03.03.2022

Entkoppelung von Handelsbeziehungen

Russland hat langfristig deutlich mehr zu verlieren als USA und Alliierte
Die russische Volkswirtschaft würde durch eine Entkoppelung ihrer Handelsbeziehungen von den USA und ihren Partnern langfristig deutlich stärker in Mitleidenschaft gezogen als die der Alliierten. Russlands Wirtschaftsleistung würde in einer Modellierung auf längere Sicht jährlich um knapp 10% geringer ausfallen, als wenn die Handelsbeziehungen fortbestünden. Die Alliierten hätten dagegen in diesem Zeithorizont deutlich geringere Einbußen zu beklagen.

Die Einschätzungen ergeben sich aus einer Modellsimulation, die jetzt in einem gemeinsamen Arbeitspapier von Forschern des Kiel Institutes für Weltwirtschaft (IfW Kiel) und des Österreichischen Institutes für Wirtschaftsforschung (WIFO) veröffentlicht wurde. "Ein Handelskrieg zwischen Russland sowie den USA und ihren Verbündeten würde Russlands Wirtschaft langfristig empfindlich treffen. Die Alliierten dürften zwar kurzfristig ebenfalls zum Teil stark betroffen sein, auf längere Sicht haben sie aber im modellhaft simulierten Fall insgesamt nur eine um jährlich 0,17% geringere Wirtschaftsleistung zu befürchten", sagt Alexander Sandkamp, Handelsforscher am IfW Kiel und der Kieler Christian-Albrechts-Universität.

Die Berechnungen wurden mit dem KITE-Modell (Kiel Institute Trade Policy Evaluation) vorgenommen. Das Modell kann simulieren, wie sich Handelsströme langfristig anpassen, wenn internationale Lieferbeziehungen unterbrochen sind, und wie sich das auf die Wachstumsmöglichkeiten einer Volkswirtschaft auswirkt. Die kurzfristigen Effekte gegenseitiger Sanktionen, die in der Regel auf beiden Seiten zu Einkommensverlusten führen, sind dabei nicht abgebildet. Das Modell simuliert eine Verdoppelung von Handelsbarrieren abseits von Zöllen (nichttarifäre Handelshemmnisse), bildet aber nicht aktuell beschlossene Sanktionspakete ab.

Der Grund für die ungleiche Verteilung der Kosten liegt vor allem in der geringen wirtschaftlichen Bedeutung Russlands im Vergleich zu den USA und ihren Verbündeten. Letztere sind in Bezug auf Im- und Exporte für Russland also wichtiger als umgekehrt: So war die EU im Jahr 2020 für 37,3% des russischen Außenhandels verantwortlich, umgekehrt finden aber lediglich 4,8% des Außenhandels der EU mit Russland statt. Berücksichtigt man zusätzlich den intraeuropäischen Handel, wäre der Russlandanteil nochmals deutlich geringer. Importbarrieren der Alliierten würden Russland stärker treffen als Exportbarrieren.

"Sanktionen zeigen kurzfristig meist wirtschaftliche aber keine politische Wirkung. Halten sie lange an und sind umfassend, kann sich ihr politisches Wirkungspotential vergrößern. Die Simulationsergebnisse geben einen Eindruck, was langfristig für beide Seiten auf dem Spiel steht: Nach einer Anpassungsphase im Welthandel wird Russland deutlich geschwächt dastehen, der Schaden für die Alliierten ist dagegen überschaubar", sagt Gabriel Felbermayr, Direktor des WIFO.

Allerdings sind die Kosten der Simulation zufolge auch bei den Alliierten sehr ungleich verteilt. Stärker betroffen wären langfristig osteuropäische Länder wie Litauen (im Modellfall –2,5%), Lettland (–2,0%) und Estland (–2,0%). Deutschland und Österreich müssten mit Verlusten in Höhe von 0,4% bzw. 0,3% des jährlichen Bruttoinlandsproduktes rechnen, die USA lediglich mit Verlusten in Höhe von 0,04%. Diese Zahlen zeigen die stärkere Verflechtung Russlands mit der EU.

Als Folge des Konfliktes könnte Russland zwar seinen Handel mit anderen Ländern wie China ausweiten und insbesondere mehr in diese Länder exportieren. Im Jahr 2020 gingen knapp 14,6% der russischen Exporte nach China, allerdings kamen nur knapp 2,8% der chinesischen Importe aus Russland. Selbst wenn Russland nun vermehrt nach China exportiert, dürften die Auswirkungen auf China sich in Grenzen halten. Ähnlich sieht es bei den russischen Importen aus. So kamen knapp 23,7% der russischen Importe aus China. Gleichzeitig gingen jedoch nur knapp 2% der chinesischen Exporte nach Russland. Insgesamt würde sich das Realeinkommen in China daher im Modell lediglich um 0,02% jährlich erhöhen. Wirtschaftlich wäre China also nicht der große Krisengewinner.
  

WIFO Working Papers
03.03.2022
Fertigstellung: März 2022
Fachpublikation: WIFO Working Papers