FIW Policy Brief Nr. 23: Warum die Neue Industriepolitik die Deindustrialisierung beschleunigen wird

Der anhaltende Produktivitätsvorsprung der USA und die zunehmende Konkurrenz aus den Schwellenländern lösen in Europa seit Mitte der 1990er-Jahre eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen der Wettbewerbsfähigkeit aus. Höhepunkt ist der jüngste Appell der Europäischen Kommission zur Reindustrialisierung verbunden mit dem Ziel eines Anteils der Industrie an der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung von 20%. Vor diesem Hintergrund stellt dieser Beitrag die Frage, ob der Strukturwandel von der Sachgütererzeugung hin zu den Dienstleistungen grundsätzlich umkehrbar ist. Einzelne Volkswirtschaften können zwar durch komparative Vorteile im internationalen Handel ihren Industrieanteil erhöhen, insgesamt wird die Deindustrialisierung aber von der mit steigendem Einkommen unterdurchschnittlich wachsenden Nachfrage und der überdurchschnittlich steigenden Produktivität in der Erzeugung von Sachgütern bestimmt. Eine passive, auf Handelsbeschränkungen gerichtete Politik ist nicht wünschenswert und aufgrund der zunehmenden weltweiten Verflechtungen auch praktisch immer schwieriger umzusetzen. Eine aktive, das Produktivitätswachstum stärkende Industriepolitik ist hingegen notwendig und sinnvoll. Paradoxerweise wird sie aber entgegen der Zielsetzung der Europäischen Union langfristig den Rückgang des Anteils der Industrie an den gesamtwirtschaftlichen Einkommen nicht umkehren, sondern beschleunigen.