WIFO

Stephan Schulmeister

Zur unterschiedlichen Wachstumsdynamik in den USA, in Deutschland und im übrigen Euro-Raum

 

Der Aktienboom der neunziger Jahre stimulierte in den USA die Konsumnachfrage und damit das Wirtschaftswachstum. In Deutschland dürfte er hingegen das Wirtschaftswachstum gedämpft haben, weil die Unternehmen in hohem Maß Finanzvermögen, insbesondere Aktien, akkumulierten, zumindest teilweise zulasten der Realinvestitionen. Auch die Geld- und Fiskalpolitik der USA förderte in den neunziger Jahren die Wachstumsdynamik: Der Geldmarktzins lag unter der Wachstumsrate, die Investitions- und Konsumnachfrage des öffentlichen Sektors expandierte kräftig, ebenso die Zahl der öffentlich Beschäftigten. In Deutschland wurden hingegen Investitionen und Beschäftigung des Staates mittelfristig deutlich gesenkt. Im übrigen Euro-Raum wurde die öffentliche Nachfrage ausgeweitet, wenn auch weniger stark als in den USA. Darüber hinaus wurde das Wirtschaftswachstum in den USA durch den unterbewerteten Wechselkurs des Dollars gestützt, im Euro-Raum hingegen gedämpft.

 

Begutachtung: Heinz Handler, Ewald Walterskirchen • Wissenschaftliche Assistenz: Eva Sokoll • E-Mail-Adresse: Stephan.Schulmeister@wifo.ac.at, Eva.Sokoll@wifo.ac.at

 

INHALT

Ursachen der Wachstumsabschwächung in den Industrieländern

Aktienkurse, Investitionen und Konsum

Zur Rolle der Geld- und Fiskalpolitik

Keynesianische Geld- und Fiskalpolitik in den USA

Wirtschaftspolitische Ursachen der Stagnation in Deutschland

Mäßig aktive Konjunkturpolitik im Euro-Raum seit 2000

Geld- und Fiskalpolitik seit Anfang der neunziger Jahre

Wechselkursentwicklung dämpft Wachstumsdynamik im Euro-Raum

Literaturhinweise

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND ABBILDUNGEN

Übersicht 1: Wirtschaftsentwicklung in den USA, im Euro-Raum und in Deutschland. 14

Abbildung 1: Aktienkurse und Realkapitalbildung der nichtfinanziellen Aktiengesellschaften. 3

Abbildung 2: Real- und Finanzvermögen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften. 5

Abbildung 3: Relation von Marktkapitalisierung zu Nettogesamtwert 6

Abbildung 4: Wirtschaftsentwicklung in den USA und in Deutschland. 8

Abbildung 5: Wirtschaftsentwicklung in den USA und in Deutschland. 10

Abbildung 6: Wirtschaftsentwicklung in den USA, im Euro-Raum und in Deutschland. 12

Abbildung 7: Euro-Kurs und Exportdynamik. 15

Abbildung 8: Dollarkurs und Außenwirtschaft der USA. 16

 

 

Seit dem Jahr 2000 hat die Weltwirtschaft stark an Dynamik verloren. Die Zunahme der Weltproduktion verlangsamte sich zwischen 2000 und 2003 von 4,8% auf 3,3%, jene des Welthandels von 13,5% auf 3,1%. Die Abschwächung ging von den Industrieländern aus, ihr Wirtschaftswachstum verringerte sich zwischen 2000 und 2003 von 3,7% auf 1,7% und damit merklich stärker als im Durchschnitt. Der Knick in der Importsteigerung der Industrieländer dämpfte die Dynamik auch in den anderen Ländergruppen: In den erdölexportierenden Entwicklungsländern ging das Wirtschaftswachstum zwischen 2000 und 2003 von 5,2% auf 3,1% zurück, in den anderen Ländern von 5,8% auf 5,1% und in den früheren Planwirtschaften von 7,1% auf 4,9%.

Ausmaß und Dauer der Abschwächung in den Industrieländern seit dem Jahr 2000 sind auch deshalb ungewöhnlich, weil die Wirtschaft in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre kräftig, stetig und nahezu inflationsfrei gewachsen war (lediglich in Japan herrschte Stagnation): Zwischen 1996 und 2000 hatte sich das Wirtschaftswachstum im Euro-Raum von 1,4% auf 3,6% beschleunigt, in den USA lag es nahezu konstant bei 4% pro Jahr (Abbildung 6).

Die Entwicklung der Wirtschaft in den USA und im Euro-Raum folgte seit 2000 einem markant unterschiedlichen Pfad. In den USA "kippte" das Wachstum im Jahr 2001 in eine relativ kurze und "milde" Rezession, von der sich die Wirtschaft in den beiden folgenden Jahren langsam erholte (Abbildung 4). Im Euro-Raum verringerte sich die Rate von Jahr zu Jahr, sie dürfte 2003 nur mehr +0,4% betragen haben. Am ungünstigsten entwickelte sich die größte Volkswirtschaft in Europa: Deutschland befindet sich seit drei Jahren in einer Stagnation.

Der vorliegende Beitrag arbeitet die wichtigsten Ursachen der Wachstumsabschwächung in den Industrieländern seit dem Jahr 2000 heraus und prüft, wieweit sie bereits in den neunziger Jahren die unterschiedliche Wachstumsdynamik in den USA, in Deutschland und im übrigen Euro-Raum mitgeprägt haben. Dabei konzentriert sich die Untersuchung auf drei Einflussfaktoren: die Entwicklung der Aktienkurse und ihre Auswirkungen auf die Investitions- und Konsumnachfrage, die Rolle der Geld- und Fiskalpolitik sowie die Schwankungen der Wechselkurse und ihren Einfluss auf die Exportentwicklung und damit indirekt auf die Investitionsdynamik.

Diese Untersuchung zielt nicht auf eine vollständige Abbildung aller Ursachen der Wachstumsunterschiede zwischen den drei Wirtschaftsräumen ab, sondern beleuchtet gerade jene Faktoren, welche in der Debatte über die unzureichende Wachstumsdynamik in Europa und insbesondere in Deutschland (zu) wenig in Betracht gezogen werden[a]).

Ursachen der Wachstumsabschwächung in den Industrieländern

Drei Faktoren dämpften das Wirtschaftswachstum sowohl in den USA als auch in der EU im Jahr 2000 abrupt:

·          die Verdreifachung des Erdölpreises zwischen Februar 1999 und März 2000,

·          die zunehmend restriktive Zinspolitik sowohl der Notenbank der USA (Fed) als auch der Europäischen Zentralbank (EZB) in den Jahren 1999 und 2000,

·          der Verfall der Aktienkurse seit März 2000 und seine Konsequenzen für das Vertrauen, die Finanzlage und die Nachfrage von Unternehmen und Haushalten.

Diese Entwicklungen waren auf folgende Weise miteinander verknüpft: Zwischen 1996 und 1998 ließen die anhaltende Aufwertung des Dollars und ein Nachlassen der Förderdisziplin in der OPEC ein Überangebot auf dem Rohölmarkt entstehen, das einen drastischen Verfall des Erdölpreises zur Folge hatte (er sank bis Ende 1998 unter 10 $ je Barrel; Abbildung 4). Dies veränderte die Rahmenbedingungen auf dem Rohölmarkt in zweifacher Hinsicht: Die Förderdisziplin in der OPEC nahm deutlich zu, und die OPEC kooperiert seit Anfang 1999 erfolgreich mit den anderen erdölproduzierenden Ländern[b]). Beide Entwicklungen dämpften das Angebot an Erdöl; vor dem Hintergrund der boomenden Weltkonjunktur verteuerte sich Rohöl der Marke Brent in der Folge zwischen Februar 1999 und März 2000 von 10 $ auf über 30 $ (Abbildung 4).

Dies verursachte eine merkliche Beschleunigung des Preisauftriebs in den Industrieländern. In den USA verstärkte sich die Inflation (gemessen an den Verbraucherpreisen) von 1,6% (Februar 1999) auf 3,8% (März 2000). Um einer generellen Inflationsbeschleunigung vorzubeugen und die "asset price inflation" auf den Aktienmärkten zu brechen, setzte die Notenbank der USA den Leitzinssatz zwischen Juni 1999 und Mai 2000 von 4,75% auf 6,5% hinauf (Abbildung 4).

Obwohl die Konjunktur im Euro-Raum weniger angespannt war als in den USA und sich die Verdreifachung des Erdölpreises nicht auf den allgemeinen Preisauftrieb übertrug (die Kerninflation blieb konstant), erhöhte auch die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen, und zwar etwas stärker als die Fed (wenn auch von einem niedrigeren Ausgangsniveau): Zwischen Oktober 1999 und Oktober 2000 stieg der Hauptrefinanzierungssatz der EZB von 2,5% auf 4,75% (Abbildung 4). Dafür dürften die starke Abwertung des Euro gegenüber dem Dollar (Abbildung 4) und die damit verbundene Sorge um die Reputation der neuen Währung maßgebend gewesen sein.

Die Zinssteigerungen in den USA und im Euro-Raum dämpften gemeinsam mit der Verdreifachung des Erdölpreises die Investitionsbereitschaft der Unternehmen und waren der wichtigste Auslöser für den im März 2000 einsetzenden Verfall der Aktienkurse[c]). Ausmaß und Dauer der Kursverluste waren so groß und unerwartet, dass sie den vermutlich wichtigsten Einzelgrund für die Wachstumsschwäche seit 2000 bildeten: Zwischen März 2000 und März 2003 verlor in den USA der Dow-Jones-Index 26,8% an Wert, der breiter gestreute S&P-500-Index sank um 43,4%. In Deutschland gingen die Kurse noch stärker zurück - der DAX sank um 68,1% und der breiter gestreute CDAX um 68,0%.

Im Folgenden wird der empirische Zusammenhang zwischen Aktienkursen und der Investitions- und Konsumnachfrage rekapituliert und geprüft, wie die Entwicklung der Aktienkurse die mittelfristige Wachstumsdynamik in den USA und in Deutschland beeinflusste (für eine detaillierte Darstellung siehe Schulmeister, 2003).

 

Abbildung 1: Aktienkurse und Realkapitalbildung der nichtfinanziellen Aktiengesellschaften

Q: Federal Reserve Bank, Deutsche Bundesbank, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.

Aktienkurse, Investitionen und Konsum

In den neunziger Jahren stiegen die Aktienkurse stärker als je zuvor nach dem Zweiten Weltkrieg. Dies gilt insbesondere für die zwei größten Volkswirtschaften: In den USA erhöhte sich der S&P-500-Index zwischen 1991 und 1999 um 17,7% pro Jahr, in Deutschland betrug der Anstieg des CDAX im selben Zeitraum durchschnittlich 14,8% (Jahresendstände).

Gleichzeitig nahm die Diskrepanz zwischen dem Wert der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften ("non-financial corporate business") zu laufenden Aktienkursen (Marktkapitalisierung) und dem Wert des Realkapitalstocks bzw. dem Nettogesamtwert (reale Vermögenswerte minus Nettofinanzverbindlichkeiten) beträchtlich zu[d]). In den USA wuchs die Marktkapitalisierung zwischen 1991 und 1999 um 18,1% pro Jahr, der Wert des Realkapitals (zu Gütermarktpreisen) bzw. der Nettogesamtwert hingegen um nur 4,8% bzw. 7,1% (Abbildung 1). In Deutschland nahm der Aktienmarktwert sogar um durchschnittlich 19,8% zu, der Wert des Realkapitals bzw. der Nettogesamtwert der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften aber um nur 3,2% bzw. 5,8%. Aktienkurse und Marktkapitalisierung stiegen schon seit 1982 fast immer rascher als Realkapital und Nettogesamtwert der Unternehmen (Abbildung 1).

Der Aktienboom dürfte gemeinsam mit der Expansion von Finanzinnovationen dazu beigetragen haben, dass sich auch für Unternehmen die Anreize von Real- zu Finanzinvestitionen verschoben. Dementsprechend nahm das Finanzvermögen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften seit 1982 sowohl in den USA als auch in Deutschland stärker zu als ihre Nettowertschöpfung und ihr Realvermögen (Abbildung 2). Dies gilt insbesondere für die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften in Deutschland: Der Wert der von ihnen gehaltenen Aktien, Investmentzertifikate und sonstigen Beteiligungen erhöhte sich zwischen 1991 und 1999 von 29,5% auf 120,1% der Nettowertschöpfung.

Aufgrund der steigenden Nachfrage von Unternehmen (vor allem in Deutschland) sowie von Haushalten und Pensionsfonds (besonders in den USA) nach Aktien sowie der zunehmenden Bedeutung spekulativer Transaktionen stiegen die Aktienkurse nach einer Phase ausgeprägter Unterbewertung der Aktiengesellschaften so stark, dass sie ab Mitte der neunziger Jahre in wachsendem Ausmaß überbewertet wurden: Ende 1999 lag die Marktkapitalisierung in den USA und in Deutschland um etwas mehr als 80% über dem Nettogesamtwert (Abbildung 3).

In Deutschland dürften die Unternehmen ihre Finanzveranlagung auch auf Kosten von Realinvestitionen getätigt haben, und zwar nicht nur wegen der attraktiven Gewinnchancen im Aktienboom, sondern auch wegen der ungünstigen Bedingungen für die Realakkumulation:

·          Der Geldmarkt- und der Kreditzins waren - relativ zur Wachstumsrate - in Deutschland viel höher als in den USA und (seit 1995) in den anderen Ländern des späteren Euro-Raums (Abbildung 6).

·          Der Wechselkurs der DM war in den neunziger Jahren noch mehr überbewertet als jener des ECU bzw. Euro (Abbildung 7).

·          Die restriktive Fiskalpolitik, insbesondere die konsequente Verringerung der öffentlichen Investitionen (Abbildung 6), dämpfte die Gewinnaussichten für unternehmerische Realinvestitionen.

In den USA förderten hingegen Leit- und damit Geldmarktzinsen unter der Wachstumsrate (Abbildung 6), ein dauernd unterbewerteter Wechselkurs des Dollars (Abbildung 7) und eine expansive Fiskalpolitik die Investitionsbereitschaft der Unternehmen: Zwischen 1991 und 2000 nahmen die realen Investitionen des Unternehmenssektors um 9,0% pro Jahr zu (Deutschland nur +1,2% p. a.). In den USA dürfte deshalb der Kursanstieg der Aktien als Veranlagungsalternative die Investitionsdynamik nicht nennenswert beeinträchtigt haben. Dementsprechend blieb die Relation zwischen dem Realkapitalstock und der Nettowertschöpfung des "corporate business" in den neunziger Jahren trotz des hohen Produktionswachstums in den USA annähernd konstant, während sie in Deutschland zurückging (Abbildung 2).

In den USA wurden Gewinnerwartungen und Investitionsbereitschaft der Unternehmen in den neunziger Jahren auch durch das anhaltend hohe Wachstum des privaten Konsums gestärkt, das wiederum vom Aktienboom stimuliert wurde. Die große Bedeutung der von privaten Haushalten direkt und indirekt - insbesondere in Pensionsfonds - gehaltenen Aktien bewirkt, dass Kurssteigerungen den Vermögenswert der Haushalte spürbar steigern und damit ihr Sparen dämpfen[e]). Der Rückgang der Sparquote von 8,3% (1991) auf 2,3% (2001) ist daher zum größten Teil auf den Aktienboom sowie auf die Steigerung der Immobilienpreise zurückzuführen (IMF, 2002, S. 83).

Abbildung 2: Real- und Finanzvermögen der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften

Q: Federal Reserve Bank, Deutsche Bundesbank, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.

 

In Deutschland wie in den meisten Ländern des Euro-Raums hat der Aktienbesitz der privaten Haushalte geringe Bedeutung; aus diesem Grund stimulierte der Aktienboom die Konsumnachfrage in diesen Ländern nicht nennenswert. Während der private Konsum zwischen 1991 und 2000 in den USA um 3,8% pro Jahr expandierte, nahm er in Deutschland um nur 1,7% und im übrigen Euro-Raum um 1,9% pro Jahr zu (Abbildung 6).

Über die gesamte Periode boomender Aktienkurse (1982 bis 1999) zeigen sich folgende Entwicklungstendenzen für das "non-financial corporate business":

·          Sowohl in den USA als auch in Deutschland erhöhten die Unternehmen ihr Finanzvermögen viel stärker als ihr Realkapital; letzteres wuchs in den USA zwischen 1982 und 1993, in Deutschland hingegen zwischen 1993 und 2003 merklich langsamer als die Wertschöpfung (Abbildung 2).

·          Aktienkurse und Marktkapitalisierung der Unternehmen nahmen in beiden Ländern viel rascher zu als ihr Nettogesamtwert (Abbildung 1).

·          Damit wurde die Anfang der achtziger Jahre ausgeprägte Unterbewertung der Aktienkurse immer kleiner, ab Mitte der neunziger Jahre wurden die Unternehmen an der Börse zunehmend überbewertet (gemessen am Nettogesamtwert; Abbildung 3).

Umgekehrt entwickelte sich die Relation zwischen Aktienkursen und Vermögensbildung der nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften zwischen 1960 und 1972, als feste Wechselkurse, stabile Rohstoffpreise und Zinssätze unter der Wachstumsrate das Gewinnstreben der Unternehmen auf die Realkapitalbildung fokussierten (Abbildungen 1 und 2). In dieser Phase stiegen die Aktienkurse kaum (Abbildung 1; real sanken die Kurse sogar deutlich), gleichzeitig expandierte das Realkapital der Unternehmen viel stärker als ihr Finanzkapital (Abbildung 2). Dementsprechend ergab sich eine zur Phase 1982/1999 entgegen gesetzte Diskrepanz zwischen der Bewertung der Unternehmen zu Aktienkursen und zu Gütermarktpreisen (Abbildung 3). So stiegen in Deutschland der Wert des Realkapitalstocks der Kapitalgesellschaften zwischen 1960 und 1972 um 10,0% und der Nettogesamtwert um 9,6% pro Jahr, viel rascher als ihre Marktkapitalisierung (+3,9% pro Jahr). In den USA zeigte sich in den siebziger Jahren ein ähnliches Bild.

So wie die Entwicklung der Aktienkurse Anfang der achtziger Jahre von einem Überschießen nach unten in ein Überschießen nach oben drehte, kippte der "bull market" im Frühjahr 2000 in einen "bear market", der bis zum März 2003 anhielt (Abbildung 1). Der Rückgang der Aktienkurse seit dem Frühjahr 2000 verschlechterte die Finanzlage der Unternehmen in Deutschland aus mehreren Gründen in höherem Maß als in den USA:

·          Die nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften hatten in Deutschland in den neunziger Jahren wesentlich mehr Aktien anderer Unternehmen erworben als in den USA.

·          Die Aktienkurse sanken in Deutschland viel stärker als in den USA.

·          Die Fed senkte die Leitzinsen rascher und deutlicher als die EZB.

·          Die deutschen Geschäftsbanken gaben die Reduktion ihrer Refinanzierungskosten nicht voll an ihre Schuldner weiter (offensichtlich als Reaktion auf die Verschlechterung ihrer eigenen Finanzlage infolge des Verfalls der Aktienkurse).

Diese Faktoren dürften dazu beigetragen haben, dass die realen Bruttoinvestitionen des Unternehmenssektors zwischen 2000 und 2003 in den USA schwächer zurückgingen (-8,6%) als in Deutschland (-12,2%), obwohl die (Über-)Investitionsdynamik in den vorangegangenen Jahren in den USA viel stärker gewesen war.

 

Abbildung 3: Relation von Marktkapitalisierung zu Nettogesamtwert

Nichtfinanzielle Aktiengesellschaften

Q: Federal Reserve Bank, Deutsche Bundesbank, Statistisches Bundesamt Wiesbaden.

 

Der private Konsum wurde in den USA durch den Rückgang der Aktienkurse nicht nennenswert gedämpft, weil die damit verbundenen negativen Vermögenseffekte durch die positiven Vermögenseffekte anhaltend starker Steigerungen der Immobilienpreise kompensiert wurden (IMF, 2002, Table 2.8).

Seit März 2003 haben sich die Aktienkurse weltweit von ihren Tiefständen erholt. In den USA stieg das Kursniveau gemessen am S&P-500-Index bis Ende Jänner 2004 um 41,4%, in Deutschland gemessen am CDAX sogar um 81,5%. Das Ausmaß dieser Kursgewinne lässt es allerdings zweifelhaft erscheinen, dass sie überwiegend auf eine nachhaltige Verbesserung der Gewinnerwartungen zurückzuführen wären (Abbildung 3).

Zur Rolle der Geld- und Fiskalpolitik

Seit Anfang der neunziger Jahre unterscheiden sich die geld- und fiskalpolitischen Strategien in den USA, in Deutschland und in den anderen Ländern des Euro-Raums erheblich. Im Folgenden wird geprüft, wie diese Unterschiede die gesamtwirtschaftliche Performance in der Phase abgeschwächten Wirtschaftswachstums seit 2000 sowie seit Anfang der neunziger Jahre beeinflusst haben.

Keynesianische Geld- und Fiskalpolitik in den USA

In den USA reagierte die Wirtschaftspolitik auf die Wachstumsverlangsamung im Laufe des Jahres 2000 mit einem raschen Wechsel zu einem expansiven Kurs. Die Notenbank senkte die Leitzinsen zwischen Jänner und Dezember 2001 in 11 Schritten von 6,5% auf 1,75% und bis Mitte 2003 sogar auf 1,0% (Abbildung 4). Seit Ende 2001 liegt der Geldmarktzins deutlich unter der Wachstumsrate der Gesamtwirtschaft. Diese Politik stützte die Konjunktur insbesondere über zwei "Kanäle":

·          Der Rückgang der Kreditzinsen - die Prime Rate sank von 9,0% auf 4,0% - reduzierte die Zinsenlast von Unternehmen und Haushalten und milderte so die Verschlechterung ihrer Finanzlage als Folge der Rezession. Für die Haushalte wurde insbesondere die Umschuldung von Hypothekarkrediten zu einer wichtigen Einnahmequelle.

·          Das anhaltend niedrige Zinsniveau und die Erwartung einer auch mittelfristig expansiven Geldpolitik förderten die Bereitschaft von Unternehmen und Haushalten, zusätzliche Investitions-, Konsum- und Wohnbaudarlehen aufzunehmen.

Vor allem die Wohnbauinvestitionen profitierten von der markant antizyklischen Geldpolitik, sie expandierten zwischen 2000 und 2003 um insgesamt 13,1% (Abbildung 4).

Auch die Fiskalpolitik wurde in den USA seit 2000 stark expansiv, und zwar sowohl auf der Ausgaben- als auch auf der Einnahmenseite. Mit dem "Economic Growth and Tax Relief Reconciliation Act of 2001" wurden die Grenzsteuersätze gesenkt (am stärksten für die unterste Einkommensklasse) und Steuerbegünstigungen ausgeweitet (Kindererziehung, Kapitalbildung zur Finanzierung der Alterspension und der Ausbildung von Kindern; Economic Report of the President, 2002, S. 45f). Diese Maßnahmen verringerten die Steuerbelastung der privaten Haushalte in den USA zwischen 2000 und 2002 um 2,4% des BIP bzw. 3,8% des verfügbaren Einkommens (Abbildung 5). Am stärksten profitierten davon die Bezieher niedriger Einkommen und kinderreiche Familien; das stützte die Konsumnachfrage zusätzlich.

Die Unternehmen wurden in den USA hingegen nicht durch Steuersenkungen gefördert, sondern durch eine Ausweitung der öffentlichen Aufträge:

·          Zwischen 2000 und 2003 expandierten die öffentlichen Bruttoinvestitionen real um 9,9% (Abbildung 4); die Zuwächse erstreckten sich sowohl auf die Investitionen der Bundesstaaten und Bezirke (auf sie entfallen etwa 70% aller öffentlichen Investitionen) als auch auf die des "federal government". Die Ausgaben für Militärausrüstung stiegen überdurchschnittlich (allerdings entfallen auf sie nur etwa 20% aller öffentlichen Investitionen).

·          Im selben Zeitraum nahm der öffentliche Konsum real um 12,4% zu. Auch in diesem Fall erhöhten sich die Verteidigungsausgaben überdurchschnittlich (etwa 24% des gesamten öffentlichen Konsums), doch auch die Nachfrage der "state and local governments" wurde kräftig gesteigert.

Insgesamt weiteten die öffentlichen Haushalte ihre reale Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen zwischen 2000 und 2003 um 11,9% aus. Dies stabilisierte gemeinsam mit der markanten Zinssenkung und der im Frühjahr 2002 einsetzenden Dollarabwertung die Auftrags- und Finanzlage der Unternehmen und trug so dazu bei, dass sich deren Bruttoinvestitionen 2003 wieder erholten (Abbildung 4).

Die Expansion der Konsumnachfrage des Staates spiegelt sich auch in der Entwicklung der öffentlich Beschäftigten (auf sie entfallen in den USA etwa 16% aller unselbständig Beschäftigten): Ihre Zahl stieg zwischen 2000 und 2003 um 3,4%; dadurch wurde der Rückgang im privaten Sektor teilweise kompensiert (Abbildung 5).

Die sinkende Belastung der privaten Haushalte mit Zinszahlungen und Steuern als Folge der expansiven Geld- und Fiskalpolitik sowie die positiven Vermögenseffekte weiterhin steigender Immobilienpreise (dies wurde durch die Zinssenkungen gefördert) waren die wichtigsten Gründe, warum der private Konsum trotz Rezession, steigender Arbeitslosigkeit und erhöhter Unsicherheit nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 expandierte (2000/2003 real +8,9%; Abbildung 5). Das verfügbare Realeinkommen der Haushalte nahm etwa im selben Ausmaß zu (+8,8%), viel stärker als das BIP (+5,7%); dazu trug nicht nur die Steuer- und Zinsentlastung bei, sondern auch ein Anstieg staatlicher Transferzahlungen um 28,2% (sie waren 2003 um 32,0% höher als die direkten Steuern der privaten Haushalte)[f]).

Seit dem Frühjahr 2002 erhalten die Exporte der USA und damit die Investitionen der Unternehmen durch die Abwertung des Dollars kräftige Impulse: Zwischen April 2002 und Oktober 2003 sank der nominell-effektive Wechselkurs des Dollars um 19,5% (der Euro verteuerte sich gegenüber dem Dollar um 32,0%; Abbildung 4), indirekt gefördert durch die äußerst expansive Geldpolitik der Notenbank. Das Exportwachstum hat sich seit dem 1. Halbjahr 2002 merklich beschleunigt (Abbildungen 5 und 7).

 

Abbildung 4: Wirtschaftsentwicklung in den USA und in Deutschland

Q: Federal Reserve Bank, OECD, IMF.

 

Der antizyklische Charakter der Geld- und Fiskalpolitik in den USA kommt nicht nur im Ausmaß der Zinssenkungen bzw. der Veränderung des Finanzierungssaldos des Staates zum Ausdruck (letzterer drehte sich zwischen 2000 und 2003 um 6,4% des BIP), sondern auch darin, dass diese Defizite durch gezielte Maßnahmen der Nachfragestimulierung herbeigeführt, also nicht nur durch die automatischen Stabilisatoren "erlitten" wurden (Abbildung 5). Gerade deshalb verschlechterte sich allerdings der Saldo des Staatshaushalts in einem Ausmaß, das nach den Präsidentschaftswahlen Konsolidierungsmaßnahmen erzwingen wird.

Wirtschaftspolitische Ursachen der Stagnation in Deutschland

Die EZB begann im Mai 2001, den Euro-Leitzinssatz zu senken, allerdings bis November 2001 lediglich um 1,5 Prozentpunkte auf 3,25%; erst ab Dezember 2002 folgte eine Verringerung in mehreren Schritten auf 2,0% (Abbildung 4). Für diese im Vergleich mit den USA zurückhaltende Geldpolitik der EZB dürften mehrere Faktoren maßgebend gewesen sein: Der Konjunkturabschwung hatte im Euro-Raum später eingesetzt als in den USA; die EZB orientierte ihre Politik nicht nur an jenen Ländern, in denen der Preisauftrieb schon fast zum Erliegen gekommen war (wie etwa Deutschland), sondern auch an Spanien oder Holland, wo die Inflationsrate noch markant über dem Referenzwert der EZB von 2% lag; zudem versuchte die EZB, durch ein zunehmend positives Euro-Dollar-Zinsdifferential die seit Anfang 1999 anhaltende Euro-Abwertung zumindest zu bremsen (die zwei letztgenannten Gründe hängen unmittelbar mit dem Bestreben der EZB zusammen, keine Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit der neuen Währung aufkommen zu lassen).

Die besonders ungünstige Wirtschaftsentwicklung in Deutschland hat verschiedene Ursachen. Da Deutschland die mit Abstand größte Volkswirtschaft der EU ist, wurde dadurch das Wachstum in Europa insgesamt gedämpft.

Die im Vergleich mit den USA mäßige Lockerung der Geldpolitik durch die EZB reichte aus zwei Gründen nicht aus, um das Abgleiten der deutschen Wirtschaft in eine Stagnation zu verhindern:

·          Wirtschaftswachstum und Inflation waren in Deutschland schon seit Mitte der neunziger Jahre merklich niedriger als im Euro-Raum; deshalb mussten Zinssenkungen, welche für den gesamten Euro-Raum angemessen gewesen wären, für Deutschland unzureichend sein. Das gilt besonders für das Jahr 2000: Während das Preisniveau im Euro-Raum ohne Deutschland noch um 2,1% stieg, ging es in Deutschland um 0,3% zurück. Dementsprechend lag der reale Geldmarktzins in Deutschland zwischen 2000 und 2003 um 1,7 Prozentpunkte über der Wachstumsrate, im übrigen Euro-Raum aber um 1,0 Prozentpunkt darunter (Abbildung 6).

·          Die deutschen Geschäftsbanken gaben die Senkung der EZB-Leitzinsen nur teilweise an die Kreditnehmer weiter. Während die Leitzinsen zwischen Anfang 2001 und Mitte 2003 um 2,75 Prozentpunkte herabgesetzt wurden, wurden die Zinsen für Unternehmens- und Wohnbaukredite um nur etwa 1½ Prozentpunkte gesenkt, die Zinsen für Konsumentenkredite blieben nahezu unverändert (laut Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank).

Von dieser Entwicklung waren die zinsreagiblen Investitionen in den Wohnbau besonders betroffen, sie sanken in Deutschland zwischen 2000 und 2003 real um 14,9% (Abbildung 4). Dieser Rückgang war zwar auch durch andere Faktoren bedingt, doch hätte sein Ausmaß durch eine Verringerung der Hypothekarzinsen wie etwa in den USA spürbar gemildert werden können.

Die Fiskalpolitik war in Deutschland im Hinblick auf die Konjunkturentwicklung seit 2000 inkonsistent: Einerseits wurden die Staatseinnahmen durch die Steuerreform 2001 gesenkt, andererseits wurde die Nachfrage des Staates im Bereich der Investitionen und der Beschäftigung (weiter) reduziert.

Im Gegensatz zu den USA kam die Steuerreform in Deutschland überwiegend den Unternehmen zugute (Abbildung 5): Der Anteil der von ihnen erbrachten direkten Steuern an den gesamten Staatseinnahmen verringerte sich von 3,7% (2000) auf 1,3% (2002). Angesichts der Stagnation der Konsumnachfrage, der Einschränkung öffentlicher Aufträge und der relativ zur (erwarteten) Wachstumsrate hohen Realzinsen konnte die drastische Steuerentlastung der Unternehmen allein deren Investitionsnachfrage nicht stimulieren: sie sank zwischen 2000 und 2003 um 12,2% (Abbildung 4).

 

Abbildung 5: Wirtschaftsentwicklung in den USA und in Deutschland

Q: OECD.

 

Da ein Teil der direkten Unternehmenssteuern den Ländern und Gemeinden zufließt, verstärkte die Steuersenkung den Rückgang der öffentlichen Investitionen (2000/2003 -5,3%; Abbildung 4). Gleichzeitig nahm der öffentliche Konsum nur schwach zu (+3,6%). Insgesamt stagnierte somit die reale Gesamtnachfrage des Staates zwischen 2000 und 2002 nahezu (+2,7%) und wirkte damit dem Rückgang der privaten Nachfrage nicht entgegen. Die Abbildungen 4 und 5 zeigen den prozyklischen Verlauf der Staatsnachfrage in Deutschland und den Unterschied zur antizyklischen Fiskalpolitik in den USA.

Die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sank in Deutschland zwischen 2000 und 2003 um 3,7%. Dies trug zum Anstieg der Arbeitslosigkeit bei, da die Beschäftigung im privaten Sektor schrumpfte (-1,9% nach +2,3%; Abbildung 5).

Unter diesen Bedingungen trübte sich das Vertrauen der privaten Haushalte in die Wirtschaftsentwicklung ein, gleichzeitig stagnierte ihr verfügbares Realeinkommen; dementsprechend nahm der private Konsum in Deutschland zwischen 2000 und 2003 insgesamt um nur 1,1% zu (Abbildung 5).

Seit dem Frühjahr 2002 verschlechterte sich überdies die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft durch die starke Aufwertung des Euro (Abbildung 4). Dies verstärkte die - primär rezessionsbedingte - Verlangsamung des Exportwachstums seit dem Jahr 2000 (Abbildung 5).

Obwohl die Fiskalpolitik in Deutschland auf eine aktiv antizyklische Ausweitung der öffentlichen Nachfrage verzichtete, drehte sich der Budgetsaldo zwischen 2000 und 2003 von einem Überschuss von 1,3% des BIP in ein Defizit von 4,1% - annähernd gleich stark wie in den USA (Abbildung 4). In den USA wurde dies allerdings durch ein (beabsichtigtes) "deficit spending" herbeigeführt, in Deutschland hingegen als Folge der Stagnation, ihrer Auswirkungen auf die automatischen Stabilisatoren und einer konjunkturpolitisch ineffizienten Steuerreform "erlitten".

Mäßig aktive Konjunkturpolitik im Euro-Raum seit 2000

Im Euro-Raum (im Folgenden immer ohne Deutschland) bekämpfte die Wirtschaftspolitik die Wachstumsabschwächung zwar nicht so massiv wie in den USA, sie setzte aber - im Gegensatz zur Fiskalpolitik in Deutschland - bis 2003 antizyklische Impulse (Abbildung 6):

·          Die öffentlichen Investitionen wurden im Euro-Raum zwischen 2000 und 2003 real um 7,5% ausgeweitet (USA +9,9%, Deutschland -5,3%).

·          Der öffentliche Konsum expandierte im selben Zeitraum um 8,5%, in den USA um 12,4%, in Deutschland hingegen um nur 3,6%.

·          Die Beschäftigung im öffentlichen Dienst wurde im Euro-Raum um 3,5% erhöht, in Deutschland dagegen um 3,7% reduziert (USA +3,4%).

·          Die Staatsausgaben und -einnahmen nahmen im Euro-Raum 2000/2003 um 14,2% bzw. 9,9% zu, in Deutschland um nur 7,1% bzw. 1,0% (USA +19,0% bzw. -1,5%).

·          Die Transferzahlungen des Staates an die privaten Haushalte stiegen in Deutschland zwischen 2000 und 2003 um nur 11,7%, im Euro-Raum aber um 16,2% (USA +28,2%), obwohl die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland viel stärker zunahm (+21,1%) als im Euro-Raum (+2,4%).

Auch die Lohnpolitik stützte die Konsumnachfrage im Euro-Raum: Zwischen 2000 und 2003 erhöhten sich die Nominallöhne pro Kopf um 9,1% (USA +8,5%), in Deutschland aber um nur 5,9%. Die verfügbaren Realeinkommen der Haushalte wuchsen im Euro-Raum um 5,9%, in Deutschland um nur 1,9% (in den USA nahmen sie als Folge der Steuersenkung und zusätzlicher Transferzahlungen des Staates sogar um 8,8% zu, fast doppelt so rasch wie das BIP). In der Folge wurde der private Konsum im Euro-Raum 2000/2003 viel stärker gesteigert (+5,2%) als in Deutschland (+1,1%), aber deutlich schwächer als in den USA (+8,9%).

Die Ausweitung der Nachfrage der öffentlichen und privaten Haushalte trug wesentlich dazu bei, dass die realen Investitionen der Unternehmen im Euro-Raum zwischen 2000 und 2003 annähernd konstant blieben (-1,3%), während sie in Deutschland um 12,2% sanken. Die Wohnbauinvestitionen wuchsen im Euro-Raum um 5,3%, in Deutschland brachen sie ein (-14,9%). Dafür war auch maßgebend, dass die realen Geldmarktzinsen um etwa 1½ Prozentpunkte niedriger waren als in Deutschland - eine Folge der im gleichen Ausmaß höheren Inflation im Euro-Raum (nicht zuletzt durch stärkere Lohnsteigerungen bedingt).

Abbildung 6: Wirtschaftsentwicklung in den USA, im Euro-Raum und in Deutschland

Q: OECD.

 

Aufgrund des Zusammenwirkens dieser Faktoren stagnierte das reale BIP in Deutschland zwischen 2000 und 2003 (+1,0%), während es im übrigen Euro-Raum um 4,1% stieg. Dazu trug - bei gleichen monetären Rahmenbedingungen - die unterschiedliche Entwicklung der öffentlichen Nachfrage bei. Dennoch verschlechterte sich der Finanzierungssaldo der öffentlichen Haushalte im Euro-Raum zwischen 2000 und 2003 um nur 1,8% des BIP, in Deutschland hingegen um 5,4%. Dies war nicht nur eine Folge der Wachstumsdifferenz, sondern auch einer unterschiedlichen Steuerpolitik: Während in Deutschland die direkten Steuern der Unternehmen zwischen 2000 und 2003 primär als Folge der Steuerreform 2001 von 3,7% auf 1,4% der Staatseinnahmen sanken, blieb ihre Steuerquote im übrigen Euro-Raum ebenso wie in den USA bei etwa 7% annähernd konstant.

Geld- und Fiskalpolitik seit Anfang der neunziger Jahre

Die wichtigsten Unterschiede zwischen der makroökonomischen Politik der USA, der Länder des Euro-Raums und Deutschlands zeigten sich bereits in den neunziger Jahren (Abbildung 6, Übersicht 1):

Seit dem Kurswechsel der Notenbank der USA Ende der achtziger Jahre von einer Preisstabilisierungspolitik auf Basis von Geldmengenzielen zu einer Steuerung der Leitzinsen mit dem Ziel, auch Wachstum und Beschäftigung zu fördern (siehe dazu Mankiw, 2001), entwickeln sich die Geldmarktzinsen (und damit die Bankkreditzinsen) in den USA markant antizyklisch. Insbesondere in Phasen niedrigen Wirtschaftswachstums wie 1990/1993 und 2001/2003 übertraf der Rückgang der Leitzinsen jenen der Wachstumsrate (Abbildung 6). Dies trug dazu bei, dass der Geldmarktzins in den USA auch mittelfristig unter der Wachstumsrate lag (Übersicht 1).

In den Ländern des späteren Euro-Raums stiegen hingegen die realen Geldmarktzinsen Anfang der neunziger Jahre drastisch, in erster Linie als Folge der Hochzinspolitik der Deutschen Bundesbank und der damit verbundenen Währungsturbulenzen innerhalb der EU (Schulmeister, 1996). Mittelfristig liegt das Niveau der realen Geldmarktzinsen im Euro-Raum (ohne Deutschland) seit 1996 unter der Wachstumsrate, in Deutschland dagegen ständig darüber (Abbildung 6). Dies resultiert nicht nur aus dem Wachstumsrückstand Deutschlands, sondern auch aus einem geringeren Preisauftrieb: Zwischen 1996 und 2003 erhöhte sich der BIP-Deflator in Deutschland um nur 0,8% pro Jahr, im übrigen Euro-Raum aber um 2,2%.

Das anhaltende Inflations- und Wachstumsdifferential zwischen Deutschland und dem übrigen Euro-Raum verweist auf ein grundlegendes Problem, das sich bei Gründung einer Währungsunion ergeben kann (siehe dazu Schulmeister, 2000): Weisen die teilnehmenden Länder ein unterschiedliches Entwicklungsniveau der Wirtschaft auf (gemessen am BIP pro Kopf) und treten die weniger entwickelten Länder mit unterbewerteten und die höherentwickelten Länder mit überbewerteten Konversionskursen in die Währungsunion ein, dann wird sich die Wachstumsdynamik aus zwei Gründen zugunsten der weniger entwickelten Länder verlagern: wegen des in nunmehr einheitlicher Währung niedrigeren Preisniveaus in diesen Ländern und weil die höhere Inflationsrate in diesen Ländern im Zuge der Anpassung des Preisniveaus gleichzeitig ein niedrigeres Realzinsniveau bewirkt.

Das daraus resultierende Wachstumsdifferential lässt das Entwicklungsniveau der Wirtschaft und das Preisniveau innerhalb der Währungsunion konvergieren und dämpft damit die Wirtschaftsdynamik in den höherentwickelten Ländern. Für letztere verschlechtert sich die gesamtwirtschaftliche Lage dann besonders stark, wenn das Inkrafttreten der Währungsunion in eine Phase der globalen Wachstumsabschwächung fällt (dies ergab sich nach Realisierung der Europäischen Währungsunion 1999).

Diese Problematik hätte in den höchstentwickelten WWU-Ländern wie Deutschland in den ersten Jahren einen expansiven Kurs erfordert. Aus demselben Grund wäre es zweckmäßig gewesen, wenn sich die Zinspolitik der EZB in einer solchen Übergangsphase an der (niedrigeren) Inflation in den höchstentwickelten Ländern der Währungsunion orientiert hätte und nicht am Durchschnitt über den Euro-Raum.

Die Wirtschaftsentwicklung wurde in Deutschland auch durch den Verzicht auf eine antizyklische Gestaltung und mittelfristig dem BIP-Wachstum angepasste Steigerung der Staatsnachfrage gedämpft, im Gegensatz zur Strategie in den anderen Ländern des Euro-Raums und in den USA[g]):

·          Im Euro-Raum ohne Deutschland wurden die öffentlichen Investitionen in der wachstumsschwachen Phase 1992/1994 zwar gesenkt (lediglich der öffentliche Konsum wirkte leicht antizyklisch), zwischen 2000 und 2003 wurden hingegen sowohl die Investitionen (mit Ausnahme von 2001) als auch der Konsum des Staates stärker ausgeweitet als die privaten Investitionen bzw. der private Konsum.

·          In Deutschland setzte die Fiskalpolitik in keiner der beiden Phasen Konjunkturimpulse (Abbildung 6). Die Nachfrage des Staates wuchs deshalb auch mittelfristig in Deutschland schwächer als im übrigen Euro-Raum (die öffentlichen Investitionen schrumpften  in Deutschland sogar um 1,8% pro Jahr; Übersicht 1).

·          In den USA wurde die reale Nachfrage des Staates zunehmend auch als Instrument der Konjunkturstabilisierung eingesetzt: Zwischen 1990 und 1992 und verstärkt zwischen 2000 und 2003 wurden sowohl die Investitionen als auch der Konsum des Staates ausgeweitet (Abbildung 6). Auch mittelfristig expandierte die Staatsnachfrage - zwischen 1991 und 2003 nahmen die öffentlichen Investitionen um durchschnittlich 3,0% und der öffentliche Konsum um 1,8% pro Jahr zu (Übersicht 1).

 

Übersicht 1: Wirtschaftsentwicklung in den USA, im Euro-Raum und in Deutschland

1991/2003

 

 

 

 

 

USA

Euro-Raum ohne Deutschland

Deutschland

 

Durchschnittliche jährliche Veränderung in %

 

 

 

 

BIP, real

+3,2

+2,0

+1,3

Privater Konsum

+3,5

+1,9

+1,3

Öffentlicher Konsum

+1,8

+1,9

+1,5

Bruttoinvestitionen

+5,3

+1,8

-0,0

Exporte i. w. S.

+4,8

+5,6

+4,8

Importe i. w. S.

+8,1

+5,5

+4,1

 

 

 

 

Inflation

 

 

 

BIP-Deflator

+1,9

+2,7

+1,7

 

 

 

 

Einkommen und Konsum der privaten Haushalte

 

 

 

Bruttolohn- und -gehaltssumme

+4,9

+4,5

+2,5

Bruttoeinkommen aus Besitz und Unternehmung

+5,0

+3,4

+3,4

Direkte Steuern

+4,5

+5,1

+3,1

Sozialversicherungsbeiträge

+5,0

.

+3,7

Transfereinnahmen

+6,2

+4,9

+5,1

Verfügbares Einkommen

 

 

 

Nominell

+5,1

+4,2

+3,0

Real

+3,0

+1,3

+1,1

 

 

 

 

Investitionen

 

 

 

Bruttoinvestitionen, real

+5,3

+1,8

+0,0

Öffentlich

+3,0

+1,2

-1,8

Privat

+5,8

+1,9

+0,2

Unternehmen

+5,9

+2,1

-0,2

Wohnbau

+5,5

+1,5

+0,8

Geldmarktzinssatz  in %

4,4

5,2

4,5

Anleihenzinssatz    in %

5,8

6,3

5,7

 

 

 

 

BIP, nominell

+5,1

+4,7

+3,0

 

 

 

 

Beschäftigung

 

 

 

Insgesamt

+1,3

+0,9

-0,1

Selbständige

-0,2

-0,5

+1,2

Unselbständige

+1,5

+1,2

-0,2

Privatwirtschaft

+1,5

+1,4

+0,0

Öffentlicher Sektor

+1,2

+0,8

-1,6

Arbeitslose

+0,2

+1,1

+4,7

Arbeitslosenquote  in %

5,5

10,2

7,9

 

 

 

 

Staatshaushalt

 

 

 

Einnahmen

+4,8

+4,8

+3,2

Indirekte Steuern

+4,7

+5,8

+3,7

Direkte Steuern

+4,6

+5,1

+2,5

Unternehmen

+4,9

+5,0

-4,2

Haushalte

+4,5

+5,1

+3,1

Ausgaben

+4,9

+4,3

+3,6

Konsum

+4,6

+4,9

+3,0

Investitionen

+4,2

+3,2

-1,3

Sozialtransfers

+6,7

+4,9

+5,0

Sonstige Transfers

+6,3

+6,3

+2,1

Net Lending            in % des BIP

-2,2

-3,5

-2,5

Q: OECD

 

Die Beschäftigungsentwicklung im öffentlichen Dienst spiegelt die unterschiedliche Rolle der Fiskalpolitik wider: Zwischen 1991 und 2003 nahm die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst in den USA um 1,2% pro Jahr und im Euro-Raum um 0,8% pro Jahr zu, in Deutschland sank sie dagegen um 1,6% pro Jahr (Abbildung 6).

Der expansive Kurs der Staatsnachfrage wurde im übrigen Euro-Raum und insbesondere in den USA dadurch erleichtert, dass die Einnahmen des Staates zwischen 1991 und 2003 um etwa 1½ Prozentpunkte pro Jahr rascher zunahmen als in Deutschland (Übersicht 1). Dies war primär die Folge des niedrigeren Wirtschaftswachstums und Preisauftriebs in Deutschland. Auch die Struktur der Steuereinnahmen entwickelte sich in Deutschland anders als im übrigen Euro-Raum und in den USA: In Deutschland nahmen die Einnahmen an indirekten Steuern stärker zu als die direkten Steuern, deren Last sich drastisch von den Unternehmen zu den Haushalten verschob (dies hätte einen positiven Effekt auf die Investitionen erwarten lassen); in den anderen zwei Regionen stiegen die Einnahmen des Staates aus indirekten Steuern sowie aus den direkten Steuern von Unternehmen und Haushalten annähernd gleich stark (Übersicht 1).

 

Abbildung 7: Euro-Kurs und Exportdynamik

Q: OECD, WIFO. - 1) Wechselkurs 2004: 1,16 $ je €.

 

Die Verlagerung der Steuerlast zu den Massensteuern trug gemeinsam mit der Verschiebung der (funktionellen) Einkommensverteilung zulasten der Unselbständigen sowie der hohen und mittelfristig steigenden Arbeitslosigkeit dazu bei, dass der private Konsum in Deutschland schwächer wuchs als im übrigen Euro-Raum und in den USA (Übersicht 1). Die Konsumschwäche dämpfte zusammen mit der Stagnation der Staatsnachfrage, hohen Realzinsen und boomenden Aktienmärkten als Veranlagungsalternative die Investitionen: Sie wurden in Deutschland zwischen 1991 und 2003 um 0,2% pro Jahr gekürzt, im übrigen Euro-Raum aber um durchschnittlich 2,1% gesteigert (Abbildung 6, Übersicht 1).

Als Folge der mittelfristigen Wachstumsschwäche der öffentlichen Nachfrage in Deutschland ist das Gewicht der produktiven Aufwendungen des Staates nunmehr merklich kleiner als im übrigen Euro-Raum bzw. in den USA. So trugen die öffentlichen Investitionen in Deutschland 2003 nur mehr 9,1% zu den Gesamtinvestitionen bei (übriger Euro-Raum 14,7%, USA 17,0%), der Anteil der öffentlich Beschäftigten an der Gesamtzahl aller Unselbständigen lag bei 12,5% (übriger Euro-Raum 21,3%, USA 16,4%).

 

Abbildung 8: Dollarkurs und Außenwirtschaft der USA

Q: OECD, WIFO.

 

Dieser - notwendig grobe - Vergleich von makroökonomischen Indikatoren der Wirtschaftspolitik legt zwei Schlussfolgerungen nahe: Die Wirtschaftspolitik wurde in Deutschland seit Anfang der neunziger Jahre merklich restriktiver gestaltet als in den USA und im übrigen Euro-Raum (dies ist besonders bemerkenswert, weil der Sonderaufwand der Wiedervereinigung eine überdurchschnittliche Expansion von Investitionen, Konsum und Transferzahlungen des Staates hätte erwarten lassen). Diese Politik dämpfte zudem die Dynamik der Binnennachfrage und damit das Wirtschaftswachstum wesentlich.

Diese Entwicklung dürfte nicht nur die Realkapitalbildung, sondern auch die Innovationsdynamik in Deutschland im Vergleich mit dem übrigen Euro-Raum und insbesondere mit den USA beeinträchtigt und damit den Wachstumspfad des Potential Output verflacht haben, insbesondere über zwei Kanäle:

·          Eine längerfristig nur schwach expandierende Binnennachfrage und die daraus resultierende Abhängigkeit von der Exportentwicklung dämpfen die Bereitschaft der Unternehmen, die Investitionen nachhaltig zu steigern. Dies betrifft nicht nur die Realkapitalbildung, sondern insbesondere jene Investitionen, welche für die Wachstumsdynamik in einer "knowledge-based society" von zentraler Bedeutung sind: Forschung und Entwicklung, Informations- und Kommunikationstechnologien sowie Verbesserungen im Bildungswesen (zur Bedeutung dieser "growth drivers" siehe Aiginger, 2003, 2004). So wuchsen die Aufwendungen der Unternehmen für Forschung und Entwicklung sowie für IKT-Investitionen in Deutschland zwischen 1990 und 2000 viel schwächer als im EU-Durchschnitt (Aiginger, 2003).

·          Dem Staat kommt bei der Förderung von Investitionen in künftiges Wachstum eine wichtige Rolle zu, insbesondere in der Technologie- und Bildungspolitik. Es ist deshalb kein Zufall, dass jene EU-Länder, welche die höchsten Wachstumsraten realisierten, die Wirtschaftspolitik auf eine Förderung von Forschung, Innovation, der Verbreitung neuer Technologien und auf Verbesserungen im Bildungswesen fokussierten. In Europa konnten insbesondere Dänemark, Schweden und Finnland den Gegensatz zwischen einer nachfrage- und einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik sowie zwischen Effizienzsteigerungen und sozialer Sicherheit integrieren (Aiginger, 2004).

Wechselkursentwicklung dämpft Wachstumsdynamik im Euro-Raum

Seit dem Frühjahr 2002 hat der Euro gegenüber dem Dollar mehr als 40% an Wert gewonnen. Dies hat die Überbewertung des Euro bzw. die Unterbewertung des Dollars - gemessen an der Kaufkraftparität auf Basis der Sachgüter - drastisch erhöht[h]). Diese Entwicklung wird wie in der Vergangenheit die Exporte des Euro-Raums dämpfen und jene der USA stimulieren (Abbildung 7). Die Abwertung des Dollars gegenüber dem Euro, aber auch gegenüber dem Yen und den meisten anderen Währungen hat drei Hauptursachen:

·          Seit dem Kurswechsel der Notenbank der USA zu einer markant antizyklischen Geldpolitik wird auch der Wechselkurs zur Konjunkturstabilisierung eingesetzt, einerseits als Folge der starken Zinssenkungen in wachstumsschwachen Phasen wie 1989/1992 und 2001/2003 und andererseits als Folge eines "talking the dollar down" durch Wirtschaftspolitiker in den USA.

·          Die Höhe und der Anstieg von Leistungsbilanzdefizit und Auslandsverschuldung der USA drücken den Dollarkurs zusätzlich (Abbildung 8).

·          Da der Euro eine junge Währung und die Preisstabilität das bei weitem wichtigste Ziel der EZB ist, ist letztere eher an einem hohen als an einem niedrigen Wechselkurs des Euro interessiert.

Die Schwankungen des Dollarkurses - Abwertung in wachstumsschwachen Phasen, Aufwertung bei anhaltender Hochkonjunktur wie 1996/2000 - ließen die Exportmarktanteile der USA zwischen 1985 und 1995 stark steigen und in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre sinken (Abbildungen 7 und 8). Dies trug zu einer Stabilisierung der Konjunktur in den USA bei. Darüber hinaus dürfte das Niveau des Dollarkurses das Wachstum der Exporte auch langfristig gefördert haben: Im Durchschnitt der Jahre 1986 bis 2003 war der Dollar gegenüber dem ECU bzw. Euro um 11,0%, gegenüber einem Bündel aller wichtigen Währungen sogar um 18,8% unterbewertet (gemessen an der Kaufkraftparität auf Basis der Sachgüter). Dementsprechend gewann die Exportwirtschaft der USA langfristig Marktanteile, in erster Linie zulasten des Euro-Raums (Abbildungen 7 und 8).

Trotz der Unterbewertung des Dollars und der Marktanteilsgewinne (Abbildungen 7 und 8), verschlechterte sich die Leistungsbilanz der USA stetig. Wegen der Dynamik der Binnennachfrage wuchsen nämlich die Importe der USA noch rascher als die Exporte (der Einkommenseffekt des höheren Wirtschaftswachstums übertraf den Substitutionseffekt der Unterbewertung). Dementsprechend stieg die Nettoauslandsverschuldung der USA bis Ende 2003 auf fast 2.750 Mrd. $ oder 23,8% des BIP (gleichzeitig ist die Nettoposition der USA in Bezug auf Realvermögen - primär Unternehmensbeteiligungen - weiterhin positiv; Abbildung 8).

Dieser Prozess wurde durch die Doppelrolle des Dollars als nationale Währung der USA und als Weltwährung gefördert, da diese es den USA erlaubt, sich nahezu ausschließlich in eigener Währung zu verschulden. Diese Entwicklung bedeutet für die Gläubigerländer ein "strukturelles" Dilemma:

·          Entweder sie verringern ihre Bereitschaft, wie bisher Dollarforderungen zu akkumulieren - dann wird der Wechselkurs der Weltwährung weiter sinken (und damit auch der Wert ihrer Dollarforderungen) und der Wachstumsrückstand gegenüber den USA als Folge von Marktanteilsverlusten zunehmen;

·          oder die Gläubigerländer finanzieren weiterhin das Leistungsbilanzdefizit der USA - dann werden ihre Auslandsschulden immer größer, was letztlich eine umso stärkere Dollarabwertung nach sich ziehen wird (samt einer - auch inflationsbedingten - Entwertung der Dollarforderungen der Gläubiger).

Ein Ausweg aus diesem Dilemma bestünde in einer zur Entwicklung der letzten 15 Jahre in den USA "spiegelverkehrten" Strategie der Gläubigerländer: Der Wechselkurs des Dollars würde durch eine Ausweitung der Importe aus den USA gestützt (und nicht durch Dollarkäufe), die Ungleichgewichte der Leistungsbilanzen würden verringert und damit der Zuwachs der Finanzschulden der USA gebremst. Eine solche Strategie setzt allerdings voraus, dass die Geld- und Fiskalpolitik im Euro-Raum expansiver gestaltet wird als in den letzten Jahren.

Literaturhinweise

Aiginger, K., "Insufficient Investment into Future Growth: the Forgotten Cause of Low Growth in Germany", in Hausen, C., Resenik, M., Schürmann, N., Stierle, M. H., "Determinants of Growth and Business Cycles: Theory, Empirical Evidence and Policy Implications. INFER Annual Conference, September 2003", INFER Research Edition, 2003, (9).

Aiginger, K., "The Economic Agenda: A View from Europe", in Aiginger, K. (Ed.), "Economic Agenda of the 21st Century", Review of International Economics, Special Issue, 2004.

Bertaut, C. C., "Equity Prices, Household Wealth, and Consumption Growth in Foreign Industrial Countries: Wealth Effects in the 1990s", Board of Govenors of the Federal Reserve System, International Finance Discussion Papers, 2002, (724).

Case, K. E., Quigley, J. M., Shiller, R. J., "Comparing Wealth Effects: The Stock Market Versus the Housing Market", Yale University, New Haven, Cowles Foundation Discussion Paper, 2001, (1335).

Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, "Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung 2004/2005", DIW-Wochenbericht 2004, (1-2).

Economic Report of the President, Washington, D.C., 2002.

International Monetary Fund (IMF), World Economic Outlook, Chapter II: Three Essays on How Financial Markets Affect Real Activity, Washington, D.C., 2002.

Mankiw, N. G., "U.S. Monetary Policy During the 1990s", National Bureau of Economic Research, Working Paper, 2001, (8471).

Peersman, G., "What Caused the Early Millenium Slow Down? Evidence Based on Vector Autoregressions", CEPR Discussion Paper, 2003, (4087).

Schulmeister, St., "Wechselkursregime und Wirtschaftsdynamik in der EU", WIFO-Monatsberichte, 1996, 69(3).

Schulmeister, St., "Kaufkraftparitäten des Dollars und des Euro", WIFO-Monatsberichte, 2000, 73(8).

Schulmeister, St., Aktienkursdynamik und Realkapitalbildung in den USA und in Deutschland, WIFO, Wien, 2003.

 

Dynamic Growth Differences in the USA, Germany and other Eurozone Countries - Summary

Ever since the early 1990s, the USA has been growing at a markedly higher rate than the Eurozone, with Germany finding itself at the tail end of growth. Three factors contributed to this development: first, the different impact of stock price dynamics on investment and consumption in the USA and the Eurozone; second, differences in monetary and fiscal policy as pursued by the USA and EU; third, the fluctuations of the dollar/euro (ECU) exchange rate and its impact on exports.

The stock market boom of the 1990s made for a soaring rise in the value of shares held by private households. The effect stimulated consumer demand and thus economic growth in the USA, but had little impact on consumption in the Eurozone. In Germany at least, the boom appears even to have hindered economic growth because companies accumulated enormous numbers of shares, some at least at the expense of productive investment. The subsequent collapse of share prices since 2000 has seriously corroded the financial situation of German companies and their propensity to invest.

Since the early 1990s, macroeconomic policy in the USA has once again been targeting the goals of stabilising the business cycle and promoting economic growth. The Federal Reserve has been steering a markedly countercyclical course for interest rates, and its monetary policy is similarly expansive in the middle term: money market interest rates are typically below the overall rate of economic growth. The ECB, on the other hand, pursues an interest policy focused primarily on the objective of price stability (thereby emulating the Bundesbank and its course until 1999). Accordingly, interest rates are not used as a tool of economic policy. In the medium run, money market interest rates in Germany have been exceeding growth rates, but have been lower in the remaining Eurozone since 1997, a situation caused chiefly by the lower inflation rate prevailing in Germany and, to a secondary extent, lower economic growth which is held back, not least, by relatively high real interest rates.

Fiscal policy, too, has been countercyclical in the USA since the early 1990s, and public sector demand is significantly boosted during low-growth phases. In the medium term, investment, consumption and employment in the public sector have enjoyed similarly brisk growth rates. The same applies to the Eurozone (Germany excepted), although to a weaker extent. In Germany, however, public investment and public employment were cut substantially both during low-growth phases and in the medium run.

The dollar exchange rate fluctuated along basically countercyclical lines, declining during low-growth phases of the US economy (such as the early 1990s or since 2001), and recovering in the boom years of 1996-2000, thus helping to stabilise the US economy. The dollar exchange rate also enhanced the growth of US exports in the long term: as an average of 1986-2003, the dollar was undervalued vis-à-vis the ECU/euro by 11.0 percent. Consequently, US exports gained market shares in the long term, mostly at the cost of the Eurozone.

 

 

 



[a])  Die Analysen und wirtschaftspolitischen Empfehlungen von OECD, IWF und EU-Kommission konzentrieren sich auf zwei Hauptursachen der Wachstumsschwäche in den EU-Ländern und insbesondere in Deutschland: die hohen Lohnnebenkosten, welche in hohem Maß eine Folge zu großzügiger Leistungen des Sozialstaates insbesondere in der Arbeitslosen- und Pensionsversicherung seien, und die vielfältigen Eingriffe in Marktprozesse, insbesondere die Regulierung der Arbeitsmärkte. Dieser Diagnose wird nicht zuletzt deshalb das größte Gewicht beigemessen, weil sich die kontinentaleuropäische Wirtschaftsordnung gerade im Hinblick auf diese beiden Rahmenbedingungen markant von jener der USA unterscheidet.

[b])  Beide Entwicklung trugen dazu bei, dass der Erdölpreis seit 1999 ungeachtet der anhaltenden Wachstumsschwäche nicht mehr nennenswert unter 25 $ je Barrel gesunken ist (siehe dazu auch die Dokumentation "World Oil Market and Oil Price Chronologies" unter http://www.eia.doc.gov/emeu/cabs/chron.html).

[c])  Ökonometrische Evidenz zur Bedeutung des Rohölpreisanstiegs, der Inflationsbeschleunigung und der Zinspolitik für die Wachstumsabschwächung seit 2000 findet sich in Peersman (2003); der Verfall der Aktienkurse als möglicher Dämpfungsfaktor wird in dieser Studie nicht berücksichtigt.

[d])  Um das Ausmaß des Überschießens der Aktienkurse abschätzen zu können, muss ihre Entwicklung mit dem fundamentalen Gleichgewicht verglichen werden; dieses ergibt sich als Gegenwartswert aller für die Zukunft erwarteten Dividenden. Da die Erwartungen über die langfristige Entwicklung der Gewinne der Aktiengesellschaften und über den Zinssatz als Diskontierungsfaktor nicht messbar sind, wird im Folgenden der Fundamentalwert der Aktiengesellschaften durch ihren Nettogesamtwert angenähert, also durch die Differenz zwischen dem Realkapital (zu laufenden Wiederbeschaffungspreisen) und den Nettofinanzverbindlichkeiten (zur Berechnung siehe Schulmeister, 2003).

[e])  Die meisten Studien schätzen, dass in den USA ein Anstieg des Aktienvermögens der Haushalte um 1 $ ihren Konsum um ungefähr 0,05 $ steigert (siehe dazu Bertaut, 2002, IMF, 2002, Chapter 2). Die Effekte von Änderungen des Immobilienvermögens ("housing wealth") auf den Konsum werden deutlich höher eingeschätzt (siehe dazu auch Case - Quigley - Shiller, 2001).

[f])  Der größte Teil des Zuwachses entfiel auf Pensionszahlungen und Arbeitslosenunterstützungen. Letztere nahmen nicht nur wegen der höheren Arbeitslosigkeit zu, sondern auch weil die Bezugsdauer der Unterstützungszahlungen im Dezember 2002 von 26 auf 39 Wochen ausgeweitet wurde.

[g])  Im Euro-Raum wird das Wachstum von Investitionen, Konsum und Beschäftigung im öffentlichen Sektor durch Privatisierungen und Auslagerungen im Zusammenhang mit den Maastricht-Kriterien nach unten verzerrt. Dieser statistische Effekt kann jedoch das Ausmaß der Wachstumsunterschiede zwischen der öffentlichen Nachfrage in den USA, in Deutschland und im übrigen Euro-Raum nicht erklären.

[h])  Die üblicherweise verwendeten Kaufkraftparitäten auf Basis des BIP sind ein verzerrter Indikator der Preisverhältnisse von "tradables", weil die relativen Preise der nicht oder nur wenig gehandelten Dienstleistungen systematisch von jenen der Sachgüter abweichen (Balassa-Samuelson-Theorem). Dies gilt insbesondere für die Kaufkraftparität zwischen Dollar und Euro: So sind in den USA etwa die Dienstleistungen des Bildungs- und Gesundheitswesens (relativ) viel teurer als im Euro-Raum. Im Hinblick auf die preisliche Wettbewerbsfähigkeit ist deshalb der Euro gegenüber dem Dollar in wesentlich höherem Ausmaß überbewertet als auf Basis der Kaufkraftparität des BIP. So betrug die Kaufkraftparität des Euro gegenüber dem Dollar 2003 auf Basis des BIP 1,07, auf Basis von Sachgütern aber nur 0,92 (bei einem Wechselkurs von 1,13 $ war daher der Euro 2003 auf Basis von Sachgütern um 22,8% überbewertet, auf Basis des BIP aber um nur 5,6%; zur Berechnung von Kaufkraftparitäten auf Basis unterschiedlicher Waren- und Dienstleistungskörbe siehe Schulmeister, 2000).