09.04.2020

Corona-Krise: Regionale Unterschiede in der ökonomischen Betroffenheit

Neue WIFO-Skala ermöglicht Bundesländervergleich
Der WIFO-Forschungsbereich Strukturwandel und Regionalentwicklung zeigt in einer neuen Kurzanalyse die regionalen Unterschiede in der Betroffenheit durch die Corona-Krise auf. Über zwei Drittel der österreichischen Erwerbstätigen sind demnach in aktuell erheblich bis sehr stark betroffenen Branchen tätig. In Tirol und Salzburg ist die Betroffenheit am höchsten.

Vor dem Hintergrund der massiven wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie und der Maßnahmen zu ihrer Eindämmung präsentiert das vorliegende Papier eine Abschätzung der relativen Betroffenheit der Wirtschaft der österreichischen Bundesländer in der derzeitigen Krisenphase. Die Analyse basiert auf einer jüngst vom WIFO entwickelten Skala zur Betroffenheit der einzelnen Wirtschaftsbereiche im Zuge der Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Verbreitung, und einer Übertragung dieser Skala auf die Branchenstruktur der einzelnen Bundesländer.

Die Einordnung der 88 ÖNACE-Zweisteller-Branchenabteilungen (nationale Klassifikation von Wirtschaftsaktivitäten) nach ihrer ökonomischen Betroffenheit erfolgt auf Basis einer 5-stufigen Skala von "nicht betroffen" (1) bis "sehr stark betroffen" (5). Als "stark (sehr stark) betroffen" werden Branchengruppen definiert, die aktuell maßnahmenbedingt nicht oder nur sehr eingeschränkt aktiv sein können und für die das spätere Nachholen des derzeit entgangenen Geschäftes (nicht) wahrscheinlich ist. Darüber hinaus orientiert sich die Einstufung an nachfrageseitigen Einschränkungen durch Rückgänge im Export oder im Konsumverhalten der privaten Haushalte und/oder angebotsseitigen Restriktionen durch Produktionsstörungen im Zuge der Unterbrechung oder Verzögerung von Lieferketten. Die Ergebnisse der Einschätzung (im Detail und zusammengefasst für übergeordnete Wirtschaftssektoren) sowie die angewandten Kriterien zur Einstufung der ökonomischen Betroffenheit der Branchen, sind im Working Paper "Regionale Unterschiede in der ökonomischen Betroffenheit von der aktuellen COVID-19-Krise in Österreich – Ein Strukturansatz auf Ebene der Bundesländer" zu finden.

Auf Basis der entwickelten Branchentypologie und der Branchenstruktur der jeweiligen Bundesländer kann dargestellt werden, in welchem Ausmaß die einzelnen Bundesländer von der derzeitigen COVID-19-Krise betroffen sind. Abbildung 1 zeigt die jeweiligen Erwerbstätigenanteile in den unterschiedlich betroffenen Branchengruppen für die einzelnen Bundesländer und für Österreich insgesamt, und gibt somit über die relative Betroffenheit der Bundesländer Aufschluss. Ebenso sind die absoluten Zahlen der Erwerbstätigen in den unterschiedlich stark betroffenen Branchengruppen in Österreich dargestellt.

Insgesamt arbeitet rund ein Drittel der Erwerbstätigen in Österreich in Branchen, die nach unseren Bewertungskriterien ökonomisch nicht oder nur moderat von der derzeitigen Krisenphase betroffen sind. Umgekehrt stellen stark bis sehr stark betroffene Branchengruppen, also solche, die ihre Geschäftstätigkeit derzeit maßnahmenbedingt nicht ausüben können, 28,2% der Erwerbstätigen in Österreich. Damit sind im gesamten Bundesgebiet rund 1.320.000 Erwerbstätige Branchen mit starker und sehr starker Betroffenheit zuzurechnen.

Oberösterreich (23,8%) und Niederösterreich (26,4%) stellen unter den Bundesländern den geringsten Anteil an Erwerbstätigen in Branchen, die in stark oder sehr stark betroffenen Branchen tätig sind. Spiegelbildlich weisen Tirol (34,4%) und Salzburg (33,2%) den mit Abstand höchsten Anteil an Erwerbstätigen in Branchen auf, die durch die derzeitige COVID-19-Krise ökonomisch stark bis sehr stark betroffen sind. Ausschlaggebend für die Reihung der Bundesländer an den beiden Enden der Betroffenheitsskala sind dabei einerseits die regionale Bedeutung der nach Teilbereichen nur moderat bis erheblich betroffenen (aber beschäftigungsstarken) Industrie, sowie andererseits jene des Einzelhandels und der Tourismus- und Freizeitwirtschaft (Beherbergung und Gastronomie bzw. Kultur und Unterhaltung) mit ihrer besonders hohen Betroffenheit von der Krise.

Trotz beträchtlicher Unterschiede in den regionalen Wirtschaftsstrukturen zeigt sich für die meisten Länder in Summe ein ähnlicher Betroffenheitsgrad. Vor- und Nachteile aus Spezialisierungen in unterschiedlich stark betroffenen Wirtschaftsbereichen heben sich also weitgehend auf. Aus diesem Grund und dem insgesamt hohen Grad an wirtschaftlicher Betroffenheit in allen Bundesländern – 68% der Erwerbstätigen in Österreich arbeiten in aktuell erheblich bis sehr stark betroffenen Branchen – erscheinen horizontale Maßnahmen mit breiter sektoraler Wirkung zum jetzigen Zeitpunkt prioritär. In ihrer Umsetzung werden solche Maßnahmen aber dem jeweiligen regionalen Kontext anzupassen sein, um eine optimale Wirkung erzielen zu können.

Hier finden Sie eine interaktive Karte mit den wichtigsten Ergebnissen für die einzelnen Bundesländer.