23.10.2023

Umverteilung durch den Staat in Österreich

Video: WIFO präsentiert von BKA, BMGSPK und OeNB geförderte Studie
"Die Umverteilung über Steuern, Sozialbeiträge und öffentliche Geld- und Sachleistungen führt in Österreich zu einer deutlich gleichmäßigeren Verteilung der Ressourcen auf die Bevölke­rung", stellte WIFO-Direktor Gabriel Felbermayr im Rahmen einer Pressekonferenz mit Studienleiterin Silvia Rocha-Akis (WIFO) und Sozialminister Johannes Rauch anlässlich der Präsentation der WIFO-Studie "Umverteilung durch den Staat in Österreich" am 23. Oktober 2023 fest.

Die Studie wurde aus Mitteln des Bundeskanzleramtes (BKA), des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) und der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) gefördert. Der Fokus der WIFO-Analyse von Silvia Rocha-Akis, Jürgen Bierbaumer, Benjamin Bittschi, Julia Bock-Schappelwein, Martina Einsiedl, Marian Fink, Michael Klien, Simon Loretz und Christine Mayrhuber liegt entsprechend der jüngsten verfügbaren und verknüpfbaren Daten für Österreich unter Berücksichtigung der alle fünf Jahre durchgeführten Konsumerhebung auf dem Jahr 2019 und der Entwicklung zwischen 2005 und 2019.

"Diese umfassende Studie verdeutlicht, wie wichtig sozialpolitische Maßnahmen für Chancengleichheit in unserer Gesellschaft sind. Durch die staatliche Umverteilung reduzieren wir die Armut in unserer Gesellschaft nachhaltig, wir bieten Kindern eine Perspektive, jenseits ihrer sozialen Herkunft. Doch gerade jetzt ist diese Studie ein Arbeitsauftrag, die Schwächsten in unserer Gesellschaft nicht zu vergessen. Die automatische Valorisierung der Sozialleistungen ist ein Beispiel für die zahlreichen Maßnahmen der Regierung, die jenen helfen, die es dringend brauchen", erklärte Sozialminister Johannes Rauch.

"Die Einkommensungleichheit gemessen am Gini-Koeffizienten halbierte sich durch Umverteilung von 0,466 (Markteinkommen) auf 0,213 (Sekundäreinkommen), die Armutsgefährdungsquote sank zwischen Markt- und verfügbarem Einkommen von 33,7% auf 13,9% der Bevölkerung. Ein ähnlicher Effekt zeigte sich für die Jahre 2005, 2010 und 2015", so Rocha-Akis. Der Gini-Koeffizient misst den Grad der Ungleichheit. Je näher der Wert bei 0 liegt, desto gleicher ist die Verteilung, je näher er bei 1 liegt, desto ungleicher ist sie.

Ohne Pensionen dominieren Sachleistungen die Umverteilung

Öffentliche Leistungen und Abgaben trugen in sehr unterschiedlichem Maße zur Verringerung der Einkommensungleichheit bei. 38% der Umverteilung ging auf die Wirkung der gesetzlichen Bruttopensionen zurück. An zweiter Stelle folgten die wohlfahrtsstaatlichen Sachleistungen (33%), wobei die Gesundheitsleistungen knapp ein Fünftel (18%), die Bildungsleistungen 10% und die verbleibenden Sachleistungen (Bereich Familie, Wohnen und Arbeitslosigkeit) 5% beitrugen. An dritter Stelle standen die direkten Abgaben (22%). Die öffentlichen monetären Leistungen trugen insgesamt 13% zur Verringerung der Ungleichheit bei, wobei die Leistungen nach dem Versorgungsprinzip (insbesondere die direkten Familiengeldleistungen und das Pflegegeld) 6% und die Leistungen nach dem Versicherungsprinzip (u. a. Leistungen der Arbeitslosenversicherung) 5% ausmachten. Die Leistungen nach dem Fürsorgeprinzip (insbesondere die bedarfsorientierte Mindestsicherung bzw. Sozialhilfe) trugen nur zu 2% zur Umverteilung bei. Die indirekten Steuern wirkten ungleichheitsverstärkend (–6%).

Große Teile der Bevölkerung profitieren von Umverteilung

Ohne Berücksichtigung der gesetzlichen Bruttopensionen finanzierte die obere Hälfte der Einkommensverteilung die Umverteilung, von der die untere Hälfte profitierte. Einschließlich der Pensionen ergab sich für die meisten Einkommensgruppen ein positiver Saldo, nur die oberen 20% waren im Durchschnitt Nettozahler:innen, insbesondere die obersten 10%. "Dies ist eine Folge der hohen Konzentration der Markteinkommen und der progressiven Einkommensbesteuerung. Dennoch gibt es in allen Einkommensgruppen sowohl Nettozahler:innen als auch ‑empfänger:innen", so Rocha-Akis.

Zunehmende Einkommenspolarisierung zwischen jüngeren und älteren Haushalten

In der längerfristigen Betrachtung fielen die starken Anteilsverschiebungen zwischen 2005 und 2010 bei den Personen in jungen Haushalten (Hauptverdienende bis 35 Jahre) mit Kindern auf: 2005 befanden sich 46% der Personen im unteren Drittel der Primäreinkommensverteilung, 2010 betrug der Anteil 58% und blieb bis 2019 nahezu unverändert. Der Anteil im oberen Einkommensdrittel hatte sich sukzessive von 19% (2005) auf 7% (2019) mehr als halbiert. Das dürfte damit zusammenhängen, dass sich die realen Primäreinkommen für diese Gruppe besonders schwach entwickelt haben.

Grundsätzlich lässt sich die Tendenz erkennen, dass die Bevölkerung in Haushalten mit Hauptverdienenden unter 45 Jahren (mit und ohne Kinder) immer häufiger im unteren Drittel der Primäreinkommensverteilung zu finden ist. Der Anteil der Bevölkerung in Haushalten mit Hauptverdienenden über 65 Jahren stieg vom unteren zum mittleren Einkommensdrittel um 8 Prozentpunkte. Trotzdem die Umverteilung zu den Haushalten mit Kindern diese Entwicklungen dämpften, zeigte sich die Divergenz zwischen jüngeren und älteren Haushalten auch entlang der Verteilung der Sekundäreinkommen.

Steigende Armutsgefährdung bei jüngeren Haushalten

Insgesamt sank die Armutsgefährdung gemessen am verfügbaren Einkommen zwischen 2005 und 2019 tendenziell (‑0,4 Prozentpunkte). Für Personen in jungen Haushalten mit Kindern stieg sie um +4,6 Prozentpunkte auf 25%; für Personen in Haushalten mittleren Alters (Hauptverdienenden zwischen 36 und 45 Jahren) um +4,5 Prozentpunkte auf 17%. In Haushalten mit über 65-jährigen Hauptverdienenden sank die Quote um 6,3 Prozentpunkte auf 11%. Bei den anderen Haushalten waren die Veränderungen weniger ausgeprägt.

Auch das Armutsrisiko von Kindern in jüngeren Haushalten ist im Vergleich zu Kindern in Haushalten mit älteren Hauptverdienenden im Zeitverlauf deutlich gestiegen. Im Jahr 2019 war der Anteil armutsgefährdeter Kinder in jungen Haushalten fast dreimal so hoch und in Haushalten mittleren Alters doppelt so hoch wie in Haushalten mit einem Hauptverdienenden zwischen 46 und 65 Jahren.

Reformen und demografische Veränderungen beeinflussen die Umverteilung

Ein längerer Verbleib im Erwerbsleben, u. a. aufgrund früherer Pensionsreformen, führt bei Haushalten mit einem Hauptverdienenden bis 64 Jahren zu einem starken Rückgang des Umverteilungsbeitrags der gesetzlichen Bruttopensionen bei gleichzeitigem Anstieg des Umverteilungsbeitrags der direkten Abgaben. In der Struktur der öffentlichen Ausgaben für Familien verringert sich das Gewicht der monetären Familienleistungen u. a. aufgrund des realen Wertverlusts bei direkten Geldleistungen (‑11%) zugunsten der Aufwendungen für institutionelle Kinderbetreuung (mehr als verdoppelt) und für steuerliche Begünstigungen (mehr als verdreifacht; Familienbonus), von denen Familien im mittleren und oberen Einkommensdrittel stärker profitieren. "Mit der Valorisierung der Geldleistungen seit 2023 dürfte sich diese Entwicklung etwas abschwächen. Eine Beseitigung der Zugangsbarrieren zu Kinderbetreuung für einkommensschwache Haushalte und ausreichende Mittel für entgeltlose bzw. leistbare Krippen- und Kindergartenplätze bereitzustellen, würde den Umverteilungsbeitrag der Familienleistungen und die soziale Mobilität erhöhen", so Rocha-Akis.

Die Abbildungen stehen Ihnen hier als Excel-Datei zum Download zur Verfügung.

Auf der neuen WIFO-Themenplattform "Verteilung" finden Sie weitere wissenschaftliche Arbeiten zu verteilungspolitisch relevanten Themen: https://www.wifo.ac.at/themen/verteilung.

Mag. Dr. Silvia Rocha-Akis
Arbeitsmarktökonomie, Einkommen und soziale Sicherheit