada – Yeyati (2008) beweisen diese Hypothese in einem Panel über Länder und Ratingänderungen.
Vor einer Herabstufung steigt der Zinsabstand demnach im Durchschnitt deutlich,
nach der Ratinganpassung ändert er sich hingegen kaum. Bei einer Verbesserung des
Ratings schrumpft umgekehrt der Zinsabstand bis zum Zeitpunkt der Ratinganpassung
und bleibt danach etwa gleich groß.
|
Abbildung 2: Ratings
für Länder des Euro-Raumes mit hohem Zinsabstand zu deutschen Bundesanleihen |
|
Q: Moody's. Ratings umgerechnet in eine Skala
zwischen 1 (niedrige Bonität) und 20 (hohe Bonität). |
|
Angesichts der bisher widersprüchlichen
empirischen Ergebnisse legt das WIFO in der Folge eine eigenständige Untersuchung
des Zusammenhangs zwischen Ratings und dem Zinsabstand zwischen Ländern des Euro-Raumes
vor. Dazu werden wie in Tichy (2011) die
Ratings für Griechenland, Irland, Spanien und Portugal verwendet (Abbildung 2).
Für Griechenland und Irland liegen seit 1994 Ratings von allen drei Agenturen vor
(Fitch, Moody's, Standard & Poor's). Für Portugal und Spanien beginnen die Ratings
etwas später (Ende 1996). In Abbildung 3 sind die Ratings aller drei Agenturen für
Griechenland auf einer Skala zwischen 1 und 20 übersetzt, wobei 1 die niedrigste
und 20 die höchste Bonitätsstufe anzeigt. Die Bonität Griechenlands wurde zwischen
1995 und 2003 in einigen Schritten hinaufgesetzt und erreichte dann einen Höhepunkt
von 16. Anfang 2009 setzten die Abstufungen Griechenlands ein, 2010 gewannen sie
rasch an Geschwindigkeit.
Der stufenartige Verlauf von
Ratings erschwert die ökonometrische Analyse und macht eine Datentransformation
notwendig.
Der stufenartige Verlauf
der Ratings macht eine auf Zeitreihen beruhende ökonometrische Analyse unmöglich.
Zum Zeitpunkt einer Änderung des Ratings wird das Modell in der Regel weder Richtung
noch Ausmaß der Ratingänderung korrekt vorhersagen. Große Ausreißer werden daher
die Koeffizienten verzerren, die auf der Annahme einer Normalverteilung beruhenden
Testverfahren sind nicht einsetzbar. Gonzales-Rozada
– Yeyati (2008) berücksichtigen diese Datenstruktur und setzen zur Analyse eine Event-Studie
ein, d. h. die Daten werden nach Ereignissen strukturiert und verlieren ihre Zeitdimension.
Die hier vorgestellten Regressionsmodelle
beruhen auf einer Umwandlung der Rating-Zeitreihen in Episoden mit einer Ratinganpassung.
Die erklärenden Variablen beschreiben immer die Entwicklung in der Periode vor oder
nach einer Ratinganpassung.
Für die vier Länder in
Abbildung 2 (Griechenland, Irland, Spanien, Portugal) waren zwischen Dezember 1994
und Juli 2011 insgesamt 94 Ratingänderungen zu verzeichnen. In der folgenden Analyse
wird jede dieser Episoden als eine Beobachtung behandelt. Die erklärte Variable
ist das Ausmaß der Ratinganpassung im Zeitpunkt t. So hob etwa Standard
& Poor's das Rating für Griechenland im Dezember 1999 um 2 Einheiten an (Abbildung
3). Vor der Ratingänderung durch eine Agentur im Zeitpunkt t standen
auf dem Finanzmarkt neue Informationen in Form einer Anpassung des Zinsabstandes
zu Deutschland zur Verfügung. Die Änderung des Zinsabstandes wird zwischen der letzten
Ratingänderung und dem Monat vor der Änderung des Ratings (t–1) gemessen.
Durch diese zeitliche Strukturierung können sämtliche mit Endogenität verbundenen
Probleme in der Analyse vermieden werden, weil die Ratinganpassung zum Zeitpunkt
t nach
dem Endpunkt für die Berechnung des kumulierten Zinsabstandes seit der letzten Ratinganpassung
erfolgt. Das Modell 5 in Übersicht 1 berücksichtigt auch die Einschätzung der anderen
zwei Ratingagenturen in der Periode vor der Anpassung des Ratings für das betroffene
Land (t–1). Diese Informationen, die Zeitspanne zur letzten
eigenen Ratingänderung und jene zur letzten Ratingänderung einer der anderen Agenturen
bzw. einige Dummyvariable, die das Land und die Ratingagentur kennzeichnen, gehen
in verschiedenen Kombinationen in die Modelle ein.
|
Abbildung 3: Die Ratings
aller Agenturen für Griechenland |
|
Q: Ratingagenturen. Ratings umgerechnet in eine
Skala zwischen 1 (niedrige Bonität) und 20 (hohe Bonität). |
|
In der Stichprobe aus Ländern
an der Peripherie des Euro-Raumes zeigt sich eine signifikante und überproportionale
Reaktion von Ratings auf eine Ausweitung des Zinsabstandes zu Deutschland. In Krisenzeiten
werden Ratings signifikant öfter angepasst.
Selbst eine Bereinigung
der Daten um ihre Zeitstruktur beseitigt das Problem der nicht-normalverteilten
Schätzfehler in den Regressionen in Übersicht 1 nur unvollständig. Der p-Wert
für den Jarque-Bera-Test auf normalverteilte Schätzfehler ist für die Modelle 1
und 3 sehr klein, sodass die Hypothese normalverteilter Schätzfehler abgelehnt werden
muss. Die Modelle 2, 4 und 5 erlauben hingegen korrekte Schlussfolgerungen aus dem
Signifikanzniveau der Koeffizienten (Übersicht 1). Von den Länderdummies ist Spanien
signifikant negativ, d. h. die Ratingänderungen für Spanien fallen im Durchschnitt
deutlich geringer aus als für die anderen drei untersuchten Länder. Das Ausmaß der
Ratingänderung ist unabhängig von der Agentur, die im Zeitpunkt t eine
Ratinganpassung durchführt, weil beide Agenturdummies nicht signifikant sind. Der
kumulierte Zinsabstand zwischen der letzten Ratingänderung und dem Zeitpunkt t wirkt
sich hingegen signifikant negativ auf das Ausmaß der Ratingänderung aus, d. h. wenn
z. B. der Zinsabstand zwischen Griechenland und Deutschland seit der letzten Ratinganpassung
um 1 Prozentpunkt zunahm, wird das Rating im Durchschnitt um 1,3 Prozentpunkte gesenkt.
Je länger die letzte Ratinganpassung zurückliegt, desto höher fällt die Ratinganpassung
aus, d. h. in Krisenzeiten erfolgen Ratinganpassungen in der Regel in rasch aufeinanderfolgenden
kleinen Schritten, in stabilen Zeiten jedoch meistens mit großem Zeitabstand und
in großen Schritten (Abbildung 2).
Übersicht 1: Auswirkungen
von Änderungen des Zinsdifferentials zu Deutschland auf Ratingänderungen |
|||||
|
|||||
Erklärte Variable: Ausmaß einer Ratingänderung |
|||||
Modell 1 |
Modell 2 |
Modell 3 |
Modell 4 |
Modell 5 |
|
|
|||||
Konstante |
–1,36*** |
–1,45 |
–1,60** |
–1,79 |
1,46** |
Dummyvariable |
|||||
Griechenland |
– |
0,90 |
– |
0,97 |
– |
Irland |
– |
–0,12 |
– |
–0,11 |
– |
Spanien |
– |
–2,86** |
– |
–2,83** |
– |
Standard & Poor's |
– |
– |
0,22 |
0,17 |
– |
Moody's |
– |
– |
0,39 |
0,58 |
– |
Zinsabstand zu Deutschland |
–1,31*** |
–1,31*** |
–1,30*** |
–1,29*** |
–0,46*** |
Eigene Zeitspanne |
0,02** |
0,03*** |
0,02** |
0,03*** |
0,01** |
Verhältnis zu anderen Ratings |
– |
– |
– |
– |
–2,13*** |
Zeitspanne der anderen Ratings |
– |
– |
– |
– |
–0,07 |
Interaktion (andere) |
– |
– |
– |
– |
0,08 |
|
|||||
Beobachtungen |
94 |
94 |
94 |
94 |
94 |
|
0,22 |
0,30 |
0,20 |
0,28 |
0,33 |
p-Wert Jarque-Bera-Test |
0,00 |
0,17 |
0,00 |
0,28 |
0,44 |
Q: WIFO-Berechnungen. Schätzverfahren: OLS. Die
Länderdummies nehmen den Wert 1 an, wenn die Ratingänderung das Land i betraf.
Die Agenturdummies nehmen den Wert 1 an, wenn das Rating durch die Agentur j geändert
wurde. Zinsabstand zu Deutschland: im Monat vor der Ratingänderung abzüglich Zinsabstand
zum Zeitpunkt der letzten Ratingänderung. Eigene Zeitspanne: Zahl der Monate seit
der letzten Anpassung des Ratings durch die jeweilige Agentur. Verhältnis zu anderen
Ratings: Quotient aus eigenem Rating und dem durchschnittlichen Rating der anderen
Agenturen in der Periode vor der Ratingänderung. Zeitspanne der anderen Ratings:
Zahl der Monate zwischen der letzten Anpassung anderer Agenturen und dem Zeitpunkt
der eigenen Ratingänderung. Interaktion (andere Ratings): quadriertes Verhältnis
zu den anderen Ratings und Zeitspanne seit der letzten Ratinganpassung durch andere
Agenturen. * . . . signifikant auf einem Niveau von 10%, ** . . . signifikant
auf einem Niveau von 5%, *** . . . signifikant auf einem Niveau von 1%. |
|||||
|
Tendenziell erfolgen Anpassungen
der Ratings in die Richtung der anderen zwei Ratingagenturen, d. h. bestehende Unterschiede
zwischen der Einschätzung durch die Agenturen werden abgebaut. Das ist ein Indiz
für Herdenverhalten.
Besonders interessant sind
die Ergebnisse des Modells 5, in das zusätzlich die Ratings der anderen zwei Agenturen
eingehen: in Form des Verhältnisses des eigenen Ratings zum Durchschnitt der anderen
zwei Agenturen im Monat vor der Anpassung (t–1) und in
Form der Zeitspanne zwischen der eigenen Anpassung des Ratings und der zuletzt beobachteten
Anpassung einer der anderen Agenturen. Zusätzlich wird ein Interaktionsterm zwischen
diesen beiden Faktoren eingeführt, der allerdings nicht signifikant von Null verschieden
ist. Das Verhältnis zwischen dem eigenen und den anderen Ratings ist signifikant
negativ. Wenn also das eigene Rating über dem Durchschnitt der anderen zwei Ratings
liegt, erfolgt tendenziell eine Anpassung nach unten, liegt es darüber, dann wird
tendenziell nach oben angepasst.
Das Zinsdifferential zu Deutschland
reagiert auf Ratinganpassungen signifikant. Herabstufungen haben eine Ausweitung
des Zinsabstandes in den ein bis drei Monaten nach einer Ratingänderung um etwa
0,3 Prozentpunkte zur Folge. Abstufungen bringen im Durchschnitt eine Ausweitung
des Zinsabstandes um 0,3 Prozentpunkte mit sich. Dieses Ausmaß ist zu klein für
einen selbstverstärkenden Prozess.
Die Übersichten 2 und 3
zeigen die Ergebnisse für die umgekehrte Kausalität von Ratingänderungen auf den
Zinsabstand, und zwar im ersten Monat (t+1) bzw. drei Monate (t+3) nach
der Ratinganpassung. Diese zeitliche Struktur verhindert eine Endogenität im Zusammenhang
zwischen der Änderung des Zinsabstandes und des Ratings. Die Struktur der Modelle
unterscheidet sich von jenen in Übersicht 1, weil sie außer der Ratingänderung im
Zeitpunkt t und den Dummyvariablen auch die kurzfristige Dynamik
des Zinsabstandes zu Deutschland berücksichtigen. Für alle Modelle in den Übersichten
2 und 3 ist eine Bereinigung um Ausreißer erforderlich, damit normalverteilte Schätzfehler
erzielt werden[b]). Diese Regressionsgleichungen nehmen den Ansatz
von Stock – Watson (1999) zur mehrstufigen Prognose von Inflationsraten
auf und verknüpfen die Änderung des Zinsabstandes über einen und über drei Monate
mit der eigenen Dynamik dieser Variablen bis zur Ratingänderung und dem Ausmaß der
Ratinganpassung. Im Durchschnitt über die 94 Beobachtungen bewirken Ratingerhöhungen
um 1 Punkt einen Rückgang des Zinsabstandes im Folgemonat um 0,2 Prozentpunkte.
Bis zum dritten Folgemonat nach einer Ratingerhöhung sinkt das Zinsdifferential
um insgesamt 0,5 Prozentpunkte.
Übersicht 2: Auswirkungen
von Ratingänderungen auf das Zinsdifferential zu Deutschland einen Monat nach
der Ratinganpassung |
||||
|
||||
Erklärte Variable: Zinsabstand zu Deutschland einen Monat nach der Ratingänderung |
||||
Modell 1 |
Modell 2 |
Modell 3 |
Modell 4 |
|
|
||||
Konstante |
0,14** |
0,42*** |
0,08 |
0,41** |
Dummyvariable |
||||
Griechenland |
– |
–0,31** |
– |
–0,31** |
Irland |
– |
–0,27* |
– |
–0,28* |
Spanien |
– |
–0,38** |
– |
–0,39** |
Standard & Poor's |
– |
– |
0,04 |
–0,02 |
Moody's |
– |
– |
0,12 |
0,09 |
Positive Ausreißer |
1,73*** |
1,74*** |
1,70*** |
1,72*** |
Negative Ausreißer |
–2,09*** |
–2,06*** |
–2,16*** |
–2,14*** |
Ausmaß der Ratingänderung |
–0,22*** |
–0,20*** |
–0,20*** |
–0,19*** |
Zinsabstand in der Periode t |
0,17** |
0,16* |
0,18** |
0,18** |
Zinsabstand in der Periode t–1 |
–0,27*** |
–0,29*** |
–0,27*** |
–0,29*** |
Zinsabstand in der Periode t–2 |
–0,06 |
–0,05 |
–0,04 |
–0,03 |
Zinsabstand in der Periode t–3 |
–0,07 |
–0,08 |
–0,07 |
–0,08 |
|
||||
Beobachtungen |
94 |
94 |
94 |
94 |
|
0,57 |
0,59 |
0,57 |
0,58 |
p-Wert Jarque-Bera-Test |
0,53 |
0,75 |
0,52 |
0,73 |
Q: WIFO-Berechnungen. Schätzverfahren: OLS. Die
Länderdummies nehmen den Wert 1 an, wenn die Ratingänderung das Land i betraf.
Die Agenturdummies nehmen den Wert 1 an, wenn das Rating durch die Agentur j geändert
wurde. Die Dummies für positive und negative Ausreißer nehmen den Wert 1 an, wenn
der Schätzfehler des Modells ungewöhnlich groß ist (Ausreißer). Ausmaß der Ratingänderung:
Anpassung gegenüber dem zuvor veröffentlichten Rating. Zinsabstand in der Periode
t: Monat
der Ratingänderung, Zinsabstand in der Periode t–1: einen
Monat vor der Änderung, Zinsabstand in der Periode t–2: zwei
Monate vor der Änderung, Zinsabstand in der Periode t–3: drei
Monate vor der Änderung. * . . . signifikant auf einem Niveau von 10%, ** . .
. signifikant auf einem Niveau von 5%, *** . . . signifikant auf einem Niveau
von 1%. |
||||
|
|
||||
Übersicht 3: Auswirkungen
von Ratingänderungen auf das Zinsdifferential zu Deutschland drei Monate nach
der Ratinganpassung |
||||
|
||||
Erklärte Variable: Zinsabstand zu Deutschland drei Monate nach der Ratingänderung |
||||
Modell 1 |
Modell 2 |
Modell 3 |
Modell 4 |
|
|
||||
Konstante |
0,38** |
0,65 |
0,44 |
0,77 |
Dummyvariable |
||||
Griechenland |
– |
0,06 |
– |
0,02 |
Irland |
– |
–0,54 |
– |
–0,58 |
Spanien |
– |
–0,76 |
– |
–0,82 |
Standard & Poor's |
– |
– |
–0,12 |
–0,18 |
Moody's |
– |
– |
–0,01 |
–0,01 |
Positive Ausreißer |
5,64*** |
5,26*** |
5,61*** |
5,22*** |
Negative Ausreißer |
–4,36*** |
–4,30*** |
–4,42*** |
–4,39*** |
Ausmaß Ratingänderung |
–0,45*** |
–0,50*** |
–0,44*** |
–0,49*** |
Zinsabstand in der Periode t |
0,47* |
0,32 |
0,48* |
0,35 |
Zinsabstand in der Periode t–1 |
0,49* |
0,42 |
0,48* |
0,41 |
Zinsabstand in der Periode t–2 |
0,47* |
0,46* |
0,48* |
0,47* |
Zinsabstand in der Periode t–3 |
–0,05 |
–0,05 |
–0,03 |
–0,02 |
|
||||
Beobachtungen |
94 |
94 |
94 |
94 |
Bereinigtes |
0,65 |
0,66 |
0,64 |
0,66 |
p-Wert Jarque-Bera Test |
0,32 |
0,46 |
0,25 |
0,30 |
Q: WIFO-Berechnungen. Schätzverfahren: OLS. Die
Länderdummies nehmen den Wert 1 an, wenn die Ratingänderung das Land i betraf.
Die Agenturdummies nehmen den Wert 1 an, wenn das Rating durch die Agentur j geändert
wurde. Die Dummies für positive und negative Ausreißer nehmen den Wert 1 an, wenn
der Schätzfehler des Modells ungewöhnlich groß ist (Ausreißer). Ausmaß der Ratingänderung;
Anpassung gegenüber dem zuvor veröffentlichten Rating. Zinsabstand in der Periode
t: Quartal
der Ratingänderung, Zinsabstand in der Periode t–1: I. Quartal
vor der Änderung, Zinsabstand in der Periode t–2: II.
Quartal vor der Änderung, Zinsabstand in der Periode t–3: III.
Quartal vor der Änderung. * . . . signifikant auf einem Niveau von 10%, ** . .
. signifikant auf einem Niveau von 5%, *** . . . signifikant auf einem Niveau
von 1%. |
||||
|
Vor der Finanzmarktkrise
der Jahre 2008/09 setzten die Ratingagenturen die Ratings komplexer Finanzprodukte
deutlich optimistischer als die zugrundeliegende Ausfallswahrscheinlichkeit. Dafür
wurden u. a. verzerrte Anreize aus der gleichzeitigen Beratungstätigkeit und Ratingerstellung
verantwortlich gemacht. Vermutlich war auch die Unterschätzung von Liquiditätsengpässen
ein Grund für die überaus optimistischen Ratings. Jedenfalls wurde allen Agenturen
vorgeworfen, dass sie ihre Einschätzungen zu spät anpassten und die Finanzmarktkrise
nicht vorhersagen konnten. Sowohl die USA als auch die EU setzten in der Folge mehrere
Maßnahmen zur stärkeren Kontrolle der Ratingagenturen um. Seit Anfang 2011 müssen
sich in der EU aktive Ratingagenturen von der European Securities and Markets Authority
(ESMA) zertifizieren lassen und dabei ihre Methoden offenlegen.
In der aktuellen Staatsschuldenkrise
verkürzten die Ratingagenturen die Zeitspanne zur Anpassung des Ratings von Staatsanleihen
deutlich und legten mehr Wert auf Indikatoren für fiskalpolitische Ungleichgewichte.
Nun wird ihnen umgekehrt vorgeworfen, sie würden die Ratings für Staatsanleihen
ohne ausreichende Evidenz, zu schnell und überschießend herabstufen. Dadurch sollen
sie die europäische Staatsschuldenkrise nicht nur mit ausgelöst, sondern sie auch
noch angefacht haben. Entsprechend den theoretischen Modellen für Volkswirtschaften
innerhalb eines Systems fester Wechselkurse hätten sie damit eine Zinsspirale ausgelöst,
die die Länder an der Peripherie des Euro-Raumes an den Rand bzw. in die Insolvenz
trieb. Damit wären sie auch für die aktuellen Probleme der Europäischen Union verantwortlich.
Die bisher vorliegenden
empirischen Untersuchungen über den Zusammenhang zwischen Ratingänderungen und der
Anpassung des Zinsabstandes zu Staatsanleihen aus einem sicheren Referenzland belegen
diese Schlussfolgerung nicht eindeutig. Viele Untersuchungen lassen eher auf eine
verzögerte Anpassung der Ratings an makroökonomische, fiskalische und Zahlungsbilanzdaten
schließen. Eine auslösende Rolle wird den Ratingagenturen nur in wenigen Fällen
nachgewiesen. Eine Wechselwirkung zwischen Ratingänderungen und der Entwicklung
des Zinsabstandes nach der Änderung des Ratings ist ebenfalls nicht eindeutig nachgewiesen.
Die hier vorgestellten
Ergebnisse für vier Länder an der Peripherie des Euro-Raumes (Griechenland, Irland,
Spanien, Portugal) belegen, dass Ratingänderungen in der Regel nach einer Veränderung
des Zinsabstandes und überproportional erfolgen. Nach einer Ratingänderung folgt
eine weitere Anpassung des Zinsabstandes, die teils durch die Ratingänderung, aber
auch durch die Dynamik auf dem Anleihemarkt getragen ist. Die durch eine Ratingänderung
verursachte Zinsanpassung ist jedoch unterproportional, d. h. in der untersuchten
Stichprobe wirken Ratingänderungen nicht destabilisierend. Aus der zeitlichen Struktur
des hier eingesetzten Modells liegt die Schlussfolgerung nahe, Ratingagenturen würden
eher im Sog der Staatsschuldenkrise agieren. Dafür spricht auch der ausgeprägte
Herdentrieb unter den Agenturen: Wenn der Abstand des eigenen Ratings zum Durchschnitt
der anderen zwei Agenturen groß ist, erfolgen Ratinganpassungen tendenziell in Richtung
des Durchschnitts. Eine wohlwollende Interpretation dieses statistisch signifikanten
Phänomens wäre die langsame und zeitlich versetzte Aufarbeitung des Datenmaterials
durch die Agenturen. Angesichts der wahrscheinlich geringen Ressourcen in den Ratingagenturen
erscheint auch diese Interpretation plausibel.
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Rating Agencies: Originator, Accelerant or Simply Dragged Into the
Sovereign Debt Crisis? – Summary |
Rating agencies transform data on the political, economic
and financial situation of a country into a simple signal for investors. In doing
so, they facilitate primarily cross-border investment. Some empirical studies
have pinpointed ratings as a cause for the widening interest gap compared to a
country that offers safe investment opportunities. Other empirical studies, on
the other hand, found a non-linear link between fundamental data on the fiscal
position of a country and its interest rate gap vis-à-vis a country with safe
investment opportunities. The risk that a vicious circle of higher interest rates
and downgrading could be triggered by rating agencies needs close attention during
the current sovereign debt crisis because rating mistakes have occasionally occurred
in the past. Higher interest rates for government bonds act as a signal that market
participants lose faith in a state's ability to continue its debt service duly,
and at the same time they make it more difficult to consolidate the budget because
of the higher expenditure on interest payments. An analysis of rating changes for four countries at the
periphery of the euro area confirms the findings of prior empirical studies. Rating
changes show a significant and disproportionate response to a widening of the
interest gap between peripheral countries and Germany, and downgradings during
the crisis since 2010 occurred significantly more often and were markedly less
steep than in more quiet periods. Moreover, rating agencies are driven by a herd
instinct in that they tend to adjust their own rating towards those of the other
agencies. A widening of the interest gap to Germany by 1 percentage point on average
causes ratings to be lowered by 1.3 percentage points. Conversely, rating adjustments
in turn cause the interest gap to Germany to be widened, where a downgrading by
1 percentage point increases the interest gap by 0.2 to 0.5 percentage points.
These parameters are too small to generate a vicious circle so that rating agencies
cannot be blamed to have a destabilising effect during the current sovereign debt
crisis in the euro area. |
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[a]) Die Kriterien umfassen politische Stabilität, aktuelle und prognostizierte makroökonomische Kennzahlen, Fiskalpolitik, Geldpolitik und das externe Gleichgewicht der Zahlungs- und insbesondere der Kapitalverkehrsbilanz.
[b]) Der Einsatz von Heteroskedastie-bereinigten Standardabweichungen für den Test berücksichtigt die durch die Ausreißer verursachte Verzerrung der Koeffizienten nur ungenügend. Deshalb werden zwei Dummyvariable in die Regression aufgenommen, die jeweils für zwei Beobachtungen mit besonders großen Schätzfehlern (positiver Ausreißer) und für zwei Beobachtungen mit besonders niedrigen Schätzfehlern (negative Ausreißer) den Wert 1 annehmen. Durch diesen Eingriff nimmt der Koeffizient für die Ratingänderung etwas zu, und für die Schätzfehler aller Regressionen kann die Nullhypothese einer Normalverteilung nicht mehr verworfen werden.