WIFO

Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen

Bestimmungsgründe der Lohnquote und der realen Lohnstückkosten

 

In den letzten Jahrzehnten hat sich die wirtschaftspolitische Diskussion von der Verteilungsperspektive des Lohnanteils am Volkseinkommen zur Standortperspektive der Lohnstückkostenposition verschoben. Die Konzepte dieser beiden Indikatoren sind einander sehr ähnlich. Als wichtigste langfristige Determinanten für die relative Einkommensposition der Arbeitnehmer erweist sich die Lage auf dem Arbeitsmarkt.

Der vorliegende Beitrag beruht auf einer Studie des WIFO im Auftrag der Oesterreichischen Nationalbank und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit: Markus Marterbauer, Ewald Walterskirchen: Bestimmungsgründe der Lohnquote und der realen Lohnstückkosten (2002, 55 Seiten, 40,00 €, Download 32,00 €: http://titan.wsr.ac.at/wifosite/wifosite.get_abstract_type?p_language=1&pubid=22350; Bestellungen bitte an Christine Kautz, Tel. (+43 1) 798 26 01-282, Fax (+43 1) 798 93 86, E-Mail Christine.Kautz@wifo.ac.at) • Begutachtung: Fritz Breuss, Alois Guger • Wissenschaftliche Assistenz: Roswitha Übl • E-Mail-Adressen: Markus.Marterbauer@wifo.ac.at, Ewald.Walterskirchen@wifo.ac.at, uebl@wifo.ac.at

Lohnquote, reale Lohnstückkosten, Reallohnposition

 

INHALT

Lohnquote, reale Lohnstückkosten, Reallohnposition

Kontinuierlicher Rückgang des Lohnanteils am Volkseinkommen

Determinanten der Lohnquotenentwicklung: Konjunktur, Arbeitsmarkt, Inflation

Einfluss der Vermögenseinkommen

Lohnquote nach Sektoren

Zusammenfassung

 

VERZEICHNIS DER ÜBERSICHTEN UND ABBILDUNGEN

Übersicht 1: Lohnquote nach Sektoren. 8

Abbildung 1: Lohnquote in Österreich. 4

Abbildung 2: Bereinigte Lohnquote, reale Lohnstückkosten und Reallohnposition in Österreich. 4

Abbildung 3: Reale Lohnstückkosten und Arbeitslosenquote in Deutschland. 5

Abbildung 4: Bereinigte Lohnquote und Arbeitslosenquote in Österreich. 6

 

 

[1] Mehrere statistische Konzepte sind gebräuchlich, um Verschiebungen der relativen Einkommensposition der Arbeitnehmer zu messen: die Lohnquote, die bereinigte Lohnquote, die realen Lohnstückkosten und die Reallohnposition. Die ersten zwei Indikatoren werden oft für verteilungspolitische Fragen herangezogen. Sie können zwar die Einkommensverteilung zwischen Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit einerseits und solchen aus Besitz und Unternehmung andererseits abbilden, nicht jedoch die Einkommensverteilung zwischen Personen und Personengruppen. Veränderungen der Lohnquote können nicht nur eine Folge der Verschiebung der Einkommensanteile zwischen Lohn- und Gewinneinkommen sein, sondern auch auf die Veränderung des Anteils der Vermögenseinkommen oder den Wandel der Wirtschaftsstruktur zurückgehen.

[2] Die keynesianische Theorie stellt vor allem die Frage nach den gesamtwirtschaftlichen Determinanten und Auswirkungen der Lohnquotenentwicklung und betont dabei Wirtschaftswachstum und Arbeitslosigkeit als entscheidende Faktoren. In einer stark vereinfachten keynesianischen Theorie könnte ein Rückgang der Lohnquote Kaufkrafteinbußen und damit eine Dämpfung des Wirtschaftswachstums bedeuten (Kaufkraftthese).

[3] Die neoklassische Theorie bezieht sich auf die Reallohnposition bzw. die Lohnstückkosten und misst einem Zurückbleiben der Reallohn- hinter der Produktivitätssteigerung eine positive Wirkung auf die Beschäftigung (Substitutionsthese) oder das Wirtschaftswachstum (Gewinnthese) zu. Das Konzept der Reallohnposition wird heute insbesondere in der Standortdiskussion angewandt.

[4] Die verschiedenen Konzepte sind einander sehr ähnlich und eng verwandt: Die realen Lohnstückkosten sind nichts anderes als eine reale bereinigte Lohnquote: Sie entsprechen der bereinigten Lohnquote, multipliziert mit dem Quotienten aus BIP-Deflator und Konsumdeflator. Die realen Lohnstückkosten spiegeln im Gegensatz zur (nominellen) bereinigten Lohnquote auch wider, dass Unternehmer und Arbeitnehmer unterschiedlich von Preissteigerungen betroffen sind. Die Einkommen der Arbeitnehmer werden üblicherweise mit dem Deflator des privaten Konsums, die gesamten volkswirtschaftlichen Einkommen bzw. Leistungen mit dem BIP-Deflator preisbereinigt.

[5] Die Reallohnposition ist wiederum identisch mit den realen Lohnstückkosten, dividiert durch den Quotienten der Deflatoren des BIP und der inländischen Verwendung (Terms-of-Trade-Effekt). Sie berücksichtigt nicht nur die unterschiedliche Inflationsbetroffenheit, sondern auch die Bedeutung der Entwicklung der Export- und Importpreise (Terms-of-Trade) für den Produktivitätsspielraum. Gleichzeitig entspricht die Reallohnposition der bereinigten Lohnquote, multipliziert mit dem Quotienten aus inländischer Verwendung und Deflator des privaten Konsums. Die unterschiedliche Inflationsbetroffenheit  und der Terms-of-Trade-Effekt  kürzen sich auf den obigen Quotienten  (siehe Kasten "Unterschiedliche Konzepte zur Messung von Verschiebungen der relativen Einkommensposition der Arbeitnehmer").

 

Unterschiedliche Konzepte zur Messung von Verschiebungen der relativen Einkommensposition der Arbeitnehmer

Lohnquote

LQ           =             

Bereinigte Lohnquote

LQB         =             

                =             

Reale Lohnstückkosten1)

     =             

                =             

                =             

wenn

Y              =              VE

Reallohnposition1)

RLP         =             

                =             

                =             

                =             

LQB . . . bereinigte Lohnquote, RLP . . . Reallohnposition,  . . . Lohnstückkosten, LG . . . Lohn- und Gehaltssumme (einschließlich Arbeitgeberbeiträge), VE . . . Volkseinkommen, UNS . . . unselbständig Erwerbstätige, ERW . . . Erwerbstätige, Y . . . Bruttoinlandsprodukt,  . . . BIP-Deflator,  . . . Deflator des privaten Konsums,  . . . Deflator der inländischen Verwendung, r . . . real.

                       

1) In Indexform gerechnet.

 

Kontinuierlicher Rückgang des Lohnanteils am Volkseinkommen

[6] Die Entwicklung der Lohnquote zeigt in den letzten Jahrzehnten ein charakteristisches Muster: Bis Anfang der achtziger Jahre stieg die bereinigte Lohnquote, seither geht sie kontinuierlich zurück. Dieses Muster gilt nicht nur für Österreich, sondern für alle EU-Staaten. Der internationale Einklang deutet bereits darauf hin, dass die Entwicklung nicht auf "willkürliches" Gewerkschaftsverhalten in einzelnen Ländern, sondern auf gemeinsame Ursachen zurückgeht.

In allen EU-Staaten geht die bereinigte Lohnquote seit Anfang der achtziger Jahre zurück. Das gleiche gilt für die realen Lohnstückkosten. Sie sanken in Europa deutlicher als in den USA.

[7] In Österreich erhöhte sich die unbereinigte Lohnquote in den siebziger Jahren deutlich: von 68% im Jahr 1970 auf 79% im Jahre 1981, danach ging sie tendenziell zurück bis auf rund 73% im Jahr 2000. Diese Entwicklung hat jedoch nur geringe Aussagekraft, weil sie mit einer merklichen Verschiebung des Anteils der Selbständigen verbunden war. Dieser verringerte sich nach WIFO-Berechnungen von 22% im Jahr 1970 auf 11% im Jahr 2000, nach VGR-Daten (einschließlich geringfügig Erwerbstätiger) von 31% auf 18%. Die langfristige Abnahme des Anteils der Selbständigen an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen spiegelt in erster Linie die Abwanderung aus der Landwirtschaft wider. Mitte der neunziger Jahre scheint jedoch der Rückgang der Selbständigenquote zum Stillstand gekommen zu sein.

[8] Aussagekräftiger als die unbereinigte Lohnquote ist in jedem Fall die Entwicklung der um Verschiebungen der Struktur der Erwerbstätigen bereinigten Lohnquote. Diese weist seit 1978 einen deutlich sinkenden Trend auf (-0,8 Prozentpunkte pro Jahr).

 

Abbildung 1: Lohnquote in Österreich

In % des Volkseinkommens

Q: Statistik Austria. - 1) Um die Veränderung des Anteils der unselbständig Beschäftigten an den Erwerbstätigen gegenüber dem Basisjahr 1970.

 

 

 

Abbildung 2: Bereinigte Lohnquote, reale Lohnstückkosten und Reallohnposition in Österreich

Q: Statistik Austria, WIFO.

 

[9] Die Reallohnposition bietet das gleiche Bild wie die bereinigte Lohnquote (Abbildung 2). Nur in der ersten und zweiten Erdölpreiskrise ging die Entwicklung der Reallohnposition entsprechend der Berechnungsmethode über jene der Lohnquote hinaus. Nach dem Konzept der Reallohnposition mindern die Terms-of-Trade-Verluste den Reallohnspielraum. Die tatsächlichen Reallohnsteigerungen schießen deshalb über den verfügbaren Produktivitätsspielraum hinaus.

[10] Die realen Lohnstückkosten, welche die Terms-of-Trade-Effekte außer Acht lassen, sanken in Österreich seit 1980 um 15%, seit 1990 um 9%. Der Rückgang fiel etwas stärker aus als in Deutschland (-13% bzw. -7%) und im EU-Durchschnitt (-12% bzw. -6%). Die Realeinkommensteigerungen der Arbeitnehmer blieben also in beiden Jahrzehnten deutlich hinter dem Fortschritt der Arbeitsproduktivität zurück.

[11] Die Reallohnposition hat sich auch in Deutschland in den achtziger und neunziger Jahren stark verschlechtert, die realen Lohnstückkosten sanken deutlich (Abbildung 3). Gerade in Deutschland, wo besonders vehement über die Löhne als Ursache der hohen Arbeitslosigkeit geklagt wird, gingen die realen Lohnstückkosten sogar etwas stärker zurück als im EU-Durchschnitt. Trotz dieses markanten Zurückbleibens der Reallohnentwicklung hinter dem Produktivitätsfortschritt war die Arbeitsmarktlage in Deutschland in den neunziger Jahren enttäuschend.

 

Abbildung 3: Reale Lohnstückkosten und Arbeitslosenquote in Deutschland

Q: Statistisches Bundesamt Wiesbaden, WIFO.

 

[12] In der EU ist die gleiche Entwicklungstendenz der bereinigten Lohnquote wie in Österreich und Deutschland zu beobachten. Nach einem Anstieg in den siebziger Jahren (bei guter Arbeitsmarktlage) und einem Rückgang in den achtziger und neunziger Jahren liegt die bereinigte Lohnquote heute um gut 2 Prozentpunkte unter dem Wert von 1970 und ist um 7 Prozentpunkte niedriger als ihr Höchstwert von 1981.

[13] Zwischen 1980 und 1999 sanken die realen Lohnstückkosten in der EU um 12%, merklich stärker als in den USA. Dennoch war die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt völlig unterschiedlich, weil die Wirtschaft in den USA viel kräftiger wuchs als in der EU und in Deutschland - wofür nicht Kostenfaktoren, sondern hauptsächlich der raschere technologische Fortschritt (Informations- und Kommunikationstechnologien) maßgebend war.

[14] Die Unterschiede zwischen der Entwicklung der Lohnstückkosten werden primär vom Produktivitätsfortschritt geprägt. Dieser weicht von Land zu Land viel stärker ab als die Reallohnveränderung. In Irland, Finnland und Schweden etwa stieg die Produktivität in den neunziger Jahren um 25% bis 35%. Die Realeinkommen nahmen in Finnland und Schweden ähnlich wie im EU-Durchschnitt (+8%) zu. In den meisten EU-Staaten (mit Ausnahme von Italien) erhöhten sich die Reallöhne in den neunziger Jahren um 5% bis 10%, die Produktivität dagegen um 10% bis 30%. Kräftiges Wirtschaftswachstum, meist von technischer Innovation oder Nachfragebelebung induziert, treibt den Produktivitätsfortschritt an, und dieser hat eine Verringerung der realen Lohnstückkosten zur Folge. EIne Verringerung der Arbeitslosenquote wirkt dem entgegen, indem sie die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stärkt.

Determinanten der Lohnquotenentwicklung: Konjunktur, Arbeitsmarkt, Inflation

Ein Rückgang der Lohnquote wird kurzfristig vor allem durch rasches Wirtschafts- und Produktivitätswachstum im Konjunkturaufschwung und rückläufigen Preisauftrieb bestimmt; langfristig bildet ein Anstieg der Arbeitslosenquote, der mit sinkender Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer verbunden ist, eine entscheidende Determinante.

[15] Die Entwicklung der bereinigten Lohnquote als Kennzahl der funktionellen Einkommensverteilung und jene der Reallohnposition als Standortindikator unterliegen vielfältigen Bestimmungsgründen. Als entscheidend erscheinen der Konjunkturzyklus, die Lage auf dem Arbeitsmarkt und die Preisentwicklung:

[16] Der Einfluss der Konjunktur ("Kaldor-Effekt") wird durch das BIP-Wachstum abgebildet. Die Konjunktur erklärt vor allem die kurzfristigen Schwankungen der Lohnquote, die mittelfristigen Trends der Lohnquote werden durch die Arbeitsmarktlage ("Quasi-Phillips-Kurven-Effekt") bestimmt. Eine Zunahme der Arbeitslosenquote drängt die gewerkschaftliche Lohnpolitik in die Defensive und lässt überdies kaum Spielraum für eine positive Lohndrift.

[17] Die Entwicklung der bereinigten Lohnquote und der realen Lohnstückkosten wird überdies kurzfristig durch Preisschwankungen bestimmt. Die Rohwaren- und Erdölmärkte treiben oft die Import- und Verbraucherpreise in die Höhe; die Löhne folgen dieser Entwicklung mit einer gewissen Verzögerung, weil sich die Gewerkschaften bemühen, Reallohnverluste auszugleichen. Dieser Faktor wird in den Gleichungen (1) bis (10) durch die verzögerte Inflationsrate bzw. Entwicklung der Nominallöhne abgebildet. In der Lohnentwicklung spiegelt sich auch der autonome Einfluss der Gewerkschaftspolitik.

 

Abbildung 4: Bereinigte Lohnquote und Arbeitslosenquote in Österreich

In %

Q: Statistik Austria, WIFO.

 

[18] Mit Hilfe einer Reihe von Regressionsgleichungen wurde versucht, den Einfluss der drei Variablen - Konjunktur, Arbeitsmarktlage und Preisentwicklung - auf die Veränderung der bereinigten und unbereinigten Lohnquote sowie der Reallohnposition zu schätzen. Alle drei erklärenden Variablen sind signifikant und weisen das zu erwartende Vorzeichen auf. Die drei Determinanten können im Zeitraum zwischen 1970 und 2000 etwa 40% bis 80% der Veränderung der bereinigten Lohnquote in Österreich erklären (siehe Kasten "Abbildung des Einflusses von Konjunktur, Arbeitsmarktlage und Preisentwicklung auf die Veränderung der Lohnquote und der Reallohnposition").

[19] Die Konjunkturkomponente ist in diesen Berechnungen hoch signifikant. In Aufschwungphasen sinkt die bereinigte Lohnquote, weil die Reallohnsteigerungen zunächst hinter den Produktivitätssteigerungen zurückbleiben. In Rezessionsjahren steigt hingegen die Lohnquote, weil die Gewinne der Unternehmen stärker von einer Verringerung der Kapazitätsauslastung betroffen sind als die Löhne und Gehälter. In allen untersuchten Rezessionsjahren (1975, 1981/82, 1993 und 2001) nahm die bereinigte Lohnquote deutlich zu (Abbildung 1). Eine Beschleunigung des Wirtschaftswachstums im Konjunkturverlauf um 1 Prozentpunkt geht im Durchschnitt der letzten drei Jahrzehnte in den meisten Gleichungen mit einem Rückgang der bereinigten Lohnquote um 0,4 bis 0,7 Prozentpunkte einher.

[20] Auch zwischen der Veränderung der Arbeitslosenquote und der Lohnquote besteht ein sehr enger Zusammenhang. Ein Anstieg der Arbeitslosenquote um 1 Prozentpunkt verringert die bereinigte Lohnquote in den meisten Gleichungen um 1 bis 1¼ Prozentpunkte. Besonders bemerkenswert ist, dass der Trend der bereinigten Lohnquote - Zunahme in den siebziger Jahren, Sinken in den achtziger und neunziger Jahren - umgekehrt zum Trend der Arbeitslosenquote verläuft. Abbildung 4 zeigt dies deutlich.

 

Abbildung des Einflusses von Konjunktur, Arbeitsmarktlage und Preisentwicklung auf die Veränderung der Lohnquote und der Reallohnposition

(1)                =              +              0,29-0,39 -1,14 +0,18 R² = 0,42,                DW = 2,02

(27)(48)(49)

(2)                =+0,33-0,43 +1,07 +0,18             R² = 0,51 DW = 2,27

(23)(31)(24)

(3)                =-0,05-0,40 +1,15 +0,22 -0,36       R² = 0,63 DW = 1,71

(22)(26)(32)(35)    

(4)                =              +              0,09-0,59 -1,12 +0,24         R² = 0,66 DW = 2,04

(16)(40)(19)

(5)                =              +              0,49-0,67 +1,26 +0,20         R² = 0,77 DW = 2,34

(12)(21)(17)

(6)                =              +              0,26-0,64 +1,20 +0,21 -0,26 R² = 0,84 DW = 1,77

(11)(19)(14)(31)

(7)                 =              +              0,32-0,47 -2,46 +0,28 R² = 0,37 DW = 1,90

(36)(36)(49)

(8)                 =+0,09-0,93 +2,36 +0,40 -0,21              R² = 0,89 DW = 1,84

(9)(12)(10)(33)

(9)              =+0,20-0,50 -2,41 +0,29             R² = 0,37 DW = 1,82

(35)(38)(47)

(10)            =+0,65-0,87 +3,01 +0,43               R² = 0,61 DW = 1,71

(19)(19)(26)

LQB . . . bereinigte Lohnquote, absolute Veränderung, RLP . . . Reallohnposition, relative Veränderung,  . . . reale Lohnstückkosten, relative Veränderung, Y . . . Wirtschaftswachstum, AL . . . Arbeitslose (laut AMS) in % der Erwerbspersonen, absolute Veränderung, BQ . . . Beschäftigte in % der Bevölkerung (15- bis 64-Jährige),  . . . Deflator des privaten Konsums, VPI . . . Inflationsrate, W . . . Pro-Kopf-Einkommen, relative Veränderung: Lohn- und Gehaltsumme einschließlich der Arbeitgeberbeiträge, dividiert durch die Zahl der unselbständig Erwerbstätigen (laut VGR); kursive Zahlen in Klammer . . . Standardabweichung in %des Regressionskoeffizienten (ein Wert unter 50 zeigt ein hohes Signifikanzniveau an).

 

[21] Da die Arbeitslosigkeit in Österreich sehr stark von institutionellen und arbeitsmarktpolitischen Einflüssen (wie der Zahl der Frühpensionierungen oder der in Schulung stehenden Arbeitslosen) geprägt ist, kann als alternative Arbeitsmarktvariable statt der Arbeitslosenquote die Entwicklung der Beschäftigungsquote (Beschäftigung in Prozent der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren) herangezogen werden. Der Erklärungswert der Gleichung verbessert sich dadurch spürbar. Eine Erhöhung der Beschäftigungsquote um 1 Prozentpunkt geht mit einem Anstieg der bereinigten Lohnquote um 1 bis 1¼ Prozentpunkte einher.

[22] Das Hinzufügen einer eigenen Preisvariablen erscheint sinnvoll, weil die Lohnpolitik grundsätzlich eine Abgeltung der Preissteigerungen und eine Beteiligung am Produktivitätsfortschritt anstrebt. Die Löhne reagieren gewöhnlich mit Verzögerung auf Preisveränderungen, diese wiederum folgen den Outputschwankungen und vor allem den Fluktuationen auf den Rohwaren- und Erdölmärkten mit einem gewissen Lag. Das Ausmaß der Einbeziehung von unerwarteten Preiserhöhungen in die Lohnforderungen dürfte aber zwischen verschiedenen Ländern und Lohnverhandlungsstrukturen sehr unterschiedlich sein. Ein Anstieg der Verbraucherpreise um 1% erhöhte in der Vergangenheit in Österreich die bereinigte Lohnquote mit einer Verzögerung von einem Jahr um 0,2 Prozentpunkte.

[23] Als Alternative zur Inflationsrate kann auch eine Lohnvariable verwendet werden. Eine Anhebung der Nominallöhne hat in den Gleichungen positiven Einfluss auf die Lohnquote, sie wird also kurzfristig nicht voll durch Preiserhöhungen ausgeglichen. Ein Anstieg der Pro-Kopf-Löhne um 1% löst eine Reaktion der Lohnquote um etwa +¼ Prozentpunkt aus. Die Signifikanz der Lohnvariablen ist erwartungsgemäß höher als jene der Inflationsrate, weil damit auch autonome Lohnsteigerungen durch Gewerkschaftspolitik, Lohndrift und Strukturverschiebungen, die über die Inflationsabgeltung hinausgehen, erfasst sind.

[24] Wie bereits gezeigt, können die Indikatoren "reale Lohnstückkosten" und "Reallohnposition" als eine reale bereinigte Lohnquote verstanden werden. Die relative Veränderung der Reallohnposition bzw. der realen Lohnstückkosten lässt sich deshalb mit den gleichen drei Faktoren wie die Lohnquote erklären. Der Fit der Gleichungen ist meist etwas schlechter als jener der Lohnquotengleichung. Dies dürfte mit Datenproblemen (z. B. Fehlen einer Statistik der Außenhandelspreise) zusammenhängen.

Einfluss der Vermögenseinkommen

[25] Die Entwicklung der Lohnquote wird auch von jener der Besitzeinkommen bestimmt. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung nach dem ESVG 1995 erlaubt keine detaillierte Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen der Einkünfte aus Besitz und Unternehmung. Wünschenswert wäre insbesondere eine Aufspaltung in Unternehmenserträge und Besitzeinkommen. Diese beiden Einkommensarten unterliegen sehr unterschiedlichen ökonomischen Determinanten, und auch die wirtschaftlichen Auswirkungen einer unterschiedlichen Entwicklung der beiden Einkommenskomponenten sind von erheblichem makroökonomischen Interesse. Da solche Daten fehlen, wird hier auf die "alte" VGR nach dem ESVG 1979 zurückgegriffen, welche die Differenzierung nach Besitz- und Gewinneinkommen erlaubt.

Der Anstieg der Einkommen aus Vermietung und Verpachtung und der Zinserträge trug in Österreich zum Rückgang der Lohnquote erheblich bei.

[26] Gemäß dieser Rechnung stiegen von 1980 bis 1997 die Besitzeinkommen rascher als die Gewinne. Der Anteil der Besitzeinkommen an den gesamten Einkünften aus Besitz und Unternehmung erhöhte sich von 18% auf 23%. Dies geht in erheblichem Ausmaß auf den Anstieg der Einkommen aus Vermietung und Verpachtung zurück. Wesentliche Elemente der Zunahme der Besitzeinkommen sind auch die hohen Zinssätze Anfang der achtziger und neunziger Jahre und die Entwicklung auf den Kapitalmärkten generell. Die Hochzinspolitik nach dem Übergang zur monetaristischen Geldpolitik hatte eine Änderung der Einkommensverteilung zwischen Unternehmern und Vermögensbesitzern zur Folge. Dies weist auf einen wesentlichen - und auch kurzfristig wirksamen - Einfluss der Entwicklung des Zinssatzes auf jene der gesamten Besitzeinkommen hin.

[27] Die hohe Dynamik der Besitzeinkommen prägte die Entwicklung der Lohnquote vor allem in den achtziger Jahren entscheidend. Abstrahiert man vom Anteil der Besitzeinkommen am Volkseinkommen und verteilt dieses nur auf Lohn- und Gewinneinkommen, dann entwickelte sich die unbereinigte Lohnquote (laut ESVG 1979) ganz anders: Der Anstieg in den siebziger Jahren fiel deutlich markanter aus - die Lohnquote erreichte im Jahr 1981 79%. Abgesehen von kleinen Schwankungen blieb die unbereinigte Lohnquote auf diesem Niveau (1993 80%). Bis 1997 ging sie dann merklich zurück (76%). Die Nettolohnquote verringerte sich noch deutlicher, weil die Steuerbelastung des Faktors Arbeit stärker stieg als die Gewinnbesteuerung.

Lohnquote nach Sektoren

[28] Der Lohnanteil am Gesamteinkommen unterscheidet sich zwischen den verschiedenen Sektoren und Branchen erheblich. Lohnquoten im traditionellen Sinn können allerdings für die einzelnen Branchen wegen des Fehlens von spezifischen Daten für Abschreibungen u. a. nicht berechnet werden. Übersicht 1 zeigt den Anteil der Arbeitnehmerentgelte an der gesamten Bruttowertschöpfung. Dieser beträgt für die Gesamtwirtschaft 55% und hat sich seit 1988 nur geringfügig verändert. Der Anteil der Arbeitnehmerentgelte differiert zwischen den Branchen und Sektoren beträchtlich. Am höchsten ist er im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen mit stabil etwa 80%. Überdurchschnittlich ist er auch in der Sachgütererzeugung. Dort verringerte er sich allerdings von 67% Ende der achtziger Jahre auf 58% im Jahr 2000. In der Bauwirtschaft entspricht der Lohnanteil etwa dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt und ist in der jüngsten Vergangenheit ebenfalls merklich gesunken. Deutlich niedriger ist er im Bereich der privaten Dienstleistungen mit nur etwa 45%, er ist auf diesem Niveau allerdings stabil.

 

Übersicht 1: Lohnquote nach Sektoren

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Land- und Forstwirtschaft

Sachgütererzeugung

Energieversorgung

Bauwesen

Private Dienstleistungen

Öffentliche Dienstleistungen

Nachrichtenübermittlung

Unternehmensbezogene Dienstleistungen

Gesamtwirtschaft

 

Tatsächlich

Hypothetisch1)

 

Arbeitnehmerentgelte in % der gesamten Bruttowertschöpfung

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1988

8,8

66,8

40,0

60,1

47,2

80,0

55,7

58,6

57,8

57,8

1989

8,4

66,7

40,7

62,5

46,5

79,0

54,6

56,2

57,3

57,4

1990

7,5

65,5

44,3

63,1

45,8

78,9

53,2

54,2

56,7

56,9

1991

8,2

66,7

46,4

61,8

45,9

78,8

52,9

52,1

57,2

57,2

1992

8,9

68,1

46,9

63,4

45,5

78,4

51,4

51,0

57,5

57,4

1993

9,2

69,5

44,5

63,9

46,1

77,8

50,0

52,5

58,0

57,9

1994

8,8

68,0

45,9

61,7

45,9

77,5

47,9

53,1

57,5

57,3

1995

9,4

65,4

45,3

61,6

46,2

76,7

47,9

51,5

57,0

56,7

1996

9,0

63,8

44,1

58,5

45,1

76,4

46,0

50,6

55,9

55,6

1997

9,1

62,1

48,6

58,8

44,4

79,8

50,8

48,3

55,8

55,7

1998

9,1

61,7

47,3

58,5

44,6

79,3

51,4

46,8

55,7

55,6

1999

10,0

60,8

47,3

57,9

45,4

80,9

53,5

46,0

56,3

56,0

2000

9,7

57,7

49,1

58,1

45,1

80,7

58,1

49,8

55,4

55,2

Q: Statistik Austria, WIFO. - 1) Ohne Verschiebungen der Sektorstruktur, mit konstanten Wertschöpfungsanteilen von 1988 gerechnet.

 

[29] Die Unterschiede zwischen dem Lohnanteil in der Sachgüterproduktion und in den privaten Dienstleistungsbranchen werden vor allem durch die Betriebsgröße bestimmt. Zwar ist die Kapitalintensität in der Industrie merklich höher, im Dienstleistungsbereich gibt es allerdings eine viel größere Zahl an Selbständigen. Der Lohnanteil an der Wertschöpfung übersteigt in den Sektoren der "New Economy" (Wirtschaftsdienste, Telekommunikation) jenen in den anderen privaten Dienstleistungsbereichen, bleibt aber unter den Werten der Sachgütererzeugung.

[30] Der Strukturwandel von der Landwirtschaft zur Sachgüterproduktion hob deshalb in den fünfziger und sechziger Jahren die Lohnquote an. Der langfristige Strukturwandel von der Sachgütererzeugung zum privaten Dienstleitungssektor drückt hingegen die Lohnquote. Diese Strukturveränderung geht allerdings nur relativ langsam vor sich. Berechnet man eine Lohnquote unter der Annahme konstanter Wertschöpfungsanteile auf der Basis von 1988, dann ergibt sich nur eine geringfügige Niveauverschiebung. Selbst unter dieser Annahme liegt die Lohnquote bei 55%.

Zusammenfassung

[31] Eine hohe und steigende Arbeitslosenquote bildet langfristig die wichtigste Determinante eines Rückgangs der bereinigten Lohnquote am Volkseinkommen bzw. der realen Lohnstückkosten. Auch das Wirtschaftswachstum hat entscheidenden Einfluss. Eine Ausweitung der Investitionen hat eine Zunahme der Gewinnquote zur Folge. In den europäischen Ländern mit dem raschesten Wirtschafts- und Produktivitätswachstum (Irland, Finnland, Schweden) gingen die realen Lohnstückkosten am stärksten zurück. Der Inflationsrate kommt Bedeutung für die kurzfristige Entwicklung der Lohnquote zu, weil die Arbeitnehmer versuchen, unerwartete Preiserhöhungen durch höhere Lohnforderungen auszugleichen.

Determinants of Wage Share and Real Unit Labour Costs - Summary

In the long term, it is high and increasing unemployment which constitutes the key determinant for a decline in the adjusted wage share and the real unit labour costs. Economic growth plays a similarly important role. Higher investment will increase the profit share. Countries whose economy and productivity grew fastest (Ireland, Finland, Sweden) saw their real unit labour costs plunge deepest. The inflation rate affects the wage share in the short term because employees will attempt to compensate for unexpected price increases by demanding higher wages.