WIFO

 

Die Schwarzmeerregion – Wirtschaftsentwicklung und Bedeutung für Österreichs Außenwirtschaft

 

Die Schwarzmeerregion gewinnt aufgrund ihrer geographischen Lage, der Rohstoffvorkommen und ihres Absatz- und Arbeitskräftepotentials für Österreich zunehmend an Bedeutung. Wegen der dynamischen Nachfrageentwicklung bilden die Länder der Region, insbesondere die Türkei, in Zukunft ein großes Marktpotential für die österreichische Außenwirtschaft. Österreichs gute außenwirtschaftliche Beziehungen zur Schwarzmeerregion könnten noch ausgebaut werden. Die Warenausfuhr machte 2009 mit 1,5 Mrd. € 1,5% der gesamten österreichischen Warenexporte aus. Nach dem Einbruch in der Wirtschaftskrise entwickelt sich der Export in die Region wieder sehr günstig. In der Ukraine verfügen die österreichischen Unternehmen über eine starke Wettbewerbsposition. Die große Übereinstimmung der österreichischen Exportstruktur mit der Importnachfrage der Ukraine und der Türkei deutet auf kurzfristige Exportpotentiale hin.

 

Der vorliegende Beitrag fasst die Ergebnisse einer WIFO-Studie im Auftrag des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten und des Bundesministeriums für Wirtschaft, Familie und Jugend zusammen: Karl Aiginger, Stefan Ederer, Jakob Prammer, Susanne Sieber, Österreichs außenwirtschaftliche Beziehungen zur Schwarzmeerregion und deren wirtschaftliche Perspektiven (Juni 2010, 104 Seiten, 50 €, kostenloser Download: http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/39891) • Begutachtung: Peter Huber • Wissenschaftliche Assistenz: Irene Langer, Martha Steiner, Gabriele Wellan • E-Mail-Adressen: Stefan.Ederer@wifo.ac.at, Susanne.Sieber@wifo.ac.at

 

INHALT

Wirtschaftsentwicklung der Schwarzmeerregion

Entwicklung von Produktion und Nachfrage

Wirtschaftskrise erfasst auch die Schwarzmeerregion

Ausblick und Schätzung des künftigen Nachfragepotentials

Österreichs außenwirtschaftliche Beziehungen zur Schwarzmeerregion

Wachsende Verflechtung im Warenaußenhandel

Hohe Dynamik, aber weitere Steigerung möglich

Exportchancen aufgrund guter Strukturübereinstimmung

Gute Wettbewerbsposition in der Ukraine, Aufholpotential in der Türkei

Saldo im Dienstleistungsexport 2009 erstmals positiv

Deutliche Steigerung der Direktinvestitionsbestände

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Literaturhinweise

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND ABBILDUNGEN

Übersicht 1: Die Schwarzmeerregion im Überblick. 4

Übersicht 2: Veränderung der Nachfragestruktur seit 2000. 7

Übersicht 3: Makroökonomische Entwicklung seit 2005. 11

Übersicht 4: Österreichs Warenaußenhandel mit der Schwarzmeerregion. 14

Übersicht 5: Bedeutung des Warenexports in die Schwarzmeerregion im internationalen Vergleich. 15

Übersicht 6: Strukturübereinstimmungsindex des österreichischen Warenexports mit der Nachfrage der Schwarzmeerregion  16

Übersicht 7: Österreichs Dienstleistungsaußenhandel mit der Schwarzmeerregion. 18

Übersicht 8: Österreichs Direktinvestitionen in der Schwarzmeerregion. 19

Abbildung 1: Entwicklung von Wirtschaftsleistung und Wohlstand. 5

Abbildung 2: Veränderung der Produktionsstruktur seit 2000. 8

Abbildung 3: Wirtschaftswachstum seit 1997. 10

Abbildung 4: Standardisierte Marktanteile am Export der OECD 24. 17

 

 

Die EU strebt seit einigen Jahren eine Vertiefung der Beziehungen zu den Schwarzmeerländern an, wie verschiedene Initiativen und Strategien zeigen (z. B. "östliche Partnerschaft", Beitrittsverhandlungen mit der Türkei; Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, 2010). Neben der Lage am Schnittpunkt zwischen Europa, Zentralasien und dem Nahen und Mittleren Osten bietet das Absatz- und Arbeitskräftepotential der Schwarzmeerregion wirtschaftliche Chancen. Für Unternehmen aus Österreich ist zusätzlich die geographische Nähe ein Vorteil (Entfernung von Wien: Kiew 1.050 km, London 1.200 km). Nach der erfolgreichen Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit Ostmitteleuropa (Sieber, 2010, Wolfmayr, 2010) bietet sich die Schwarzmeerregion deshalb als weiteres Ziel der verstärkten Internationalisierung der österreichischen Wirtschaft an. Der Schwerpunkt der Präsenz österreichischer Unternehmen in Ostmitteleuropa verlagert sich seit einigen Jahren bereits zu weiter entfernten Märkten: Kurz nach der Ostöffnung lag er vor allem auf den Nachbarregionen (Ungarn, Tschechien, Slowakei und Slowenien), in denen Österreich bald eine Vorreiterstellung einnahm. In den letzten Jahren richtet sich das Interesse vermehrt auch auf Rumänien, Bulgarien oder den Westbalkan. Eine Ausweitung der Aktivitäten auf die Schwarzmeerregion könnte nun als nächster Schritt folgen.

Die vorliegende Analyse der makroökonomischen Entwicklung in der Schwarzmeerregion, der außenwirtschaftlichen Beziehungen Österreichs zu den Ländern der Region und des Potentials für die österreichische Exportwirtschaft bezieht sich auf die Länder Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Türkei[a]). Armenien, Aserbaidschan und Georgien werden als "Kaukasus" zusammengefasst.

Wirtschaftsentwicklung der Schwarzmeerregion

Die Schwarzmeerregion kann nicht als homogener Wirtschaftsraum bezeichnet werden, die Volkswirtschaften unterscheiden sich hinsichtlich mehrerer Aspekte. Mit Ausnahme der Türkei gingen sie alle aus der UdSSR hervor und durchliefen einen langen und tiefgehenden Transformationsprozess, der zum Teil noch andauert. Die Ausgangssituation war in den 1990er-Jahren sehr unterschiedlich, insbesondere hinsichtlich des Rückgangs der Industrieproduktion und des Pro-Kopf-Einkommens nach der Erlangung der Unabhängigkeit. Spätestens in den 2000er-Jahren verzeichneten alle Länder ein zum Teil hohes Wirtschaftswachstum, der Wendepunkt und das Expansionstempo waren jedoch verschieden. In einigen Ländern ist daher das Einkommensniveau bereits viel höher als 1989, in anderen noch erheblich niedriger. Die weltweite Wirtschaftskrise machte den Aufholprozess der Schwarzmeerregion teilweise zunichte. Mittlerweile wurden alle Volkswirtschaften der Region vom Aufschwung erfasst und expandieren wieder kräftig, doch hat das BIP noch nicht in allen Ländern das Niveau vor der Wirtschaftskrise erreicht.

Die mit Abstand größte Volkswirtschaft der Region ist die Türkei. Auf sie entfallen etwa drei Viertel der Wirtschaftsleistung und die Hälfte der Bevölkerung. Die zweitgrößte Volkswirtschaft, die Ukraine, stellt etwa 15% der gesamtwirtschaftlichen Produktion und ein Drittel der Bevölkerung. Die verbleibenden 10% der Wirtschaftsleistung und 15% der Bevölkerung entfallen auf die vier kleinen Länder der Schwarzmeerregion: Armenien, Aserbaidschan, Georgien und Moldawien. Das BIP der Türkei entspricht etwa 6% der EU 27 und der Hälfte von jenem der 6 großen ostmitteleuropäischen Länder in Summe (Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien, Ungarn; Übersicht 1).

 

Übersicht 1: Die Schwarzmeerregion im Überblick

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bevölkerung

BIP

BIP
zu Kaufkraftparitäten

BIP pro Kopf zu Kaufkraftparitäten

 

 

In 1.000

Mrd. $

Mrd. $

EU 27 = 100

MOEL 6 = 100

In $

EU 27 = 100

MOEL 6 = 100

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Schwarzmeerregion

2007

135.091

848,8

1.329

9,0

88,0

9.834

33

61

 

2009

136.441

799,6

1.302

8,8

82,0

9.539

32

56

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Armenien

2007

3.227

9,2

17,2

0,1

1,1

5.328

18

33

 

2009

3.267

8,5

16,3

0,1

1,0

4.983

17

29

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aserbaidschan

2007

8.802

33,1

68,6

0,5

4,5

7.792

26

48

 

2009

8.977

43,1

85,6

0,6

5,4

9.540

32

56

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Georgien

2007

4.395

10,2

20,6

0,1

1,4

4.680

16

29

 

2009

4.385

10,7

20,8

0,1

1,3

4.754

16

28

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Moldawien

2007

3.581

4,4

9,7

0,1

0,6

2.720

9

17

 

2009

3.568

5,4

10,1

0,1

0,6

2.839

10

17

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Türkei

2007

68.894

649,1

888,8

6,0

58,9

12.901

43

79

 

2009

70.538

614,5

879,3

6,0

55,4

12.466

42

73

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ukraine

2007

46.192

142,7

323,7

2,2

21,4

7.007

23

43

 

2009

45.706

117,4

289,3

2,0

18,2

6.330

21

37

Q: EBRD, Eurostat, IWF, nationale Quellen. MOEL 6: Bulgarien, Polen, Rumänien, Slowakei, Tschechien, Ungarn.

 

Deutlich unterscheiden sich die Länder nicht nur hinsichtlich der Größe, sondern auch des Einkommensniveaus. Das BIP pro Kopf beträgt in der Türkei etwa 40% des EU-Durchschnitts und 70% des Durchschnitts von Ostmitteleuropa. Mit etwa 30% des EU-Durchschnitts ist Aserbaidschan vor allem aufgrund der reichhaltigen Rohöl- und Erdgasvorkommen das zweitreichste Land der Region. In den anderen Ländern liegt das Einkommensniveau zwischen 10% und 20% der EU bzw. zwischen 15% und 35% der ostmitteleuropäischen Länder. Unter der Armutsgrenze leben laut Weltbank zwischen 20% (Ukraine) und 55% der Bevölkerung (Georgien).

Entwicklung von Produktion und Nachfrage

Die aus der UdSSR hervorgegangenen Länder der Schwarzmeerregion durchliefen nach 1989 einen Transformationsprozess, dessen Dauer und Ausmaß erheblich variierten. In den Kaukasus-Ländern (Armenien, Aserbaidschan und Georgien) kam der damit einhergehende Schrumpfungsprozess bereits Mitte der 1990er-Jahre zum Stillstand und wurde von einem stetigen Wachstum abgelöst, das bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise 2008 anhielt. Armenien durchschritt die Talsohle 1994, Georgien 1995 und Aserbaidschan 1996. In Moldawien und der Ukraine dauerte der Schrumpfungsprozess hingegen bis 1999, das Wachstum setzte erst 2000 ein. Insbesondere ab Mitte der 2000er-Jahre beschleunigte sich das Wachstum in Armenien, Aserbaidschan und Georgien erheblich. Der rasche Ausbau des Erdöl- und Gassektors in Aserbaidschan schlug sich von 2004 bis 2007 in durchschnittlichen jährlichen Zuwachsraten des BIP von beinahe 30% nieder. Armenien (+14%) und Georgien (+10%) verzeichneten ebenfalls zweistellige Wachstumsraten. In der Ukraine und in Moldawien expandierte die Wirtschaft in diesem Zeitraum jährlich um durchschnittlich 6% bzw. 5%.

Weil die Wachstumsphase nach der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft relativ früh einsetzte, lag das Niveau der gesamtwirtschaftlichen Produktion in Armenien und Aserbaidschan 2009 bereits um 30% bzw. 70% über dem von 1989 (Abbildung 1). In Georgien schrumpfte die Wirtschaft nach der Auflösung der UdSSR wesentlich stärker. Auch die anschließende Wachstumsphase fiel bis 2005 deutlich schwächer aus als in den anderen zwei Kaukasus-Ländern. In Moldawien und der Ukraine wurde der Rückgang bisher ebenfalls nicht wettgemacht, weil die Expansion später eingesetzt hatte als in den anderen Ländern. In allen drei Ländern lag die gesamtwirtschaftliche Produktion 2009 um mehr als 40% unter dem Niveau von 1989.

 

Abbildung 1: Entwicklung von Wirtschaftsleistung und Wohlstand

1989 = 100

Q: EBRD, nationale Statistikämter.

 

Die Wirtschaft der Türkei als einzigem Land der Schwarzmeerregion, das nicht aus der UdSSR hervorgegangen war, entwickelte sich ganz anders. Die 1990er- und 2000er-Jahre waren von robustem Wachstum geprägt, das allerdings von mehreren Rezessionen (1994, 1999, 2001) unterbrochen war. Im Durchschnitt expandierte das BIP 2004 bis 2007 um 6½%, somit verdoppelte sich die Wirtschaftsleistung gegenüber dem Niveau von 1989. Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums nahm das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen in diesem Zeitraum hingegen um nur 50% zu.

Die Antriebskräfte des Wachstums variieren innerhalb der Region. In Armenien und Georgien nahmen die Überweisungen aus dem Ausland insbesondere von in der russischen Bauwirtschaft beschäftigten Migranten in den Jahren vor der Wirtschaftskrise erheblich zu. Laut IMF (2009) betrugen sie 2008 etwa 9% (Armenien) bzw. 6% (Georgien) des BIP. Die Überweisungen flossen in Armenien in erster Linie in den privaten Wohnbau. Die Bruttoanlageinvestitionen stiegen dadurch kräftig und erreichten 2007 37% des BIP. Die Exportquote ging hingegen deutlich zurück und war 2007 mit knapp 20% die niedrigste in der Region. Dies spiegelt die große Binnenorientierung der armenischen Wirtschaft wider (Übersicht 2). Der Anteil des Bausektors an der Wertschöpfung erhöhte sich von 2000 bis 2007 um 16 Prozentpunkte, jener der Sachgütererzeugung halbierte sich auf 10%. Der Wandel der Produktionsstruktur ist auch in Armenien deutlich, mit 20% lag der Anteil der Landwirtschaft 2007 jedoch über dem Durchschnitt der anderen Länder. In Georgien wurden die privaten Transfers aus dem Ausland vor allem für private Konsumausgaben verwendet. Ein kräftiger Zustrom von Direktinvestitionen schlug sich in einem kontinuierlichen Wachstum von Investitionen und Exporten nieder; die Exportquote stieg zwischen 2000 und 2007 auf etwa 30%. Der Staatssektor wurde deutlich ausgebaut und erreichte vor der Wirtschaftskrise etwa 20% der Wirtschaftsleistung des Landes. In Georgien verlagerte sich die Wirtschaftsstruktur zum Dienstleistungssektor; der Anteil der Sachgütererzeugung blieb konstant, jener des Bauwesens verdoppelte sich. Sein Gewicht in der Wertschöpfung ist jedoch relativ gering (Abbildung 2).

 

Übersicht 2: Veränderung der Nachfragestruktur seit 2000

 

 

 

Privater Konsum

Öffentlicher Konsum

Bruttoanlageinvestitionen

Exporte

Importe

 

Anteile am BIP in %, nominell

 

 

Armenien

2000

96,7

11,8

18,4

23,4

50,5

2007

71,6

10,2

36,9

19,2

39,2

2009

81,2

12,6

32,7

15,5

43,4

 

Aserbaidschan

2000

70,1

9,5

23,1

39,0

38,4

2007

33,4

9,7

21,4

68,1

28,5

2009

43,2

12,9

18,2

53,2

27,5

 

Georgien

2000

80,5

8,5

25,4

23,0

39,7

2007

70,7

21,9

25,7

31,2

58,0

2009

81,6

24,5

15,3

29,7

48,9

 

Moldawien

2000

88,4

14,7

15,4

49,6

76,6

2007

93,5

19,9

34,1

45,6

97,1

2009

88,7

24,1

22,5

36,8

73,4

 

Türkei

2000

70,5

11,7

20,4

20,1

23,1

2007

71,3

12,8

21,4

22,3

27,5

2009

71,5

14,7

16,9

23,2

24,4

 

Ukraine

2000

57,0

18,6

19,6

62,4

57,4

2007

59,6

17,9

27,5

44,8

50,5

2009

64,5

20,2

18,3

46,4

48,1

Q: Nationale Statistikämter, UNO.

 

In Aserbaidschan war das Wachstum durch den kräftigen Ausbau der Rohöl- und Erdgasförderung getrieben. Die Rohölexporte wurden seit 2000 mehr als verdoppelt. Der Anteil der Exporte am BIP nahm dadurch von 40% (2000) auf 70% (2007) zu, jener der privaten Konsumausgaben im selben Zeitraum von 70% auf 30% ab. Die Investitionen der Mineralölindustrie expandierten vor allem bis 2005 kräftig, danach verlangsamte sich ihr Wachstum. 2007 lag die Investitionsquote bei etwa 20% des BIP. Der Bergbau (einschließlich Rohöl- und Erdgasförderung) macht demnach etwa die Hälfte der gesamten Wertschöpfung Aserbaidschans aus. Bauwesen, Sachgütererzeugung und der Dienstleistungssektor sind von geringerer Bedeutung.

Die Türkei ist im Gegensatz zu den anderen Ländern der Schwarzmeerregion mit einer Export- und Importquote von nur 25% eine große geschlossene Volkswirtschaft. Der Anteil des privaten Konsums am BIP beträgt 70%, jener der Investitionen 20%. Die Inlandsnachfrage spielt daher für das Wachstum eine zentrale Rolle. Zwischen 2000 und 2007 blieb die Nachfragestruktur weitgehend konstant: Konsum, Bruttoanlageinvestitionen und Exporte expandierten gleichmäßig. Die Importe nahmen aufgrund der kräftigen Inlandsnachfrage stark zu, die Leistungsbilanz verzeichnete vor der Wirtschaftskrise mit 6% des BIP ein relativ hohes Defizit. Die Entwicklung der Türkei war im letzten Jahrzehnt mit einem raschen Wandel der Produktionsstruktur verbunden: Der Anteil der Landwirtschaft an der Wertschöpfung sank merklich, der Beitrag von Sachgütererzeugung und Bauwirtschaft blieb weitgehend konstant, jener des Dienstleistungsbereichs erhöhte sich.

 

Abbildung 2: Veränderung der Produktionsstruktur seit 2000

Anteile der Wirtschaftsbereiche an der nominellen Wertschöpfung in %

Q: Nationale Statistikämter, UNO.

 

In der Ukraine war das Wachstum vor der Wirtschaftskrise in erheblichem Ausmaß von der Inlandsnachfrage getrieben. Privater Konsum und Investitionen stiegen zumeist mit zweistelligen Raten, ihr Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Produktion nahm kontinuierlich zu. Der Außenhandel verlor hingegen merklich an Gewicht. Auch in der Ukraine veränderte sich die Produktionsstruktur, der Anteil der Landwirtschaft wurde von 2000 bis 2007 auf 7% des BIP halbiert. Zugleich blieb der Anteil der Sachgütererzeugung konstant und war mit 23% der höchste in der Region.

In Moldawien haben privater und öffentlicher Konsum sowie Bruttoanlageinvestitionen zusammen beinahe dreimal so großes Gewicht am BIP wie die Exporte. Allerdings fließt ein enormer Teil der Nachfrage an das Ausland: Die Importquote erreichte 2007 97%. Der Anteil der Sachgütererzeugung an der Wertschöpfung liegt mit knapp 15% über jenem in den Kaukasus-Ländern.

Der wichtigste Handelspartner der Region ist die EU mit etwa 45% der Exporte und 35% der Importe vor Russland (Exporte 9%, Importe 18%). Regional unterscheidet sich die Struktur aber beträchtlich: Die Ukraine, Armenien und Moldawien sind mit Exportanteilen zwischen 20% und 25% stärker nach Russland orientiert als die anderen Länder. Aserbaidschan exportiert beinahe ausschließlich Rohöl und Erdgas; neben der EU (55%) spielen daher auch die USA eine große Rolle als Handelspartner. China und andere Schwellenländer sind als Exportdestination für die gesamte Region kaum von Bedeutung.

Wirtschaftskrise erfasst auch die Schwarzmeerregion

Die Wirtschaftskrise ging mit Ausnahme von Aserbaidschan in allen Ländern der Schwarzmeerregion mit einem Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Produktion einher. Den stärksten BIP-Rückgang gegenüber dem Vorjahr verzeichneten 2009 Armenien und die Ukraine (fast 15%; Abbildung 3). In Armenien war der Grund dafür das beinahe vollständige Versiegen der Überweisungen aus dem Ausland. Mit der Rezession in Russland verloren viele dort im Bausektor beschäftigte Migranten ihren Arbeitsplatz und kehrten nach Armenien zurück. Da die Überweisungen vor der Wirtschaftskrise in den Wohnbau geflossen waren (siehe oben), brach dieser ein. Der Anteil der Bruttoanlageinvestitionen am BIP ging von 2007 bis 2009 um 4 Prozentpunkte zurück. Ebenso drastisch sank der Anteil des Bausektors an der Wertschöpfung. Der private Konsum blieb hingegen weitgehend stabil und stützte die Konjunktur. Sein Anteil am BIP nahm von 2007 bis 2009 um 10 Prozentpunkte zu. In der Ukraine war die Wirtschaftskrise mit einer typischen Wechselkurskrise verbunden, die Währung wertete im IV. Quartal 2008 um 25% ab. Das Vertrauen in den Bankensektor war stark gesunken; konsequenterweise tauschten die privaten Haushalte ihre Sparguthaben in Fremdwährung um. Beim Versuch, die Währung zu stützen, verlor die Zentralbank einen Großteil der Devisenreserven. Die Investitionen brachen dramatisch ein. Am stärksten waren davon die Sachgütererzeugung und der Bausektor betroffen.

 

Abbildung 3: Wirtschaftswachstum seit 1997

BIP, real, Veränderung gegen das Vorjahr in %

Q: EBRD, IWF. 2010: Prognose vom Jänner 2011.

 

In der Türkei übertrug sich die weltweite Wirtschaftskrise über den Außenhandel auf die Binnenwirtschaft. Die Exporte und in der Folge auch die Investitionen brachen im 1. Halbjahr 2009 ein. Hingegen ging die Konsumnachfrage, die den überwiegenden Anteil des BIP ausmacht, nur wenig zurück und stabilisierte die Konjunktur. Die drastische Einschränkung der Importe verbesserte die Leistungsbilanz und trug ebenfalls zur Abfederung der Wirtschaftskrise bei. Das BIP ging 2009 gegenüber dem Vorjahr um 4,7% zurück. Am stärksten betroffen waren der Bausektor und die Sachgütererzeugung, während die Wertschöpfung in der Landwirtschaft ausgeweitet wurde.

Als einzigem Land der Region expandierte das BIP in Aserbaidschan auch während der Wirtschaftskrise kräftig (2009 +9,3%), das Wachstum verlangsamte sich gegenüber den Vorjahren jedoch deutlich. Dazu trug in erster Linie die Entwicklung des Rohölpreises bei, der 2009 wie auch schon 2007/08 neuerlich stieg. Dies beflügelte weiterhin die Einnahmen des Rohöl- und Erdgassektors und ermöglichte eine neuerliche Ausweitung der Investitionen. In Moldawien war dagegen der Einbruch der Wirtschaftsleistung 2009 mit 6,5% relativ stark (Übersicht 3).

 

Übersicht 3: Makroökonomische Entwicklung seit 2005

 

Armenien

Aserbaidschan

Georgien

Moldawien

Türkei

Ukraine

Jährliche Veränderung in %

Bruttoinlandsprodukt, real

Ø 2004/2007

+13,6

+28,6

+10,4

+5,1

+6,6

+5,9

2008

+6,9

+10,9

+1,9

+7,3

+0,7

+2,3

2009

14,2

+9,3

3,6

6,5

4,7

14,8

2010

+4,0

+5,0

+5,5

+6,5

+8,0

+4,5

Verbraucherpreise

Ø 2004/2007

+2,7

+11,5

+8,9

+12,3

+8,8

+11,8

2008

+9,0

+20,8

+10,0

+12,7

+10,4

+25,2

2009

+3,5

+1,5

+1,7

+0,0

+6,3

+15,9

2010

+8,1

+5,7

+7,1

+7,5

+8,6

+9,8

 

 

 

 

 

 

In % der Erwerbspersonen

Arbeitslosenquote

Ø 2005/2007

7,6

7,0

13,6

6,7

10,1

6,8

2008

6,3

6,1

16,5

4,0

10,9

6,4

2009

6,8

6,0

16,9

6,4

14,0

8,8

2010

7,0

6,0

16,8

7,5

11,0

8,8

 

 

 

 

 

 

In % des BIP

Leistungsbilanz

Ø 2005/2007

3,1

15,4

15,3

11,4

5,5

0,8

2008

11,8

35,5

22,7

16,3

5,7

7,1

2009

16,0

23,6

11,7

8,1

2,3

1,5

2010

14,6

24,1

12,0

11,2

5,2

0,4

Finanzierungssaldo des Staates

Ø 2005/2007

2,1

1,8

2,1

0,5

0,5

1,9

2008

1,8

20,0

2,0

1,0

2,4

3,2

2009

7,8

6,8

6,6

6,4

5,6

6,2

2010

4,8

13,9

5,4

5,4

3,5

5,5

Staatsschuld

Ø 2005/2007

19,8

10,7

27,7

32,4

45,9

14,9

2008

16,2

7,3

27,6

21,3

39,5

20,0

2009

40,6

12,1

37,4

27,6

45,5

34,6

2010

44,8

12,9

46,2

32,6

43,4

39,5

Q: EBRD, IWF, nationale Quellen. 2010: Prognose der EBRD vom Jänner 2011.

 

Ausblick und Schätzung des künftigen Nachfragepotentials

Aufgrund ihrer starken Integration in die Weltwirtschaft wurde die Schwarzmeerregion von der Wirtschaftskrise erheblich in Mitleidenschaft gezogen, mittlerweile aber auch vom Aufschwung. 2010 expandierte die Wirtschaft in allen Ländern wieder. Die stärkste Dynamik verzeichnete dabei die Türkei. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD, 2010) rechnet mit einem realen Zuwachs von 8% gegenüber dem Vorjahr. Damit hat die gesamtwirtschaftliche Produktion der Türkei das Vorkrisenniveau bereits überschritten. In den anderen Ländern der Schwarzmeerregion expandiert die Wirtschaft ebenfalls wieder kräftig, in Georgien (+5,5%) und Moldawien (+6,5%) wurde der krisenbedingte Rückgang bereits kompensiert. In Aserbaidschan wuchs das BIP weiterhin merklich, die Rate verringerte sich jedoch gegenüber den Jahren vor der Wirtschaftskrise. In Armenien und der Ukraine, deren BIP dramatisch eingebrochen war, liegt die gesamtwirtschaftliche Produktion trotz kräftiger Expansion noch weit unter dem Vorkrisenniveau.

Das künftige Nachfragepotential der Schwarzmeerregion für österreichische Exportgüter hängt von der Größe der jeweiligen Volkswirtschaften und von ihrer Expansionsdynamik ab. Als Exportmarkt sollten daher vor allem jene Länder ausgewählt werden, deren Nachfrage in absoluten Größen am stärksten wächst. Für die Länder der Schwarzmeerregion liegen jedoch keine verlässlichen mittelfristigen Prognosen vor. Die Annahme über die künftige Dynamik der Wirtschaft orientiert sich daher am durchschnittlichen Wachstum der vergangenen Jahre. Will man den Effekt der Wirtschaftskrise aus dieser Betrachtung ausblenden, so bietet sich die Periode vor ihrem Ausbruch an (2000/2007). Eine etwas vorsichtigere Schätzung bezieht die Krisenjahre mit ein, da gerade das Wachstum in den Jahren unmittelbar davor außergewöhnlich hoch war und möglicherweise nicht in diesem Ausmaß aufrecht erhalten werden kann.

Gemessen an der Steigerung des realen BIP seit 2000 weist die Türkei mit großem Abstand das höchste Nachfragepotential auf. Ihre gesamtwirtschaftliche Produktion nahm bis 2007 um etwa 100 Mrd. $ zu (zu Preisen und Wechselkursen von 2000). In den Ländern mit dem zweit- und drittgrößten Potential, Ukraine und Aserbaidschan, beträgt dieser Zuwachs ungefähr 20 Mrd. $ bzw. 10 Mrd. $. Das Nachfragepotential der Türkei ist also etwa fünfmal so groß wie das der Ukraine und etwa zehnmal so groß wie das von Aserbaidschan. Dehnt man den Berechnungszeitraum bis 2009 aus, so ergibt sich ein Zuwachs von 90 Mrd. $ für die Türkei und von 15 Mrd. $ für die anderen zwei Länder. Das Verhältnis beträgt dann etwa 6 : 1.

Das Nachfragepotential der anderen drei Länder der Schwarzmeerregion Armenien, Georgien und Moldawien ist dagegen wegen ihrer geringen Größe sehr gering, obwohl auch sie vor der Wirtschaftskrise hohe Wachstumsraten aufwiesen. In Armenien und Georgien nahm das BIP zwischen 2000 und 2007 real um etwa 2 Mrd. $ zu, das von Moldawien um nicht einmal 1 Mrd. $. Das Verhältnis zur Türkei beträgt somit 1 : 50 bzw. 1 : 100, das zur Ukraine 1 : 10 bzw. 1 : 20. Aufgrund dieses großen Unterschieds verändert die Einbeziehung der Krisenjahre in den Berechnungszeitraum das Bild kaum.

Österreichs außenwirtschaftliche Beziehungen zur Schwarzmeerregion

Österreichs Warenausfuhr in die sechs Schwarzmeerländer erreichte 2009 mit knapp 1,5 Mrd. € 1,5% der Gesamtexporte. Etwas geringer war die Bedeutung im Dienstleistungsexport (570 Mio. € bzw. 1,4%). Gemessen an den Direktinvestitionen hat die Schwarzmeerregion etwas größere Bedeutung für die österreichische Wirtschaft: Gemäß vorläufigen Schätzungen entfiel 2009 ein Direktinvestitionsbestand von 4,4 Mrd. € auf diese Länder; dies entsprach einem Anteil von 3,9% am Gesamtbestand.

Wachsende Verflechtung im Warenaußenhandel

In den Jahren vor der Wirtschaftskrise entwickelte sich der österreichische Warenexport in die Schwarzmeerregion sehr dynamisch, zwischen 1999 und 2007 hat er sich mehr als verdreifacht. Besonders kräftig ausgeweitet wurde der Export in die drei Kaukasus-Länder (+45,7% p. a.), allerdings von sehr geringem Niveau aus. Großes Gewicht haben vor allem die Exporte in die Türkei (2009: 761 Mio. €) und die Ukraine (2009: 530 Mio. €), sie machten 2009 89% der Warenexporte in den Schwarzmeerraum aus.

Nachdem die Warenexporte in die Schwarzmeerregion in den Jahren vor der Wirtschaftskrise außergewöhnlich kräftig gewachsen waren, fiel auch der Einbruch durch die Krise überdurchschnittlich aus (mit Ausnahme von Aserbaidschan und Georgien). Seit 2006 ist der Saldo im Warenaußenhandel mit der Region durchwegs positiv, wenngleich er sich im Krisenjahr 2009 deutlich verschlechterte.

Gemäß den vorläufigen Werten erreichte der Export in die Region von Jänner bis November 2010 bereits wieder das Vorkrisenniveau (Jänner bis November 2007). Lediglich die Ausfuhr nach Armenien schrumpfte gemäß den vorläufigen Werten. Neben Aserbaidschan konnten die Lieferungen in die zwei größten Schwarzmeerländer, Türkei und Ukraine, deutlich ausgeweitet werden. Nach dem kurzen Einbruch im Zuge der weltweiten Wirtschaftskrise scheinen die österreichischen Unternehmen nun die Chancen und das Potential des Schwarzmeerraums erneut zu nutzen, sodass mit einer weiterhin kräftigen Zunahme zu rechnen ist[b]).

 

Übersicht 4: Österreichs Warenaußenhandel mit der Schwarzmeerregion

 

1999

2009

Ø 1999/ 2007

Ø 2007/ 2009

20101)

2007

2009

Mio. €

Jährliche Veränderung in %

Anteile am Export in die Schwarzmeerregion in %

 

Export insgesamt

60.265,9

93.739,2

+8,4

9,6

+15,8

Schwarzmeerregion

603,7

1.449,3

+15,4

12,7

+34,1

100,0

100,0

Armenien

3,4

52,2

+50,6

23,9

8,4

4,7

3,6

Aserbaidschan

2,4

42,0

+42,9

+0,8

+70,8

2,2

2,9

Georgien

2,7

35,1

+40,6

7,6

+17,4

2,2

2,4

Moldawien

6,3

29,5

+27,4

18,1

+14,6

2,3

2,0

Türkei

458,7

760,7

+9,4

10,2

+38,6

49,7

52,5

Ukraine

130,1

529,8

+24,3

15,4

+31,2

38,9

36,6

 

Kaukasus

8,5

129,3

+45,7

13,4

+23,2

9,1

8,9

 

1999

2009

1999/ 2007

2007/ 2009

20101)

Mio. €

Veränderung in Mio. €

 

Handelsbilanz insgesamt

5.049,6

3.834,8

+5.475,1

4.260,2

484,0

Schwarzmeerregion

20,7

198,8

+489,7

270,3

30,3

Armenien

3,4

50,8

+79,8

32,4

4,3

Aserbaidschan

28,3

4,7

+56,2

23,3

8,6

Georgien

28,2

+36,2

8,6

+1,1

Moldawien

9,2

18,5

+25,4

+2,3

+1,2

Türkei

49,1

34,2

+32,6

115,9

+202,7

Ukraine

36,3

130,9

+259,5

92,3

222,3

 

Kaukasus

24,3

83,6

+172,2

64,3

11,9

Q: Statistik Austria. Kaukasus: Armenien, Aserbaidschan, Georgien; Schwarzmeerregion: Kaukasus, Moldawien, Türkei, Ukraine. – 1) Jänner bis November.

 

Hohe Dynamik, aber weitere Steigerung möglich

Auch im internationalen Vergleich entwickelte sich der österreichische Export in die Schwarzmeerregion in den Jahren vor der Wirtschaftskrise günstig. Im Zeitraum 1999/2007 war die Dynamik unter den Vergleichsländern nur in Deutschland kräftiger (Deutschland +16,2% p. a., Österreich +15,4% p. a.; Übersicht 5). Wie die Ausfuhr aus Österreich wurde auch der Export der meisten anderen Handelspartner in die Schwarzmeerregion durch die Wirtschaftskrise überproportional beeinträchtigt, der Anteil der Region am Gesamtexport sank. Ausnahmen waren hier Schweden und die USA. Im Durchschnitt der letzten 10 Jahre (1999/2009) wuchs der Wert der österreichischen Exporte trotz des Einbruchs in der Wirtschaftskrise überdurchschnittlich. Der Exportwert erhöhte sich ähnlich wie in Dänemark[c]) auf das 2,4-Fache; nur Deutschland wies unter den untersuchten Ländern einen noch höheren Zuwachs auf.

Mit 1,7% war der Anteil der Schwarzmeerregion am gesamten Warenexport in Österreich im Jahr vor der Wirtschaftskrise (2007) höher als in den USA, in Dänemark, Schweden oder der Schweiz. Einen größeren Stellenwert hatte die Region sowohl vor als auch nach der Wirtschaftskrise im Export Finnlands, ähnlich in Deutschland und Italien.

Übersicht 5: Bedeutung des Warenexports in die Schwarzmeerregion im internationalen Vergleich

 

1999

2009

Ø 1999/ 2007

Ø 2007/ 2009

Ø 1999/ 2009

1999

2007

2009

Mio. €

Jährliche Veränderung in %

Anteile am Gesamtexport in %

 

Österreich

604

1.449

+15,4

12,7

+9,2

1,0

1,7

1,5

Deutschland

6.654

16.122

+16,2

14,6

+9,3

1,3

2,3

2,0

Italien

3.215

7.301

+14,7

13,0

+8,5

1,5

2,6

2,5

Finnland

518

872

+12,2

18,2

+5,4

1,3

2,0

1,9

Dänemark

214

515

+14,0

8,3

+9,2

0,5

0,8

0,8

Schweden

1.048

1.555

+5,7

2,6

+4,0

1,5

1,3

1,6

Schweiz

720

1.560

+13,8

12,4

+8,0

1,0

1,6

1,3

USA

3.379

6.238

+8,1

0,5

+6,3

0,5

0,7

0,8

Q: Statistik Austria, UNO.

 

Exportchancen aufgrund guter Strukturübereinstimmung

Als Indikator für kurzfristige Exportpotentiale[d]) kann ein Strukturübereinstimmungsindex herangezogen werden (Wolfmayr Stankovsky, 2003). Dieser vergleicht die Nachfragestruktur des Zielmarktes mit der österreichischen Exportstruktur. Die in Aiginger et al. (2010) errechneten Strukturübereinstimmungsindizes[e]) für den Warenaußenhandel mit der Schwarzmeerregion zeigt Übersicht 6.

 

Übersicht 6: Strukturübereinstimmungsindex des österreichischen Warenexports mit der Nachfrage der Schwarzmeerregion

 

Ø 1997/98

Ø 2007/08

Veränderung 2007/08 gegenüber 1997/98

 

Armenien

70,5

47,6

22,9

Aserbaidschan

55,0

46,1

8,9

Georgien

53,7

42,3

11,4

Moldawien

52,4

40,7

11,6

Türkei

41,8

35,1

6,7

Ukraine

42,2

32,6

9,6

Q: UNO. . . . Verbesserung.

 

Am besten stimmte die Struktur der österreichischen Warenexporte 2007/08 mit jener der Warenimporte der Ukraine überein vor der Türkei, welche 1997/98 den besten Strukturübereinstimmungsindex aufwies. Mit allen sechs Schwarzmeerländern nahm die Ähnlichkeit der Angebots- und Nachfragestruktur zwischen 1997/98 und 2007/08 zu. Im internationalen Vergleich mit sieben ausgewählten Konkurrenzländern (Deutschland, Dänemark, Finnland, Italien, Schweden, Schweiz, USA) war die Strukturübereinstimmung für Österreichs Außenwirtschaft relativ hoch (Aiginger et al., 2010). Nur Deutschland wies ein besseres Ergebnis auf, da es mit vier der sechs Schwarzmeerländer die höchste Strukturübereinstimmung erreichte. Österreich lag in der Türkei und in Aserbaidschan an erster Stelle (Aiginger et al., 2010).

Gute Wettbewerbsposition in der Ukraine, Aufholpotential in der Türkei

Ein weiterer Anhaltspunkt für das künftige Potential der außenwirtschaftlichen Beziehungen zur Schwarzmeerregion sind die Erfolge der Vergangenheit. Die Wettbewerbsfähigkeit österreichischer Exportunternehmen in dieser Region kann am Marktanteil gemessen werden. Der österreichische Markanteil an den Exporten der OECD 24 in die Schwarzmeerregion betrug 2009 2,3% (2007: 2,5%), lag somit über dem durchschnittlichen Anteil Österreichs an den weltweiten Exporten der OECD 24 (2009: 2%). Besonders hoch war der Marktanteil in der Ukraine (2009: 4,9%), in Moldawien (4,1%) und Armenien (9,3%); letzterer könnte jedoch durch einen Sondereffekt[f]) verzerrt sein.

 

Abbildung 4: Standardisierte Marktanteile am Export der OECD 24

2009

Q: UNO, WIFO-Berechnungen. Zweifach standardisierter Marktanteil: , Ma . . . Marktanteil, i . . . Exportland, j . . . Importland, w . . . Welt, ö . . . Österreich.

 

Abbildung 4 vergleicht Österreichs Marktposition mit typischen Konkurrenzländern. Relativ zum weltweiten Marktanteil Österreichs[g]) an den Exporten der OECD 24 war die Marktposition im Kaukasus und in der Ukraine 2009 sehr gut. In der Ukraine erzielte nur Finnland einen höheren standardisierten Marktanteil. Im Kaukasus verfügte Österreich über die stärkste Position unter den Vergleichsländern, doch war dieses Ergebnis erheblich durch den hohen Marktanteil in Armenien beeinflusst. In Georgien war Österreichs standardisierter Marktanteil der höchste, in Moldawien der zweithöchste nach Italien. Unterdurchschnittlich war der österreichische Marktanteil in der Türkei relativ zur Position der Vergleichsländer.

Saldo im Dienstleistungsexport 2009 erstmals positiv

In der Periode 1999/2007 wuchsen die österreichischen Dienstleistungsexporte in die Schwarzmeerregion von einem sehr geringen Niveau aus um 9,8% p. a. Auch in den Krisenjahren 2008 und 2009 wurde im Durchschnitt ein wenngleich geringerer Zuwachs  erzielt. Somit entwickelte sich der Dienstleistungsexport in die Schwarzmeerregion günstiger als der weltweite Dienstleistungsexport. 2009 erreichte er ein Volumen von 570 Mio. €. Auch die vorläufigen Werte für das 1. Halbjahr 2010 zeigen ein deutlich überdurchschnittliches Wachstum (+15,6%). Insgesamt gingen 2009 gut 1,4% aller österreichischen Dienstleistungsexporte in die Schwarzmeerländer. Wie im Warenverkehr liegen die Hauptmärkte in der Türkei und in der Ukraine. 2009 ergab sich erstmals seit 1989 ein geringfügiger Handelsüberschuss. Negativ war die Dienstleistungsbilanz mit der Türkei, und zwar vor allem wegen des Defizits in den Positionen "Reiseverkehr" und "Transportdienstleistungen"; im Austausch mit den höherwertigen Diensten wie "Finanzdienstleistungen" und "sonstige unternehmensnahe Dienstleistungen" ergab sich jedoch ein Überschuss (Aiginger et al., 2010).

 

Übersicht 7: Österreichs Dienstleistungsaußenhandel mit der Schwarzmeerregion

 

Export

Saldo

1999

2009

20101)

1999

2009

Ø 1999/2007

Ø 2007/2009

20101)

2009

Mio. €

Anteile in %

Jährliche Veränderung in %

Mio. €

 

Schwarzmeerregion

266

570

282

1,21

1,45

+9,8

+0,5

+15,6

4

Türkei

169

256

147

0,77

0,65

+6,5

4,4

+16,7

103

Ukraine

89

250

107

0,41

0,64

+12,0

+6,6

+21,6

76

Andere Länder

8

64

28

0,04

0,16

+29,7

±0,0

6,7

31

 

Welt

21.959

39.356

20.394

100,00

100,00

+7,7

0,4

+3,2

12.850

Q: OeNB, Statistik Austria. Andere Länder: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien. – 1) 1. Halbjahr.

 

Deutliche Steigerung der Direktinvestitionsbestände

Neben dem Außenhandel mit Waren und Dienstleistungen ist auch die Direktinvestitionstätigkeit ein Maßstab der Verflechtung von Volkwirtschaften. Während schon 1999 ein beträchtlicher Teil der österreichischen Direktinvestitionsbestände auf die nähergelegenen Länder Mittel- und Südosteuropas entfiel, war der Direktinvestitionsbestand in den sechs Schwarzmeerländern[h]) noch vernachlässigbar gering. Er betrug 1999 erst 36 Mio. €, dies entsprach weniger als 0,2% aller österreichischen Direktinvestitionsbestände im Ausland. Seither weiteten die österreichischen Unternehmen ihre Direktinvestitionstätigkeit in der Schwarzmeerregion erheblich aus. In den Jahren vor der Wirtschaftskrise (1999/2007) stieg der Wert der Direktinvestitionsbestände um über 90% p. a., jedoch von niedrigem Niveau aus. Der Höchstwert dürfte 2007 mit 6,3 Mrd. € erreicht worden sein; dies entsprach 6,3% aller österreichischen Direktinvestitionen im Ausland.

2009 betrug der Bestand nach vorläufigen Schätzungen 4,4 Mrd. €, war also niedriger als vor der Wirtschaftskrise. Die Transaktionen des 1. Halbjahres 2010 zeigen noch keine Beschleunigung der Dynamik. In der Wirtschaftskrise entwickelten sich die Direktinvestitionsbestände jedoch heterogen: Während sie in der Ukraine merklich schrumpften, nahmen sie in den anderen Ländern weiter zu. Die Entwicklung in der Ukraine dürfte u. a. auf Bewertungsverluste zurückzuführen sein, denn die Zahl der Beteiligungen sowie die mit dem Nominalkapitalanteil gewichtete Beschäftigtenzahl von Tochterunternehmen in der Ukraine stiegen auch 2008. Vor allem die gewichtete Beschäftigung in Tochterunternehmen wurde zwischen 2007 und 2008 erheblich ausgeweitet (auf 41.959)[i]).

 

Übersicht 8: Österreichs Direktinvestitionen in der Schwarzmeerregion

 

Bestände

Flüsse

1999

2007

20091)

Ø 1999/ 2007

Ø 2007/ 2009

1999

2007

2009

2009

20102)

Gesamtwert in Mio. €

Jährliche Veränderung in %

Anteile in %

Mio. €

 

Schwarzmeerregion

36

6.331

4.400

+90,9

16,6

0,19

6,26

3,89

807

313

Ukraine

23

3.699

1.500

+89,0

36,3

0,12

3,66

1,33

172

127

Andere Länder

13

2.632

2.900

+93,8

+5,0

0,07

2,60

2,57

635

185

 

Welt

19.039

101.087

113.000

+23,2

+5,7

100,00

100,00

100,00

4.655

4.623

Q: OeNB. Andere Länder: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Türkei. 1) Vorläufige Daten aus Fortschreibung mit Transaktionen. – 2) 1. Halbjahr.

 

Trotz der schon bisher dynamischen Entwicklung besteht noch weiteres Potential für die Erschließung der Märkte in der Schwarzmeerregion[j]). Die Region bietet nicht nur als Absatzmarkt Chancen: Günstige Produktionsbedingungen vor Ort können im Sinne der internationalen Arbeitsteilung genutzt werden, um die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Unternehmen zu sichern und zu verbessern.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Die Wirtschaftskrise brachte in allen Ländern der Schwarzmeerregion (Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Türkei) einen Einbruch der Wirtschaftsleistung. Mittlerweile wurden alle Volkswirtschaften von der Konjunkturerholung erfasst und haben (mit Ausnahme von Armenien und der Ukraine) das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Für die weitere Entwicklung liegen keine verlässlichen Prognosen vor, mittelfristig sind aber ähnlich hohe Zuwächse zu erwarten wie vor dem Ausbruch der Wirtschaftskrise. Dank dieser dynamischen Entwicklung bietet die Region weiterhin ein großes Nachfragepotential für die österreichische Außenwirtschaft. Aufgrund ihrer Größe ist dabei die Türkei der mit Abstand wichtigste Markt.

Die Region gewann für die österreichische Wirtschaft in den Jahren vor der Wirtschaftskrise kontinuierlich an Bedeutung, auch 2010 dürfte die Bedeutung des Warenaußenhandels nach dem krisenbedingten Rückgang 2007/2009 wieder gewachsen sein. Dennoch zeigt der internationale Vergleich mit typischen Konkurrenzländern ein Potential für weitere Positionsgewinne. So weist die relativ hohe Übereinstimmung der österreichischen Exportstruktur mit der Importstruktur der Schwarzmeerländer im internationalen Vergleich auf relativ hohe kurzfristige Exportpotentiale hin. Besonders gut ist die Übereinstimmung im Außenhandel mit der Ukraine und der Türkei Länder mit großer Bevölkerung und beträchtlichem Absatzpotential. Die Wettbewerbsfähigkeit des österreichischen Warenaußenhandels mit der Region ist gemessen am Marktanteil in der Ukraine sowie in Georgien und Moldawien hoch, in der Türkei jedoch nur mäßig.

Die Internationalisierungsoffensive der Bundesregierung umfasst auch Initiativen, um die österreichischen Unternehmen in ihren Internationalisierungsvorhaben im Schwarzmeerraum zu unterstützen: Neben dem "Integrierten Regionalprogramm Schwarzmeerraum" bietet die Wirtschaftskammer im Rahmen des Maßnahmenpakets "go international" u. a. Informationsveranstaltungen an (etwa das AWO-Forum "Schwarzmeerregion: Ihr Zukunftsmarkt vor der Tür"). Angesichts der vielfältigen Konflikte, von denen die Wirtschaft in der Schwarzmeerregion belastet wird, kann neben der Wirtschaftspolitik auch die Außenpolitik einen positiven Beitrag leisten.

Literaturhinweise

Aiginger, K., Ederer, St., Prammer, J., Sieber, S., Österreichs außenwirtschaftliche Beziehungen zur Schwarzmeerregion und deren wirtschaftliche Perspektiven, WIFO, Wien, 2010, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/39891.

Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend, Integriertes Regionalprogramm Schwarzmeerregion Abschlussbericht, Wien, 2010, http://www.bmwfj.gv.at/Aussenwirtschaft/EU-Erweiterung/Seiten/Schwarzmeerregion.aspx.

EBRD, Transition Report 2010: Recovery and Reform, London, 2010, http://www.ebrd.com/pages/research/publications/flagships/transition.shtml.

IMF, Regional Economic Outlook: Middle East and Central Asia, Washington D.C., 2009, http://www.imf.org/external/pubs/ft/reo/2009/MCD/eng/mreo1009.htm.

Sieber, S., "Bedeutung Mittel- und Osteuropas für den österreichischen Außenhandel", WIFO-Monatsberichte, 2010, 83(2), S. 149-161, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/38386.

Wolfmayr, Y., "Österreichs Direktinvestitionen in Mittel- und Osteuropa", WIFO-Monatsberichte, 2010, 83(2), S. 163-177, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/38387.

Wolfmayr, Y., Stankovsky, J., Interessante Absatzmärkte und Exportpotentiale für die österreichische Industrie, WIFO, Wien, 2003, http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/24851.

 

The Black Sea Region. Economic Development and Importance for Austria's Foreign Trade Summary

The countries of the Black Sea region, located at the strategic crossroads between Europe, Central Asia and the Middle East, are rapidly gaining in importance, considering their geographic proximity, rich mineral resources and potential as a sales market and labour pool. The article looks into the region's macroeconomic development and Austria's foreign trade relations with its countries. Thanks to the region's dynamic economic growth, it opens up a major demand potential for the future. Turkey in particular is an enormous market because of its sheer dimensions. Austria enjoys good trade relations to the region which nevertheless can be extended considerably. In Ukraine, Austrian companies are well positioned, and the export structure of Austria is a good match for the demand for imports in both Ukraine and Turkey.

 

 

 



[a])  Das im Rahmen der Internationalisierungsoffensive der Bundesregierung initiierte "Integrierte Regionalprogramm Schwarzmeerraum" schließt in die Definition des Schwarzmeerraumes neben den genannten Ländern auch die Region Krasnodar ein; andere Definitionen beziehen ganz Russland mit ein. In der Black Sea Economic Cooperation (BSEC) sind u. a. Rumänien und Bulgarien vertreten. Sie werden jedoch als EU-Länder hier nicht mit zur Schwarzmeerregion gezählt.

[b])  Der Abschlussbericht des "Integrierten Regionalprogramms Schwarzmeerregion" nennt als Ziel der Erschließung der wirtschaftlichen Potentiale der Region eine mittelfristige Verdoppelung des Anteils am österreichischen Gesamtexport.

[c])  In Dänemark ist jedoch die Bedeutung der Schwarzmeerregion noch viel geringer als in Österreich.

[d])  Neben den kurzfristigen Exportchancen, welche sich aus einer verstärkten regionalen Diversifizierung hin zu Wachstumsmärkten ergeben können, sollte die Wirtschaftspolitik jedoch die langfristige Wettbewerbsfähigkeit und somit den Strukturwandel der österreichischen Außenwirtschaft hin zu hochwertigen Exporten nicht vernachlässigen.

[e])  In Anlehnung an Wolfmayr - Stankovsky (2003) misst dieser Index den Winkel des Vektors der österreichischen Exporte zum Importvektor des jeweiligen Partnerlandes im Schwarzmeerraum. Für die Berechnung wurden disaggregierte Export- und Importdaten (SITC-Dreisteller) für Industriewaren gemäß der folgenden Formel verwendet:

,

x . . . Anteil am Industriewarenexport, m . . . Anteil am Industriewarenimport, i . . . Exportland (z. B. Österreich), k . . . Importland (z. B. Aserbaidschan), j . . . Warengruppe. Je niedriger der Strukturübereinstimmungsindex, umso besser passen Export- und Importstruktur der untersuchten Länder zusammen.

[f])  In den letzten vier Jahren war ein beträchtlicher Teil der österreichischen Warenexporte der "Goldausfuhr" zuzuschreiben.

[g])  Standardisierte Marktanteile sind um den Effekt der Landesgröße bzw. Wirtschaftsstärke bereinigt. Österreichs Marktanteil am Export der OECD 24 in die Ukraine war etwa mit 4,9% fast 2,5-mal so hoch wie der Marktanteil am weltweiten Export der OECD 24 (2%). In Deutschland betrug dieses Verhältnis nur 1 : 1,9 (Markanteil in der Ukraine 33%, weltweit 17,3%), daher erzielte Deutschland in der Ukraine einen niedrigeren standardisierten Marktanteil (78) als Österreich (100).

[h])  In den EU-Ländern Rumänien und Bulgarien rangiert Österreich seit Jahren an der Spitze der Investoren; diese Länder wurden wie erwähnt in die Analyse nicht einbezogen.

[i])  In der Ukraine entfiel ein Großteil der Direktinvestitionen und der Beschäftigungssteigerung auf den Finanzsektor (Aiginger et al., 2010).

[j])  Der Abschlussbericht des "Integrierten Regionalprogramms Schwarzmeerregion" nennt als ein Ziel die mittelfristige Verdoppelung der österreichischen aktiven Direktinvestitionen in der Region.