WIFO

 

Ausgewählte Ergebnisse einer erweiterten Wohlstandsmessung im Ländervergleich

 

Vor einigen Jahren flammte die Diskussion über die Eignung des BIP als Wohlstandsindikator neu auf. In der Folge wurde eine Fülle neuer Indikatoren von einer Erweiterung des Produktionsbegriffs bis hin zu Glücklichkeitsmaßzahlen vorgeschlagen. Die internationale Diskussion ist noch nicht abgeschlossen, jedoch lässt sich bereits jetzt mit einfach verfügbaren Daten ein besseres Bild des Wohlstands herleiten als anhand der bloßen Beobachtung des Bruttoinlandsproduktes.

 

Begutachtung: Michael Böheim • Wissenschaftliche Assistenz: Silvia Haas, Roswitha Übl • E-Mail-Adressen: Marcus.Scheiblecker@wifo.ac.at, Julia.Bock-Schappelwein@wifo.ac.at, Franz.Sinabell@wifo.ac.at

 

INHALT

Hintergrund

Wirtschaftspolitische Bestrebungen zur erweiterten Wohlstandsmessung

Kennzahlen der VGR zur Wohlstandsmessung

Einkommensindikatoren aus der VGR

Indikatoren für Lebensqualität und materielle Lebensbedingungen

Beschäftigungsquote

Arbeitslosenquote

Einkommensverteilung

Armutsgefährdung nach Sozialleistungen

Entwicklung seit 2000

Schlussbetrachtung

Literaturhinweise

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND ABBILDUNGEN

Übersicht 1: Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens. 8

Übersicht 2: Produktions- und Einkommensniveau im internationalen Vergleich. 9

Übersicht 3: Position Österreichs in der EU 27 gemessen an Arbeitsmarktindikatoren. 17

Abbildung 1: Dimension des Wohlstands. 7

Abbildung 2: Beschäftigungsquote (15 bis 64 Jahre) 12

Abbildung 3: Geschlechtsspezifischer Unterschied in der Beschäftigungsquote. 13

Abbildung 4: Beschäftigungsquote der Älteren (55 bis 64 Jahre) 14

Abbildung 5: Arbeitslosenquote. 15

Abbildung 6: Ungleichheit der Einkommensverteilung. 16

Abbildung 7: Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen. 17

 

 

In der ökonomischen Literatur beschäftigt sich in letzter Zeit eine Fülle an Beiträgen unter dem Stichwort "Beyond GDP" mit neuen oder längere Zeit wenig beachteten Ansätzen zur erweiterten Wohlstandsmessung. Sie decken teils auf, dass mit steigendem Bruttoinlandsprodukt nicht notwendigerweise eine Zunahme der Wohlfahrtswirkungen einhergeht, teils werden durch ergänzende Kennzahlen die umfassenden Wirkungen wirtschaftspolitischer Eingriffe aufgezeigt. Im vorliegenden Beitrag werden zwei Aspekte behandelt: selten beachtete Standardkennzahlen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung und Indikatoren der sozialen Kohärenz einer Gesellschaft. Der internationale Vergleich der Kennzahlen vermittelt einen besseren Einblick in die Entwicklung der letzten Jahre als die reine Betrachtung des Bruttoinlandsproduktes.

Hintergrund

Richard Stone erhielt 1984 den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften für seine bahnbrechenden Arbeiten zur Entwicklung einer konsistenten quantitativen Erfassung des Wirtschaftskreislaufs in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Den Kern seiner als "Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung" bezeichneten Systematik bildet das Bruttoinlandsprodukt (BIP), das die gesamtwirtschaftliche Produktion umfasst. Vorangetrieben von der UNO und der OECD entwickelte sich dieses wirtschaftsstatistische Zahlenwerk weltweit zum Standard, und das BIP wurde zum Maßstab für Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft. Mit dem Begriff Wirtschaftswachstum wurde fortan die reale Veränderung des BIP untrennbar verbunden.

In den Anfängen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (VGR) konzentrierte sich das Bestreben auf die Datenbeschaffung, um überhaupt zu verlässlichen Berechnungen des BIP zu kommen. Aufmerksamkeit erhielt die VGR anfangs fast ausschließlich in wissenschaftlichen Kreisen, jedoch rückte sie recht rasch in das wirtschaftspolitische Blickfeld (Stone, 1984). Damit war oftmals eine wenig kritische Interpretation der errechneten Maßzahlen verbunden. In den 1970er-Jahren entstand erstmals eine breitere öffentliche Diskussion über Sinnhaftigkeit, Vollständigkeit und Nachhaltigkeit der Messung durch das BIP-Konzept. Die Studie des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums (Meadows et al., 1972) sorgte für großes Aufsehen und stellte die Wohlstandsmessung mittels herkömmlicher Produktionsmesskonzepte und die wirtschaftspolitische Ausrichtung auf das Wirtschaftswachstum grundsätzlich in Frage.

Die Kritik setzte einerseits an der Erfassungsmethode der Produktion an und andererseits an der Verwendung der Produktion selbst als Wohlstandsmaß. Zum ersten Problemkreis zählt die ungenügende Berücksichtigung von nicht über den Markt bereitgestellten Dienstleistungen (z. B. Hausarbeit, Tätigkeiten von Freiwilligen)[a]) oder des Ressourcenverbrauchs durch die Produktion (Umweltschäden, nicht nachhaltige Ressourcennutzung). Der zweite Problemkreis betrifft die Tatsache, dass die Produktion selbst wenig über die Verteilung der generierten Einkommen aussagt und nur einen Aspekt des breiten Spektrums des Wohlstands einer Bevölkerung abbildet (Sicherheit, Gesundheit, Toleranz usw.).

Eine Reihe von Studien befasste sich in der Folge mit dem Thema der Vollständigkeit der BIP-Berechnung. Das Hauptaugenmerk lag hier auf der Erfassung der Haushaltsproduktion[b]), wie die Arbeiten von Hawrylyshyn (1976), Weinrub (1974), Ironmonger (1989) oder Landefeld McCulla (2000) zeigen. Auch in aktuellen Arbeiten wird immer wieder versucht, den Wert der Hausarbeit zu berechnen (z. B. House Laitner Stolyarov, 2008). Trotz einiger Revisionen des VGR-Systems[c]) wurden solche Überlegungen aber bisher nicht in die Berechnung des BIP aufgenommen. Die Schwierigkeit liegt in der Definition und der Abgrenzung, d. h. in der Grenzziehung zwischen Freizeitbeschäftigung und Arbeit. Während sie für Hausarbeiten wie Wohnungsreinigung und Wäschewaschen noch einfach erscheint, sind Kochen, Kinderbetreuung oder Heimtierpflege schwierig zuzuordnen.

Auch eine Verfeinerung der BIP-Berechnungen zur Berücksichtigung des über den Ressourcenverbrauch an physischem Kapital hinausgehenden Teils wurde begonnen. Ein solches Maß ist etwa das bereinigte Nettonationalprodukt[d]): Der Begriff des Kapitals laut VGR (der sich im Wesentlichen auf Anlagegüter beschränkt) wird hier um das Humankapital und die natürlichen Ressourcen erweitert. Einerseits erhöhen Investitionen wie Erziehung, Ausbildung oder Aufforstung dieses Kapital, andererseits fallen dabei auch Abschreibungen an, die das Nettonationalprodukt verringern.

Ganz andere Ansätze werden zur Lösung des zweiten Problemkreises verfolgt. Um die Wohlstandsentwicklung aussagekräftiger abzubilden, wird nicht versucht, den Produktionsbegriff der VGR zu verändern, sondern es werden entweder zusätzliche oder andere Indikatoren herangezogen. Zusätzliche Indikatoren werden entweder durch Kombination verschiedener Indikatoren und Indexbildung oder durch Ergänzung des BIP um weitere Indikatoren gewonnen.

Die Erstellung eines synthetisierten Index aus mehreren Indikatoren durch Gewichtung, die dem beabsichtigten Zweck Rechnung trägt, hat den Vorteil, dass anhand lediglich eines Indikators Aussagen über Niveau und/oder Entwicklung des Wohlstands einer Volkswirtschaft getroffen werden können. Das Problem liegt jedoch in der Gewichtung der einzelnen Reihen, die weder empirisch noch theoretisch eindeutig festgelegt werden kann. Diese Gewichtung ist nicht nur höchst subjektiv, es fehlen auch sinnvolle Anhaltspunkte für Abzinsungsfaktoren, um notwendige intertemporale Nutzenverschiebungen zu bewerten. Somit muss z. B. die Entscheidung getroffen werden, welcher Wert gemessen am heutigen Wohlfahrtsverzicht einer sauberen Umwelt in Zukunft beizumessen ist. Ähnlich muss definiert werden, ob Investitionen in Sicherheit oder in Gesundheit der Vorzug zu geben ist. Außerdem gibt ein einzelner Indikator der Wirtschaftspolitik bzw. der Bevölkerung wenig Einblick darüber, in welchem Teilbereich Verbesserungspotential besteht[e]). Aufgrund dieser fundamentalen Schwächen wird dieser Ansatz heute kaum mehr verfolgt.

Wesentlich häufiger werden dem BIP andere Indikatoren zur Seite gestellt, welche die Messung um die Dimension des Wohlstands erweitern. Neben theoretischen Überlegungen werden auch politökonomische Gründe angeführt, um die Auswahl der Indikatoren zu begründen. Prominentestes Beispiel ist der Better Life Index der OECD (OECD, 2011A): Er fasst alternative Maße wie z. B. die Wohnsituation (Wohnungseigentum, Raumanzahl pro Kopf), Arbeitsmarkt (Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Beschäftigung), soziale Indikatoren, Gesundheit, Umwelt usw. zusammen. Zwar ermöglicht die Homepage[f]) auf der diese Indikatoren vorgestellt werden, eine individuelle Gewichtung nach subjektiven Gesichtspunkten zu einem synthetischen Index, doch steht dies nicht im Vordergrund. Anhand dieser Indikatoren ist gut ersichtlich, in welcher Wohlstandsdimension ein Land Aufholbedarf hat.

Ein wesentlich anderer Ansatz wird in der Happiness-Forschung verfolgt. Um die Zufriedenheit der Bevölkerung direkt zu erfassen bzw. durch Befragungen zu erheben, steht weniger das eher der emotionalen Verfassung entstammende und häufig schwankende Glücksgefühl (happiness) im Mittelpunkt, sondern die dem kognitiven Bereich zuzuordnende Lebenszufriedenheit (life satisfaction). Die Forschung in diesem Bereich erlebte in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung und gewährt wichtige Einblicke in die ökonomische Komponente der Lebenszufriedenheit[g]). Ein Ergebnis dieser Forschung ist, dass auch der absolute Einkommenszuwachs die Lebenszufriedenheit positiv beeinflussen kann (Frijters Shields Haisken-Denew, 2004).

Wirtschaftspolitische Bestrebungen zur erweiterten Wohlstandsmessung

Lösten in den 1970er- und 1980er-Jahren wissenschaftliche Kreise die Diskussion rund um das BIP als geeigneten Wohlstandsindikator aus, so wird die aktuelle Diskussion maßgeblich durch die Initiative der Wirtschaftspolitik geprägt. Nationale wie supranationale Organisationen und auch die Politik beauftragten die Erstellung von Studien und Statistiken alternativer Wohlstandsindikatoren.

Anfang 2008 beauftragte der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy die drei renommierten Ökonomen Joseph Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi mit der Erstellung eines Berichts über Möglichkeiten zur Verbesserung der Messung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts. Dieser Bericht (Stiglitz Sen Fitoussi, 2009) enthielt eine Reihe von Vorschlägen und zog bereits kurz nach dem Erscheinen deutliche und anhaltende Auswirkungen auf die Wirtschaftsstatistik nach sich. Stiglitz Sen Fitoussi (2009) empfehlen ein verstärktes Engagement der nationalen Statistikämter zur Erhebung des subjektiven Wohlbefindens der Bevölkerung und zur Erstellung von Indikatoren, um eine Querverbindung zwischen den verschiedenen Dimensionen der Lebensqualität herzustellen. Konsum und Einkommen seien wesentlich brauchbarere Indikatoren zur Messung des materiellen Wohlstands als die durch das BIP ausgedrückte Produktion.

In der Folge entstanden eine Reihe von Initiativen und Vorschlägen zu einer verbesserten und vollständigeren Messung des Wohlstands. Auf internationaler Ebene erweiterte die UNO 2010 den bereits seit langer Zeit anhand des um Kaufkraftdifferenzen bereinigten BIP pro Kopf, der Lebenserwartung und des Alphabetisierungsgrades der Bevölkerung berechneten Human Development Index um die Dimension der Einkommensverteilung[h]). Im August 2009 verabschiedete die Europäische Kommission das Strategiepapier "Das BIP und mehr: Die Messung des Fortschritts in einer Welt im Wandel". Zur Beurteilung des wirtschaftlichen Fortschritts wäre nicht bloß das BIP um Umwelt- und Sozialindikatoren zu erweitern, sondern diese auch im Rahmen der VGR auszuweisen[i]). Die OECD veröffentlichte im Mai 2011 erstmals den oben erwähnten Better Life Index. Im Dezember 2010 publizierten die in Deutschland und Frankreich zur Beratung der Wirtschaftspolitik eingesetzten Gremien (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Conseil d'Analyse Economique) eine gemeinsame Expertise über die Messung von nachhaltigem Wachstum und gesellschaftlichem Fortschritt. In Großbritannien legte Mitte 2011 das statistische Amt einen Bericht vor, in dem erste Schritte zur Entwicklung von Kennzahlen für Wohlergehen und Fortschritt vorgestellt werden (ONS, 2011). Das Nachhaltigkeitsportal des österreichischen Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft[j]) stellt die Ergebnisse eines Monitorings vor, in dem anhand von 14 Themenfeldern im Bereich "Mensch und Gesellschaft" und elf Themenfeldern im Bereich "Umwelt" Veränderungen im Sinn einer nachhaltigen Entwicklung gemessen werden[k]). Statistik Austria stellt einige der dort publizierten Kennzahlen bereit und ist darüber hinaus im Netzwerk der statistischen Ämter der EU aktiv, um die Vorschläge der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission zur erweiterten Wohlstandsmessung umzusetzen.

Vor allem Deutschland ist gegenüber dieser neuen Strömung aufgeschlossen; in den letzten zwei Jahren wurden zahlreiche Vorschläge in diese Richtung vorgestellt, etwa der von Diefenbacher Zieschank (2009) entwickelte nationale Wohlfahrtsindex, der Fortschrittsindex des Zentrums für Gesellschaftlichen Fortschritt (Bergheim, 2010), der von Erber (2010) entworfene Lebenszufriedenheitsindikator des Centrums für angewandte Wirtschaftsforschung in Münster oder das aus vier Indikatoren zusammengesetzte und 2010 präsentierte Wohlstandsquartett des Denkwerkes Zukunft in Bonn (Wahl Schulte Butzmann, 2010).

Die zahlreichen Vorschläge brachten eine Fülle von neuen Indikatoren, die unterschiedliche Aspekte des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts abdecken sollen. Nicht alle sind dafür gleich gut geeignet, und oftmals überlappen sich die gemessenen Dimensionen beträchtlich. Neben einer möglichst vollständigen Abdeckung der wichtigsten Wohlstandsdimensionen sind weitere Kriterien die Zweckmäßigkeit eines solchen Indikatorensystems und die internationale Vergleichbarkeit. Vor allem für kleine Länder lohnt es daher meistens, sich internationalen Vorschlägen anzuschließen bzw. diese mitzugestalten, statt selbst teure Initiativen zu starten, die wenig Aussicht auf internationale Durchsetzung haben.

Das WIFO präsentierte im Juli 2011 eine Auswahl von international verfügbaren Indikatoren aus den Bereichen Einkommen, Umwelt und Lebensbedingungen, um der internationalen Diskussion zur erweiterten Wohlstandsmessung in Österreich mehr Präsenz zu verschaffen. Der vorliegende Bericht präzisiert und dokumentiert die vorgestellten Indikatoren der Bereiche Einkommen, Lebensqualität und Lebensbedingungen; die Ergebnisse des Bereichs Umwelt wurden bereits im Sommer 2011 vom WIFO publiziert (Kettner et al., 2011).

Kennzahlen der VGR zur Wohlstandsmessung

Einkommensindikatoren aus der VGR

Ob in einem Mix aus unterschiedlichen Indikatoren oder in Studien zur direkten Ermittlung von Lebenszufriedenheit, das BIP ist in allen Konzepten zur Wohlstandsmessung eine zentrale Größe. Basierend auf den Ergebnissen der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission lässt sich laut OECD der wirtschaftliche Erfolg durch unterschiedliche Indikatoren aus den Bereichen Lebensqualität und materielle Lebensbedingungen darstellen (Abbildung 1). Das BIP als Maßzahl für die heimische Produktion stellt einen Indikator der materiellen Lebensbedingungen dar und umfasst auch Komponenten, die nicht zu einer Vermehrung des Wohlstandes beitragen, etwa Arbeiten zur Beseitigung von Umweltschäden, die durch den Produktionsprozess entstanden sind. Diese lösen zwar einen Produktionsprozess aus, jedoch wird dadurch der Wohlstand einer Gesellschaft im Vergleich zum Zustand vor Schadenseintritt nicht gesteigert[l]).

Abbildung 1: Dimension des Wohlstands

Q: OECD.

 

Das Bruttoinlandsprodukt ist ein Maß der Produktion; das Wort "Brutto" weist darauf hin, dass diese Produktion auch die regelmäßigen Abschreibungen des Kapitalstocks deckt, also auch jenen Teil, der lediglich zur Aufrechterhaltung des bisherigen Kapitalstocks dient und somit keine Ausweitung des Wohlstandes bedeutet. Für die Bewertung des Wohlstandes ist deshalb die Betrachtung der Nettogröße treffender.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass das BIP ein Maß des Produktionsprozesses ist. Wie erwähnt eignet sich nach Ansicht der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission zur Wohlstandsmessung das Einkommen (bzw. auch der Konsum) besser. Zwar bildet üblicherweise die Produktion die Hauptquelle des Einkommens, jedoch können beide Größen durchaus auseinander klaffen: Im Extremfall der Sklavenarbeit generiert der Produktionsprozess kein Einkommen bei den produzierenden Einheiten. Umgekehrt könnten Personen, die sich bereits im Ruhestand befinden und über entsprechende Ersparnisse (angelegt im Ausland) verfügen, durchaus Einkommen erzielen, ohne noch in den Produktionsprozess eingebunden zu sein. In einigen Ländern ergeben sich hier beträchtliche Diskrepanzen.

Der Kasten "Berechnung des verfügbaren Nettonationaleinkommens" zeigt schematisch den Übergang von der durch das BIP gemessenen Produktion zum Einkommen einer Volkswirtschaft. Durch Abzug der für den Erhalt des Kapitalstocks notwendigen Abschreibungen erhält man jene Produktion, welche für Erweiterungsinvestitionen, Konsum oder Export[m]) zur Verfügung steht. Da Produktionsmittel wie der Kapitalstock oder die Arbeitskräfte[n]) auch aus dem Ausland kommen und zu ihrer Entlohnung Einkommen ins Ausland abfließen (und somit nicht mehr der inländischen Bevölkerung zur Verfügung stehen), sind die in der Position "Primäreinkommen" enthaltenen "Faktoreinkommen aus dem und an das Ausland" als Korrektur vorgesehen.

 

Berechnung des verfügbaren Nettonationaleinkommens (VNNE)

            Bruttoinlandsprodukt (BIP)

          Abschreibungen

=          Nettoinlandsprodukt (NIP)

+          Primäreinkommen aus dem/an das Ausland

=          Nettonationaleinkommen (NNE)

+          Transfers aus dem/an das Ausland

=          Verfügbares Nettonationaleinkommen (VNNE)

 

Das durch diese Korrekturen gewonnene Nettonationaleinkommen wird in einem weiteren Schritt um die Position "Transfers aus dem und an das Ausland" bereinigt. Dies sind grenzüberschreitende Zahlungen, welche ohne direkte Gegenleistung getätigt werden. Beispiele wären Strafmandate im Ausland oder Mitgliedsbeiträge zu internationalen Organisationen wie EU, UNO, OECD oder IWF. Umgekehrt fließen auch dem Inland Einnahmen aus Verkehrsstrafen gegen Ausländer zu, und die Subventionen der EU sind Einnahmen ohne unmittelbare Gegenleistung. Da diese Zuflüsse oder Abgänge von Finanzmitteln die Einkommenssituation des Inlandes beeinflussen, ist um diese zu bereinigen.

Die Wohlstandsentwicklung sollte unbedingt anhand von Pro-Kopf-Größen beurteilt werden. Der Sinn des Wirtschaftens liegt in einer Mehrung des Wohlstandes jedes und jeder Einzelnen. Wächst die Produktion oder das Einkommen kräftig, jedoch die Bevölkerung noch stärker, so sinkt die beobachtete Pro-Kopf-Größe. Statt eines ökonomischen Fortschritts würde dies einem Rückschritt entsprechen.

 

Übersicht 1: Entwicklung des Pro-Kopf-Einkommens

 

BIP

BIP pro Kopf

NIP pro Kopf

NNE pro Kopf

VNNE pro Kopf

Durchschnittliche jährliche Veränderung 2000/2010 in %, real

 

 

 

 

 

Irland

+2,5

+0,8

+0,9

+0,3

+0,1

Schweden

+2,0

+1,5

+1,4

+1,7

+1,6

Finnland

+1,8

+1,4

+1,4

+1,6

+1,6

USA

+1,7

+0,7

+0,6

+0,4

+0,4

Österreich

+1,5

+1,1

+0,9

+1,0

+1,0

EU

+1,3

+0,9

+0,8

+0,8

+0,8

Frankreich

+1,2

+0,5

+0,3

+0,2

+0,1

Deutschland

+0,9

+0,9

+1,0

+1,3

+1,2

Japan

+0,7

+0,7

+0,4

+0,5

+0,5

Q: AMECO.

 

Gemessen am realen BIP expandierte die Wirtschaft unter den in Übersicht 1 verglichenen Ländern 2000/2010 am stärksten in Irland (+2,5% pro Jahr); zugleich wuchs aber die Bevölkerung im Durchschnitt um 1,7% pro Jahr, sodass die Pro-Kopf-Einkommen um nur 0,8% zunahmen. Für das Nettoinlandsprodukt (BIP minus Abschreibungen) ergibt sich ein etwas höheres Pro-Kopf-Wachstum von 0,9%. Gerade in Irland resultierte der Aufschwung der letzten Jahrzehnte aus dem großen Zufluss von Auslandskapital (vor allem Investitionen internationaler Konzerne aus den USA). Ein Teil des so in Gang gesetzten Produktionsprozesses fließt in Form von Gewinnen an die Anteilseigner im Ausland und steht damit im Inland nicht als Einkommen zur Verfügung. In Irland wuchs das Nettonationaleinkommen pro Kopf um nur 0,3%. Bereinigt um die Transferzahlungen aus dem und an das Ausland betrug der Anstieg nur 0,1%[o]). Somit wurde der Wohlstand trotz des kräftigsten Wirtschaftswachstums entsprechend diesem Indikator so gut wie nicht gesteigert.

Umgekehrt war das BIP-Wachstum in Japan unter den verglichenen Ländern am schwächsten, die Veränderungsrate des verfügbaren Nettonationaleinkommens lag aber im Mittelfeld. Da die Bevölkerung 2000/2010 stagnierte, erhöhte sich das Pro-Kopf-Einkommen mit derselben Rate wie das BIP (rund +0,7% pro Jahr). Der Wohlstandszuwachs lag gemessen am realen Wachstum des verfügbaren Nettonationaleinkommens pro Kopf im Mittelfeld der gegenübergestellten Länder.

Das relativ hohe und dynamische BIP-Wachstum der USA war im Untersuchungszeitraum um 1 Prozentpunkt höher als in Japan. Dennoch erhöhte sich das reale VNNE pro Kopf sogar schwächer als in Japan.

Erst seit 2010 dem Aufschwungsjahr nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise expandierte die deutsche Volkswirtschaft wieder kräftig. Im Zeitraum 2000/2010 lag jedoch der reale Zuwachs des BIP bei nur 0,9% pro Jahr und damit deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Das reale VNNE erhöhte sich aber pro Kopf mit +1,2% deutlich stärker als im Durchschnitt der EU. Wie in Japan stagnierte die Bevölkerung in Deutschland in diesem Zeitraum.

In Österreich lag das Wirtschaftswachstum pro Jahr mit 1,5% unter jenem in den USA und Irland, jedoch leicht über dem Durchschnitt der EU-Länder. Das reale VNNE wuchs hingegen doppelt so stark wie in den USA, kräftiger als im EU-Durchschnitt und 10-mal so stark wie in Irland. Finnland und Schweden verzeichneten im letzten Jahrzehnt die stärkste Steigerung sowohl des BIP pro Kopf (+1,4% bzw. +1,5%) als auch der Pro-Kopf-Einkommen (jeweils +1,6% pro Jahr).

 

Übersicht 2: Produktions- und Einkommensniveau im internationalen Vergleich

 

BIP pro Kopf

VNNE pro Kopf

2000

2010

2000

2010

Zu KKS

Zu KKS

Zu KKS

Zu KKS

 

Luxemburg

46.658

Luxemburg

66.510

Luxemburg

36.878

Luxemburg

40.134

Norwegen

31.420

Norwegen

42.640

USA

27.325

Norwegen

36.089

USA

30.485

USA

35.924

Norwegen

26.517

USA

31.169

Schweiz

27.576

Schweiz

35.306

Schweiz

24.277

Schweiz

30.655

Niederlande

25.576

Niederlande

31.870

Niederlande

22.033

Niederlande

26.622

Island

25.086

Österreich

30.503

Island

21.387

Schweden

26.062

Dänemark

25.068

Irland

30.149

Schweden

20.811

Österreich

24.964

Österreich

25.023

Schweden

29.993

Belgien

20.684

Deutschland

24.934

Irland

24.958

Dänemark

29.544

Österreich

20.625

Dänemark

24.849

Schweden

24.308

Deutschland

29.087

Dänemark

19.948

Großbritannien

24.380

Belgien

24.027

Belgien

28.367

Großbritannien

19.911

Finnland

23.468

Großbritannien

22.676

Finnland

27.898

Frankreich

19.305

Belgien

23.351

Deutschland

22.569

Island

27.297

Irland

18.992

Frankreich

22.179

Finnland

22.310

Großbritannien

27.277

Italien

18.763

Irland

21.330

Japan

22.272

Frankreich

26.250

Deutschland

18.747

Spanien

20.998

Italien

22.261

Japan

25.837

Finnland

18.508

Japan

20.739

Frankreich

21.981

Italien

25.212

Japan

18.136

Zypern

20.637

Q: AMECO.

 

Die Veränderung einzelner Größen spiegelt zwar den wirtschaftlichen Fortschritt wider, nicht jedoch das Wohlstandsniveau. Gemessen am Niveau des BIP zu Kaufkraftstandards[p]) (Übersicht 2) rückte Österreich zwischen 2000 und 2010 in einer erweiterten Ländergruppe von Rang 8 auf Rang 6 vor, gemessen am absoluten Pro-Kopf-Einkommen vom 9. auf den 7. Rang. Unter den EU-Ländern verbesserte sich Österreichs Position gemessen am BIP pro Kopf vom 4. auf den 3. Rang, hinsichtlich der Einkommen pro Kopf vom 5 auf den 4. Rang.

Wie diese Analyse zeigt, können bereits innerhalb der VGR Indikatoren errechnet werden, die wesentlich besser über den Wohlstand und dessen Entwicklung Aufschluss geben als das reale BIP. Die Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission schlägt in ihrem Bericht vor, diese Analyse zu verfeinern, indem man nicht auf das reale VNNE der gesamten Wirtschaft, sondern nur auf jenes der privaten Haushalte abstellt. Ein weiterer Vorschlag ist die stärkere Fokussierung auf den Konsum, der letztlich das Ziel wirtschaftlichen Handelns wäre[q]), während Investitionen nur ein Zwischenziel für die Steigerung der Produktion künftiger Konsumgüter wären.

Indikatoren für Lebensqualität und materielle Lebensbedingungen

Während das Bruttoinlandsprodukt und seine Komponenten Aufschluss über die monetären Lebensbedingungen in einem Land geben, liefern Indikatoren mit Fokus auf Arbeit und Einkommen ergänzend Hinweise auf die materiellen Lebensbedingungen. Die Auswahl an relevanten Indikatoren kann sich an einer Vielzahl von internationalen Arbeiten zur Beschreibung der wirtschaftlichen und sozialen Lage orientieren (z. B. European Commission, 2010, OECD, 2011A, 2011B)[r]).

 

Schlüsselbereiche zur Beschreibung der sozialen Lage

Die Europäische Kommission definiert zur Beschreibung der sozialen Lage in den EU-Ländern 17 Schlüsselbereiche: Bevölkerung, internationale Migration, Haushalte und Familien, wirtschaftliche Situation, Bildung, Lifelong Learning, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Ausgaben für Arbeitsmarktpolitik, Sozialschutz und Sozialleistungen, Pensionen, Einkommensverteilung, Einkommensarmut, materielle Deprivation, Einkommen von Frauen und Männern, Lebens- und Gesundheitserwartung, Unfälle und Gesundheit am Arbeitsplatz. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf den Bereichen Bevölkerung, Aus- und Weiterbildung, Arbeitsmarkt, Sozialschutz, Einkommensoziale InklusionLebensbedingungen, Geschlechtergerechtigkeit, Gesundheit und Sicherheit.

Die OECD (2011A) verwendet zur Beschreibung der sozialen Lage, neben Indikatoren zu den Kontextbedingungen (Haushaltseinkommen, Fertilität, Migration, Familie, Altersabhängigkeitsquoten), Indikatoren zur Erfassung der wirtschaftlichen Unabhängigkeit, der Verteilungsgerechtigkeit, des Gesundheitszustandes und der sozialen Kohäsion. Im Rahmen der aktuellen "Better Life Initiative" der OECD (2011A) zielen die "Well-Being"-Indikatoren auf die materiellen Bedingungen (Einkommen und Wohlstand, Arbeitsplätze und Löhne, Haushalt) und die Lebensqualität ab (Gesundheitszustand, WorkLife, Ausbildung und Fertigkeiten, soziale Beziehungen, bürgerliches Engagement und Governance, Umweltqualität, Sicherheit, subjektives Wohlbefinden).

 

Die Ansätze und Indikatoren zur Beschreibung der materiellen Lebensbedingungen reichen von der Demographie und der Arbeitsmarktlage bis hin zu sozialen Aspekten. Die im Folgenden diskutierten Indikatoren zur Beschäftigungsperformance (z. B. Beschäftigungsquote, Arbeitslosenquote) geben in Kombination mit Informationen zur Einkommensverteilung und Armutsgefährdung Einblick in die Lebenssituation in einem Land, aufbauend auf den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.

Beschäftigungsquote

Die Beschäftigungslage kann neben Indikatoren, die auf Teilaspekte der Beschäftigung abzielen (unselbständige oder selbständige Beschäftigung, Teilzeitbeschäftigung, befristete Beschäftigung usw.), durch die "Beschäftigungsquote" wiedergegeben werden, die die Zahl der unselbständig und selbständig erwerbstätigen Personen an der gleichaltrigen Wohnbevölkerung misst und damit das Ausmaß der Einbindung der Wohnbevölkerung in den Arbeitsmarkt zeigt allerdings ohne Berücksichtigung der Arbeitszeit und der Beschäftigungsform (voll sozialversicherungsrechtliche Beschäftigung, atypische Beschäftigung).

 

Abbildung 2: Beschäftigungsquote (15 bis 64 Jahre)

2010

Q: Eurostat.

 

 

 

Abbildung 3: Geschlechtsspezifischer Unterschied in der Beschäftigungsquote

2010, Quote der Männer minus Quote der Frauen

Q: Eurostat.

 

Nach diesem Indikator erreichte Österreich im Jahr 2010 laut Eurostat mit 71,7% den vierthöchsten Wert in der EU 27 nach den Niederlanden, Dänemark und Schweden. Zur guten Position Österreichs trägt primär die vergleichsweise hohe Erwerbsintegration von Männern bei (zweithöchster Wert der EU 27 nach den Niederlanden). Gemessen an der Beschäftigungsquote der Frauen, die in allen Ländern seltener erwerbstätig sind als die Männer, liegt Österreich auf dem 5. Rang (nach Dänemark, Schweden, Niederlande, Finnland).

Allerdings sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Beschäftigungsquote in Österreich nach wie vor hoch. Die Quote der Männer ist um 10,7 Prozentpunkte höher als jene der Frauen. Damit nimmt Österreich unter den Ländern der EU 27 nur den 15. Rang ein. Auch bezüglich der Arbeitsmarktintegration der Älteren (55- bis 64-Jährige) liegt Österreich mit einer Beschäftigungsquote von 42,4% im Mittelfeld der EU 27 (16. Rang) und deutlich hinter den nordischen Ländern, insbesondere Schweden (70,5%).

 

Abbildung 4: Beschäftigungsquote der Älteren (55 bis 64 Jahre)

2010

Q: Eurostat.

 

Arbeitslosenquote

Das Ausmaß der Arbeitslosigkeit wird wesentlich davon bestimmt, wie häufig die einzelnen Personen von Arbeitslosigkeit betroffen sind und wie lange die Arbeitslosigkeitsepisoden dauern. In Verbindung mit der Beschäftigung zeigt die Arbeitslosenquote an, wie viele Arbeitslose, gemessen am gesamten Arbeitskräfteangebot, aktiv Arbeit suchen. Hier schneidet Österreich noch besser ab als gemessen an der Beschäftigung: Laut Eurostat ist die Arbeitslosenquote mit 4,4% die niedrigste in der EU 27. Auch bezüglich der Arbeitslosenquote der Frauen liegt Österreich auf dem 1. Rang, hinsichtlich jener der Männer auf dem 3. Rang nach Luxemburg und den Niederlanden[s]).

Die Arbeitsmarktintegration, gemessen an der Beschäftigungsquote und ergänzt um die Arbeitslosenquote, ist eine wichtige Voraussetzung für die soziale Integration. Da die Beschäftigungsquote weder die Arbeitszeit noch die Beschäftigungsform berücksichtigt, sagt sie allerdings noch nichts über die tatsächlichen Lebensbedingungen und Lebenschancen aus, insbesondere auf Haushaltsebene. Dazu bedarf es zusätzlicher Informationen, wie sie etwa Daten zur Einkommenssituation oder Armutsgefährdung liefern können.

 

Abbildung 5: Arbeitslosenquote

2010

Q: Eurostat.

 

Einkommensverteilung

Für die Beurteilung der Einkommenssituation spielt die Unterscheidung zwischen der Personen- und der Haushaltsebene eine wichtige Rolle: Einerseits entscheiden Einzelpersonen in Abhängigkeit von zahlreichen haushaltsspezifischen Faktoren (Haushaltsgröße, Betreuungspflichten, Vermögen, Einkommen der anderen Haushaltsmitglieder, sonstige Einkünfte, Bedürfnisse und Präferenzen) ob und in welchem Ausmaß sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Andererseits kommt auf der Haushaltsebene die Wirkung der staatlichen Umverteilungspolitik durch Steuern und öffentliche Transferleistungen zum Tragen.

Die Einkommenssituation der Haushalte entscheidet wesentlich über die Konsummöglichkeiten, aber auch über die Bildungsmöglichkeiten und die materiellen Lebensbedingungen der Haushaltsmitglieder. Die Verteilungssituation anhand des Gini-Koeffizienten[t]) zeigt für Österreich eine etwas ungünstigere Position als im Länderranking nach der Beschäftigungs- und der Arbeitslosenquote. Im Jahr 2009 lag Österreich gemessen an der Einkommensverteilung laut Eurostat an 6. Stelle innerhalb der EU 27, um 15% über dem Durchschnitt der EU 27. Nur in Slowenien, Ungarn, der Slowakei und Tschechien sowie in Schweden waren die Einkommen auf Haushaltsebene etwas gleicher verteilt als in Österreich.

 

Abbildung 6: Ungleichheit der Einkommensverteilung

2009

Q: Eurostat.

 

Armutsgefährdung nach Sozialleistungen

Rückschlüsse auf die materiellen Lebensbedingungen in einem Land geben auch Informationen darüber, wie viele Haushalte von relativer Einkommensarmut betroffen sind. Das Armutsgefährdungsrisiko gibt an, welcher Anteil der Haushalte ein Äquivalenzeinkommen von weniger als 60% des Medians der Äquivalenzeinkommen der Gesamtbevölkerung (in Privathaushalten) bezieht. Laut Eurostat liegt Österreich hier mit 12% (2009, nach Sozialtransfers) auf dem 5. Rang innerhalb der EU 27 nach Tschechien, der Slowakei, den Niederlanden und Slowenien. Zudem ist der Einfluss der Sozialtransfers auf dieses Ergebnis in Österreich besonders groß: 2009 wären ohne Sozialtransfers doppelt so viele Personen in Österreich armutsgefährdet gewesen als nach Berücksichtigung der Sozialleistungen. Noch stärker verringert wird das Armutsrisiko durch Sozialleistungen nur in Irland, Dänemark, Ungarn und Tschechien.

 

Abbildung 7: Armutsgefährdungsquote nach Sozialleistungen

2009

Q: Eurostat.

 

Entwicklung seit 2000

Österreich schneidet nach allen beschriebenen Indikatoren zur Arbeitsmarkt- und Einkommenssituation günstiger ab als die meisten EU-27-Länder außer hinsichtlich der Beschäftigung älterer Arbeitskräfte. In diesem Bereich besteht in Österreich trotz eines Aufholprozesses in den letzten Jahren weiterhin Handlungsbedarf. Die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Beschäftigungsquote sind zudem weiterhin groß auch hier liegt Österreich lediglich im Mittelfeld der EU 27. Die massive Ausweitung der Teilzeitbeschäftigung der Frauen brachte aber zwischen 2000 und 2010 eine Annäherung an die Erwerbsintegration der Männer.

Insgesamt verbesserte sich Österreichs Position innerhalb der EU 27 in den letzten zehn Jahren nach allen beschriebenen Indikatoren, außer hinsichtlich der Gleichheit der Einkommensverteilung. Gemessen an der Beschäftigungsquote rückte Österreich innerhalb der EU 27 vom 7. auf den 4. Rang vor, hinsichtlich der geschlechtsspezifischen Unterschiede vom 18. auf den 15. Rang und ebenso bezüglich der Beschäftigung Älterer vom 18. auf den 16. Rang. Gemessen an der Arbeitslosenquote holte Österreich vom 3. auf den 1. Rang auf. Für das Armutsgefährdungsrisiko (nach Sozialtransfers) ergab sich eine Verbesserung vom 9. auf den 5. Rang, obwohl der Anteil der armutsgefährdeten Haushalte gleich blieb (12%). Nur hinsichtlich der Gleichheit der Haushaltseinkommensverteilung verschlechterte sich Österreichs Position vom 3. auf den 6. Rang.

 

Übersicht 3: Position Österreichs in der EU 27 gemessen an Arbeitsmarktindikatoren

 

2000

2009/10

Rang

 

Beschäftigungsquote (15 bis 64 Jahre)

7

4

Beschäftigungsquote: geschlechtsspezifischer Unterschied

18

15

Beschäftigungsquote Älterer (55 bis 64 Jahre)

18

16

Arbeitslosenquote

3

1

Gini-Koeffizient

3

6

Armutsgefährdungsquote (nach Sozialleistungen)

9

5

Q: Eurostat, WIFO-Berechnungen.

 

Schlussbetrachtung

Jegliches VGR-basierte Konzept, ob es sich nun an der Produktion, dem Einkommen oder dem Konsum orientiert, kann Wohlstandsfortschritte nur unzureichend wiedergeben, weil die VGR nur einen Teil der wohlstandsrelevanten Indikatoren erfasst. Wie Stone in seiner Nobelpreisansprache betonte, bietet eine rein ökonomische Betrachtung nur eine verengte Sicht auf die Gesellschaft; er plädiert dafür, neben der wirtschaftlichen Dimension zwei zusätzlichen Säulen Beachtung zu schenken, nämlich der Analyse der soziodemographischen Phänomene und der Umweltaspekte (Stone, 1984). Wirtschaftliches Handeln berührt auch wohlstandsrelevante Größen (soziale Sicherheit, saubere Umwelt, Arbeit zur Selbstverwirklichung usw.), die sich einer Darstellung im VGR-Kontensystem entziehen, gleichwohl aber messbar sind oder messbar gemacht werden können und sollen.

Ein wichtiger Zweck der laufenden Beobachtung der Kennzahlen ist es, die Folgen wirtschaftspolitischen Handelns bzw. von Versäumnissen sichtbar zu machen. Die Indikatoren geben nicht bloß Phänomene wieder, sondern tragen auch zum Verständnis der Zusammenhänge und der Wechselwirkungen bei. Erst dieses Verständnis erlaubt es, einer zentralen Forderung der Stiglitz-Sen-Fitoussi-Kommission nachzukommen: nicht allein in der Beobachtung der Entwicklung aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit zu verharren, sondern zur Handlungsanleitung Projektionen über das künftige Geschehen vorzulegen.

Literaturhinweise

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A Cross-Country Comparison of Selected Results of an Extended Measurement of Prosperity Summary

"Beyond GDP" is a research agenda that has been evolving in recent years to overcome limitations of the concept of the gross domestic product. Some of the indicators covered by this theme have been neglected for some time and others have been recently developed. The overarching theme is the insight that social progress is measured well enough by the GDP. Additional indicators are necessary to show trade-offs between different objectives of economic development, and economic policy-making needs additional gauges for better decisions. The article focuses on two aspects: The first are standard indicators of the system of national accounts that are worthwhile being presented but are frequently neglected in the standard reporting procedures. The second set of indicators sheds light on the social cohesion of societies. Cross-country and time series data allow a deeper insight into the development of industrialised countries which goes beyond that gained by looking solely at GDP.

 

 

 



[a])  Viele vom öffentlichen Sektor bereitgestellte Produkte - wie z. B. Landesverteidigung, innere Sicherheit oder öffentliche Verwaltung - werden ebenfalls nicht über den Markt bereitgestellt. Hier gilt jedoch die Konvention, die Produktion über die bei der Bereitstellung anfallenden Kosten zu erfassen.

[b])  Ein prominenter und grundsätzlicher Beitrag zu diesem Thema ist Tobin - Nordhaus (1973).

[c])  Federführend ist hier die UNO, welche mit der Empfehlung zur Erstellung einer VGR in Form ihres System of National Accounts (SNA) eine Leitlinie für die Länder vorgibt. Im Jahr 1993 wurde das SNA 68 durch das SNA 93 abgelöst. Die neuerliche Revision ist das SNA 2008.

[d])  Siehe dazu etwa Arrow et al. (2004), World Bank (2006) oder Dasgupta (2009).

[e])  Siehe dazu auch die ablehnende Haltung des deutschen Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in einer 2010 gemeinsam mit dem französischem Conseil d'Analyse Economique erstellten Studie: http://www.sachverstaendigenrat-wirtschaft.de/fileadmin/dateiablage/Expertisen/2010/ex10_en.pdf.

[f])  http://www.oecdbetterlifeindex.org.

[g])  Aus Platzgründen wird dieses Forschungsgebiet hier nicht weiter vorgestellt. Einen sehr guten Überblick über die Geschichte und den aktuellen Stand der Forschung bietet Powdthavee (2010).

[h])  Kritisch hiezu McGillivray (1991).

[i])  http://www.beyond-gdp.eu.

[j])  http://www.nachhaltigkeit.at.

[k])  Im Bereich "Mensch und Gesellschaft" werden u. a. folgende Themenfelder betrachtet: intra- und intergenerationale Gerechtigkeit, Freiheit, Wohlstand, Arbeit, Bildung und Forschung. Zum Themenfeld "Umwelt" zählen Klima, Luft, Strahlung, Ökosysteme, Landschaft, Lärm (http://www.nachhaltigkeit.at/filemanager/download/76537/).

[l])  Hier wird allerdings oftmals richtigerweise eingewandt, dass der Zustand vor Schadenseintritt nicht der korrekte Zeitpunkt zum Vergleich von Wohlstandsniveaus ist.

[m])  Während der wohlstandssteigernde Effekt von Konsum und Erweiterungsinvestitionen auf der Hand liegt, ist er für den Export eher unklar. Die Exporterlöse dienen aber zur Bezahlung von importierten Konsumgütern oder Erweiterungsinvestitionen, und so wird der positive Effekt offensichtlich. Wenn nicht importiert wird, ergibt sich ein Leistungsbilanzüberschuss, der in die volkswirtschaftliche Sparquote fließt und in kommenden Perioden verwendet werden kann.

[n])  Dies werden in den meisten Fällen Pendler sein, da einwandernde Personen in den meisten Fällen den Mittelpunkt ihres Lebensinteresses im Inland haben, was laut VGR das Kriterium der Zurechnung zum jeweiligen Wirtschaftsraum bildet.

[o])  Im Falle Irlands schlagen vor allem die Überweisungen polnischer Gastarbeiter nach Polen zu Buche.

[p])  Vereinfacht wird untersucht, wie viel an Produktion und Einkommen pro Kopf gemessen in standardisierten Warenkörben erwirtschaftet wird.

[q])  Hier geht es nicht nur um den Konsum der privaten Haushalte, sondern auch um jenen Teil des öffentlichen Konsums, der Individualkonsum ist (Bildung, Gesundheit usw.).

[r])  Die AK Wien identifiziert in Zusammenarbeit mit dem WIFO für den Arbeitsmarktindex 2010 fünf Bereiche mit insgesamt 60 Variablen, um verschiedenste arbeitsmarktrelevante Perspektiven zu beleuchten (allgemeine Leistungskraft des Arbeitsmarktes, Integrationsorientierung des Erwerbssystems, Zugangsgerechtigkeit und Verbleibschancen, Verteilung der Erwerbseinkommen, Verteilung durch den Sozialstaat).

[s])  Entsprechend dem Labour-Force-Konzept der International Labour Organisation (ILO) gelten als arbeitslos alle nicht erwerbstätigen Personen (Personen, die in der Erhebungswoche weniger als eine Stunde gearbeitet haben), die auf irgendeine Weise aktiv Arbeit suchen und innerhalb von zwei Wochen für eine Arbeitsaufnahme verfügbar sind.

[t])  Ein Gini-Koeffizient von Null entspricht einer vollständigen Gleichverteilung der Einkommen; je mehr er sich dem Wert 1 nähert, umso ungleicher wird die Verteilung.