Ungleichgewichte im Euro-Raum
In den Jahren vor dem
Ausbruch der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise entstanden im Euro-Raum große Leistungsbilanz-
und Wettbewerbsungleichgewichte. Diese Disparitäten bestehen nach wie vor und gefährden
die Konjunkturerholung, die mittelfristige Wirtschaftsentwicklung und den Zusammenhalt
in der Währungsunion. Der Abbau der Ungleichgewichte wird das Wirtschaftswachstum
im Euro-Raum über einen längeren Zeitraum schwächen. Die Disparitäten könnten jedoch
auch bei kräftigerem Wachstum ausgeglichen werden, wenn die Produktivität in den
Defizitländern steigt und in Deutschland die Inlandsnachfrage gestärkt wird.
Wissenschaftliche Begutachtung:
Karl Aiginger, Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen • Wissenschaftliche Assistenz:
Nora Popp, Roswitha Übl • E-Mail-Adresse: Stefan.Ederer@wifo.ac.at
INHALT
Die Entwicklung der Leistungsbilanzen
Leistungsbilanzen durch unterschiedliche
Nachfrageentwicklung bedingt
Wettbewerbsfähigkeit und Realzinssätze
bestimmen Unterschiede der Nachfrageentwicklung
Ursachen der
Inflationsdivergenz
Verringerung der Ungleichgewichte durch die
Krise
Krise in den Defizitländern nicht überwunden
Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit von
relativen Lohnstückkosten abhängig
Zwei Szenarien für den Abbau der
Ungleichgewichte
Szenario 1: Defizitländer tragen Anpassungslast
Szenario 2: Binnennachfrage der
Überschussländer steigt
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND
ABBILDUNGEN
Übersicht 1: Nachfrageentwicklung im Euro-Raum
Übersicht 2: Entwicklung der Bruttowertschöpfung im Euro-Raum
Übersicht 3: Haus- und Wohnungspreise, Sparquote und Zinssätze
Übersicht 4: Produktivität, Löhne und Preise im Euro-Raum
Abbildung 2: Real-effektiver Wechselkurs
Abbildung 3: Lohnstückkosten in der Gesamtwirtschaft
Die Entwicklungen der vergangenen
Monate (Zuspitzung der Verschuldungskrise in Griechenland, Einrichtung des Euro-Schutzschirms)
werden vor allem im Hinblick auf die Situation der öffentlichen Haushalte im Euro-Raum
diskutiert. Die hohen Budgetdefizite und die steigende Staatsverschuldung sind – insbesondere in Griechenland – zu einem erheblichen Teil ein Problem der öffentlichen
Haushalte der Länder. Sie sind jedoch auch durch die aktuelle Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
sowie den Aufbau von Wettbewerbs- und Leistungsbilanzungleichgewichten in der Währungsunion
vor dem Ausbruch der Krise bedingt. Diese Disparitäten bestehen nach wie vor und
können im Euro-Raum weitere Probleme mit sich bringen. Sie gefährden damit die Konjunkturerholung,
die mittelfristige Wirtschaftsentwicklung und den Zusammenhalt der Währungsunion.
Seit Einführung der gemeinsamen
Währung verschlechterte sich die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere in Griechenland,
Irland, Italien, Portugal und Spanien drastisch. Die Lohnstückkosten und Verbraucherpreise
stiegen seit 1999 relativ zu Deutschland und – in
geringerem Ausmaß – auch zu anderen Überschussländern
wie etwa Österreich. Das dämpfte die Exportentwicklung in den Defizitländern. Aufgrund
der hohen Inflationsraten waren allerdings auch die Realzinssätze niedrig; das förderte
den privaten Konsum und die Investitionen – in
Irland und Spanien insbesondere in den Bausektor – und
trieb so die Inlandsnachfrage an. In den Überschussländern hingegen wirkte die schwache
Lohn- und Preisentwicklung dämpfend auf die Inlandsnachfrage, während sich die Exporte
dank der guten Wettbewerbsfähigkeit kräftig entwickelten. Aufgrund dieser Faktoren
entstanden hohe Leistungsbilanzdefizite in Griechenland, Irland, Italien, Portugal
und Spanien sowie Leistungsbilanzüberschüsse etwa in Deutschland, den Niederlanden
und Österreich.
Mit dem Platzen der Immobilienpreisblasen
in Irland und Spanien und dem Ausbruch der weltweiten Krise von Finanz- und Realwirtschaft
gerieten die Defizitländer in eine schwierige Konjunkturlage, die noch länger andauern
wird. Die Inlandsnachfrage ist schwach, die Arbeitslosigkeit hoch, die Wettbewerbsfähigkeit
hat sich stark verschlechtert, und die Budgetdefizite sind erheblich gestiegen.
In allen Ländern werden ambitionierte Sparprogramme umgesetzt. In dieser Situation
ist von der privaten Inlandsnachfrage und den öffentlichen Haushalten kein Impuls
für die Konjunktur zu erwarten. Wegen der geringen Wettbewerbsfähigkeit wird auch
von der Exportseite kein Wachstumsimpuls kommen. Somit droht eine längerfristige
Stagnationsphase mit den entsprechenden sozialen Folgen.
Die Ursachen dieser Entwicklung
werden in der Wirtschaftswissenschaft bereits seit geraumer Zeit diskutiert[a]). Auch auf europäischer Ebene wurden sie zuletzt
verstärkt wahrgenommen[b]). Bis zum Ausbruch der Krise verzeichneten jedoch
alle Defizitländer ein hohes Wirtschaftswachstum. Die Ungleichgewichte wurden daher
nur begrenzt als Problem angesehen. Mit dem Ausbruch der weltweiten Krise von Finanz-
und Realwirtschaft und dem Platzen der Immobilienpreisblasen in Irland und Spanien
wurden die Probleme dieser Entwicklung jedoch deutlich.
Die politische Diskussion
– insbesondere auf europäischer Ebene – thematisiert in letzter Zeit zunehmend das Verhältnis
zwischen den Ländern mit hohem Leistungsbilanzüberschuss und jenen, die ein entsprechend
hohes Defizit in der Leistungsbilanz aufweisen. Vor allem die Europäische Kommission
versucht verstärkt, Aspekte einer fiskal- und lohnpolitischen Koordination in der
Währungsunion zu entwickeln. Die aktuelle Politik – insbesondere in Deutschland – lässt jedoch darauf schließen, dass die Notwendigkeit
dafür noch nicht ausreichend erkannt wird. Der vorliegende Beitrag diskutiert die
Entstehung der Leistungsbilanz- und Wettbewerbsungleichgewichte im Euro-Raum vom
Inkrafttreten der Währungsunion 1999 bis zum Ausbruch der Krise, die Entwicklungen
während der Krise sowie die aktuelle Situation. Abschließend werden mögliche Szenarien
für den Abbau der Ungleichgewichte entworfen. Die Analyse erfasst nicht alle Länder
des Euro-Raumes, sondern vergleicht die im Zentrum der Diskussion stehenden südeuropäischen
Länder und Irland – die Defizitländer – mit der Entwicklung im Überschussland Deutschland.
Für die Niederlande und Österreich gilt die folgende Analyse nur eingeschränkt.
In beiden Ländern ist der Leistungsbilanzüberschuss wesentlich geringer als in Deutschland.
In Österreich ist er nur durch die Dienstleistungsbilanz bedingt; die Handelsbilanz
ist weitgehend ausgeglichen.
Der Aufbau der Ungleichgewichte
im Euro-Raum von 1999 bis 2007 zeigt sich deutlich in den Leistungsbilanzsalden
(Abbildung 1). In Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien verschlechterte
sich die Leistungsbilanz merklich. In Griechenland, Portugal und Spanien war der
Leistungsbilanzsaldo bereits im Jahr 1999 negativ. Bis zum Jahr 2007 erhöhte sich
das Defizit in Griechenland auf beinahe 15% des BIP (+9 Prozentpunkte), in Spanien
auf knapp 10% (+7 Prozentpunkte). Auch in Portugal erhöhte sich das Leistungsbilanzdefizit
auf fast 10% des BIP, der stärkste Anstieg fiel jedoch in die zweite Hälfte der
1990er-Jahre; seit Inkrafttreten der Währungsunion ist das Defizit auf hohem Niveau
stabil. Irland und Italien wiesen 1999 noch einen geringfügigen Überschuss auf;
in der Folge verschlechterte sich die Leistungsbilanz auch in diesen Ländern deutlich
(Irland –5½ Prozentpunkte, Italien –3 Prozentpunkte) und war 2007 stark negativ. In
Deutschland hingegen drehte sich das geringe Defizit (1999 –1,3%) in einen deutlichen Überschuss, der 2007 bereits
7,7% des BIP betrug (+9 Prozentpunkte).
Dieser Auseinanderentwicklung
der Leistungsbilanzsalden liegen in den Ländern des Euro-Raumes Unterschiede im
Wirtschaftswachstum und in der Entwicklung der einzelnen Nachfragekomponenten zugrunde
(Übersicht 1). Unter den Defizitländern wuchs die Wirtschaft in Griechenland, Irland
und Spanien im Durchschnitt 1999/2007 am kräftigsten (Irland +6% p. a., Griechenland
+4%, Spanien +3½%). In Portugal und Italien lag das durchschnittliche Wirtschaftswachstum
hingegen unter 2%. Im Überschussland Deutschland expandierte das BIP in diesem Zeitraum
ebenfalls schwach, die Rate lag mit 1,5% am unteren Ende der Wachstumsdynamik im
Euro-Raum.
|
Abbildung 1: Leistungsbilanz |
In % des BIP |
|
Q: OECD. |
|
In Griechenland und Spanien
wurde das hohe Wirtschaftswachstum von der Inlandsnachfrage getrieben. Sie trug
im untersuchten Zeitraum in beiden Ländern beinahe 5 Prozentpunkte zum BIP-Wachstum
bei. Der Beitrag der Exporte fiel hingegen gering aus (unter 1,5 Prozentpunkten).
Auch in Italien und Portugal war – bei einer
wesentlich geringeren Dynamik – primär die
Inlandsnachfrage für das Wachstum maßgebend, während der Export relativ schwach
zunahm. In Irland war das Wachstum jedoch viel stärker exportgetrieben als in den
anderen Defizitländern: Die Exporte trugen im Durchschnitt 1999/2007 6,7 Prozentpunkte
zum Wachstum des realen BIP bei, die Inlandsnachfrage 4,8 Prozentpunkte. Im Überschussland
Deutschland trugen dagegen die Exporte den größten Teil zum Wachstum bei (3,0 Prozentpunkte
p. a., Inlandsnachfrage 0,4 Prozentpunkte).
Die Exporte wuchsen im
Durchschnitt 1999/2007 in Deutschland real mit +8% p. a. nicht nur wesentlich stärker
als die Inlandsnachfrage, sondern auch stärker als in den Defizitländern (Griechenland,
Spanien und Portugal rund +5%, Italien +3%). Nur Irland erzielte ein ähnlich hohes
Exportwachstum wie Deutschland (+7½%).
Aufgrund der starken Ausweitung
der Inlandsnachfrage nahmen in den Defizitländern auch die Importe kräftig zu. Der
Außenbeitrag war daher in fast allen Ländern negativ, am deutlichsten in Spanien
(–1,0 Prozentpunkte p. a.) und Griechenland (–0,6 Prozentpunkte p. a.). In Italien und Portugal
lag er nahe Null. Auch in Irland wuchsen die Importe kräftig, der Außenbeitrag war
jedoch positiv; der Außenhandel trug noch etwa 1 Prozentpunkt zum BIP-Wachstum bei.
In Deutschland nahmen die Importe ebenfalls stark zu, aber schwächer als die Exporte.
Das hohe Importwachstum spiegelt hier eher die Ausweitung des Außenhandels wider
als eine dynamische Entwicklung der Inlandsnachfrage. Der Außenhandel trug knapp
1 Prozentpunkt pro Jahr zum Wirtschaftswachstum bei.
Die zunehmende Exportorientierung
Deutschlands zeigt sich auch in der Struktur der Nachfrage. Der Anteil der Exporte
am BIP stieg zwischen 1999 und 2007 um etwa 18 Prozentpunkte, der Anteil der Importe
um 11½ Prozentpunkte. Diese Entwicklung ist Ausdruck der zunehmenden Integration
Deutschlands in die Weltwirtschaft. In Italien und Portugal erhöhte sich der Anteil
der Exporte am BIP um nur 4½ Prozentpunkte, in Griechenland um 1 Prozentpunkt, und
in Spanien blieb er nahezu konstant. In Irland sank der Außenhandelsanteil sogar
deutlich; Export- und Importquote nahmen um mehr als 6 Prozentpunkte ab. Irland
ist jedoch mit einer Außenhandelsquote von etwa 80% immer noch mit Abstand die offenste
Volkswirtschaft in dieser Ländergruppe.
Der Aufbau der Leistungsbilanzungleichgewichte
im Euro-Raum wurde somit sowohl durch die Entwicklungen im Außenhandel als auch
von der Binnennachfrage bestimmt.
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Übersicht 1: Nachfrageentwicklung
im Euro-Raum |
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Irland |
Griechenland |
Spanien |
Italien |
Portugal |
Deutschland |
Niederlande |
Österreich |
||||||||
|
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
|
Durchschnittliche jährliche Veränderung in %, real |
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|
|
|
|
|
||||||||||||
Privater Konsum |
+5,4 |
–4,0 |
+4,0 |
+0,2 |
+3,8 |
–2,7 |
+1,1 |
–1,3 |
+1,8 |
+0,5 |
+0,6 |
+0,3 |
+1,2 |
–0,6 |
+1,6 |
+0,6 |
Öffentlicher Konsum |
+6,0 |
+0,1 |
+4,2 |
+5,0 |
+5,0 |
+4,7 |
+2,0 |
+0,7 |
+1,8 |
+2,3 |
+0,8 |
+2,5 |
+3,3 |
+2,6 |
+1,1 |
+2,2 |
Bruttoanlageinvestitionen |
+5,6 |
–22,9 |
+5,6 |
–10,7 |
+5,6 |
–10,0 |
+2,4 |
–8,2 |
–0,6 |
–6,0 |
+0,7 |
–3,1 |
+1,1 |
–4,4 |
+1,5 |
–3,5 |
Ausrüstungen |
+7,2 |
–18,4 |
+9,7 |
–7,2 |
+5,1 |
–13,1 |
+2,2 |
–11,6 |
+1,2 |
–4,3 |
+3,9 |
–9,2 |
+1,8 |
–9,3 |
+1,8 |
–6,3 |
Bauten |
+5,6 |
–26,0 |
+2,8 |
–15,3 |
+5,8 |
–8,4 |
+2,8 |
–5,7 |
–2,1 |
–8,7 |
–2,1 |
+0,9 |
+1,1 |
–2,2 |
+0,6 |
–2,2 |
Wohnbau |
+5,9 |
–33,8 |
+5,2 |
–25,5 |
+6,9 |
–17,7 |
+3,1 |
–6,2 |
– |
– |
–2,4 |
–0,2 |
+1,6 |
–6,7 |
–0,8 |
–4,9 |
Nichtwohnbau |
+5,3 |
–15,2 |
–1,7 |
+3,1 |
+4,9 |
+0,6 |
+2,5 |
–5,2 |
– |
– |
–1,9 |
+2,3 |
+0,4 |
+2,8 |
+1,6 |
–0,4 |
Inlandsnachfrage |
+5,6 |
–9,0 |
+4,3 |
–0,6 |
+4,4 |
–3,3 |
+1,5 |
–2,6 |
+1,2 |
–0,6 |
+0,4 |
–0,2 |
+1,7 |
–0,7 |
+1,4 |
–0,4 |
Exporte |
+7,5 |
–1,7 |
+4,7 |
–7,7 |
+5,0 |
–6,4 |
+3,2 |
–11,8 |
+4,7 |
–6,2 |
+8,1 |
–6,0 |
+5,6 |
–2,9 |
+7,4 |
–7,7 |
Güter |
+4,3 |
–3,1 |
+4,3 |
–4,3 |
+5,4 |
–6,8 |
+3,3 |
–12,6 |
+4,4 |
–7,5 |
+8,1 |
–7,2 |
+6,4 |
–3,6 |
+7,8 |
–9,2 |
Dienstleistungen |
+15,1 |
+0,0 |
+4,9 |
–10,2 |
+4,2 |
–5,5 |
+3,0 |
–8,5 |
+5,7 |
–2,2 |
+8,2 |
+0,7 |
+3,1 |
+0,1 |
+6,3 |
–3,8 |
Importe |
+7,2 |
–5,8 |
+4,8 |
–7,2 |
+7,6 |
–11,7 |
+3,6 |
–9,6 |
+3,2 |
–3,5 |
+5,7 |
–2,6 |
+5,2 |
–2,7 |
+6,1 |
–7,4 |
Güter |
+4,7 |
–16,4 |
+4,9 |
–8,9 |
+7,5 |
–12,5 |
+3,5 |
–10,6 |
+3,3 |
–3,8 |
+6,3 |
–2,7 |
+6,2 |
–3,7 |
+6,5 |
–7,9 |
Dienstleistungen |
+11,0 |
+3,0 |
+4,2 |
–0,6 |
+8,1 |
–8,4 |
+3,8 |
–5,4 |
+2,5 |
–1,4 |
+3,3 |
–1,9 |
+1,9 |
+0,8 |
+4,5 |
–5,4 |
|
|
|
|
|
||||||||||||
Bruttoinlandsprodukt |
+6,0 |
–5,1 |
+4,2 |
+0,0 |
+3,6 |
–1,4 |
+1,5 |
–3,2 |
+1,4 |
–1,3 |
+1,5 |
–1,9 |
+2,2 |
–1,0 |
+2,3 |
–0,8 |
Q: Europäische Kommission, WIFO-Berechnungen. |
||||||||||||||||
|
Sowohl in Irland als auch
in Spanien hängt die kräftige Steigerung der Inlandsnachfrage mit einer starken
Ausweitung der Bauinvestitionen zusammen. Sie wuchsen in beiden Ländern im Durchschnitt
1999/2007 jährlich um etwa 6% und trugen somit etwa 1 Prozentpunkt p. a. zum Gesamtwachstum
bei. Ihr Anteil am BIP erhöhte sich in diesem Zeitraum um 5½ Prozentpunkte. In allen
anderen hier untersuchten Ländern nahmen die Bauinvestitionen relativ zur Gesamtnachfrage
ab oder nur geringfügig zu.
Den überwiegenden Beitrag
zum Wirtschaftswachstum leisteten in den Defizitländern jedoch die privaten Konsumausgaben
(Griechenland, Irland und Spanien etwa 2 bis 3 Prozentpunkte, Italien und Portugal
rund 1 Prozentpunkt). In Deutschland entwickelte sich der private Konsum schwach.
Die Ausrüstungsinvestitionen trugen hingegen in allen Überschuss- und Defizitländern
mit Ausnahme von Griechenland nur wenig zum Wachstum bei.
Die unterschiedliche Dynamik
der Nachfragekomponenten spiegelt sich auf der Entstehungsseite des BIP (Übersicht
2). In Deutschland – sowie in Griechenland und
Irland – wurde die Wertschöpfung im produzierenden Gewerbe
kräftig gesteigert. In Griechenland und vor allem in Irland und Spanien wuchs auch
der Bausektor stark, während er in Deutschland schrumpfte. Dementsprechend nahm
der Anteil des produzierenden Gewerbes an der Wertschöpfung in Deutschland zu, während
der Bausektor an Bedeutung verlor. In Spanien und Irland gewann der Bausektor an
Gewicht. Den größten Wachstumsbeitrag lieferte jedoch der Dienstleistungssektor,
dessen Anteil an der Wertschöpfung in den Defizitländern durchwegs stark zunahm.
In Griechenland entfiel sogar mehr als die Hälfte des Wirtschaftswachstums auf die
Bereiche Handel, Gastgewerbe und Verkehr, deren Anteil an der Wertschöpfung als
einziger stieg.
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Übersicht 2: Entwicklung
der Bruttowertschöpfung im Euro-Raum |
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|
Irland |
Griechenland |
Spanien |
Italien |
Portugal |
Deutschland |
Niederlande |
Österreich |
||||||||
|
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
|
Durchschnittliche jährliche Veränderung in %, real |
|||||||||||||||
|
|
|
|
|
||||||||||||
Land- und Forstwirtschaft |
–2,4 |
+1,2 |
–3,4 |
+1,9 |
+0,2 |
–1,6 |
–0,8 |
–1,1 |
–1,2 |
+2,1 |
–0,2 |
+2,1 |
+0,9 |
+1,7 |
–0,4 |
+1,1 |
Produzierendes Gewerbe |
+6,4 |
–0,2 |
+3,5 |
–2,0 |
+1,7 |
–7,8 |
+0,7 |
–9,5 |
+1,1 |
–4,5 |
+2,4 |
–8,9 |
+1,8 |
–3,2 |
+3,8 |
–3,1 |
Sachgütererzeugung |
+5,2 |
– |
+3,5 |
–1,0 |
+1,5 |
– |
+0,7 |
–10,5 |
+0,7 |
– |
+2,7 |
–9,4 |
+2,2 |
–4,8 |
+4,0 |
–4,2 |
Baugewerbe |
+5,6 |
–22,0 |
+4,8 |
–21,3 |
+5,3 |
–3,9 |
+2,6 |
–4,6 |
–1,3 |
–7,7 |
–3,3 |
+1,2 |
+0,5 |
+0,6 |
+1,3 |
–1,8 |
Dienstleistungen |
+5,9 |
–2,4 |
+4,9 |
+2,9 |
+4,0 |
+0,6 |
+1,7 |
–1,5 |
+2,1 |
+0,8 |
+1,8 |
–0,0 |
+2,5 |
–0,2 |
+2,2 |
–0,0 |
|
|
|
|
|
||||||||||||
Wirtschaftsbereiche insgesamt |
+5,9 |
–3,5 |
+4,2 |
+0,9 |
+3,6 |
–1,4 |
+1,5 |
–3,3 |
+1,6 |
–0,7 |
+1,7 |
–2,2 |
+2,2 |
–0,7 |
+2,5 |
–0,8 |
|
|
|
|
|
||||||||||||
Bruttoinlandsprodukt |
+6,0 |
–5,1 |
+4,2 |
+0,0 |
+3,6 |
–1,4 |
+1,5 |
–3,2 |
+1,4 |
–1,3 |
+1,5 |
–1,9 |
+2,2 |
–1,0 |
+2,3 |
–0,8 |
Q: Europäische Kommission, WIFO-Berechnungen. |
||||||||||||||||
|
Die Divergenz der Leistungsbilanzsalden
dürfte also einerseits auf die Entwicklung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit[c]) und andererseits auf die Bedingungen für die Inlandsnachfrage
– insbesondere den realen Zinssatz – zurückgehen.
Unterschiede in der Entwicklung
der Wettbewerbsfähigkeit lassen sich anhand des real-effektiven Wechselkurses darstellen.
In einem gemeinsamen Währungsraum kann eine reale Auf- oder Abwertung nur über die
Bewegung der relativen Preise erfolgen. Da die Preise handelbarer Güter international
einheitlich sind und die Schwankungen der Verbraucherpreise nicht mitvollziehen,
wird der real-effektive Wechselkurs oft auf Basis von Lohnstückkosten ermittelt.
Ein Anstieg der Lohnstückkosten verringert bei gleichbleibenden Preisen die Gewinnspanne
und damit auch die Möglichkeit von Unternehmen, ihre Wettbewerbsposition über Investitionen
zu stärken.
Der real-effektive Wechselkurs
auf Basis der Lohnstückkosten zeigt im Zeitraum 1999/2007 eine erhebliche Verschlechterung
der Wettbewerbsfähigkeit in Griechenland, Irland, Italien, Portugal und Spanien
(Abbildung 2). Er stieg in Irland um 24 Basispunkte, in Spanien und Italien um mehr
als 15 Basispunkte, in Griechenland und Portugal um etwa 10 Basispunkte. In Deutschland
verbesserte sich die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den Handelspartnern: Trotz einer
gleichzeitigen Aufwertung des Euro gegenüber dem Dollar um beinahe 30% sank der
real-effektive Wechselkurs um 7 Basispunkte.
Diese Entwicklung passt
mit dem oben gezeigten Wachstum der Exporte und Importe in den einzelnen Ländern
zusammen. Eine reale Aufwertung verringert die Wettbewerbsfähigkeit und dämpft somit
die Exporte. Auch die Importe werden dadurch billiger, sodass die Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit
dazu beitragen, das Importwachstum zu verstärken. Der Leistungsbilanzsaldo verschlechtert
sich somit. Die Entwicklung der Marktanteile bestätigt dieses Bild. Deutschlands
nomineller Marktanteil am OECD-Export erhöhte sich dementsprechend im Untersuchungszeitraum.
Allerdings gewannen auch Spanien und Italien Marktanteile; in Griechenland und Portugal
blieben die Anteile weitgehend konstant. Lediglich Irland verlor Exportmarktanteile;
dies war jedoch eine teilweise Gegenbewegung zu den starken Marktanteilsgewinnen
der 1990er-Jahre.
|
Abbildung 2: Real-effektiver Wechselkurs |
1999 = 100 |
|
Q: Europäische Kommission. Deflationiert mit den
relativen Lohnstückkosten gegenüber 24 Handelspartnern. |
|
Der real-effektive Wechselkurs
spiegelt die unterschiedliche Entwicklung von Preisen und Lohnstückkosten im Euro-Raum
wider. Den stärksten Anstieg der harmonisierten Verbraucherpreise verzeichnete Irland
mit einer durchschnittlichen jährlichen Rate 1999/2007 von 3,5%. Auch in Griechenland,
Spanien und Portugal erhöhte sich der HVPI um mehr als 3% pro Jahr, in Italien um
etwa 2,5%. In Deutschland war der Preisauftrieb mit 1,7% p. a. hingegen relativ
gering. Ähnlich zogen die Lohnstückkosten (Abbildung 3) in allen Defizitländern
nominell zwischen 1999 und 2007 um etwa 25 Prozentpunkte stärker an als in Deutschland[d]).
|
Abbildung 3: Lohnstückkosten
in der Gesamtwirtschaft |
1999 = 100 |
|
Q: Europäische Kommission. |
|
Unterschiede zwischen den
Inflationsraten wirken jedoch nicht nur auf die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft.
In der Währungsunion liegt die Geldpolitik bei der Europäischen Zentralbank, welche
den nominellen Zinssatz festlegt. Der Realzinssatz, der für die Investitionsentscheidungen
der Unternehmen und die Konsumentscheidungen der privaten Haushalte relevant ist,
ergibt sich aus der Differenz zwischen nominellem Zinssatz und Inflationsrate. Ist
die Inflationsrate hoch, dann sind die Realzinssätze niedrig und umgekehrt. Der
durchschnittliche langfristige Realzinssatz war im Zeitraum 1999/2007 in allen Defizitländern
deutlich niedriger als in den Überschussländern. Die Differenz zum Realzinssatz
in Deutschland betrug je nach Land zwischen 1 und 2 Prozentpunkte. In den Defizitländern
nahmen deshalb die kreditfinanzierten Investitionen und Konsumausgaben kräftig zu.
Zugleich sank die Sparquote in allen Ländern um mehrere Prozentpunkte. In Irland
und Spanien wirkte sich das vor allem auf den Bausektor aus (siehe dazu weiter oben);
die Immobilienpreise stiegen dort zwischen 1999 und 2007 um 7½% bzw. 9% pro Jahr.
In den anderen Defizitländern war der Anstieg nicht ganz so stark. In Deutschland
hingegen dämpfte der hohe Realzinssatz die Inlandsnachfrage. Dadurch erhöhte sich
die Sparquote merklich, die Immobilienpreise gaben nach (Übersicht 3).
Übersicht 3: Haus-
und Wohnungspreise, Sparquote und Zinssätze |
|||
|
|||
Haus- und Wohnungs-preise, real |
Sparquote |
Langfristige Zinssätze, real |
|
Durchschnittliche jährliche Veränderung 1999/2007 |
Ø 2000/2007 |
||
In % |
Prozentpunkte |
In % |
|
|
|||
Irland |
+7,3 |
–0,51) |
0,4 |
Griechenland |
+5,5 |
–1,7 |
1,4 |
Spanien |
+9,1 |
–0,4 |
1,2 |
Italien |
+5,6 |
–0,2 |
2,2 |
Portugal |
+1,0 |
–0,6 |
1,4 |
Deutschland |
–2,5 |
+0,2 |
2,7 |
Niederlande |
+4,4 |
–0,1 |
2,2 |
Österreich |
+0,2 |
+0,2 |
2,4 |
Q: BIZ, Europäische Kommission, OECD, WIFO-Berechnungen. – 1) 2002/2007. |
|||
|
Die Preisentwicklung wird
maßgeblich von der Entwicklung der Lohnstückkosten beeinflusst. Diese werden wiederum
vom Verhältnis zwischen Produktivitätsveränderung und nominellem Lohnwachstum bestimmt.
Griechenland und Irland verzeichneten im Zeitraum 1999/2007 die höchste durchschnittliche
Produktivitätssteigerung (mehr als +2,5%; Übersicht 4). In den anderen Defizitländern
(Italien, Portugal, Spanien) stieg die gesamtwirtschaftliche Produktivität hingegen
um weniger als 1% p. a. Im Überschussland Deutschland lag die Rate zwischen diesen
beiden Werten (etwas mehr als +1% pro Jahr).
Die nominellen Löhne erhöhten
sich in allen Defizitländern pro Kopf deutlich stärker als die Produktivität. In
Griechenland und Irland waren auch die Lohnsteigerungen mit Abstand am höchsten
(beinahe +6% p. a.). In Italien, Portugal und Spanien lagen sie bei durchschnittlich
etwa 3%; die nominellen Lohnstückkosten stiegen daher in allen Ländern um etwa 3%
pro Jahr. Weil die Löhne in Deutschland schwächer zunahmen (etwa +1% p. a.), erhöhten
sich die nominellen Lohnstückkosten im Untersuchungszeitraum nicht.
Entsprechend dieser Entwicklung
zogen auch die Verbraucherpreise (HVPI) in den Defizitländern erheblich an. Der
HVPI stieg allerdings noch stärker als die nominellen Lohnstückkosten. Die realen
Lohnstückkosten, die definitionsgemäß eng mit der Lohnquote zusammenhängen und damit
ein Maß für den Anteil der Lohneinkommen an der Wertschöpfung sind, sanken geringfügig.
Lediglich in Italien ergab sich ein leichter Zuwachs. Trotz des kräftigen nominellen
Lohnwachstums verringerte sich der Anteil der Lohneinkommen in den Defizitländern
etwas. Dies könnte daran liegen, dass ein Teil der Inflation im Euro-Raum aus einer
Verteuerung der Importe – insbesondere
von Energie und Rohstoffen – resultierte.
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Übersicht 4: Produktivität,
Löhne und Preise im Euro-Raum |
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Produktivität1) |
Löhne pro Kopf2) |
Deflator des privaten Konsums |
Löhne pro Kopf2) |
Lohnstückkosten |
||||||||
Nominell |
Real |
Nominell |
Real |
|||||||||
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
1999/ |
2007/ |
|
Durchschnittliche jährliche Veränderung in % |
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Irland |
+2,5 |
–0,4 |
+5,9 |
+1,1 |
+3,5 |
–0,2 |
+2,2 |
+1,3 |
+3,3 |
+1,5 |
–0,3 |
+1,7 |
Griechenland |
+2,9 |
+0,5 |
+5,6 |
+5,7 |
+3,6 |
+2,7 |
+2,0 |
+2,9 |
+2,7 |
+5,1 |
–0,9 |
+2,4 |
Spanien |
+0,1 |
+2,4 |
+3,2 |
+4,8 |
+3,4 |
+1,5 |
–0,2 |
+3,2 |
+3,1 |
+2,3 |
–0,3 |
+0,8 |
Italien |
+0,0 |
–2,5 |
+2,5 |
+1,8 |
+2,7 |
+1,5 |
–0,1 |
+0,3 |
+2,5 |
+4,4 |
–0,2 |
+2,9 |
Portugal |
+0,9 |
–0,3 |
+3,8 |
+3,8 |
+3,0 |
+0,4 |
+0,8 |
+3,4 |
+2,8 |
+4,1 |
–0,2 |
+3,7 |
Deutschland |
+1,0 |
–2,6 |
+1,1 |
+1,0 |
+1,4 |
+1,1 |
–0,3 |
–0,1 |
+0,0 |
+3,7 |
–1,3 |
+2,5 |
Niederlande |
+1,2 |
–1,3 |
+3,4 |
+2,8 |
+2,5 |
+0,8 |
+0,8 |
+2,0 |
+2,2 |
+4,2 |
–0,4 |
+3,4 |
Österreich |
+1,4 |
–1,2 |
+2,1 |
+2,8 |
+2,0 |
+1,9 |
+0,1 |
+0,9 |
+0,8 |
+4,1 |
–1,2 |
+2,2 |
Q: Europäische Kommission, WIFO-Berechnungen.
– 1) BIP real je Erwerbstätigen. – 2) Arbeitnehmerentgelte je Beschäftigungsverhältnis
(laut VGR). |
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Auch in Deutschland lag
der Preisanstieg über dem Zuwachs der nominellen Lohnstückkosten. Die Differenz
zwischen den Raten war jedoch wesentlich größer als in den Defizitländern, sodass
die realen Lohnstückkosten um mehr als 1% zurückgingen. Der Grund dafür könnte sein,
dass sich die Unternehmen in ihrer Preispolitik überwiegend am Preisniveau der Konkurrenten
und damit am durchschnittlichen Preisniveau im Euro-Raum orientieren und weniger
an den Lohnstückkosten. Durch ein solches "Pricing-to-Market" kann der
Anteil der Gewinn- und Vermögenseinkommen gesteigert werden.
Trotz unterschiedlicher
Produktivitätsentwicklung ist die Ursache der Divergenz von Inflation und Wettbewerbsfähigkeit
daher in der unterschiedlichen Lohnpolitik der Länder zu suchen. Vergleicht man
die Lohnentwicklung in den Ländern des Euro-Raums anhand einer "Lohnregel",
wonach die nominellen Lohnsteigerungen so hoch sein sollten wie die Summe aus Zielinflationsrate
der EZB (2%) und dem durchschnittlichen gesamtwirtschaftlichen Produktivitätszuwachs,
so zeigt sich, dass die Lohnentwicklung in den Defizitländern überzogen war. In
Deutschland lagen die Lohnzuwächse hingegen unter einem solchen Zielwert.
Sowohl die Wettbewerbsfähigkeit
als auch die Realzinssätze werden entscheidend von der Lohn- und Preisentwicklung
bestimmt. Divergente Lohn- und Preisentwicklungen bewirken in einem gemeinsamen
Währungsraum eine Verschiebung der Wettbewerbsfähigkeit. Andererseits hat sie eine
Divergenz der Realzinssätze zur Folge und beeinflusst damit die Investitions- und
Konsumnachfrage. Beide Faktoren bewirken eine Auseinanderentwicklung der Leistungsbilanzsalden.
Eine hohe Inflationsdifferenz
zwischen den Ländern im Euro-Raum sollte theoretisch über den "Wettbewerbskanal"
eine unterschiedliche Entwicklung von Exporten und Importen zur Folge haben und
über höhere Arbeitslosigkeit in den Defizitländern die Lohnzuwächse und damit die
Preisentwicklung dämpfen. Niedrige Realzinssätze fördern jedoch die Investitions-
und Konsumnachfrage in diesen Ländern. Der Effekt des "Realzinskanals"
wirkt jenem des Wettbewerbskanals entgegen, sodass über einen längeren Zeitraum
hohe Ungleichgewichte entstehen können. Der Einfluss des Realzinskanals wurde gegenüber
jenem des Wettbewerbskanals bei der Gestaltung der Wirtschafts- und Währungsunion
unterschätzt (Europäische Kommission,
2006). Die Wirkung des Realzinskanals könnte zusätzlich durch die eines "Einkommenskanals"
verstärkt werden. In Deutschland sanken die realen Lohnstückkosten stärker als in
den Defizitländern. Dies dämpfte zusätzlich die Konsumnachfrage in diesen Ländern.
Allerdings verringerten sich die realen Lohnstückkosten auch in den Defizitländern
– wenn auch schwächer als in Deutschland.
Aufgrund der Wirkungsrichtung
dieser "Kanäle" entstehen somit über einen längeren Zeitraum Ungleichgewichte
in der Wettbewerbsfähigkeit. Eine starke Binnennachfrage und ein hohes Wachstum
bewirken aufgrund der guten Arbeitsmarktsituation wieder eine kräftige Lohnsteigerung.
Umgekehrt bremst das schwache Wirtschaftswachstum in den Überschussländern die Lohnsteigerungen.
So ergibt sich eine selbstverstärkende Dynamik von Binnennachfrage und Lohnsteigerungen,
verbunden mit dem Aufbau von Wettbewerbsungleichgewichten und hohen Leistungsbilanzdefiziten.
Solange diese finanziert werden können und die Binnennachfrage kräftig ist, wird
dieser Prozess fortgesetzt und ist mit kräftigem Wachstum und niedriger Arbeitslosigkeit
verbunden. Sobald allerdings die Finanzierungskosten steigen, weil die Verschuldung
zu hoch wird oder die Binnennachfrage wie in Irland und Spanien von einem Immobilienpreisboom
getragen war, der notgedrungen zusammenbrechen wird, stehen diese Länder vor massiven
Problemen.
Für die Niederlande und
für Österreich, die beide einen Leistungsbilanzüberschuss aufweisen, gelten die
oben beschriebenen Zusammenhänge nur eingeschränkt. Auch in diesen Ländern verbesserte
sich die Leistungsbilanz deutlich; der Überschuss ist jedoch viel geringer als in
Deutschland. In Österreich ergibt sich der Überschuss in erster Linie aus der Dienstleistungsbilanz,
insbesondere aus dem Tourismus. Die Handelsbilanz verbesserte sich zwar, sie war
aber 2007 nahezu ausgeglichen. In den Niederlanden stiegen die Lohnstückkosten wesentlich
stärker als in Deutschland.
Die aktuelle Finanzmarkt-
und Wirtschaftskrise hat die Leistungsbilanzungleichgewichte im Euro-Raum teilweise
verringert. Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss nahm 2007 bis 2009 um ein Drittel
ab; das Defizit von Griechenland wurde um ein Viertel, jenes von Spanien und Irland
um knapp die Hälfte abgebaut. In Italien und Portugal weitete sich das Leistungsbilanzdefizit
jedoch während der Krise sogar noch aus (Abbildung 1).
Das Bruttoinlandsprodukt
und die Investitionen nahmen während der Krise in allen Ländern ab (Übersicht 1).
Besonders drastisch brachen die Bruttoanlageinvestitionen in Irland und Spanien
ein – wo der Immobilienpreisboom zu Ende ging – sowie in Griechenland. In Irland, Spanien und Italien
waren die privaten Konsumausgaben ebenfalls stark rückläufig, während sie in Deutschland,
in Portugal und Griechenland noch leicht zunahmen. Die Inlandsnachfrage sank in
allen Überschuss- und Defizitländern, vor allem aber in Irland (–9,0% p. a.), Spanien (–3,3% p. a.) und Italien (–2,6% p. a.).
Auch die Exporte brachen
ein, sie gingen 2007/2009 in den meisten Ländern um 6% bis 8% pro Jahr zurück. Ausnahmen
waren hier vor allem Irland mit einem relativ mäßigen Rückgang und Italien, dessen
Exporte beinahe doppelt so stark abnahmen. Aufgrund des hohen Öffnungsgrades seiner
Volkswirtschaft trug der Exportausfall in Deutschland stärker zum Schrumpfen des
BIP bei als in den anderen Ländern. Die Importe sanken wegen der Rezession ebenfalls
in allen Ländern erheblich, in Deutschland allerdings in einem relativ geringen
Ausmaß. Der Außenbeitrag war daher insbesondere in Deutschland, aber auch in Italien
und Portugal negativ.
Der Trend der Wettbewerbsfähigkeit
veränderte sich durch die Krise wenig. Die Lohnstückkosten stiegen im Zeitraum 2007/2009
in allen untersuchten Ländern. In Deutschland erhöhten sie sich viel rascher als
im Durchschnitt 1999/2007, aber nicht wegen eines beschleunigten Lohnwachstums,
sondern in erster Linie wegen der konjunkturbedingten Abnahme der Produktivität.
Der Beschäftigungsabbau fiel – insbesondere
aufgrund der Kurzarbeitsprogramme – weitaus
geringer aus als der Produktionsrückgang, sodass die Arbeitsproduktivität beträchtlich
abnahm. In den Defizitländern zeigt sich ein heterogenes Bild: In Irland erhöhten
sich die nominellen Löhne pro Kopf als einzigem Land während der Krise wesentlich
schwächer als zuvor. Die Lohnstückkosten stiegen daher nur mehr halb so schnell
wie im Durchschnitt der Periode 1999/2007. In allen anderen Defizitländern war der
Trend der Lohnentwicklung ungebrochen. In Spanien und Griechenland wurde die gesamtwirtschaftliche
Produktivität während der Krise allerdings gesteigert; der Beschäftigungsabbau verlief
hier deutlich schneller als der Produktionsrückgang. Für Spanien ergibt sich daher
ein mäßiger Anstieg der Lohnstückkosten, für Griechenland, Italien und Portugal
hingegen eine beschleunigte Aufwärtstendenz. In Irland und Spanien verringerten
sich die relativen Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Deutschland leicht,
in Griechenland, Italien und Portugal nahm der Abstand weiter zu.
Der teilweise Abbau der
Leistungsbilanzungleichgewichte ist also primär dem Einbruch der Exporte Deutschlands
und dem starken Rückgang der Inlandsnachfrage in Irland, Italien und Spanien zuzuschreiben.
Mit der aktuellen kräftigen Erholung des Welthandels und der Konjunktur in den USA
und den Schwellenländern könnte sich insbesondere der Leistungsbilanzüberschuss
in Deutschland wieder ausweiten. Die Ungleichgewichte in der Wettbewerbsfähigkeit
der Länder im Euro-Raum bestehen nach wie vor. Mit Ausnahme von Irland und Spanien
zeichnet sich weder in den Defizitländern noch in den Überschussländern eine Änderung
der Lohnentwicklung ab. Bei einer Erholung der Konjunktur ist daher mit einem weiteren
Auseinanderdriften der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Raum zu erwarten.
Das Platzen der Immobilienpreisblase
in Irland und Spanien sowie der weltweite Konjunktureinbruch belasten die Defizitländer
schwer. Konsum und Investitionen schrumpften beträchtlich, die Arbeitslosigkeit
erhöhte sich empfindlich, und die Situation der öffentlichen Haushalte verschlechterte
sich massiv. Die Wettbewerbsfähigkeit hatte in den Jahren zuvor erheblich abgenommen
und verbesserte sich auch während der Krise nicht. Daher sind weder von der Binnennachfrage
starke Impulse zu erwarten, noch werden diese Volkswirtschaften über den Export
übermäßig vom Aufschwung und der Erholung der Weltwirtschaft profitieren. Zudem
stehen die Länder vor ambitionierten Sparprogrammen, um die öffentlichen Haushalte
zu sanieren.
Griechenland und Irland
haben die Rezession noch nicht überwunden; die gesamtwirtschaftliche Produktion
ist in beiden Ländern seit dem IV. Quartal 2008 rückläufig. In Spanien wurde im
I. Quartal 2010 erstmals seit dem II. Quartal 2008 eine leichte Zunahme des BIP
gegenüber dem Vorquartal gemeldet. Auch in Italien und Portugal ist noch keine anhaltende
Konjunkturerholung zu erkennen. Die Zahl der Arbeitslosen erhöhte sich in allen
Ländern rasch. In Spanien erreichte die Arbeitslosenquote im Mai bereits knapp 20%,
in Irland 13% und in den anderen Defizitländern etwa 10%. Eine Trendumkehr ist in
keinem dieser Länder zu beobachten; die Arbeitslosigkeit nahm zuletzt weiter zu.
Für die Preisentwicklung
ergibt sich ein differenziertes Bild. In Irland ist die Inflationsrate bereits seit
Anfang 2009 negativ (Deflation). In Spanien und Portugal stabilisierte sich die
Preisentwicklung nach einem Rückgang im Vorjahr wieder, die Inflationsrate liegt
jedoch – ebenso wie in Italien – anhaltend unter dem Inflationsziel der EZB von
2%. Nur in Griechenland ist der Preisauftrieb ungebrochen; im Mai lag die Teuerungsrate
bei mehr als 5%. Dazu trugen die Anhebung indirekter Steuern sowie die starke Abwertung
des Euro gegenüber dem Dollar und anderen Währungen und damit ein Anstieg der Importpreise
bei. Die Kerninflation (ohne Energie und unverarbeitete Nahrungsmittel) ist im Euro-Raum
derzeit nur halb so hoch wie der Anstieg des HVPI. Damit könnte bei einer Stabilisierung
des Wechselkurses die Gefahr einer Deflation wieder aufleben.
Bisher wurden die Ungleichgewichte
in der Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Raum kaum verringert. Um zumindest die Hälfte
der Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit seit 1999 gegenüber Deutschland innerhalb von
fünf Jahren wettzumachen, müsste die Veränderungsrate der Lohnstückkosten in Griechenland,
Irland, Italien, Portugal und Spanien jährlich um etwa 2,5 bis 3 Prozentpunkte niedriger
sein als in Deutschland; sie müsste daher über den gesamten Zeitraum bis zu –2% p. a. betragen. Da sich ein Rückgang der Lohnstückkosten
unmittelbar in den Preisen niederschlägt, würde das in den Defizitländern eine Deflation
bewirken. Unterstellt man hingegen in den Defizitländern eine Inflationsrate von
0,5% jährlich, sodass eine Deflation vermieden wird, dann wäre die Anpassung der
Wettbewerbsfähigkeit bei einer unveränderten Lohnstückkostenentwicklung in Deutschland
unmöglich.
Ein Anstieg der Produktivität
in den Defizitländern würde den Anpassungsdruck auf die Nominallöhne verringern,
da die Lohnstückkosten dann auch im Fall von Lohnzuwächsen sinken könnten. Dies
würde einen spannungsfreieren Anpassungsprozess ermöglichen. Angesichts der aktuellen
Konjunkturschwäche ist in den Defizitländern allerdings kein starker Anstieg der
Produktivität zu erwarten.
Für die weitere Entwicklung
der Volkswirtschaften im Euro-Raum und den damit verbundenen Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte
sind grundsätzlich zwei Szenarien denkbar. Sie werden im Folgenden bewusst pointiert
dargestellt, um die Unterschiede der Politikmaßnahmen und ihrer Auswirkungen deutlich
zu machen.
Im ersten Szenario tragen
die Defizitländer die Anpassungslast – vermeintlich
– allein; die Überschussländer ändern ihre Politik
nicht. Dieses Szenario entspricht der weit verbreiteten Wahrnehmung, dass die Defizitländer
ihre Probleme ausschließlich selbst verschuldet hätten und daher auch selbst lösen
müssten. Eine Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit kann im Euro-Raum nur erfolgen,
wenn sich die Löhne und Preise in den Defizitländern schwächer entwickeln als in
den Überschussländern. Angesichts der bisherig sehr niedrigen Zuwachsraten in Deutschland
müssten Löhne und Preise in den Defizitländern daher sinken. Selbst bei einer Deflation
von 2% p. a. würde die Angleichung jedoch mehrere Jahre dauern.
In einem solchen Szenario
bleibt die Inlandsnachfrage in den Defizitländern über mehrere Jahre hinweg schwach,
und die Arbeitslosigkeit steigt. Verstärkt wird diese Entwicklung durch die bereits
angekündigten Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung. Dies ermöglicht zwar den erforderlichen
Rückgang der Löhne, ist aber mit hohen sozialen Kosten und einem schweren Rückschlag
für den Aufholprozess dieser Volkswirtschaften verbunden. Erst wenn der Verlust
an Wettbewerbsfähigkeit teilweise ausgeglichen ist und die Exporte wieder wachsen,
wird sich auch die Konjunktur in den Defizitländern erholen und die Wirtschaft expandieren.
Die Wachstumsschwäche der
Defizitländer wird in diesem Zeitraum auch die Exporte der Überschussländer dämpfen.
Die Wirtschaftsleistung der fünf Defizitländer umfasst insgesamt etwa ein Drittel
des Euro-Raumes, jene Deutschlands ein Viertel. Im Jahr 2008 gingen etwa 13% der
deutschen Exporte in die fünf Defizitländer, in den Euro-Raum insgesamt etwa die
Hälfte aller Exporte. Auf die USA, Japan und die BRIC (Brasilien, Russland, Indien
und China) entfallen dagegen insgesamt etwa 16% der deutschen Exporte. Der positive
Impuls auf die Exporte durch die kräftige Expansion der Weltwirtschaft geht durch
die Konjunkturschwäche im Euro-Raum teilweise verloren. Die Abwertung des Euro in
der Folge der Schuldenkrise verbessert jedoch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber Volkswirtschaften außerhalb des Euro-Raumes und könnte die dämpfenden
Effekte ausgleichen. Insgesamt würde die Wirtschaft aber im Euro-Raum während dieses
Anpassungsprozesses deutlich schwächer wachsen als in den anderen Ländern der Welt.
Die Defizitländer könnten nach dem Vorbild Deutschlands versuchen, den Export zu
den traditionellen Handelspartnern außerhalb des Euro-Raumes (z. B. Lateinamerika
für Spanien, Türkei für Griechenland) auszuweiten. Da die Leistungsbilanzungleichgewichte
auch weltweit abgebaut werden müssen, ist dies jedoch nur eingeschränkt möglich.
Die USA werden versuchen ihre Leistungsbilanz auszugleichen und die asiatischen
Schwellenländer ihre exportorientierte Strategie beizubehalten. Für den Euro-Raum
insgesamt ist eine Verbesserung der Leistungsbilanz daher bestenfalls gegenüber
China und den rohstoffexportierenden Ländern möglich.
Die gedämpfte Entwicklung
der Exporte der Überschussländer und der Rückgang der Importe der Defizitländer
bewirken allmählich einen Abbau der Leistungsbilanzungleichgewichte bei insgesamt
schwacher Wirtschaftsentwicklung. Sinken Löhne und Preise in den Defizitländern
stark, so kann auch eine Deflation im Euro-Raum nicht ausgeschlossen werden. Die
Rückwirkung der Wachstumsschwäche und der Sparmaßnahmen der öffentlichen Haushalte
auf die Investitionen sowie die Ausgaben für Forschung und Bildung drücken die mittelfristigen
Wachstumsaussichten für den Euro-Raum. Auch die geplante Konsolidierung und der
Abbau der öffentlichen Schulden dürften in diesem Umfeld schwierig sein. Da gerade
die Länder mit großen Einbußen an Wettbewerbsfähigkeit und hohem Budgetdefizit vermehrt
an den zukunftsorientierten Ausgaben sparen werden, droht mittelfristig die Gefahr
eines weiteren Auseinanderdriftens des Einkommensniveaus der Länder im Euro-Raum.
Im zweiten Szenario stärken
die Überschussländer ihre Inlandsnachfrage, etwa indem die niedrigen Einkommen durch
eine Senkung von Steuern und Sozialabgaben oder einen Ausbau der öffentlichen Dienstleistungen
entlastet werden, die öffentlichen Ausgaben in wachstumsfördernden Kategorien wie
Forschung und Bildung steigen oder die Ausweitung der Investitionstätigkeit von
Unternehmen durch günstige Rahmenbedingungen gefördert wird. Zusätzlich steigen
in den Überschussländern die Löhne und Preise über einen begrenzten Zeitraum stärker
als bisher. Das ermöglicht den Defizitländern eine schnellere Anpassung der Wettbewerbsfähigkeit
und vermeidet deflationäre Tendenzen im Euro-Raum. Diese Maßnahmen stärken die Inlandsnachfrage
und erhöhen somit die Importe der Überschussländer.
Die Exporte der Defizitländer
wachsen kräftiger als im Szenario 1 und vermitteln daher rascher Konjunkturimpulse.
In der Folge verläuft auch die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt günstiger; der private
Konsum und die Investitionen werden ausgeweitet. Die Exporte der Überschussländer
profitieren wiederum von der dynamischeren Entwicklung in den Defizitländern. Der
Ausgleich der Leistungsbilanzen erfolgt bei einem höheren Wachstum. Das verringert
wiederum den Anpassungsdruck auf Löhne und Preise; soziale Kosten und politische
Widerstände könnten vermieden werden.
In der Übergangsphase bis
zum – in diesem Szenario rascheren – Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit liegt die Inflation
in den Überschussländern über der Zielinflationsrate der EZB. Andererseits bleiben
die deflationären Tendenzen in den Defizitländern bestehen. Die durchschnittliche
Inflationsrate könnte damit im Euro-Raum nach wie vor bei 2% liegen, sodass die
Europäische Zentralbank keine Veranlassung hätte, die Zinssätze anzuheben. Die Kombination
aus niedrigem Nominalzinssatz der EZB und einer höheren Inflationsrate senkt die
Realzinssätze in den Überschussländern, sodass produktive Investitionen gefördert
werden und sich das Wachstum auch mittelfristig beschleunigt. Ein rascheres Wachstum
erlaubt die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ohne Einschränkung der für
die künftige Entwicklung wichtigen Ausgaben für Forschung und Bildung.
Politisch könnte dies durch
eine verbesserte Koordination der Fiskalpolitik auf europäischer Ebene gefördert
werden. Stärker als bisher könnten unterschiedliche Konsolidierungspfade für die
einzelnen Länder festgelegt werden. Die Überschussländer könnten den Ausgleich der
öffentlichen Haushalte über einen längeren Zeitraum erstrecken und den Schwerpunkt
der Konsolidierungsmaßnahmen aufschieben. Eine Koordination der Lohnpolitik ist
hingegen politisch schwieriger umzusetzen. Lohnerhöhungen werden nicht einfach beschlossen,
sondern sind das Ergebnis von Tarifverhandlungen. Eine stärkere Berücksichtigung
der Lohnpolitik in den wirtschaftspolitischen Empfehlungen der Europäischen Kommission
für die einzelnen Länder könnte allerdings das Ergebnis der Lohnverhandlungen beeinflussen.
Auch gibt es auf europäischer Ebene Prozesse wie etwa den "Makroökonomischen
Dialog", in die die Sozialpartner eingebunden sind. Eine Stärkung dieser Prozesse
könnte ebenfalls dazu beitragen, die Lohnentwicklung EU-weit besser zu koordinieren.
Innerhalb des Euro-Raumes legt Deutschland als größtes Überschussland den Spielraum
für die Lohnpolitik fest. Für kleine offene Volkswirtschaften wie die Niederlande
und Österreich ist eine expansivere Lohnpolitik nur in einem europaweiten Koordinationsprozess
sinnvoll, da sie stärker vom Außenhandel abhängen als das wesentlich größere Deutschland.
Je rascher die Produktivität
in den Defizitländern steigt, desto schneller kann der Ausgleich der Wettbewerbsfähigkeit
erfolgen. Auch eine Fokussierung der EU-Kohäsionspolitik auf den Ausgleich von Produktivität
und Wettbewerbsfähigkeit könnte daher dazu beitragen, dass Disparitäten im Euro-Raum
rascher ausgeglichen werden.
Die Entstehung der Leistungsbilanzungleichgewichte
im Euro-Raum ist auf die unterschiedliche Lohn- und Preisentwicklung in den einzelnen
Ländern zurückzuführen. Hohe Lohn- und Preissteigerungen wie in Griechenland, Irland,
Italien, Portugal und Spanien stärken in einem gemeinsamen Währungsraum über niedrige
Realzinssätze die Inlandsnachfrage. Eine Zeit lang können dadurch hohes Wachstum
und niedrige Arbeitslosenquoten aufrechterhalten werden. Diese Entwicklung ist allerdings
mit einem zunehmenden Verlust an Wettbewerbsfähigkeit und einem Anstieg der Leistungsbilanzdefizite
verbunden. Niedrige Lohnzuwächse wie in Deutschland gehen andererseits mit einer
stetigen Zunahme der Wettbewerbsfähigkeit und einer Verbesserung der Leistungsbilanz
einher. Diese beiden Entwicklungen bedingen einander und hängen ursächlich miteinander
zusammen.
Der Zusammenbruch des Immobilienpreisbooms
in Irland und Spanien und die weltweite Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise stellen
die Defizitländer vor große Probleme. Von den privaten Konsum- und Investitionsausgaben
ist in nächster Zeit kein Impuls für die Konjunktur zu erwarten. Die öffentlichen
Haushalte weiteten ihr Defizit während der Krise massiv aus und müssen nun für Konsolidierung
sorgen. Die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaften wurde durch die oben beschriebene
Entwicklung erheblich beeinträchtigt; die Exporte werden daher kurzfristig kaum
zunehmen. Auch für die Überschussländer ergeben sich gedämpfte Wachstumsaussichten:
Die Inlandsnachfrage wird bei unveränderter Lohnpolitik und den angestrebten Sparmaßnahmen
kaum dynamisch wachsen können. Die Exporte in die Defizitländer werden aufgrund
von deren Nachfrageschwäche ebenfalls kaum expandieren. Insgesamt droht dem Euro-Raum
daher eine über mehrere Jahre anhaltend schwache Wirtschaftsentwicklung, verbunden
mit dem Risiko einer Deflation.
Eine Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit
könnte allerdings auch bei kräftigerem Wirtschaftswachstum erfolgen. Das Überschussland
Deutschland müsste dazu die Inlandsnachfrage stärken bzw. höhere Lohn- und Preissteigerungen
zulassen. Diese Perspektive erscheint aber angesichts der aktuellen politischen
Diskussion wenig realistisch. Eine Belebung der Inlandsnachfrage in den Überschussländern
entbindet die Defizitländer nicht von der Notwendigkeit, vermehrt hochwertige Güter
und Dienstleistungen für den Weltmarkt zu erzeugen. Sie erleichtert jedoch die Anpassungsprozesse
innerhalb des Euro-Raumes und stärkt dadurch den Zusammenhalt in der Währungsunion.
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|
Imbalances in the Euro Area – Summary |
In the run-up to the economic crisis, distinctive macroeconomic imbalances emerged in the euro area. Greece, Ireland, Italy, Portugal and Spain experienced a considerable deterioration of their international competitiveness and incurred high current account deficits. By contrast, Germany, among other countries, improved its competitiveness and achieved a large current account surplus. These imbalances continue to exist and are likely to threaten the economic recovery, the long-term growth perspectives and the cohesion of the EMU. High wage and price inflation led to sluggish export growth in the deficit countries. Moreover, high inflation rates reduced real interest rates and consequently stimulated domestic demand. In Ireland and Spain, in particular, they facilitated investments into housing, which led to a boom in the construction sector. Both effects impaired their current account balances. In Germany, on the other hand, low wage and price inflation boosted exports and improved the current account. The bust of the housing bubbles in Ireland and Spain as well as the global economic crisis brought the deficit countries into a difficult economic situation which is likely to continue. Domestic demand is weak, international competitiveness is low, and the fiscal deficit is high. All countries are already implementing measures to consolidate their budgets. Under these conditions, the deficit countries will suffer from persistent economic stagnation. This in turn leads to weaker imports in the surplus countries and decelerates their economic recovery. Hence, in the years to come economic growth in the euro area will be substantially below that of the rest of the world. Nevertheless, rebalancing current accounts and international competitiveness would also be feasible at higher economic growth rates. Germany as the largest surplus country needs to contribute by strengthening domestic demand and permitting stronger increases of wages and prices. This, however, does not absolve the deficit countries from improving their industrial base and producing more high-quality goods and services for the global market. Nevertheless, it would ease the adjustment process and strengthen the cohesion in the euro area. |
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[a]) Eine begrenzte Auswahl aus den zahlreichen Arbeiten zu diesem Thema sind etwa Breuss (2009), Darvas - Pisany-Ferry (2008), Dullien (2009), Eichengreen (2007), Ederer - Marterbauer - Walterskirchen (2009), Marterbauer (2010), Marterbauer - Walterskirchen (2005).
[b]) Europäische Kommission (2006, 2008, 2009, 2010).
[c]) Im vorliegenden Beitrag wird mit dem Begriff "Wettbewerbsfähigkeit" immer die preisliche bzw. kostenmäßige Wettbewerbsfähigkeit bezeichnet. Eine umfassendere Definition des Begriffs der Wettbewerbsfähigkeit findet sich in Aiginger (2006).
[d]) Ein relativ stärkerer Preisauftrieb ist in Ländern, deren Wirtschaft sich in einem Aufholprozess befindet, in einem gewissen Ausmaß zu erwarten (Balassa-Samuelson-Effekt). Gemäß einer Untersuchung der Europäischen Kommission (2009) trug der Balassa-Samuelson-Effekt aber nicht entscheidend zum Inflationsvorsprung der Defizitländer bei.