WIFO

 

Wirtschaftsentwicklung im Zeichen der Schuldenkrise

 

Die europäische Wirtschaftspolitik diskutiert anhaltend, durch welche Maßnahmen das Vertrauen der Finanzmärkte in die Kreditwürdigkeit der Länder mit hoher Staatsverschuldung zurückgewonnen werden kann. Auch für Staaten mit relativ geringer Verschuldung sind die Finanzierungskosten mittlerweile gestiegen. Die Dynamik der Realwirtschaft lässt weiter nach, jedoch ist nach wie vor kein Einbruch der Wirtschaftsleistung zu erkennen.

 

Der Konjunkturbericht entsteht jeweils in Zusammenarbeit aller Mitarbeiter des WIFO. • Wissenschaftliche Assistenz: Christine Kaufmann, Martha Steiner • Abgeschlossen am 9. Dezember 2011. • E-Mail-Adresse: Marcus.Scheiblecker@wifo.ac.at

 

INHALT

Weltwirtschaft expandiert langsamer

Verstärkte Sparanstrengungen im Euro-Raum

Nachlassen der Exportnachfrage dämpft heimische Wirtschaftsentwicklung

Leichter Anstieg der Nächtigungszahl

Inflation verringert sich wieder

Anhaltende Beschäftigungsausweitung trotz steigender Arbeitslosigkeit

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND ABBILDUNGEN

Übersicht 1: Ergebnisse der vierteljährlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. 3

Abbildung 1: Entwicklung des realen Bruttoinlandsproduktes. 4

Abbildung 2: Internationale Konjunktur 6

Abbildung 3: Ergebnisse des WIFO-Konjunkturtests. 10

Abbildung 4: Wirtschaftspolitische Eckdaten. 12

 

 

Die schwierige Entscheidung über eine Stabilisierung der Finanzmärkte für europäische Anleihen fällt in eine Phase abnehmender und sehr unterschiedlicher Konjunkturdynamik. Der Anstieg der Renditen von Staatsanleihen in den letzten Monaten weist sogar auf eine Zunahme der Verunsicherung auf den Finanzmärkten hinsichtlich der Bedienbarkeit der Schulden einzelner Euro-Länder hin. Vor diesem Hintergrund versucht die Politik vermehrt durch die Ankündigung verstärkter Sparbemühungen eine Beruhigung herbeizuführen. Dies birgt jedoch die Gefahr einer weiteren Konjunkturdämpfung.

Mittlerweile sind die Finanzierungskosten auch für Staaten mit vergleichsweise unproblematischem Verschuldungsniveau gestiegen. Selbst für deutsche Anleihen war nach einem deutlichen Rückgang jüngst ein leichter Anstieg der Zinssätze festzustellen. Die Realwirtschaft blieb bisher von den Auswirkungen weitgehend verschont. Zwar kühlt sich die Konjunktur im Euro-Raum seit dem Frühjahr ab, wie die Unternehmensumfragen zeigen, jedoch verstärkte sich die Abwärtsbewegung bislang nicht. Im III. Quartal expandierte die Wirtschaft des Euro-Raumes unverändert um 0,2% gegenüber der Vorperiode. In Deutschland beschleunigte sich das Wachstum sogar leicht von +0,3% auf +0,5%; während die Exportwirtschaft anhaltend an Schwung verliert, entwickelt sich die Binnennachfrage recht robust. Konsumentenvertrauen und Einzelhandelsumsätze weisen auch zum Jahresende auf eine stabile Konsumnachfrage hin.

Für die österreichische Wirtschaft ergab die Revision der vierteljährlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung im III. Quartal 2011 ein Wachstum von real 0,3% gegenüber der Vorperiode (nach +0,5% im II. Quartal). Damit hat sich die Konjunktur neuerlich abgeschwächt. Die Dynamik dürfte weiter nachlassen, jedoch steht auch in Österreich unmittelbar kein Einbruch der Wirtschaftsleistung bevor. Im November verschlechterte sich die Einschätzung der künftigen Wirtschaftsentwicklung durch die Unternehmen nicht weiter, und auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist als verhalten positiv zu beurteilen.

Weltwirtschaft expandiert langsamer

Die vorlaufenden Konjunkturindikatoren deuten auf eine Abschwächung der Weltkonjunktur hin. In den USA mehren sich positive Signale trotz bevorstehender Einsparungen im Staatshaushalt.

Sowohl der Leading Indicator der OECD als auch der ifo-Weltklimaindex weisen auf ein Nachlassen der Dynamik der Weltwirtschaft hin. Dies betrifft vor allem den Euro-Raum, wichtige Emerging Markets und Entwicklungsländer. Nur in Japan und den USA dürfte sich das Wachstum in naher Zukunft beschleunigen. In Japan treiben insbesondere die anhaltenden Wiederaufbauarbeiten nach der Umweltkatastrophe vom März 2011 die Nachfrage an.

 

Übersicht 1: Ergebnisse der vierteljährlichen Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2010

2011

 

 

 

II. Quartal

III. Quartal

IV. Quartal

I. Quartal

II. Quartal

III. Quartal

 

 

 

Veränderung gegen das Vorquartal in %

Real, saison- und arbeitstägig bereinigt

 

 

 

 

 

 

 

Konsumausgaben insgesamt

 

 

+0,3

+0,4

+0,3

+0,2

+0,3

+0,3

Private Haushalte1)

 

 

+0,4

+0,5

+0,2

0,1

+0,2

+0,4

Staat

 

 

0,1

+0,1

+0,4

+0,7

+0,6

+0,3

Bruttoinvestitionen

 

 

+1,8

+2,6

+1,8

+0,7

+0,4

+0,6

Bruttoanlageinvestitionen

 

 

+0,7

+1,3

+1,1

+0,8

+1,2

+0,8

Ausrüstungen

 

 

+2,2

+3,0

+2,9

+2,0

+2,0

+2,0

Bauten

 

 

0,5

0,2

0,1

+0,1

+0,3

0,3

Exporte

 

 

+4,0

+2,6

+1,4

+2,3

+1,1

+0,5

Waren

 

 

+7,3

+4,1

+0,4

+2,3

+1,4

+0,9

Dienstleistungen

 

 

+1,2

+0,9

+0,8

+1,3

+1,3

+0,9

Importe

 

 

+3,8

+3,0

+1,5

+2,0

+1,3

+0,5

Waren

 

 

+4,2

+3,5

+1,6

+1,8

+1,2

+1,0

Dienstleistungen

 

 

+2,0

+2,2

+1,9

+1,5

+0,9

+0,4

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bruttoinlandsprodukt

 

 

+0,9

+1,5

+1,1

+0,9

+0,5

+0,3

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herstellung von Waren

 

 

+4,1

+4,0

+3,0

+3,4

+1,2

+0,7

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

2009

2010

2010

2011

 

 

 

II. Quartal

III. Quartal

IV. Quartal

I. Quartal

II. Quartal

III. Quartal

 

Veränderung gegen das Vorjahr in %

Real, berechnet auf Basis von Vorjahrespreisen

 

 

 

 

 

 

 

Konsumausgaben insgesamt

0,1

+1,5

0,1

+1,4

+1,7

+0,2

+2,4

+0,4

Private Haushalte1)

0,3

+2,2

0,3

+2,6

+2,5

0,3

+1,9

+0,2

Staat

+0,2

0,2

+0,8

1,9

0,5

+1,3

+3,5

+1,0

Bruttoinvestitionen

11,9

+3,6

+6,1

+9,9

+6,2

+28,2

+7,5

+5,3

Bruttoanlageinvestitionen

8,3

+0,1

0,1

+0,1

+4,2

+4,0

+5,1

+4,7

Ausrüstungen

9,7

+4,3

+3,4

+2,8

+15,2

+12,8

+9,5

+13,7

Bauten

7,6

2,9

1,8

2,1

3,0

1,2

+2,6

0,7

Exporte

14,3

+8,3

+12,3

+11,1

+8,8

+13,3

+6,3

+5,1

Waren

16,6

+10,9

+15,3

+13,3

+12,2

+17,6

+6,4

+5,8

Dienstleistungen

8,3

+2,2

+4,5

+5,8

+0,3

+4,8

+5,9

+3,4

Importe

13,8

+8,0

+9,9

+10,9

+8,8

+14,4

+6,6

+4,1

Waren

14,7

+9,1

+12,1

+11,8

+9,7

+15,0

+6,7

+4,3

Dienstleistungen

10,2

+3,7

+1,6

+7,4

+5,5

+11,2

+6,2

+3,9

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bruttoinlandsprodukt

3,8

+2,3

+2,6

+3,6

+2,6

+5,3

+4,0

+2,7

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Herstellung von Waren

15,3

+7,4

+11,2

+10,4

+9,6

+19,5

+10,3

+8,4

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bruttoinlandsprodukt, nominell

2,8

+4,1

+4,2

+5,7

+4,5

+7,7

+6,0

+4,7

Q: WIFO. 1) Einschließlich privater Organisationen ohne Erwerbszweck.

 

 

 

Abbildung 1: Entwicklung des realen Bruttoinlandsproduktes

Veränderung gegen das Vorjahr bzw. Vorquartal in %

Q: WIFO.

 

Gemäß den revidierten BIP-Wachstumsraten im 1. Halbjahr 2011 verstärkte sich die Dynamik in den USA seit Jahresanfang laufend (I. Quartal +0,1% gegenüber der Vorperiode, II. Quartal +0,3%, III. Quartal +0,5%). Die Impulse gingen zuletzt vom Außenbeitrag und der Konsumnachfrage aus. Die gesamte Investitionsnachfrage drückte hingegen das Wachstum, vor allem wegen des Rückgangs der Lagerinvestitionen, während die Ausrüstungsinvestitionen kräftig wuchsen (real +3,7% gegenüber der Vorperiode). Nach der Stagnation in den vergangenen Monaten stieg der Purchasing Manager Index in der November-Umfrage wieder. Dies deutet auf eine gute Produktionsentwicklung auch noch im IV. Quartal hin.

Die Lage auf dem Arbeitsmarkt der USA entspannt sich ebenfalls weiter, wenn auch zögerlich. Seit der jüngsten Krise verringert sich die Arbeitslosigkeit untypisch langsam. Im November 2011 sank die saisonbereinigte Arbeitslosenquote erneut (auf 8,6%), sie lag damit aber um nur 1½ Prozentpunkte unter dem langjährigen Höchstwert vom Oktober 2009 (10,1%). Zu vorsichtigem Optimismus geben auch die Konsumentenumfragen Anlass: Sowohl der Consumer Sentiment Index als auch der Consumer Confidence Index stiegen im November deutlich. Da das Auslaufen der Senkung der Sozialversicherungssteuer und des verlängerten Arbeitslosengeldanspruchs mit Jahresende die Haushaltseinkommen dämpfen wird, ist dies bemerkenswert.

Chinas Wirtschaft wuchs im III. Quartal 2011 um 2,3% und damit fast so stark wie in der Vorperiode. Der offizielle Einkaufsmanagerindex für die chinesische Wirtschaft sank allerdings im November erstmals seit Februar 2009 unter die Schwelle von 50 Punkten, was auf eine anhaltende Verschlechterung hinweist. Jüngst lockerte die Notenbank ihren geldpolitischen Kurs wieder, nachdem sie seit einiger Zeit zur Inflationsdämpfung eine Kreditverknappung angestrebt hatte.

In Japan verlief das Jahr 2011 turbulent: Im I. Quartal sank die Wirtschaftsleistung gegenüber der Vorperiode noch um 1,7%; die Erdbebenkatastrophe im März erschwerte die Produktionsbedingungen erheblich. Auch im II. Quartal wurde noch ein Rückgang verzeichnet. Die in der Folge einsetzenden Wiederaufbauarbeiten lösten im III. Quartal eine deutliche Expansion aus (+1,4%). Laut Tankan-Umfrage hellte sich die Stimmung in der Industrie im Oktober 2011 weiter auf. Dies weist auf eine anhaltend gute Wirtschaftsentwicklung zum Jahresende hin.

Verstärkte Sparanstrengungen im Euro-Raum

Immer mehr Staaten des Euro-Raumes werden von der Vertrauenskrise in der Finanzwirtschaft erfasst: Das Vertrauen sowohl in die Staatsfinanzen als auch in das Bankensystem schwindet weiter.

Bislang bot die Wirtschaftspolitik im Euro-Raum kein glaubwürdiges Konzept zur Lösung der Staatsschuldenproblematik. Die Diskussion, wie die Nachfrage nach Staatsanleihen der südlichen Länder der Währungsunion angekurbelt werden soll, ist im Gang. Die Ankündigung von rigorosen Sparpaketen in den betroffenen Ländern konnte die Märkte bisher nicht ausreichend überzeugen. Konzeptvorschläge zur künstlichen Ankurbelung der Nachfrage (EFSF, Ankauf durch die EZB), um die Finanzierungskosten zu senken, blieben bislang ebenfalls ohne Ergebnis. Auch auf die Alternative, günstige Finanzierungsmittel durch die Auflage von gemeinschaftlich garantierten Euro-Bonds aufzubringen, konnten sich die Länder bislang nicht einigen. Inzwischen wuchs die Skepsis der Finanzmärkte weiter. Die Rendite griechischer Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt überschritt bereits die 30%-Marke, die Neuaufnahme finanzieller Mittel über den Markt ist damit weiterhin unmöglich. Auch für Portugal liegt die Rendite bereits bei 12%.

Mittlerweile sind auch große Länder des Euro-Raumes vom Vertrauensverlust der Finanzmärkte betroffen. In Italien (Staatsschuld über 120% des BIP) stieg der Monatsdurchschnitt der Rendite innerhalb eines Jahres um 2,2 Prozentpunkte. Jüngst mussten auf dem freien Markt Mittel zu einer Verzinsung von 7,9% aufgenommen werden. Auch für Frankreich und Österreich verschlechtern sich mittlerweile die Finanzierungsbedingungen, die Rendite stieg jeweils von 2,7% im September 2011 auf 3,4% im November; die Staatsverschuldung liegt in Österreich mit rund 75% des BIP unter jener von Frankreich (85%).

 

Abbildung 2: Internationale Konjunktur

Saisonbereinigt, 2005 = 100, gleitende Dreimonatsdurchschnitte

Q: Europäische Kommission, Deutsche Bundesbank, ISM (Institute for Supply ManagementTM), ifo (Institut für Wirtschaftsforschung), OECD. 1) Produzierender Bereich.

 

Bislang profitierte nur Deutschland von den Unsicherheiten. Die Angst vor Kursverlusten von Euro-Staatsanleihen anderer Länder ließ die Nachfrage nach deutschen Papieren steigen und somit deren Rendite sinken. Im November zeigte sich erstmals auch eine verstärkte Zurückhaltung bezüglich deutscher Titel, und in der Folge stieg auch hier die Rendite. Die internationalen Ratingagenturen drohen bereits mit einer Herabstufung des Ratings von Euro-Staaten, deren Bonität bislang mit Bestnoten bewertet wurde.

Bisher entwickelte sich die Wirtschaft des Euro-Raumes angesichts der Wirren auf den Finanz- und Kapitalmärkten günstig. Das Wirtschaftswachstum verlangsamte sich im II. Quartal deutlich (+0,2%, I. Quartal +0,8%), im III. Quartal aber nicht weiter. Allerdings schlägt hier das gute Ergebnis Deutschlands deutlich durch: Die deutsche Wirtschaft wuchs im III. Quartal um 0,5%. Im gesamten übrigen Euro-Raum stagnierte das BIP weitgehend.

Die saisonbereinigte Arbeitslosenquote hatte im Euro-Raum bis April 2011 sinkende Tendenz, steigt aber seither wieder. Zwischen Mai und Oktober erhöhte sie sich schrittweise von 9,9% auf 10,3%. Deutlich verschlechterte sich seit dem Frühjahr 2011 zudem der Vertrauensindikator der Industrie, seit dem Sommer auch der Index des Konsumentenvertrauens.

Für die Wirtschaftsentwicklung in naher Zukunft liefern die vorlaufenden Indikatoren unterschiedliche Signale. Während sich das Vertrauen der Industrie in die Konjunktur im Oktober weniger stark eintrübte und im November sogar konstant blieb, schrumpften in letzter Zeit die Auftragseingänge deutlich. Diese Entwicklung betraf auch Deutschland, die Auftragseingänge waren dort drei Monate lang rückläufig. Im November ergab sich ein merklicher Anstieg, der die vorangegangenen Einbußen aber nicht wettmachte. Gemäß diesen Indikatoren dürfte die Wirtschaft des Euro-Raumes zum Jahresende stagnieren. In weiterer Folge könnten sich aus dem Rückgang der Auftragseingänge Produktionseinbußen ergeben.

Problematisch ist nach wie vor die Lage im europäischen Bankensystem. Die Aktien der führenden Banken des Euro-Raumes verloren seit Anfang 2011 massiv an Wert. Viele Banken sind wieder mit einer ungenügenden Eigenkapitalausstattung konfrontiert. Die europäische Bankenaufsicht bezifferte den zusätzlichen Eigenmittelbedarf zuletzt mit 115 Mrd. €. Es ist nicht auszuschließen, dass zur Stützung einiger Banken wieder öffentliche Mittel in Anspruch genommen werden müssen.

Die EZB stellte Anfang Dezember in einer konzertierten Aktion gemeinsam mit der Federal Reserve Bank der USA, der kanadischen Notenbank, der japanischen Zentralbank, der Bank of England und der schweizerischen Notenbank den weltweiten Finanzmärkten beträchtliche Liquidität in Dollar zur Verfügung. Insbesondere Banken des Euro-Raumes hatten zuvor Probleme in der Versorgung mit Liquidität von Dollar gemeldet. Nachdem die EZB den Leitzinssatz im April und Juli 2011 zweimal um je 25 Basispunkte erhöht hatte, sah sie sich Anfang November und Dezember genötigt, ihn um jeweils ¼ Prozentpunkt zu senken. Im September und Oktober stellte die EZB dem Kreditwesen zusätzliche Liquidität in Höhe von 260 Mrd. € zur Verfügung (knapp +13% gegenüber Ende August).

Nachlassen der Exportnachfrage dämpft heimische Wirtschaftsentwicklung

Die Konjunktur schwächte sich in Österreich im III. Quartal weiter ab. Nach einem Anstieg der gesamtwirtschaftlichen Produktion um real 0,5% im II. Quartal verlangsamte sich das Wachstum im III. Quartal auf +0,3%.

Nachdem die heimische Wirtschaft bereits im II. Quartal 2011 deutlich an Dynamik eingebüßt hatte (+0,5% nach +0,9% im I. Quartal 2011), setzte sich die Abschwächung im III. Quartal fort (+0,3%), die Impulse aus dem Ausland kamen praktisch zum Erliegen. Zwar wurde der Export i. w. S. gegenüber dem Vorquartal real noch um 0,5% ausgeweitet, doch stieg der Import mit +0,5% gleich stark. Die Zunahme des Warenexports entsprach mit real 0,9% etwa jener des Warenimports (+1,0%). Im WIFO-Konjunkturtest vom November 2011 meldeten die Unternehmen eine neuerliche Verschlechterung der Auftragseingänge aus dem Ausland. Die Nachfrage nach heimischen Exportgütern wird somit in naher Zukunft nachlassen.

Die Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage wurde im III. Quartal weitgehend durch inländische Komponenten bestimmt: Der Konsum der privaten Haushalte wuchs im III. Quartal mit real +0,4% gegenüber der Vorperiode stärker als im II. Quartal (+0,2%). Der öffentliche Konsum expandierte um real +0,3%. Die realen Einzelhandelsumsätze (ohne Kfz) verschlechtern sich bereits seit Herbst 2010, im August 2011 unterbrach ein leichter Anstieg diese Abwärtsbewegung. Die Umfragen zum Verbrauchervertrauen spiegeln hingegen erst seit dem Sommer 2011 eine deutliche Verschlechterung der Stimmung wider. Das Verbrauchervertrauen wird üblicherweise stark von der Medienberichterstattung beeinflusst. Die Diskussionen um die Schuldenkrise im Euro-Raum dürften somit großen Einfluss auf die Verschlechterung der Stimmung haben. Im November sank der Index weiter.

 

Abbildung 3: Ergebnisse des WIFO-Konjunkturtests

Salden aus positiven und negativen Meldungen in % der befragten Unternehmen, saisonbereinigt

Q: Europäische Kommission, WIFO-Konjunkturtest.

 

Die Konjunkturabschwächung und die Verunsicherung durch die Diskussionen um die Schuldenkrise im Euro-Raum dürften die Investitionsnachfrage dämpfen. Allerdings verlangsamte sich der Anstieg der Ausgaben für Ausrüstungsgegenstände seit Anfang 2011 nicht weiter. Im II. und III. Quartal wuchs die Nachfrage nach Ausrüstungsgütern mit real +2,0% nahezu ebenso stark wie zu Jahresbeginn. Die Unternehmen scheinen ihre Investitionen zwar vorsichtig zu planen, der in der Krise 2008/09 entstandene Rückstand erfordert jedoch eine Ausweitung der Ersatzinvestitionen. Dies bestätigen auch die Angaben der Unternehmen zur Kapazitätsauslastung im WIFO-Konjunkturtest vom September 2011.

Nachdem die Nachfrage nach Bauinvestitionen im 1. Halbjahr 2011 erstmals seit langem gestiegen war (I. Quartal real +0,1%, II. Quartal +0,3%), brachte das III. Quartal wieder einen Rückschlag (0,3%). Wohnbau und Nichtwohnbau waren davon gleichermaßen betroffen. Im WIFO-Konjunkturtest vom November bezeichneten die Bauunternehmen das Bauvolumen und die Auftragsbestände als zu niedrig. Auch in naher Zukunft kann somit nicht mit einem Anspringen der Baukonjunktur gerechnet werden.

 

Abbildung 4: Wirtschaftspolitische Eckdaten

Q: Arbeitsmarktservice Österreich, Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, OeNB, Statistik Austria, WIFO-Berechnungen. 1) Ohne Personen, die Kinderbetreuungsgeld beziehen, ohne Präsenzdiener, ohne in der Beschäftigungsstatistik erfasste Arbeitslose in Schulung.

 

Das Nachlassen der Nachfrageimpulse aus dem Ausland wirkte sich vor allem auf die Warenproduktion aus. Im III. Quartal 2011 betrug die reale Zunahme gegenüber der Vorperiode 0,7% (nach +1,2% im II. Quartal und +3,4% im I. Quartal). Auch in der Sachgütererzeugung verschlechtern sich laut WIFO-Konjunkturtest seit Anfang 2011 die Produktionserwartungen für die kommenden drei Monate. Die Unternehmen melden eine Abnahme der Auftragsbestände aus dem In- und Ausland. Ähnlich wie in Deutschland verschlechterten sich die Produktionserwartungen im November 2011 erstmals nicht weiter. Wenngleich mit einer anhaltenden Konjunkturabschwächung zu rechnen ist, geben die Umfragen noch keinen Hinweis darauf, dass diese sich ähnlich krisenhaft entwickeln könnte wie in den Rezessionsjahren 2008/09.

Leichter Anstieg der Nächtigungszahl

Nach ersten Berechnungen stiegen die österreichischen Tourismusumsätze in der Sommersaison 2011 gegenüber dem Vorjahr um 3,8%. Ein Großteil des Anstiegs geht allerdings auf den deutlichen Preisauftrieb im Tourismus zurück, die Zahl der Nächtigungen stieg mit +2,4% weniger stark. Zudem sanken die realen Ausgaben pro Nächtigung.

Von Mai bis Oktober 2011 lag die Nächtigungsnachfrage der Reisenden aus dem Ausland um 3,2% über dem Vorjahresniveau, jene der inländischen Gäste um nur 0,8%. Besonders stark stieg die Zahl der Gäste aus den östlichen Nachbarländern. Die Nächtigungen von Gästen aus Russland übertrafen das Vorjahresniveau um 30,5%. Überdurchschnittliche Steigerungsraten waren auch für die Nachfrage aus Polen (+26,4%), Ungarn (+18,2%) und Tschechien (+12,8%) zu verzeichnen.

Vor allem die Bundesländer Niederösterreich, Vorarlberg, Oberösterreich und Wien profitierten mit überdurchschnittlichen Zuwächsen vom Anstieg im Sommertourismus, während in Tirol und im Burgenland geringere Steigerungen erzielt wurden.

Inflation verringert sich wieder

Die Inflationsrate ging in Österreich im Oktober auf 3,4% zurück. Nachgebende Rohstoffnotierungen und die Konjunkturabschwächung dämpfen den Preisauftrieb.

Nachdem die Inflationsrate in Österreich im September 2011 mit 3,6% den höchsten Wert seit September 2008 (+3,8%) erreicht hatte, war im Oktober wieder ein Rückgang auf 3,4% zu verzeichnen. Abermals war die Verteuerung von Mineralölprodukten der wichtigste Preistreiber: Im Vorjahresvergleich sind die Steigerungsraten zwar nach wie vor beträchtlich, seit dem Frühjahr 2011 geben die Rohölnotierungen aber merklich nach. Auch Lebensmittel verteuerten sich im Vorjahresvergleich erheblich (+4%).

Der EU-weit harmonierte Verbraucherpreisindex stieg in Österreich im Oktober um 3,8%. Damit war der Preisauftrieb deutlich höher als im Durchschnitt des Euro-Raumes (+3,0%). Während sich in Österreich Nahrungsmittel und Mineralölprodukte ähnlich stark verteuerten wie im übrigen Euro-Raum, stiegen die Preise in den Kategorien "Freizeit und Kultur" und "Hotels, Cafés und Restaurants" deutlich überdurchschnittlich. Der Wegfall der in der Wirtschaftskrise gewährten Preisnachlässe im Tourismus schlägt sich im HVPI wesentlich stärker nieder als im VPI, weil sie im HVPI ein viel größeres Gewicht haben.

Anhaltende Beschäftigungsausweitung trotz steigender Arbeitslosigkeit

Das Arbeitskräfteangebot wächst seit Anfang 2011 stärker als die Nachfrage. In der Folge erhöhte sich in den letzten Monaten die Arbeitslosigkeit trotz steigender Beschäftigung.

Im November 2011 wuchs die saisonbereinigte Zahl der beim AMS gemeldeten Arbeitslosen gegenüber dem Vormonat um 0,6% auf rund 255.000. Damit waren etwa 10.000 Personen mehr ohne Beschäftigung als im Frühjahr. Der steigende Trend hält an, verstärkt sich aber nicht. Auch im Vorjahresvergleich nimmt die Arbeitslosigkeit deutlich zu: Im November 2010 waren 244.000 Personen ohne Beschäftigung gewesen, im November 2011 um rund 9.000 Personen mehr. Allerdings wurden in diesem Zeitraum die Schulungsaktivitäten des AMS erheblich eingeschränkt, die Zahl der Personen in Schulungen verringerte sich um 7.000.

Die Arbeitslosenquote nach nationaler Berechnungsmethode stieg im November 2011 auf 6,9% und entsprach damit der saisonbereinigten Quote; im November 2010 hatte diese 6,8% betragen, im Oktober 2011 6,9%. Die Arbeitslosenquote laut Eurostat-Definition war in Österreich im Oktober mit 4,1% neuerlich die niedrigste in der EU.

Die Beschäftigung wächst nach wie vor: Die Zahl der unselbständig aktiv Beschäftigten stieg im November gegenüber dem Vorjahr um 1,8% (+59.000). Auf Basis der saisonbereinigten Reihe ergibt sich ein Zuwachs gegenüber dem Vormonat von 0,1%. Die Aufwärtsdynamik ließ somit in den letzten Monaten etwas nach, die stetige Abkühlung der Konjunktur scheint sich nunmehr auf die Arbeitskräftenachfrage auszuwirken.

 

Methodische Hinweise und Kurzglossar

Periodenvergleiche

Zeitreihenvergleiche gegenüber der Vorperiode, z. B. dem Vorquartal, werden um jahreszeitlich bedingte Effekte bereinigt. Dies schließt auch die Effekte ein, die durch eine unterschiedliche Zahl von Arbeitstagen in der Periode ausgelöst werden (etwa Ostern). Im Text wird auf "saison- und arbeitstägig bereinigte Veränderungen" Bezug genommen.

Die Formulierung "veränderte sich gegenüber dem Vorjahr . . ." beschreibt hingegen eine Veränderung gegenüber der gleichen Periode des Vorjahres und bezieht sich auf unbereinigte Zeitreihen.

Die Analyse der saison- und arbeitstägig bereinigten Entwicklung liefert genauere Informationen über den aktuellen Konjunkturverlauf und zeigt Wendepunkte früher an. Die Daten unterliegen allerdings zusätzlichen Revisionen, da die Saisonbereinigung auf statistischen Methoden beruht.

Reale und nominelle Größen

Die ausgewiesenen Werte sind grundsätzlich real, also um Preiseffekte bereinigt, zu verstehen. Werden Werte nominell ausgewiesen (z. B. Außenhandelsstatistik), so wird dies eigens angeführt.

Produzierender Bereich

Diese Abgrenzung schließt die NACE-2008-Abschnitte B, C und D (Bergbau und Gewinnung von Steinen und Erden, Herstellung von Waren, Energieversorgung) ein und wird hier im internationalen Vergleich verwendet.

Inflation, VPI und HVPI

Die Inflationsrate misst die Veränderung der Verbraucherpreise gegenüber dem Vorjahr. Der Verbraucherpreisindex (VPI) ist ein Maßstab für die nationale Inflation. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) ist die Grundlage für die vergleichbare Messung der Inflation in der EU und für die Bewertung der Preisstabilität innerhalb der Euro-Zone (siehe auch http://www.statistik.at/).

Die Kerninflation als Indikator der Geldpolitik ist nicht eindeutig definiert. Das WIFO folgt der gängigen Praxis, für die Kerninflation die Inflationsrate ohne die Gütergruppen unverarbeitete Nahrungsmittel und Energie zu verwenden. So werden knapp 87% der im österreichischen Warenkorb für den Verbraucherpreisindex (VPI 2010) enthaltenen Güter und Dienstleistungen in die Berechnung der Kerninflation einbezogen.

WIFO-Konjunkturtest und WIFO-Investitionstest

Der WIFO-Konjunkturtest ist eine monatliche Befragung von rund 1.500 österreichischen Unternehmen zur Einschätzung ihrer aktuellen und künftigen wirtschaftlichen Lage. Der WIFO-Investitionstest ist eine halbjährliche Befragung von Unternehmen zu ihrer Investitionstätigkeit (http://www.itkt.at/). Die Indikatoren sind Salden zwischen dem Anteil der positiven und jenem der negativen Meldungen an der Gesamtzahl der befragten Unternehmen.

Arbeitslosenquote

Österreichische Definition: Anteil der zur Arbeitsvermittlung registrierten Personen am Arbeitskräfteangebot der Unselbständigen. Das Arbeitskräfteangebot ist die Summe aus Arbeitslosenbestand und unselbständig Beschäftigten (gemessen in Standardbeschäftigungsverhältnissen). Datenbasis: Registrierungen bei AMS und Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Definition gemäß ILO und Eurostat: Als arbeitslos gelten Personen, die nicht erwerbstätig sind und aktiv einen Arbeitsplatz suchen. Als erwerbstätig zählt, wer in der Referenzwoche mindestens 1 Stunde selbständig oder unselbständig gearbeitet hat. Personen, die Kinderbetreuungsgeld beziehen, und Lehrlinge zählen zu den Erwerbstätigen, nicht hingegen Präsenz- und Zivildiener. Die Arbeitslosenquote ist der Anteil der Arbeitslosen an allen Erwerbspersonen (Arbeitslose plus Erwerbstätige). Datenbasis: Umfragedaten von privaten Haushalten (Mikrozensus).

Begriffe im Zusammenhang mit der österreichischen Definition der Arbeitslosenquote

Personen in Schulungen: Personen, die sich zum Stichtag in AMS-Schulungsmaßnahmen befinden. Für die Berechnung der Arbeitslosenquote wird ihre Zahl weder im Nenner noch im Zähler berücksichtigt.

Unselbständig aktiv Beschäftigte: Zu den "unselbständig Beschäftigten" zählen auch Personen, die Kinderbetreuungsgeld beziehen, sowie Präsenz- und Zivildiener mit aufrechtem Beschäftigungsverhältnis. Zieht man deren Zahl ab, so erhält man die Zahl der "unselbständig aktiv Beschäftigten".

 

 

 

Economic Developments Marked By Debt Crisis Summary

European economic policy-makers continue to discuss which measures to take to restore financial markets' confidence in the credit-worthiness of countries with high sovereign debts. Meanwhile, borrowing costs have risen also for states with relatively low debt levels. The real economy continues to lose momentum, although there are still no signs of a sharp fall in economic output.

The difficult decision on how to stabilise financial markets for European bonds has to be taken in a phase of declining and greatly varying momentum for economic activity. The rise in government bond yields in recent months even suggests that insecurity on financial markets about the ability of individual euro countries to service their debts has mounted. Against this background, politicians are increasingly trying to bring about an easing of the situation by announcing intensified austerity efforts. This, however, entails the danger of further dampening economic activity.

Meanwhile, borrowing costs have increased also for states with comparably unproblematic debt levels. Even interest rates for German bonds recently posted a slight increase following a marked decline. The real economy has been largely spared from the consequences up to now. Economic activity has been slowing since spring, as evidenced by business surveys, but so far the downward trend has not accelerated. In the third quarter, quarter-on-quarter economic growth in the euro area remained unchanged at 0.2 percent. In Germany, growth even accelerated slightly from +0.3 percent to +0.5 percent; while the export industry is constantly losing momentum, domestic demand is growing at quite a robust pace. Consumer confidence and retail sales suggest that consumer demand will remain stable also towards the end of the year.

As for the Austrian economy, the revision of the quarterly national accounts showed that real growth was 0.3 percent in the third quarter of 2011 compared with the previous quarter (after +0.5 percent in the second quarter). Hence economic activity has moderated once again. While the pace of expansion is likely to weaken further, Austria, too, is not facing an imminent fall in economic output. In November, firms' assessments of future economic developments did not deteriorate further, and labour market developments can also be judged to be faintly positive.